Samstag, 12. Dezember 2020

Ist es doch noch nicht vorbei?

Als dann, eine knappe Woche nach dem 03.11.2020 die Stimmen der US-Wahl soweit ausgezählt waren, daß an Joe Bidens Sieg über Donald Trump feststand; er sogar mit 306 Wahlmännern sehr deutlich über der magischen Präsidentenschwelle von 270 Stimmen im Electoral College liegt, als die amerikanischen News-Sender ihn „President elect“ nannten, als er mit der zukünftigen Vizepräsidentin Kamala Harris bei seiner Siegesrede in Wilmington am 08.11. den Trumpianern die Hand ausstreckte, als auch FOX keinen Zweifel mehr daran ließ wer die USA ab dem 21.01.2021 regieren würde, blickte die gute Hälfte des „sane America“ milde auf Donald Trump.

Trump gratulierte seinem Nachfolger nicht, er ließ die Finanzmittel für Bidens Transition-Team sperren, verwehrte den Zugang zu den Geheimdienstinformationen und hielt - natürlich – nicht die von einigen erwartete Concession-Speech.

So ein Verhalten wäre bei jedem anderen der bisherigen 45 US-Präsidenten als ungeheuerlicher Skandal bewertet worden.

Ist doch die friedliche Machtübergabe der innerste Kern der US-Verfassung, die wichtigste Überzeugung des Gründungsmythos‘ einer Nation, deren „founding fathers“ alles dafür taten, um ihre Bürger für alle Ewigkeit vor einem „Mad King“ zu beschützen.

Ein Vierteljahrtausend, seit 1797, hatte es stets funktioniert. Kriege, Sklaverei, brutale Menschenrechtsverletzungen, Rassismus, Bürgerkrieg, systematische Misogynie und Homophobie konnten dem Grundprinzip der „peaceful transition of power“ nichts anhaben.

Wieso wurde also Donald Trump nach diesen ungeheuerlichen Attacken auf die US-Verfassung nicht spätestens in den Tagen nach dem 08.11.2020 mit Forken und Mistgabeln aus dem Weißen Haus gejagt?

Zumal sich das Land in einer miserablen Verfassung wie nie befindet? 50 Millionen Amerikanern hungern, zig Millionen stehen vor der Obdachlosigkeit und jeden Tag sterben 3.000 Menschen durch das katastrophale Corona-Missmanagement Trumps. Jeden Tag mehr als ein 9/11.

Der Grund ist die Gewöhnung an den Wahnsinn.

Trump lügt jeden Tag wie gedruckt. Das weiß jeder. Er ist kein Demokrat, er ist ungebildet, er kennt die Verfassung nicht, er ist mental schwer gestört, er kann sich nicht kontrollieren. Seine schwere Persönlichkeitsstörung macht es ihm unmöglich eine Niederlage einzugestehen. Also läßt man ihn lügen und die Verfassung schleifen, so wie man einem an Tourette Leidenden nachsieht „ich ficke die Neger“ zu grölen: Es ist eine Krankheit, er kann nichts dafür.

Und so berichteten die CNN-hosts Tapper, Cooper, Cuomo, Lemon zwar pflichtschuldig über Trumps abartiges Verhalten; er ist schließlich Präsident; nahmen ihn aber nicht ernst. Bald würde es vorbei sein, bald würde Biden ins White House einziehen, bald müsse man sich nicht mehr um den Psychopathen IQ45 kümmern und es gäbe nichts, das die Republikaner und Trump dagegen tun könnten.

Einen Monat später, Mitte Dezember, wir befinden uns noch fünf Wochen vor der Amtsübernahme Joe Bidens, gibt es viel mehr Grund zu Besorgnis.

Trump ist zwar genauso bösartig und irre, wie man es kennt. Er lügt, hetzt, fordert zur Gewalt auf, bekämpft die US-Verfassung und die Realität.

