Sonntag, 8. Juli 2012

Hartnäckig blöd.



Never change a winning team. 
 So lautet ein sinniger Spruch aus Politik und Wirtschaft.
Der Umkehrschluß müßte lauten: 
Wenn etwas andauernd auf die Schnauze fällt, sollte man mal etwas anderes ausprobieren.

Offensichtlich ist so eine Weisheit aber in der Politik unbekannt. 
Sonst müßten Dauer- und Ausschließlich-Versager wie Ronald Pofalla, Annette Schavan, Guido Westerwelle und Kristina Schröder längst aus Merkels Kabinett geworfen worden sein. 
Setzte die Kanzlerin stattdessen auf Lothar Matthäus, Verona Feldbusch und Kader Loth, könnte es nur besser werden.

Bei den politischen Strategien sieht es noch viel übler aus.

Seit zig Jahren schaufelt man beispielsweise durch das Ehegattensplitting viele Milliarden Euro zu den reichen, kinderlosen Paare und garantiert, daß die Kinder alleinerziehender Mütter im Regen stehen bleiben.

Besonders gaga ist auch das sogenannte „Kilometergeld“ (eigentlich Entfernungspauschale), mit der Benzinverbrauch und Umweltzerstörung mit Milliarden subventioniert werden. 
Genau umgekehrt wäre es richtig.

Die Pendlerpauschale sollte abgeschafft, die Pendler sollten stattdessen besteuert werden. „Abgase, Verkehrslärm, Stau oder Parkplatzmangel könnten gute Gründe sein, die Pendlerpauschale abzuschaffen und sie durch eine Pendlersteuer zu ersetzen“, sagte der Leiter des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI) der Hamburger Morgenpost am Freitag. „Damit könnten Städter für das Leid entschädigt werden, das ihnen autofahrende Pendler antun.“

Noch immer sind trotz einer PISA-Keule nach der Nächsten konservative Politiker von dem extrem ungerechten und kontraproduktiven Selektionsschulsystem in Deutschland nicht abzubringen. 
Man maßt sich an Kinder mit neun, zehn Jahren auf Haupt-, bzw Restschulen zur Chancenlosigkeit zu verdammen. 
Die Kinder, die pädagogische Hilfe und schulische Betreuung am nötigsten hätten, bekommen davon am wenigsten.

Mit sagenhafter Hartnäckigkeit verfolgt die internationale Staatengemeinschaft in einigen Fällen auch das Konzept der Militärintervention. 
Rein willkürlich selbstverständlich.  
 In Staaten, in denen aufgrund von gewaltigen Leichenbergen ein militärisch durchgesetztes „Nationbuilding“ am ehesten sinnvoll wäre, wie dem Kongo, Syrien, Nordkorea, Somalia oder dem Sudan wird noch nicht einmal dran gedacht.

Der Zweite Weltkrieg dauerte fast sechs lange grausame Jahre. In Afghanistan ballern die amerikanischen Alliierten schon doppelt so lange rum.
99% der Mittel werden für das Militär ausgegeben. Systematisch hat man die Afghanen dazu gebracht die Besatzer zu hassen. 
Befürworter des fortdauernden militärischen Engagements verweisen auf die Verbesserung der Situation der Frauen und all die Mädchen, die nun zur Schule gehen dürfen.
Blöd nur, daß die Taliban zurück sind und die Schulen wieder niederreißen. Umdenken kann man nicht aufoktroyieren. Die Anerkennung der Frauen läßt ebenfalls zu wünschen übrig.

Ein Taliban hat nach Worten eines Provinzgouverneurs eine mutmaßliche Ehebrecherin auf offener Straße hingerichtet. Die Tat habe sich vor etwa einer Woche im Dorf Kimchok in der Nähe der afghanischen Hauptstadt Kabul ereignet, berichtete Gouverneur Basir Salangi am Samstag.
Der Nachrichtenagentur Reuters liegt ein dreiminütiges Video vor, welches das Verbrechen zeigt. […]  Die Aufzeichnung zeigt einen mit einem Turban gekleideten Mann, der unter den Augen von etwa 150 jubelnden Männern fünfmal mit einer Automatikwaffe auf eine am Boden kniende Frau schießt. Ein Beobachter sagt: "Es ist Allahs Befehl, dass sie hingerichtet wird."
[…] Menschenrechtsexperten beobachten seit einiger Zeit die wachsende Gewalt gegen Frauen am Hindukusch. Als die Taliban von 1996 bis 2001 an der Macht waren, wurden Ehebrecherinnen stets öffentlich hingerichtet.

