Mittwoch, 14. August 2013

Die Politik und die Meme



Angela Merkel und ich haben durchaus auch Gemeinsamkeiten.
Wir mochten beispielsweise beide in der Schule „Mathe“.
Das war immer eins meiner Lieblingsfächer, weil ich es so logisch und einfach fand. Da mußte man nie lernen und bekam immer eine gute Zensur.
Als ich in die Oberstufe kam, wußte ich gleich, daß Mathe mein Abifach werden würde. Üblicherweise wählte man dann in der VS (11.Klasse) einen sogenannten „Ergänzungskurs“ als Vorbereitung auf den Leistungskurs.
Zu Mathe gab es aber nur das öde „Mathe-Ergänzung“ bei diesem unglaublich aus dem Mund stinkenden Typ, der noch ein Kriegsversehrter mit zerschossenem Kiefer war.
Der nuschelte so in seinen Bart, daß man ihn nie verstand. Der zweite Ergänzungskurs war „Informatik“, in dem die latent übergewichtigen Schulstreber saßen, die auch alle in der JU waren.
Die interessierten sich alle für Computer, jene sinnlosen Rechenmaschinen mit dem albernen TV-Bildschirm dran.
Der Sinn dieser Apparate erschloß sich mir überhaupt nicht. Daran herum zu programmieren konnte ja keinen Sinn machen.
Also ging ich doch zu dem Blödmann mit dem zerschossenen Kiefer und verdrängte diese JU-Typen in den Markensweatshirts vor ihren Bildschirmen.
Noch während des Grundstudiums war ich überzeugt davon auch ohne Computer zu Recht zu kommen.
Langsam gab es zwar Professoren, die keine handgeschrieben Protokolle mehr annahmen, aber meine Handschrift ist sehr sauber und insbesondere in Organischer Chemie sahen meine Moleküle immer sehr hübsch und dreidimensional aus.
(Bis heute bilde ich mir ein, daß man das räumliche und chirale Denken bei komplexeren organochemischen Reaktionen besser lernt, wenn man die Moleküle selbst zeichnet.)
Widerstrebend mußte ich mir dann aber auch einen Drei-Sechsundachtziger anschaffen und mir mühsam von Kommilitonen erklären lassen wie das funktionierte.
Der Funke sprang aber nicht über. Ich benutze das Ding als bessere Schreibmaschine und schaltete es immer so bald wie möglich wieder aus.
Als irgendwann die ersten Leute immer von diesem eigenartigen „Internet“ erzählten, wurde ich endgültig bockig. Damit wollte ich nun echt nichts zu tun haben. Das stiehlt Zeit und außerdem las ich doch so gern. Schon den Computer fand ich doof. Auf keinen Fall brauchte ich noch Internet dazu.

Nun ja, wir wissen ja wo das endete.
Heute kann wohl kein vernünftiger Mensch mehr das Internet in toto ablehnen.
Es bietet einfach zu viel, das die Offline-Welt nicht ersetzen kann.
Aus eigener Erfahrung weiß ich aber wie skeptisch man sein kann. Und man sollte auch nicht blind alles mitmachen.
 In den sozialen Netzwerken beobachte ich ganz deutlich, daß sich die Menschen meiner Generation (und älter) viel vorsichtiger bezüglich ihrer Daten verhalten, während viele Teenager ungeniert von Telefonnummer über Schwanzgröße bis zu Psychoproblemen alles der Welt mitteilen.

Heute störe ich mich nicht mehr daran viele Aspekte der großen weiten Welt des Webs nicht zu verstehen und nicht mitzumachen.
Ich habe noch nie ein Computerspiel gespielt, habe keinen Twitter-Account, keine Digitalcamera, kein Smartphone und verspüre keinerlei Drang bei Datingwebsites mitzumischen. 
Ich lese ja auch Zeitungen, ohne den Sportteil wahrzunehmen und gucke Fernsehen, ohne jemals eine Daily-Soap angesehen zu haben.

