Samstag, 26. November 2022

Geld auf den größten Haufen.  

Als ich mir ein Bein gebrochen hatte; als ich mit Covid richtig krank war, fragten mich die Ärzte immer freundlich, ob ich einen „gelben Schein“ brauche.

Schön wäre es. Aber eine Krankschreibung nützt mir als Ein-Mann-Selbstständigem natürlich gar nichts. Ob ich arbeiten kann, im Krankenhaus operiert werde oder mit 40° Fieber im Bett klebe, ist egal: Meine Unkosten bleiben: Miete, private Krankenversicherung, genau wie alle anderen Fixkosten. Ich muss auch den Steuerberater bezahlen und als Single in Steuerklasse 1 all die sozialen Wohltaten für Familien mitbezahlen, die ich selbst nie in Anspruch nehme: Kindergeld, Kitas, Schulen. Nun meldet sich auch noch der Steuerberater und weist mich schon mal auf eine Steuernachzahlung für 2020 hin, für die ich dringend Geld zurücklegen muss. Also bloß keine Extra-Ausgaben mehr dieses Jahr.

Das tut psychologisch weh, weil es um Geld geht, das ich schon verdient habe, das auf meinem Konto gelandet ist und das ich nun weg geben muss. Selbst Steuern zu zahlen, macht gar keinen Spaß.

Wenn ich die Perspektive etwas vergrößere, sieht es schon anders aus.

Nur eine gute Hälfte der Bevölkerung zahlt überhaupt Einkommensteuer. Die anderen verdienen zu wenig.

Offenbar habe ich also das Glück zur reicheren Hälfte der Bürger zu gehören.

Wie viel Geld man im Monat erhält, sollte in einer Meritokratie von Fähigkeiten und Fleiß abhängen. Aber diese meritokratischen Überzeugungen habe ich für Deutschland inzwischen sehr stark eingedampft. Ich denke, der entscheidendere Faktor für Wohlstand, ist Glück. Multimillionär oder Milliardär wird man im Jahr 2022 durch Erben. Nicht durch harte Arbeit. Aber auch andere Formen des Wohlstandes hängen vom Zufall der Geburt ab. In welches soziale Umfeld wuchs man hinein, welche Schule konnte man besuchen, wie stabil war das Elternhaus?

Da hatte ich viel Glück, als Hamburger in einem gediegenen Vorstadt-Gymnasium zu starten. Aber auch da war man natürlich nicht gleich und Gleichen. Einige konnten sich keine Nachhilfe oder Klassenreisenteilnahmen leisten. Einige hatten zerrüttete Familien, kein eigenes Zimmer, nie Ruhe, um Hausaufgaben zu machen. Ich schätze meinen Background als mittelglücklich ein. Und ich hatte Glück im Mittelglück, daß ich schlau war und in der Schule keine Hilfe brauchte. Ich hätte niemanden nach Mathe oder Physik fragen können. Mein Vater sprach nicht mal deutsch und war Künstler. Es interessierte sich niemand für Hausaufgaben oder Zeugnisse.

Ich hätte aber viel mehr Pech haben können. Ein paar Kilometer weiter wuchsen Kinder gleichzeitig in Wohnungen auf, in denen nie ein Buch stand, der Vater kriminell war und ein Hauptschulabschluss das Höchste der Gefühle war. Damit ist ein Berufsleben und das finanzielle Auskommen ganz anders determiniert.

Aber auch das wäre mit einer anderen Perspektive noch enormen Glück. Es kommt immer auf die Relation an.  Auch in Hamburger Problemstadtteilen sind Hauptschüler krankenversichert, haben ordentliche Zähne, müssen nicht frieren oder hungern.

Paradiesische Zustände sind das aus der Sicht von Rumänen der 1980er Jahre.

