Dienstag, 17. September 2013

Moralisches Desaster



Eigentlich sollte ich heute noch mal was zur FDP schreiben, die mir unter anderem mit einem Wahlinfostand vor meiner Tür auf die Nerven gingen. Dazu sind doch tatsächlich sämtliche FDP-Plakate mit Zweitstimmen-Jammerei überklebt. Geld genug haben die Typen offenbar.

Obdachlose, Bahnhofspunks und Osteuropäische Leierkastendarsteller in nahezu allen deutschen Großstädten laufen Sturm: Wahlkampfhelfer der FDP besetzen ihre Plätze auf der Jagd nach Zweitstimmen!   "Die betteln schlimmer als wir alle zusammen. Nicht auszuhalten.", so der Vorsitzende des Bettlerfördervereins Berlin-Moabit.

Was man von diesem unglaublich erbärmlichen Verhalten einer Versagerpartei, die nur Parteispenden-orientierte Gesetzgebung betreibt, halten soll, beschreibt beispielsweise Thorsten Denkler sehr passend.

Was man bei der Bundestagswahl wählen sollte – nämlich Grüne oder SPD – habe ich schon so oft beschrieben, daß ich dazu heute auch nur noch auf die Richtungsentscheidung verweise.
Es geht sechs Tage vor der Wahl um zwei Politikmodelle. Das Schwarzgelbe und das Rotgrüne. Ein Linkes oder ein Piratiges steht NICHT zur Debatte, weil nicht die geringste Chance besteht, daß eine der Parteien an der Regierung beteiligt sein wird.
Ob man will oder nicht; man muß sich entscheiden.  Auch Nichtwählen oder Piratenwählen ist eine Entscheidung – im Endeffekt PRO Merkel.

Es ist aber nicht egal ob Merkel oder Steinbrück regieren. Dazwischen liegen Welten.
Die politischen, gesellschaftlichen, sozialen und moralischen Gegensätze sind eklatant.
Die SPD-Konzeption ist etwas völlig anderes, als der Murx, den uns die Kanzlerin und ihre Lobbyistenorganisation FDP bieten.

Während ich bisher überwiegend die ökonomischen, außen- und sozialpolitischen Gegensätze zwischen rechts und links herausarbeitete, möchte ich heute auf eine zutiefst moralische Frage verweisen.

Thema „national befreite Zonen“.

85 Schüler des Goethe-Gymnasiums in Hamburg-Lurup (einer der ärmsten Stadtteile) begaben sich vor zwei Wochen auf eine Klassenreise nach Bad Schandau in Sachsen. Keine gute Idee.

Mitschüler von Tim hatten sich in einer Nacht Anfang September - trotz des Verbots der Lehrer - heimlich auf das örtliche Dorffest in Bad Schandau geschlichen, mitgefeiert und waren schließlich auf dem Marktplatz ungefähr zwölf teilweise betrunkenen Männern begegnet. Lautstark pöbelten diese die Schüler des Luruper Goethe-Gymnasiums, warfen mit rassistischen Parolen um sich.   Tim hatte sich nicht an dem Ausflug auf das Dorffest beteiligt. Schlaftrunken traf er auf der Toilette auf seine Peiniger. Drei "blonde, blauäugige, kräftige" Männer warfen ihn gegen das Pissoir, treten auf ihn ein und schlagen mit der Faust ins Gesicht. Tim ist deutsch-chinesischer Herkunft.
Als die Schläger endlich von dem Jugendlichen ablassen, kann der nur kurz vor Erleichterung durchatmen. Mit Verstärkung kehren die Neonazis zurück, sammeln sich vor der Jugendherberge, brüllen laut "Abendblatt" Parolen wie "NSDAP - wir vergessen nie" und heizen die Stimmung auf. Die Lehrer verbarrikadieren die Türen, aus Angst, die Männer könnten das Gebäude stürmen.
Bis zum Eintreffen der Polizei vergehen angeblich 30 Minuten. Keiner der Männer wurde von der Polizei festgenommen, es wurden lediglich zehn Personalien überprüft, wie eine Sprecherin des "Operativen Abwehrzentrum gegen Rechts" (OAZ) in Leipzig mitteilte. […]
So machte sich der Jahrgang am nächsten Tag auf den Rückweg gen Norden - erst zwei Stunden nach Abfahrt, Stunden nach der blutigen Tat, wurde die Mutter des Jungen angerufen. Mit dem Handy eines Lehrers. Den Schülern selbst waren auf der Reise keine Handys erlaubt worden. Für die Mutter, Cornelia M. (Name geändert), ein Skandal. "Ein Lehrer hat nach solch einer Tat die Pflicht anzurufen - egal ob es vier oder fünf Uhr morgens ist."
Denn die Doktoren vom UKE, das die Mutter mit ihrem Sohn bei seiner Rückkehr aufsuchte, sahen den Fall ganz anders. Sie röntgten Tim und operierten ihn unmittelbar.
Wenn es außerdem stimmt, was der Junge sagt, versuchten die Pädagogen, die Tat zu verharmlosen, den Schüler einzuschüchtern. Tim sei nur "in eine kleine Schlägerei" geraten und er solle sich "genau überlegen", was er zur Tat sagen werde.
Von dieser "Schlägerei" bleiben bisher eine Titanplatte in seinem Kiefer zurück, sein Auge ist mit einem sogenannten Patch stabilisiert. Wie sich das Ereignis psychisch bei ihm auswirkt, ist bisher ungewiss.