Dennoch ist meine Aufmerksamkeitsspanne üblicherweise so breit, daß ich auch Ereignisse, die mich gar nicht interessieren zumindest peripher wahrnehme.
Ich würde beispielsweise niemals sportives Kräftemessen beim 50 km Gehen oder Diskuswerfen der Frauen angucken. 
Dennoch weiß ich, daß just im Moment die Leichtathletik-WM in Moskau stattfindet.
Man „bekommt das eben irgendwie mit“ beim Überfliegen der Überschriften oder als Hintergrundrauschen, wenn im Supermarkt ein Radio läuft.

Obwohl ich Twitter überflüssig finde und Boris Becker nicht leiden kann, weiß ich dennoch, daß er als aktiver Twitterer mit sagenhaften Peinlichkeiten auffällt.
Die Onlinewelt dringt eben auch in die nichtvirtuelle Realität vor.

Ich weiß nicht wie Photoshop funktioniert oder wie man ein Youtube-Video schneidet.
Aber man müßte schon grenzdebil sein, um nicht mitzubekommen, daß diese Methoden existieren.
Es ist fast nicht möglich online zu sein, ohne von diesen sich blitzartig verbreitenden Internetmoden tangiert zu werden.
Seit beinahe 40 Jahren schon gibt es den Begriff „Mem“, worunter man heutzutage ein schnelllebiges Internetphänomen versteht.
Aber für eine genauere Definition reicht schon ein Klick zu Wikipedia.
Ein Mem bezeichnet einen einzelnen Bewusstseinsinhalt (zum Beispiel einen Gedanken), der durch Kommunikation weitergegeben und damit vervielfältigt werden kann. Dies trägt zur soziokulturellen Evolution bei. [….]

Die englische Bezeichnung meme wurde 1976 vom Evolutionsbiologen Richard Dawkins vorgestellt; er nannte als Beispiele dazu: „Ideen, Überzeugungen, Verhaltensmuster“. Mit diesem kulturellen Pendant zum biologischen Gen (englisch gene) veranschaulichte er das Prinzip der natürlichen Selektion, deren Grundeinheit Replikatoren von Informationen sind. Die Bezeichnung Mem beschrieb er als selbst gewähltes Kunstwort, das sich auf den griechischen Terminus μίμημα, Mimema („etwas Nachgemachtes“) beruft.

Als Memetik wird das daraus abgeleitete Prinzip der Informationsweitergabe bezeichnet.
(Wikipedia)
Ich habe keine Ahnung wie sich so etwas genau entwickelt, aber natürlich kennt man Mem-Beispiele, wie die Harlem-Shaker-Videos, „2girls1Cup-Reactions“ oder das „Catbearding“. Sie sind zwar sehr unterschiedlich lustig, doch kaum zu übersehen.

Ich finde nicht, daß man so was wissen muß und habe volles Verständnis dafür, daß beispielsweise wahlkämpfende Spitzenpolitiker nicht die Zeit dafür haben Facebook-Accounts zu bestücken oder mit Memen zu spielen.

Dafür engagieren die Parteien verständlicherweise Profis.
Ich würde es gar nicht wollen, wenn ein veritabler Minister sich persönlich mit diesem Quatsch abgibt. 
Ignorieren kann man Meme aber auch nicht, weil sie die kostbare Ware Aufmerksamkeit generieren.
Wer Wahlkampf macht, will in die Köpfe der Wähler. Will deren Aufmerksamkeit. Will seine Botschaften möglichst breit unters Volk bringen. Am populärsten sind die sogenannten Polit-Meme aus dem „Neuland“ Internet: Bilder oder kleine Videos, die witzig sind, skuril – oder jedenfalls irgendwie spektakulär.
Grüne, SPD und CDU haben es nun aber tatsächlich geschafft sich WERBEPROFIS für ihre Wahlkampagnen zu engagieren, die noch nicht einmal den Begriff „mem“ kennen.
Gratulation! 
Dieses Maß an Parallelrealität muß man erst mal erreichen!
Meme können zur Waffe im Wahlkampf werden – wissen das die Werbeberater der Parteien?

Die Agentur der Grünen:

O-Ton Frontal21:

Was ist ein Mem?