Vielleicht ist die Strategie des Westens doch etwas suboptimal?

Nach wie vor ist Afghanistan der Hauptopiumproduzent der Welt. 
Das Zeug wächst da gut und ist oft die einzige Möglichkeit für einfache Bauern ihre Familien zu ernähren. 
 Hauptsächlich werden damit aber Warlords, Drogenbarone und Waffenhändler reich. 
Möglich macht es die Kriminalisierung des Opiumanbaus, die die Droge so teuer macht.

Vor fünf Jahren hat dazu ausgerechnet „Mr. Fettnapf“ der deutschen Politik einen sinnvollen Vorschlag unterstützt: 
Dirk Niebel empfahl den Aufkauf der Opium-Ernte in Afghanistan. Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn.
 Selbstredend will er davon nichts mehr wissen, seitdem er Macht hat.

Rückblick:
Afghanistan wurde 2004 von einer Anti-Mohn-Kampagne überrollt. Ein Bericht der Vereinten Nationen vom November 2003 warnte, dass der afghanische Mohnanbau im Jahr 2004 auf Rekordhöhe geschnellt war. Mit einem geschätzten Wert von 2,4 Milliarden Dollar macht der Mohnhandel 60 Prozent der Wirtschaft des Landes aus und versorgt die Welt mit 87 Prozent des insgesamt verbrauchten Opiums. Auf den UN-Bericht reagierte Präsident Hamid Karsai mit einen nationalen »Dschihad gegen die Drogen«, und die internationale Gemeinschaft erhöhte ihr Antidrogenbudget auf fast eine Milliarde Dollar.
2/3 der Landbevölkerung Afghanistans hängen direkt von der Mohnernte ab und nachdem man sie schon nicht gerade durch das militärische Rambo-Vorgehen der Amis wirklich begeistern konnte, wurde im Januar 2004 wurde eine afghanische Einheit für Drogenbekämpfung ins Leben gerufen; im Jahr 2004 beschlagnahmte sie 80 Tonnen Opiate sowie 30 Tonnen Vorläuferchemikalien und zerstörte 70 Drogenlabore. Nachdem das ganze Land also schon in Trümmern lag, wurde nun auch noch begonnen der ärmsten Bevölkerung systematisch die Lebensgrundlage zu entziehen. Einem Bericht der UN-Behörde für Drogen und Verbrechen (UNODC) vom März 2005 zufolge sank der Anbau in den meisten Mohnanbaugebieten des Landes merklich. Wohl aus Angst vor den regierungsamtlichen Erntevernichtungen reduzierten viele Bauern zunächst den Anbau.
 Nun frage ich mich was wohl die deutschen Bauern sagen würden, wenn islamisches Militär hier patrouillierte, die Kohlrabi-Ernte mit Flammenwerfern abfackeln würde und dann verlangte man solle es dafür noch schätzen. Das Schlagwort „Kampf um die Herzen“ will ich gar nicht erst aussprechen. Dörfer, die traditionellerweise Opium anbauen, sind ebenso abhängig von der Pflanze wie die Süchtigen, die sich Heroin spritzen. Die Einzigartigkeit des Mohns – keine andere Pflanze wächst so leicht und bringt so viel Geld – führt dazu, dass ganze Dörfer sich um ihn herum organisieren. Die westlichen Truppen versprachen zwar Kompensationen, aber die sind ob der chaotischen Lage nie eingetroffen. Wie lange wartet da wohl ein hindukuschlerischer Bauer OHNE Existenzgrundlage ab, nur weil GW Bush nun mal den Opiumanbau nicht mag?
Nun schreiben wir also das Jahr 2007, die afghanische Mohnernte hat einen absoluten Rekordwert erreicht und versorgt angeblich bis zu 95 % der weltweiten Nachfrage. Viele Hilfsorganisationen vor Ort sehen natürlich die Zusammenhänge weniger ideologisch, als die Fanatiker im Weißen Haus oder bei der NATO. Die Europäer und auch die Deutschen sind dabei übrigens NICHT hilfreich. Merkel hat sich ja ohnehin bei dem Thema abgemeldet und widerspricht GWB sowieso nicht. Nun breitet sich der Terror immer mehr aus und die Taliban feiern ihr Comeback – mit freundlicher Unterstützung der debilen Strategie von EU und USA; so befindet der thinktank Senlis Council:

