Sonntag, 22. Februar 2015

Ökonomie versus Krämerseele



Seit vor 15 Jahren die stramm neoliberalen Typen à la Gabor Steingart und Hans-Ulrich Jörges die Macht in den Chefredaktionen übernommen haben, ist das simple neoliberale Denken bei den Wirtschaftsjournalisten nie hinterfragt worden.
Man ist immer noch auf Linie, frönt dem Sparen, der schwarzen Null, den Liberalisierungen, der Lohnzurückhaltung.
Mindestlohn und Rentenerhöhungen gelten als Teufelszeug.

Es ist fast unmöglich andere Meinungen zu finden – es sei denn es handelt sich um grundsätzliche Betrachtungen in den Feuilletons. Dort wird der Kapitalismus durchaus gegeißelt.
Konsequenzen bleiben aber aus.

In der aktuellen Morgenpost erscheinen dann solche Kommentare wie die von Maternus Hilger. Er drischt auch nicht anders als die BILD auf „die frechen Griechen“ ein.


Die sollen sich Schäuble fügen und basta. Soweit die herrschende veröffentlichte Meinung.


Dabei muß man wahrlich nicht Ökonomie studieren, um zu verstehen, daß Deutschlands Diktat nicht funktionieren kann.


Schäuble ist der Kassenwart eines Landes mit einem riesigen Handelsbilanzüberschuss. Die enorme Exportstärke Deutschlands wird heutzutage durch ein Heer von Niedriglohnjobbern ermöglicht.
Der Anteil der Arbeitseinkommen am Bruttosozialprodukt schrumpft kontinuierlich.
Die Armut wächst, die Reichen werden reicher.
Handelsbilanzüberschuss geht nur, wenn andere Länder ein Handelsbilanzdefizit haben. Das gebietet schon die Mathematik.
Es können nicht alle Länder einen Exportüberschuss und damit solche Haushaltszahlen wie Deutschland erreichen.

Mein heutiges Posting ist im Grund nur eine Leseempfehlung.

Man möge sich bitte die Ansicht des Wirtschaftswissenschaftlers Heiner Flassbeck (*1950) zu den aktuellen griechischen Politik durchlesen.

Flassbeck war zwei Jahre beamteter Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen unter Oskar Lafontaine und später zehn Jahre lang Chef-Volkswirt (Chief of Macroeconomics and Development) bei der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf.

Flassberg publiziert viel; man kann auf seiner Web-Plattform FLASSBERG-ECONOMICS viele kritische Analysen finden, die man in den üblichen Periodika eher selten kommuniziert sieht.

Apropos Medien, nachdem die Financial Times Deutschland platt gemacht worden ist und die Frankfurter Rundschau vor dem Aus steht, gibt es bis auf einige kleine Nischen auch nicht einmal im Ansatz mehr den Versuch in den deutschsprachigen Medien, die Wirtschafts­politik zu hinterfragen und überkommene Dogmen wie die extreme Exportorientierung oder die Schuldenphobie in Frage zu stellen. In der Nachkriegsgeschichte gab es noch nie so viele Versuche der Verharmlosung, der Verschleierung und der offenen Manipulation. Ohne das Internet und Plattformen wie die Nachdenkseiten wäre die Meinungsfreiheit schon des­wegen massiv gefährdet, weil es ohne alternative Denkansätze auch keine freie Meinungs­bil­dung geben kann. Das bei den Politikern so beliebte TINA Prinzip (There Is No Alternative) ist grund­falsch, ja, es ist die indirekte Leugnung der menschlichen Fähigkeit zu kritischer Analyse und damit des zentralen Grundsteins von Demokratie und Rechtsstaat.

Zur aktuellen Problematik Varoufakis versus Schäuble empfehle ich dieses Interview – bitte ganz durchlesen!

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Frage: Der deutsche Finanzminister ­Schäuble hat sauer auf die Vorschläge des griechischen Finanz­ministers Varoufakis reagiert. Er hat erklärt, man könne nicht dauernd über seine Verhältnisse leben und dann immer Vorschläge machen, was andere noch bezahlen sollen.

Flassbeck: Die griechische Position ist vernünftig. Wenn etwas unvernünftig ist, ist es die Position der deutschen Regierung. Griechenland fordert das eigentlich Selbstverständliche, nämlich dass eine gescheiterte Politik eingestellt wird. Diese Politik, die in den letzten fünf Jahren von den Gläubigern auferlegt wurde, ist grandios gescheitert. Sie hat zum stärksten Absturz einer Wirtschaft geführt, den wir überhaupt seit der grossen Depression gesehen haben. Sie hat in Griechenland katastrophale Zustände verursacht.

Frage: Nur: Griechenland hat doch über seine Verhältnisse gelebt, da hat Schäuble recht.

Flassbeck: Griechenland hat über seine Verhältnisse gelebt, Deutschland hat unter seinen Verhältnissen gelebt. Wer hat den grösseren Fehler begangen? Eindeutig Deutschland. Gemessen an dem, was einmal vereinbart worden ist, eine europäische Währungsunion mit einem Inflationsziel von zwei Prozent. Da muss man sich mit seinen Löhnen an die Produktivität anpassen. Das hat Deutschland nach unten getan, Griechenland nach oben. Deutschland hat aber quantitativ mehr gesündigt als Griechenland. Dieser Hinweis fehlt im Brief von Varoufakis, aber er weiss das, ich habe es ihm persönlich gesagt.
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(Interview Schweizer Tages Anzeiger 21.02.2015)