Sonntag, 11. März 2012

Der Christ des Tages Teil LVIII



Beginnen wir mit einem kleinen Rätsel.
Wer hat die folgenden Programmpunkte formuliert?
Brights, MSS, IBKA?

Kirchen und weltanschauliche Gemeinschaften entscheiden über ihre Angelegenheiten unabhängig von staatlichen Einflüssen. Das erfordert, dass der Staat seine verbliebenen Einflussmöglichkeiten (insbesondere die Mitwirkung an der regionalen Gliederung der Kirchen, die Forderung des bischöflichen Treueeides auf die Verfassung, den Einfluss auf die Besetzung kirchlicher Ämter) aufgibt.
Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ist für religiös und weltanschaulich gebundene Gruppen wie die Kirchen nicht geeignet, da diese ihre Aufgaben nicht aus staatlichem Auftrag herleiten.
[…]
Kirchen und weltanschauliche Gemeinschaften regeln die Mitgliedschaft im Rahmen der Religionsfreiheit nach eigenem Recht. Der Austritt erfolgt durch Willenserklärung gegenüber den Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften.
[…]  
Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Diesem Verfassungsgrundsatz ist überall, insbesondere im Personenstandsrecht und im öffentlichen Dienst, Geltung zu verschaffen.
Die bisherige Kirchensteuer ist durch ein kircheneigenes Beitragssystem zu ersetzen.
[…]
Der Verfassungsgrundsatz der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates ist auf Länderverfassungen und Gesetze, Regeln und Gebräuche im öffentlichen Bereich anzuwenden. Die Glaubensüberzeugungen einzelner Gruppen dürfen nicht für alle verbindlich gemacht werden. Auf sakrale Formen und Symbole ist im Bereich staatlicher Institutionen wie Gerichten und öffentlichen Schulen zu verzichten. Die Eidesformel ist neutral zu fassen; dem Eidesleistenden muss es freistehen, den Eid durch einen Zusatz im Sinne seiner Weltanschauung zu ergänzen.
[…]
Die bestehenden Staatsverträge mit den Kirchen (Kirchenverträge und Konkordate) sind wegen ihres Sonderrechtscharakters kein geeignetes Mittel, die Beziehungen zwischen Kirche und Staat zu regeln.
[…]
Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Kirchen sind abzulösen. (Wie es Artikel 140 GG und Artikel 138 Abs. 1 WRV vorsehen.)
Soweit Kirchen und Religionsgemeinschaften gegenüber anderen gemeinnützigen Institutionen steuer- und gebührenrechtliche Sondervorteile besitzen, sind diese aufzuheben.
[…]
Bildung, Krankenpflege und soziale Versorgung sind öffentliche Aufgaben.

Na, wer errät es?

Man glaubt es heute kaum, aber diese Forderungen stammen von der FDP - allerdings sind sie fast 40 Jahre alt!


Bis 2004 schleppte man diese geradezu säkularen Thesen mit - aber mit Guido Westerwelles Machtübernahme, der stramm antisozialen, markthörigen und industrielobbyistischen Stoßrichtung, wurden auch die freiheitlichen Ansichten zur Religion über Bord geworfen. 
Es vollzog sich ein dramatischer Schwenk in die rechte und religiöse Ecke, wie wir es aktuell auch wieder bei den US-Republikanern erleben.

Auf der FDP-Homepage findet man heute ein Grundsatzinterview mit Guido Westerwelle, in dem er für die Freiburger Thesen nur noch Verachtung erkennen lässt. 
Von einem Ende der exorbitanten Staatsleistungen an die Kirchen oder gar dem Ende des staatlichen Inkasso-Services für die Kirchen, der ihnen jährlich neun Milliarden Euro beschert, ist keine Rede mehr.

 Frage: In den Siebzigern hat die FDP das Papier verabschiedet: Freie Kirche im freien Staat. Das hatte eine sehr laizistische Stoßrichtung. Das hat sich mittlerweile komplett geändert. Warum?

WESTERWELLE: Es mag so sein, dass sich mancher gesellschaftliche Konflikt überlebt hat. Ich persönlich glaube jedenfalls nicht, dass der Unterschied zwischen religiös gebundenen Menschen und anderen, die eher glaubensfern sind, heute die zentrale Rolle spielt.

Frage: Halten Sie in diesem Zusammenhang die Kirchensteuer für ein Zukunftsmodell?

WESTERWELLE: Wir wollen ein neues, faires Steuersystem bei der Lohn- und Einkommensteuer und wir halten es für eine unglaubliche Entgleisung, dass bei der Erbschaftsteuer Geschwister wie Fremde behandelt werden. Da wollen wir ran, das hat Vorrang.

Auch im letzten offiziellen FDP-Parteivorstandsbeschluss vom 10.12.2007 ist jede Kirchenkritik und jedes Bestreben zur Entkoppelung von Kirche und Staat (wie es unser Grundgesetz vorsieht!) verschwunden.