Nicht wir gewinnen den Kampf um die Köpfe und Herzen des afghanischen Volkes, sondern die Taliban. Tatsächlich haben die von der internationalen Gemeinschaft angewandten Methoden zur Bekämpfung der Aufstandsbewegung und die Vernichtung der Mohnernten den Aufständischen sogar geholfen, an Macht zu gewinnen. Statt des versprochenen Wiederaufbaus hat die internationale Gemeinschaft bisher eine Politik der Zerstörung verfolgt. Die aggressive, von den USA angeführte Anti-Drogen-Strategie der Erntevernichtung hat es nicht geschafft, die Unterstützung der Afghanen zu gewinnen, denn sie hat eine Kettenreaktion von Armut und Gewalt ausgelöst, durch die die armen Bauern, deren einzige Existenzgrundlage vernichtet wurde, nun ihre Familien nicht mehr ernähren können. Man zieht Menschen nicht auf seine Seite, indem man sie bombardiert, sondern indem man ihnen hilft. Die Taliban haben das Versagen der internationalen Gemeinschaft für eine extrem effektive antiwestliche Propaganda genutzt, die in den Augen der Öffentlichkeit deutliche Zweifel an den Gründen sät, mit denen die internationale Gemeinschaft ihre Präsenz in Afghanistan rechtfertigt.

Daher schlagen auch Kendall (ehemaliger Generalsekretär von Interpol) und Norine MacDonald (Vorsitzende und Gründerin des Senlis Council, einer Denkfabrik, die sich mit Sicherheits- und Entwicklungsfragen beschäftigt.) vor, in Afghanistan wissenschaftliche Pilotprojekte zur Untersuchung eines Lizenzsystems für den Opiumanbau durchzuführen. Dieses würde eine Kernkomponente für den wirtschaftlichen Wiederaufbauprozess darstellen. Ein System, in welchem der Mohn zur Herstellung von Schmerzmitteln wie Morphium und Kodein in Lizenz angebaut würde, würde es den Bauern ermöglichen, ihrer traditionellen Erwerbsbeschäftigung und Lebensweise nachzugehen und – was noch wichtiger ist – ihre Familien zu ernähren. Es herrscht weltweit ein Mangel an Morphium und Kodein, insbesondere in den unterentwickelten Ländern, in denen diese lebenswichtigen Medikamente häufig knapp oder gar nicht erhältlich sind.

Unnötig zu erwähnen, daß statt dieses sinnvollen Vorschlages weiterhin eine vollkommen kontraproduktive Drogenkriminalisierungs-Strategie durchgezogen wird.

Wie üblich sitzen die ignorantesten Weltverschlechterer in den USA.
 Dort wird konsequent der „war on drugs“ weitergeführt.

Aus grundlegenden freiheitlichen Überzeugungen würde ich für den legalen Konsum von Drogen plädieren. Verbot von Haschisch und Kokain erscheint mir willkürlich angesichts einer westlichen Gesellschaft, in der sich jedes Jahr legal Myriaden Menschen mit Fett, Alkohol und Schusswaffen umbringen.
 Wäre es nicht sinnvoller Schusswaffen zu verbieten und stattdessen die Leute ihre Joints rauchen zu lassen?