Noch ausführlicher berichtete das Hamburger Abendblatt und einen Tag später stellt sich die Stadt die Frage, ob Klassenfahrten in den Osten überhaupt zu verantworten sind.
Dürfen Hamburger Gymnasiasten, noch dazu welche aus Stadtvierteln, die relativ viele migrantische Schüler haben, in diese bekanntermaßen Skinhead-durchseuchte Gebiete fahren?
Egon Tegge, der Schulleiter des Goethe-Gymnasiums, will davon nichts wissen.

Tegge bedauert, dass der Angriff nun dazu führe, dass gefragt werde, ob man mit Schülern alle Landstriche in Deutschland bereisen könne ohne Gefahr zu laufen, irgendwie Schaden zu nehmen.
Peter Albrecht, Sprecher der Hamburger Behörde für Schule und Berufsbildung, sagte: „Es ist nicht geplant, Vorschriften zu erlassen, wohin Klassenfahrten nicht durchgeführt werden dürfen.“ Die Schulen sollten weiter selbst entscheiden.

Es erinnert an den Fall Lutz Battke, den NPD-Fußballtrainer des 3000-Seelen-Städtchen Laucha an der Unstrut. 

Der Rechtsextreme Battke trainiert nicht nur die Kinder der Stadt, sondern ist außerdem Lauchas Schornsteinfeger, so daß jeder ihn kennt.

Im April 2010 geschah das Ungeheuerliche. Ein 17-Jähriger, der ebenfalls beim Lauchaer Fußballklub BSC 99 mitmachen wollte, wurde von Rechtsradikalen mit der Absicht das „Judenschwein platt zumachen“ schwer verletzt.
Angestiftet waren sie offensichtlich von ihrem Hitler-verehrenden Trainer Battke, der den Neuen aus vollem Herzen hasste, da dessen Mutter aus Israel stammt.

Als der Fall Schlagzeilen macht, stellen sich der  Präsident des BSC 99, Klaus Wege und Lauchas Bürgermeister Michael Bilstein nicht etwa vor das Opfer, sondern geben zu bedenken, was denn ein Jude ausgerechnet im Fussballverein zu suchen habe. 
Jeder wisse doch wie aktiv Trainer Battke in der rechtsradikalen Szene sei.
Einen Grund Battke zu entlassen konnten sie nicht erkennen. 
Er sei schließlich beliebt und ein guter Trainer.
Erst massiver Druck der überregionalen Presse sorgte schließlich dafür, daß Verein und Bürgermeister einknickten und Battke Ende August 2010 doch noch als Trainer entließen. 

Nicht allen Lauchanern gefiel das, Hunderte solidarisierten sich mit dem Geschassten.
Ende 2010 geht Battke sogar in das Rennen um das Bürgermeisteramt. Bei den Kommunalwahlen 2009 hatte die NPD in Laucha 13,5 % erreicht. Kandidat Battke konnte das Ergebnis verdoppeln.

Lutz Battke, der in den letzten Wochen für viel Aufsehen gesorgt hatte, wird nicht Bürgermeister der kleinen Gemeinde Laucha in Sachsen-Anhalt werden. Trotzdem wird das Städtchen in den nächsten Wochen wohl kaum zur Ruhe kommen: Fast jede vierte Person gab dem Rechtsextremisten ihre Stimme.
24 Prozent aller wahlberechtigten Personen wollten Lutz Battke als ihren zukünftigen Bürgermeister. Mit 68 Prozent bleibt jedoch Michael Bilstein im Amt.
[…]
In den letzten Wochen berichteten jedoch unzählige überregionale Zeitungen über den Fall – allein dies kann die NPD als Sieg verbuchen. Gerade gestern noch sprach NPD-Chef Udo Voigt auf dem Bundesparteitag im nur wenige Kilometer entfernten Hohenmölsen in höchsten Tönen von Battke. Die 200 NPD-Delegierten applaudieren, er wird gefeiert.
Und heute feiert man weiter bei der NPD. Lutz Battke wird bejubelt als ein Mann, der sich nicht kleinkriegen lässt, als Siegertypen, als Mann des Volkes.
[…] 
Doch wie kam es, dass insgesamt 435 Personen am heutigen Sonntag ihr Kreuz bei Lutz Battke machten, der bekennender Rechtsextremist ist? Durch das große Medieninteresse der letzten Wochen hätten die Bewohner Lauchas das Gefühl, das „mit dem Finger auf sie gezeigt“ würde. Und obwohl viele mit der NPD nichts zu tun hätten, würde man sich so mit dem Neonazi solidarisieren, erklärte Titus Simon, Rechtsextremismus-Experte der Hochschule Magdeburg-Stendal.