O -Ton Benjamin Minack, Agentur ressourcenmangel:

Einfach übersetzt: ein Sprichwort. Etwas kürzer gefasst.

Dann die SPD-Agentur.

O-Ton Frontal21:

Was ist ein Mem?

O-Ton Karsten Göbel, Agentur Super J + K:

Tja, das weiß ich in Zusammenhang mit politischer

Kommunikation auch nicht.

O-Ton Frontal21:

Oder Meme im Plural?

O-Ton Karsten Göbel, Agentur Super J + K:

Das ist nicht so wirklich das Thema.

Der CDU-Werber sagt lieber gar nichts. Die Volks-Parteien scheinen mit Memen nicht viel am Hut zu haben. Warum nur?

O-Ton Prof. Thorsten Faas, Politikwissenschaftler Universität Mainz:

Internetzugang ist weit verbreitet in Deutschland, aber es ist immer noch, gerade wenn wir Richtung Facebook-Communities, YouTube auch schauen, immer noch ein sehr junges Phänomen, während die Masse der Wähler einfach nicht in diesem jungen Segment zu holen ist.


Naja, dafür lösen Politiker wie Merkel („Internet ist Neuland“) oder Ronald Pofalla („NSA-Affäre ist beendet“) zuverlässig neue Meme aus.
Vom Tisch oder unterm Teppich?

Wie Pofalla die Öffentlichkeit beim NSA-Skandal in die Irre führt.

[…] Um zu verschweigen, was Deutschlands Bürger wissen sollten, brauchte [Pofalla]  gerade mal sieben Worte: 'Es gibt in Deutschland keine millionenfache Grundrechtsverletzung', sagte er nach der jüngsten Sondersitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums am Montag - und verschwieg damit, dass einer der größten Bürgerrechtsskandale noch längst nicht aufgeklärt ist.

Tatsächlich brauchen die Spione von Amerikas Geheimdienst National Security Agency (NSA) gar nicht deutsche Grundrechte verletzen, indem sie auf deutschem Boden Mails und Telefonate abgreifen. Denn die NSA hat bereits Zugriff auf die Daten von Firmen wie Microsoft, Google, Facebook, Yahoo und Apple. Das ist der Kern des Spionageprojekts Prism. So war es in einigen Dokumenten des Whistleblowers Edward Snowden nachzulesen, und so hat es die National Security Agency (NSA) auch nicht bestritten. Doch zu Prism sagte Pofalla am Montag: nichts.

[…]  Kanzleramtsminister Pofalla hingegen wollte am Montag reden, ein bisschen zumindest: Die amerikanischen und britischen Dienste hätten zugesichert, dass sie auf deutschem Boden keine Operationen durchführen. Das klingt nach: Deutschland, du kannst aufatmen, alles halb so schlimm, nichts passiert.

Tatsächlich haben NSA und GCHQ außerhalb der Bundesrepublik genügend Möglichkeiten zur Überwachung deutscher Bürger: So sind die wichtigsten Internetfirmen amerikanisch. Die meisten Internetnutzer verwenden mindestens ein Produkt jener Firmen, auf deren Daten die NSA Zugriff hat. Auch laufen die wichtigsten Glasfaserkabel durchs Meer oder gar über britischen oder amerikanischen Boden, über Infrastruktur kooperierender Unternehmen. Selbst Mails, die innerhalb Deutschlands verschickt werden, verlassen auf ihrem Weg zum Empfänger häufig die Bundesrepublik.

Pofalla hätte am Montag auch sagen können, dass überhaupt keine Daten deutscher Bürger gesammelt werden. Das wäre eine klare Aussage gewesen. Stattdessen sagte er, die Vorwürfe seien 'vom Tisch', es gebe keine 'flächendeckende Datenauswertung'. Das lässt Spielräume offen. Gibt es einen Unterschied zwischen Datensammlung und Datenauswertung? Wo beginnt 'flächendeckend' und wo endet es? Auf die Bitte, dies doch zu erklären, antwortete Pofalla am Dienstag nicht.