Zumal das Beispiel Holland zeigt, daß Jugendliche weit weniger Marihuana rauchen seit es legal ist, weil es einfach „uncool“ geworden ist und der Reiz des Verbotenen fehlt?
Ein bißchen ähnlich ist es auch mit Abtreibungsgesetzen: Dort wo es die freiesten Regelungen gibt, sinkt die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche langfristig, weil Frauen nicht mehr übermäßig unter Druck gesetzt werden und zu Panikreaktionen gezwungen sind.
 Das sind aber grundsätzliche moralische Überlegungen. 

Den „war on drugs“ sollte man aber vor allem deswegen beenden, weil diese Strategie spektakulär gescheitert ist.
 Allein in Mexico hat der von den USA aufgezwungene Kampf gegen die Kartelle schon 60.000 Tote gekostet. 
Der extreme Druck hat darüber hinaus dazu geführt, daß die Drogenbarone heute reicher und mächtiger als je zu vor sind. Washington treibt die Heroin, Crack- und Koks-Preise hoch. 
Milliarden werden für Polizeiarbeit, DEA, Militär, Geheimdienste, Juristerei und Gefängnisse verschleudert, die in Sozialmaßnahmen und Prävention wesentlich besser und menschenfreundlicher angelegt wären.

Die Milliardenprofite der Drogenkartelle und die damit regelrecht erzwungene exorbitante Beschaffungskriminalität (um nämlich die wahnwitzigen Preise zu zahlen), könnte man mit der Legalisierung von eben auf jetzt stoppen.

Drogenkriminalisierung hatte ursprünglich den Sinn Menschen vom Drogenkonsum abzuhalten. Dieses Ziel ist aber genauso gescheitert, wie die Prohibition nicht den Alkohol ausmerzen konnte.

Stattdessen sitzen jetzt allein in den USA über eine Million Menschen nur wegen Drogendelikte in den hoffnungslos überfüllten Gefängnissen und werden durch die Zustände dort in eine kriminelle Zukunft gedrückt.

Bis ein Toppolitiker der Demokraten oder Republikaner den einzigen sinnvollen Schluß zieht und öffentlich fordert Drogen zu legalisieren, dürfte aber noch Zeit vergehen. 
Die Borniertheit in den USA ist nicht zu unterschätzen.
Südamerikaner sind da glücklicherweise weniger dumm. 
Uruguay geht voran.

Vier Jahrzehnte dauert der Krieg gegen die Drogen schon, und er hat nichts als Horror gebracht. Anfang der siebziger Jahre begann der damalige US-Präsident Richard Nixon die Schlacht, doch die Dealer werden immer mächtiger und grausamer. Drogenkartelle haben ganze Regionen übernommen, manche sind zu Konzernen gewachsen. Sie erschießen, enthaupten, entführen, erpressen, bestechen. Das Milliardengeschäft finanziert von Mexiko über Kolumbien bis nach Guinea-Bissau und Afghanistan Terroristen, Auftragskiller, Guerilleros, Paramilitärs. Durchlöcherte und geköpfte Leichen säumen die Routen, Stoff und Konsumenten werden trotzdem nicht weniger. Da hat Uruguay eine gute Idee: Gebt das Zeug endlich frei.  Die Republik will als erste Nation Lateinamerikas zunächst Marihuana legalisieren. "Das Verbot bestimmter Drogen verursacht dem Land mehr Probleme als die Droge selbst", argumentiert die linke Regierung von Präsident José Mujica. […] Auch frühere lateinamerikanische Staatschefs unterstützen das, ebenso Guatemala, regiert von einem vormaligen General. Sie wollen den Preis der Drogen senken und damit den Gewinn der Kriminellen. Das ist der richtige Ansatz.
[…] Bei den Drogen wiederholen sich die Fehler der amerikanischen Prohibitionszeit. Mexikaner schmuggelten damals den Schnaps nach Norden, es entstand das Golf-Kartell, das mittlerweile am Rauschgift verdient. Erst als das Gemetzel zu schlimm wurde, dachte Washington um und kassierte Alkoholsteuern.
(Peter Burghardt 03.07.2012)