Der neue FDP-Chef Philip Rösler ist selbst tief gläubig und hat als überzeugter Katholik sogar einen Sitz im Zentralrat der Katholiken in Deutschland.
 Er ist gewissermaßen die inkarnierte Antithese zur liberalen FDP von 1974.

So wie der FDP auch andere bürgerliche Freiheiten (es fing an mit dem Lauschangriff) egal sind, will sie an der zementierten Privilegierung der Kirchen, ihren Diskriminierungs-Sonderrechten und der Flutung mit Steuergeldern festhalten.

Die FDP empfindet heute den rechtslastigen Pfarrer Joachim Gauck als „typischen Vertreter der Liberalen“ - trotz oder gerade wegen seiner faktenblinden Allergie gegen soziale und menschenrechtliche Umtriebe einiger Vertreter der westdeutschen protestantischen Kirche.
 
Joachim Gauck, […] hat wieder einmal seine Freude am Schnüffeln und Denunzieren herausgelassen.  […] Mit ihrer »Linkslastigkeit« hätten sie »bei ihren Besuchen in der DDR den Glaubensgeschwistern weismachen« wollen, »sie litten im Kapitalismus unter schlimmeren Zuständen«, und sie hätten »den Begriff Freiheit negativ besetzt«.

LINKSLASTIGKEIT?

In jenen [50er und 60er] Jahren fing der Mehrheitsprotestantismus nach den Worten des damaligen Ratspräsidenten der Evangelischen Kirche in Deutschland, Otto Dibelius, »dort wieder an, wo er 1933 aufhören mußte«, und verbreitete nun weiterhin seinen Antikommunismus, seine menschenfeindliche Sexualmoral, seine Frauenverachtung (1954 forderte die Kirche, an einer »gewissen Entscheidungsbefugnis« des Vaters gegenüber der Mutter müsse »festgehalten werden«) und schließlich seinen herkömmlichen Militarismus, der kurz zuvor noch »in großer Übereinstimmung mit der nationalsozialistischen Partei- und Staatsführung« den deutschen Eroberungs- und Vernichtungskrieg, besonders nach dem Überfall auf die Sowjetunion 1941, »mitgetragen und durchgestanden« hatte (so Günter Brakelmann in »Kirche und Krieg«, 1979).

Für all diese Aktivitäten eignete sich vorzüglich das schon 1949 geschaffene System der »Kirchenpartnerschaften«, wonach jede Landeskirche in Ostdeutschland eine westdeutsche Landeskirche als »Partnerkirche« erhielt, zum Beispiel die Landeskirche Sachsens die hannoversche und die Landeskirche Mecklenburgs, in der Gauck ab 1967 seinen Dienst tat, die bayerische. […] Insgesamt erbrachte der »Bruderdienst« 243 Millionen Mark.

Der antikommunistische Kirchenkampf erreichte 1959 in der »Obrigkeitsschrift« des langjährigen Ratsvorsitzenden Dibelius seine höchste Vollendung. Darin kam der Verfasser zu der Einsicht, er brauche die Verkehrsregeln in der »Sowjetzone« nicht zu beachten, weil die »Obrigkeit« dort, anders als das Nazi-Regime und alle früheren »Obrigkeiten«, nicht »gottgewollt« nach Kapitel 13 des Paulus-Briefs an die Römer sei. […]
 Mit [Gaucks] Kritik in Frankfurt zeigt er der evangelischen Kirche die Richtung an, in die sie wohl gehen soll: Zurück in die 50er Jahre! Zurück zur Restauration! Zurück zur Rechtslastigkeit der Kirche! Enttarnt endlich auch alle »linkslastigen westdeutschen Theologen« und stellt sie vor das Jüngste Gericht!

Damit komme ich zum Christen des Tages Nr. 58.

Es handelt sich um einen Pfarrer, der nebenher auch FDP-Bundestagsabgeordneter ist und zur Gruppe der 42 engagierten Christen der Fraktion gehört. 

Christ des Tages LVIII ist Pascal Kober, geb. 1971, Theologe aus Baden-Württemberg. 
Der Pfarrer vom Neckar ist auch Gründungsmitglied und Theologischer Berater der Christlichen Liberalen – Christen bei den Freien Demokraten Baden-Württemberg.
(Karl-Hermann Flach wird in seinem Grab rotieren.)


Auslöser für diesen Berufswunsch waren die Erfahrungen im Religionsunterricht der Oberstufe, in dem wir gelernt haben, die Dinge nicht einfach hinzunehmen, sondern sie zu hinterfragen und eigene Antworten zu formulieren. Mit Begeisterung habe ich damals im Unterricht die (Auszüge aus der) Schrift von der „Freiheit eines Christenmenschen“ von Martin Luther verschlungen, die wir behandelt haben. Vielleicht ist ja damals mit der Lektüre von Luthers „Freiheitsschrift“ schon ein Grundstein für mein späteres politisches Engagement bei der FDP gelegt worden.

