Samstag, 22. Juli 2023

Wenn schlecht regiert wird

Entzaubern sich unfähige Regierungspolitiker selbst, wenn sie, einmal an die Macht gelangt, schlechte Politik machen?

Jein.

Wenn eine Regierung des linken Spektrums versagt, wird sie fast immer abgestraft, weil ihre Wähler progressiv und kritisch sind. Sie erwarten Resultate und sind leicht enttäuscht, wenn die reale Regierungspolitik nicht genauso aussieht, wie im Wahlkampf versprochen. Ihre Zustimmung muss stets hart erarbeitet werden. Zu allem Übel erwarten progressive Wähler vorbildliches moralisches Verhalten ihrer Politiker und reagieren hypersensibel auf kleinste Mauscheleien. Eine private Dienstwagenfahrt und es droht lebenslanger Liebesentzug.

Davon kann Joe Biden ein Lied singen, der sozialpolitisch und wirtschaftlich die beste Bilanz seit Bill Clinton aufzuweisen hat, aber mit dem ewigen Wirbel um seinen drogensüchtigen Sohn Hunter geschlagen ist.  Seine Regierung ist viel erfolgreicher, als selbst die größten Optimisten nach seinem Wahlsieg im November 2020 annahmen. Er konnte vieles trotz widriger Umstände Umsätzen (Stichwort Infrastrukturgesetz), an dem Vorgängerregierungen reihenweise scheiterten.

Seine Beliebtheitswerte sind aber dennoch sehr niedrig. Politanalysten sind sich uneinig, wieso er nicht viel bessere demoskopische Zahlen hat. Mutmaßlich spielen aber sein sehr hohes Alter und die massiv destruktive Lügenkampagne MAGAmericas eine Rolle.

Wenn eine Regierung des rechten Spektrums versagt, wird sie sehr selten abgestraft, weil ihre Wähler schlechter informiert und unkritischer sind. Sie sind viel antagonistischer eingestellt und werten es bereits als großen Erfolg, wenn ihre rechten Parteien überhaupt an der Macht sind und damit die verhassten Linken nicht regieren. Sie erwarten auch keine Reformen, notwendige Zukunftspläne oder intellektuelle Debatten. So konnten Kohl und Merkel jeweils unendliche 16 Jahre regieren, obwohl sie Deutschland ganz offensichtlich in einen viel schlechteren Zustand, als zu ihrer Amtsübernahme führten. Auch auf Roland Koch oder die CSU oder Silvio Berlusconi trifft das zu. Zudem profitieren diese Konservativen von der extrem Skandal-Toleranz ihrer Wähler. Niemand kann mehr die endlose Kette der Selbstbereicherungen und Politskandale zu Lasten der Steuerzahler der bayerischen CSU aufzählen. Und auch 2023 steht sie nach aktuellen Umfragen vier Mal so stark wie die skandalfreie bayerische SPD da. 

Roland Koch log wie gedruckt, verbreitete antisemitische Märchen und verschob Millionen Spendengelder in dubiosen Kanälen und wurde doch vier Mal wiedergewählt.

Das extremste Beispiel ist sicherlich Donald Trump, der in seiner Amtszeit vom Januar 2017 bis Januar 2021 die verheerendste Bilanz aller US-Präsidenten aufzuweisen hatte. Über 30.000 mal log er das Volk an, setzte keins seiner vier Hauptwahlversprechen um – build the wall, end Obamacare, lower the deficit, fix the infrastructure.

Ganz im Gegenteil, er häufte Staatsschulden auf, wie niemand vor ihm, ruinierte die Wirtschaft, baute als erster Präsident seit hundert Jahren Arbeitsplätze ab, ließ hunderttausende Amerikaner durch seine katastrophale Coronapolitik sterben und führte die USA international in die völlige Isolation. Nie waren die Staaten international unbeliebter als zum Ende der Trump-Präsidentschaft. Nicht ganz unerheblich auch seine vielfachen kriminellen Aktionen, zwei Impeachments und der gewalttätige Versuch, die Demokratie und Verfassung zu brechen.

Würden die republikanischen Wähler auch nur über ein Mindestmaß von Realitätssinn verfügen, oder halbwegs rational entscheiden, wäre Trump für immer geächtet und erledigt. Tatsächlich sind aber seine 75 Millionen Fans bis heute restlos begeistert von ihrem Idol, ignorieren jede Realität und lassen ihrem psychopathischen Messias alles durchgehen.  Gemeinsam die gleichen Leute zu hassen, schweißt viel mehr zusammen, als gemeinsame mühsame konstruktive Regierungsarbeit. Eine Erkenntnis, der sich auch Fritz Merz verschreibt.