Und was ist, wenn man als Kleinkind in Somalia oder dem Sudan in einem Hungerlager geboren wird? Oder als schwuler Junge in Mauretanien? Oder als indonesischer Gastarbeiter in Katar? Wie sind die Perspektiven als Mädchen in Zentralafrika, wenn man mit HIV geboren wird, die Schamlippen amputiert bekommt und mit 12 an einen Ehemann verkauft wird? Wie lebt es sich als Waisenmädchen in Libyen auf der Straße, wenn sämtliche Verwandte vom IS ermordet wurden?  Wie fühlen sich eigentlich halb russische, halb ukrainische Kinder in der Ostukraine bei Minusgraden ohne Heizung und ohne Strom?

So lange muss ich nicht nachdenken, um meinen Ärger über gestiegene Versicherungsbeiträge runterzuschlucken und willig meine Steuernachzahlung zu überweisen.

Ich bin ein Verfechter des Sozialstaates und der braucht Steuern.

Diese Einnahmen sollte der Finanzminister vorzugsweise von der reicheren Hälfte der Bevölkerung abziehen und insofern bin ich, ganz folgerichtig, auch dran.  Mir geht es gut. Ich hatte Glück. Also zahle ich auch gern für die Unglücklicheren.

Ein Problem bleibt aber.

So wie ich mich finanziell mit den ganz Armen in Afrika vergleichen kann und ein riesiges Wohlstandsgefälle zwischen uns feststelle, lassen sich auch zur anderen Seite des algorithmischen Geldstrahls, absurde Unterschiede feststellen. Klatten, Quandt, Albrecht, Schwarz, Kühne, Porsche, Reimann, Schaeffler leben in völlig anderen finanziellen Dimensionen und leider gelten für sie nicht alle Regeln. Sie müssen auch Steuern zahlen, tun es aber nicht, weil ihre Eltern bevor sie 10 Milliarden Euro vererben, zu findigen Liechtensteiner Steuertricksern gehen, die mit komplizierten Doppelstiftungsmodellen dafür sorgen, daß der Bundesfinanzminister leer ausgeht. Sie verlegen ihre Wohnsitze, verbergen Milliarden in Übersee-Holdings. Sie nutzen alle Schlupflöcher, werden aber nie ernsthaft verfolgt, weil sich Bundesländer wie Bayern geradezu damit brüsten, wenig Steuerfahnder zu haben. Das lockt milliardenschwere Unternehmer ins Bundesland.

Ja, ich bin überzeugter Steuerzahler. Aber ich würde eben noch viel lieber Steuern zahlen, wenn ich wüßte, daß sich Großkonzerne nicht so arm rechnen können, daß sie bei einem Steuersatz von Null rauskommen (Daimler Benz!). Die reichsten Männer der Welt – Bezos, Musk und Co – zahlen nicht nur keine Steuern, sondern greifen auch noch Staatshilfen und Subventionen ab.

Das Prinzip der Bankenkrise von 2008 – Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren – wird bis heute konsequent angewendet. So lange Konzernbosse märchenhafte Gewinne machen, fordern sie Steuersenkungen und absolute Zurückhaltung des Staates. Wenn sie aber den Karren in den Dreck gefahren haben, sind sie die ersten, die beim Bund die Hand aufhalten und gar nicht daran denken, mit ihrem zur Seite geschafften Privatvermögen für Verluste zu haften.

Es ist extrem ärgerlich, wenn ausgerechnet die allerreichsten Organisationen darüber hinaus auch noch ausdrücklich von Steuern befreit werden und es keine nennenswerte öffentliche Empörung darüber gibt.

Das Vermögen der Kirchen in Deutschland wird auf viele hundert Milliarden Euro geschätzt. Muss ich als Steuerzahler ausgerechnet dazu beitragen, einem Fantastillionen schweren Kinderfic**r-Verein weitere Milliarden auf den Kopf zu scheißen?