„Sane America“ hatte aber die Republikaner immer noch für eine rechtsstaatliche Organisation gehalten - trotz der kontinuierlichen GOP-Entwicklung der letzten 20 Jahre, in denen sich die konservativ-christliche, patriotische und antizentralistische Partei in einen kriminellen, antidemokratischen, faschistischen Verschwörungskult verwandelte.

Was für ein Fehler. Bis heute gibt es nur eine sehr kleine Minderheit der Republikaner, die die Realität anerkennt.

Weite Teile haben sich vollständig dem psychotischen Trump-Untergangskult verschrieben und schicken mit Vergnügen ihre eigene Nation in die Hölle, wenn sie dafür nur von Trump gelobt werden.

Gestandene US-Senatoren, die noch im Jahr 2016 Donald Trump mit drastischen Worten öffentlich verdammten, ihn zu einem schwer gestörten Betrüger und pathologischen Lügner erklärten – Marco Rubio, Lindsey Graham, Ted Cruz – beugen sich nun voller Emphase und Begeisterung vorn über, präsentieren dem orangen Irren ihre nackten Hintern, in der Hoffnung coram publico von ihm gebumst zu werden.

Weit über 100 republikanische Abgeordnete unterstützen nun öffentlich den Versuch eines Staatsstreichs, der initiiert von Donald Trump, zuletzt aus Texas vor den Supreme Court gebracht wurde.

[….] 126 republikanische Abgeordnete haben eine Klage vor dem Obersten Gerichtshof unterschrieben, mit der das Wahlergebnis vom 3. November in sein Gegenteil verkehrt werden sollte. Auf den Punkt gebracht lautete ihre Forderung, dass nur Stimmen für den amtierenden Präsidenten Donald Trump gültige Stimmen sein können und die anderen deshalb annulliert werden müssten.  Von außen betrachtet stellt man sich schnell die Frage, wie es sein kann, dass gebildete Menschen mit langer politischer Erfahrung so viel Ignoranz gegenüber der Realität entwickeln können. Die Vorstellung verliert allerdings ihre Lächerlichkeit, wenn man auf das dahinter liegende Demokratieverständnis blickt: "In einer Demokratie gewinnt, wer sich durchsetzt. Wer ein Abstimmungsergebnis akzeptiert, hat schon verloren." […..]

(Arthur Landwehr, ARD-Studio Washington, 12.12.20)

Trump war jeden Tag seiner Präsidentschaft sehr gefährlich, ist kurz davor den 300.000sten Covid19-Toten der USA verursacht zu haben, zerstörte die Beziehungen zum Rest der Welt, schürte Hunger und Rassenunruhen.

Aber nachdem er das zweite Mal deutlich die popular votes verlor; 2016 lag er mit knapp drei Millionen Stimmen hinter Clinton, 2020 mit über sieben Millionen Stimmen hinter Biden; bricht er endgültig mit dem Anschein ein Demokrat zu sein. Er will seine Nation lieber in Chaos und Gewalt untergehen sehen, als jemals einzuräumen, er könnte verloren haben.

Die Entspannung der US-amerikanischen Journalisten und Politologen aus den ersten Novemberwochen verfliegt.

Auch die hatten das Ausmaß der Heuchelei und Verkommenheit der gesamten republikanischen Partei immer noch unterschätzt und sehen nun mit an, wie diese Verbrecher auf einen Bürgerkrieg hinarbeiten.

Sie lassen Trumps neroesken Anstachelungen zu Bürgerkrieg und Chaos nicht nur geschehen, sondern unterstützen ihn.

Das könnte noch sehr sehr übel werden bis zur Amtsübergabe.

Daß Trump dort erscheint und Biden die Hand gibt, glaubt inzwischen niemand mehr.

Bestenfalls wird er schmollend und besessen twitternd in Mar A Lago sitzen. Vermutlich wird er persönlich sogar Gegenveranstaltungen abhalten. Möglicherweise wird er offen zu Gewalt und Widerstand gegen die US-Verfassung aufrufen.