Selbst nach großen Skandalen und Straftaten ist man vielerorts nicht bereit sich von Skinheads und Nazis zu distanzieren.

Mit dem „guten Nazi von nebenan“ - sei es der Fahrlehrer, Schornsteinfeger, Uhrmacher oder Sporttrainer - solidarisiert man sich, auch wenn man sich beeilt festzustellen nicht das politisch-extreme Gedankengut zu teilen.

Aber das sei doch kein Grund so einem nicht die Kinderchen zum Fußballtraining zu überlassen. 

Das „ist eben so“ im Deutschland des Jahres 2013.
Moscheen müssen Polizeischutz haben, Dunkelhäutige können weite Teile Ostdeutschlands nicht betreten,  Schwule sollten in Berlin-Neukölln nicht Hand in Hand gehen. Jüdischen Kindern wird von der Polizei dringend empfohlen auf dem Weg in die Schule keine Kippa zu tragen, weil das einfach zu gefährlich ist.
Was als Fürsorge daher kommt, ist in Wahrheit eine skandalöse Verdrehung von Opfer und Täter.

Was muß diese Junge aus Israel auch ausgerechnet in Ostdeutschland Fußball spielen? Was muß das Mädel auch abends im kurzen Rock rumlaufen?
Was müssen die Schwulen sich auch ausgerechnet vor den Augen lauter Prekariatler küssen? Die nächste Frage erahnt man schon? Was wollen Ausländer (…,Schwule, Schwarze, Behinderte,…) überhaupt hier?
Sind sie nicht selbst schuld, wenn sie auf’s Maul kriegen?
Dazu sage ich ein klares NEIN!

Ausländer sind nicht verantwortlich für Xenophobie und Lesbenpaare haben keine Schuld an Homophobie.
Wir wissen genau, daß dort die Ausländerfeindlichkeit am größten ist, wo es praktisch gar keine Ausländer gibt.
Die widerlichen Missgeburten von der „SSS“ (Skinheads Sächsische Schweiz) beklagen sich über Ausländerströme in einem Landstrich mit einem Ausländeranteil unter 1%.
Antisemitismus existiert sogar ganz ohne Juden.

Das Ergebnis der rechtsextremen NPD bei der Jugend-Testwahl in Spremberg (Spree-Neiße) alarmiert Politik und Initiativen gegen Rechts. Von den Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren in der Stadt hatten bei der Abstimmung am vergangenen Freitag rund ein Drittel der Teilnehmer ihr Kreuz bei der NPD gemacht. Von einem "alarmierenden Signal" sprach Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). "Bei allen Erfolgen im Kampf gegen Rechtsextremismus und Fremdenhass gibt es keine Entwarnung", sagte er der "Lausitzer Rundschau" (Dienstag).

Studien ergeben regelmäßig, daß ein Drittel der ostdeutschen Jugendlichen Juden ablehnen. Die Hälfte von ihnen gibt an keine Juden als Nachbarn zu wollen.
Fragt man sie aber „Warum“ und ob sie jemals einen Juden gesehen haben, antworten sie mit „nein“.

Es ist verdammt noch mal nicht hinzunehmen, daß diese Zustände in Deutschland existieren. Menschen mit Kippa, dunkelbrauner Haut oder schwul wirkendem Gang sollen sich überall in Deutschland sicher bewegen dürfen, wie es das Gesetz vorschreibt.

Eine Bundesregierung mit auch nur einem Hauch von moralischem Anstand würde sich intensiv darum bemühen die Menschenrechte überall in Deutschland durchzusetzen. Sie würde Aufklärungs-, Präventions- und Opferhilfeprogramme massiv fördern, Polizei aufstocken und vor allem in den Schulen, Kitas und anderen Jugendeinrichtungen Pädagogen einsetzen, um diesen rechtsradikale Gewaltfetischismus auszurotten.

Stattdessen kneifen Kanzlerin und Sozialministerin die Augen zu und die Jugendministerin streicht sogar massiv die Gelder für die Vereine, die gegen Neonazis arbeiten, zusammen.


Diese Bundesregierung darf keinesfalls wiedergewählt werden.

Im Kampf gegen den Rechtsterrorismus ist die Bundesregierung nach Einschätzung von Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin keine Hilfe. "Bis heute kann die Bundesregierung nicht erklären, wie ein Netzwerk von Nazi-Terroristen 13 Jahre lang aus dem Untergrund heraus über zehn Morde begehen konnte", sagte Trittin am Dienstag in Berlin. Noch immer sähen sich Initiativen gegen Rechtsextremismus einem Generalverdacht ausgesetzt durch die sogenannte Extremistenklausel. Für Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich sitze das eigentliche Problem als Linksfraktion im Bundestag, meinte Trittin. "Wenn man einen Strich drunter zieht, kann man über diese Bundesregierung nur Folgendes sagen: Rechts blind, links blöd - diese Bundesregierung ist ein Ausfall im Kampf gegen den Rechtsextremismus."