[…] Der Kirchenkritiker Carsten Frerk hat 2010 mit seinem "Violettbuch Kirchenfinanzen" für Aufsehen gesorgt. In der Publikation berechnet Frerk, dass der Staat über direkte und indirekte Leistungen die katholische und evangelische Kirche mit jährlich knapp 20 Milliarden Euro unterstützt. Die etwa 45 Milliarden Euro für Caritas und Diakonie sind darin nicht enthalten. Tatsächlich ist es kaum möglich,  verzweigt und hoch komplex. Die katholischen Bistümer gehen, wie auch die Evangelische Kirche in Deutschland, sehr zurückhaltend mit einer transparenten Offenlegung sämtlicher Zahlungsflüsse um.  [….]

(SZ, 14.10.2013)

Die Grünen weisen dankenswerterweise angesichts der ungeheuerlichen Vorgänge in Katar, darauf hin, daß auch FIFA, UEFA und DFB steuerbefreit sind.

Auch Infantino und seine hochkorrupten deutschen Funktionskollegen verdienen Milliarden mit ihren Turnieren, ohne Steuern zu zahlen.

Da tragen sich die Rolex-Uhren gleich mit doppelten Vergnügen.

[….]  Schleswig-Holsteins Grüne haben eine Überprüfung der Gemeinnützigkeit des Deutschen Fußball-Bundes gefordert. "Es widerspricht der Verantwortung als gemeinnütziger Verein, wenn der DFB Menschenrechtsverletzungen, die Diskriminierung queerer Menschen und Frauen sowie massiven strukturellen Rassismus, die Einschränkung der Berichterstattung und die Klimafolgen, die diese WM mit sich bringt, toleriert", sagte der Landesvorsitzende Gazi Freitag am Freitag vor dem Start der Weltmeisterschaft in Katar. Die Landessprecherin der Grünen Jugend, Johanna Schierloh, rief zum Boykott der WM auf. "Die Fußball-WM in Katar stattfinden zu lassen, ist auf sämtlichen Ebenen unverantwortlich", sagte Schierloh. Eine auf Ausbeutung und auf Kosten von Menschenleben und Menschenrechten basierende WM dürfe es nicht geben. DFB und FIFA müssten nachhaltig Verantwortung übernehmen. "Ein erster Schritt sind Entschädigungszahlungen für Betroffene und Hinterbliebene von Menschenrechtsverletzungen." [….]

(ZEIT, 18.11.2022)

Die UEFA denkt gar nicht daran, überhaupt eine Fußball-Europameisterschaft auszurichten, wenn die (Merkel-)Bundesregierung (von 2018)nicht vollständige Steuerbefreiung für die Milliardengewinnen zusichert.

[….]  Deutschland, Fußballfestland: Befreiung der Uefa von Einkommens- und Körperschaftsteuer?

Die Bundesregierung scheint sich vergeblich um Diskretion zu bemühen, was ihre Unterstützung der Bewerbung um die Fußball-Europameisterschaft 2024 betrifft. Einen Bericht, dass sie wie bei der Weltmeisterschaft 2006 dem Veranstalter Steuerfreiheit gewähre, damals dem Weltverband Fifa, in sechs Jahren dem Europa-Verband Uefa, wollten weder das Innen- noch das Finanzministerium bestätigen. Selbst der Parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium, Stephan Mayer von der CSU, auf den die Zeitschrift „Focus“ sich berief, als sie am Freitag von der Steuerbefreiung berichtete, wollte seine Aussage nicht bestätigen. Nach Informationen dieser Zeitung kündigte er gegenüber Sportpolitikern seiner Fraktion die Steuerbefreiung an.

Die Uefa macht Steuerfreiheit zur Bedingung ihrer Vergabe. Deutschland gewährte bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland dem Weltverband Fifa die Befreiung von der Einkommens- und Körperschaftsteuer. [….]

(FAZ, 23.03.2018)

Dazu sage ich ein kräftiges: GEHT ES NOCH?