Absolut verheerend ist auch die Tory-Bilanz in Groß Britannien. Ihr Brexitwahn verschlang schon fünf Premierminister und führte ihr Land zweifellos in Chaos und einen kaum jemals wieder aufzuholenden ökonomischen Niedergang.

Die Resilienz der konservativen Wähler scheint aber, anders als die der QTrumpliKKKans langsam erschöpft zu sein. Nach Cameron, May, Johnson und Truss, scheint Rishi Sunak möglicherweise der letzte konservative Premierminister zu sein. Nach 13 Jahren Dauerregierung scheint Schluß zu sein. Drei Nachwahlen dieser Woche in konservativen Hochburgen zeigten den Niedergang der Tories deutlich.

[….]  Am Ende half nicht mal mehr, was den regierenden Konservativen in den vergangenen Jahren so oft geholfen hatte: Stimmung gegen Flüchtende  zu machen. Hastig hatten die Tories zu Wochenbeginn ein Gesetz durchs Parlament gepeitscht, das nach Ansicht von Kritikern der Abschaffung des britischen Asylrechts nahekommt. Ein Gesetz, das es dem Staat ermöglicht, »illegal« Eingereiste, auch Minderjährige, zu kasernieren und praktisch ohne Verfahren nach wenigen Wochen wieder abzuschieben. Ein Gesetz auch, das sogar die Innenministerin Suella Braverman, qua Amt eine der obersten Hüterinnen der Verfassung, als womöglich rechtswidrig bezeichnet hatte.

Dass der Niedergang der Konservativen selbst mit populistischen Methoden offenbar kaum noch aufzuhalten ist, zeigte sich, als dann in der Nacht zum Freitag die Stimmen ausgezählt waren: In zwei von drei Wahlbezirken scheiterten die Tory-Nachrückkandidaten fürs britische Parlament krachend. Den Dritten, Boris Johnsons alten Wahlkreis Uxbridge, hielten die Konservativen nur dank einer Kampagne gegen stärkere Klimaschutzmaßnahmen um Haaresbreite.  [….]

(SPIEGEL, 22.07.2023)

Das halbe Land wird nach wie vor durch Streiks lahmgelegt, die Lebenserhaltungskosten sind astronomisch. Inflationen, sowie rasant gestiegene Hypothekenzinsen geben auch dem Mittelstand den Rest.

Wenn die konservativen Abgeordneten irgendwann nur noch aus erratischen Spinnern bestehen und die gesamte Nation so offensichtlich dem Niedergang geweiht ist, nützen irgendwann auch Xenophobie und Trans-Hass nichts mehr. Irgendwann wenden sich selbst die blödesten Wähler ab. Hoffentlich.

[….] Die Briten sind nicht zufrieden mit ihrem Premierminister. Nur das menschenrechtswidrige neue Asylgesetz ist populär - doch das wird seiner Regierung auf Dauer auch nicht nützen.

[….] Wer verstehen will, warum die Tories so sehr mit sich hadern, landet früher oder später bei Ben Wallace. Er ist nicht nur Verteidigungsminister, sondern auch das, was man ein politisches Schwergewicht nennt. Wallace hat angekündigt, bei der Parlamentswahl nicht mehr anzutreten. Wie es aussieht, verlässt er das sinkende Schiff, bevor es womöglich untergeht. Wallace ist nicht allein. Mehr als 40 Tory-Abgeordnete haben Sunak bereits wissen lassen, dass sie ihren Unterhaussitz nicht verteidigen wollen.

Daran ist der Premier nicht ganz unschuldig. Seit Sunak in Downing Street regiert, haben sich die Umfragewerte nicht verbessert. Die Tories liegen noch immer etwa 20 Prozentpunkte hinter Labour. [….] Die Menschen verlangen zu Recht Lösungen für das drängendste Problem - und das ist die cost of living crisis. Wie überall in Westeuropa sind die Lebenshaltungskosten auch in Großbritannien massiv gestiegen. Dass sich die hohen Preise dort allerdings sehr viel hartnäckiger halten als in Deutschland oder Frankreich, liegt auch am britischen EU-Austritt. Doch das wollen die Tories gar nicht hören. Eher zweifeln sie an Sunak als am Brexit. […]

(Alexander Mühlauer, SZ, 22.07.2023)