Die FDP, die rigoros Spekulanten vor Börsenumsatzsteuer schützt und Steuergeschenke an die Reichsten weiterreicht, während Westerwelle wider die „spätrömische Dekadenz“ des Prekariats hetzt, empfindet Kober als besonders „sozial kompetent“:

Die FDP redet nicht nur von sozialer Verantwortung und instrumentalisiert sie auch nicht für ihre eigenen Zwecke. Sie macht sich ideenreich und tatkräftig an die Lösung. Dabei verletzt sie nicht die Würde der Betroffenen und gibt das Ideal einer freien Gesellschaft nicht auf. Leitbild der FDP – Sozialpolitik ist die Befähigung zu Eigenverantwortung, zu Teilhabe an der Gesellschaft und zu einem solidarischen Miteinander. Liberale Sozialpolitik begnügt sich nicht damit, die Schwächen Betroffener zu verwalten und materiell auszugleichen, sondern sie will an den Ursachen ansetzen und an den Stärken der Menschen anknüpfen.

Wie die FDP den Armen helfen will, indem sie den Reichsten Geld zuscheffelt, erklärte der Christ des Tages 58 letzten Donnerstag in der ZEIT.

DIE ZEIT: Herr Kober, wann haben Sie zum letzten Mal gebetet?
Pascal Kober: Heute Nacht. Ich bete jeden Tag.
[…] Natürlich freue ich mich darüber, dass Jochim Gauck Präsident wird.
ZEIT: Warum wollte die FDP einen Pfarrer für dieses Amt?
Kober: Pfarrer wird nur jemand, der die Menschen liebt. [sic!!! - ob das die von Priestern vergewaltigten Jungs auch so sehen? - T. ] Das gilt auch für Joachim Gauck.
[…]
ZEIT: Herr Kober, […] Gibt es zu viele Reiche in Deutschland?
Kober: Nein. Das Entscheidende für mich als Christ ist der Umgang mit dem Reichtum, nicht der Reichtum an sich.
ZEIT: »Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, da sie die Motten und der Rost fressen«, steht im Matthäus-Evangelium. Tun aber nicht viele Reiche genau das – sie sammeln Schätze, hocken darauf wie Dagobert Duck und geben nichts ab?
Kober: Wenn jemand tatsächlich zweckfrei Besitz anhäuft – dann entsteht Reichtum, wie er im Neuen Testament kritisiert wird. Man soll ihn in den Dienst einer sinnvollen Sache stellen.
ZEIT: In Deutschland gibt es massenhaft Reiche, die das nicht tun. Wie bekehrt man sie?
Kober: Ich muss ihnen die Augen für die Not der anderen öffnen und dabei wegkommen von einer Zeigefingerpolitik, die suggeriert, dass immer jemand anderes in der Verantwortung steht, meistens der Staat, die Wirtschaft oder die Reichen.
[…]
Schon Martin Luther hat festgestellt, dass es nicht sinnvoll ist, wenn der Reiche sein ganzes Vermögen hergibt und am Ende selbst nichts mehr hat.
ZEIT: Warum?
Kober: Dann habe ich ja einen neuen Armen.
[…]
Kober: Unser Wohlstand ist darauf gegründet, dass Menschen unternehmerische Ideen umsetzen. Wir möchten sie ermutigen, ihre Begabungen und finanziellen Mittel dazu einzusetzen, Arbeitsplätze und gute Produkte zu schaffen.
[…]
ZEIT: Ist Gott ein Liberaler?
Kober: […] Gott hat in jeden Menschen etwas hineingelegt, das ich gerne entdecken würde. Deshalb bin ich Liberaler. Je mehr das Leben reguliert und standardisiert ist, desto weniger gibt es zu entdecken. Institutionen werden individuellen Problemen immer nur oberflächlich gerecht. Am Ende steht eine Entsolidarisierung. Die einen kümmern sich weniger, und die anderen werden zu wenig gefordert, selbst etwas aus ihrem Leben zu machen. Ich glaube übrigens, dass Joachim Gauck ähnlich denkt. Ich habe mit ihm leider nie darüber gesprochen. Aber so verstehe ich seine Warnung, dass der Sozialstaat zu Passivität verleiten kann.
ZEIT: Wollen Sie allen Ernstes behaupten, dass die FDP christliche Nächstenliebe propagiert?
Kober: Jedenfalls finde ich es naheliegend, in einer Partei zu sein, die die persönliche Verantwortung für den Nächsten und sich selbst in den Mittelpunkt stellt.
Quelle: DIE ZEIT, 8.3.2012 Nr. 11

Kobers Weltsicht zu kommentieren erscheint mir unnötig. 

Das zu beurteilen dürfte jedem leicht fallen.