Als Kind
und Jugendlicher gehörte ich zu der Minderheit, die den Sport-Unterricht wie
die Pest gehasst haben.
Zum Teil
hing das sicher damit zusammen, daß ich immer mit Abstand der Jüngste in der
Klasse war (einmal gesprungen) und mich dadurch bei Leichtathletikdisziplinen
gegenüber den anderen Jungs, die zwei Jahre älter waren benachteiligt fühlte
und zum anderen missfallen mir alle Mannschaftssportarten, weil Kinder dabei
brutal mit den Unfähigeren umgehen.
Vielleicht
war ich auch damals schon, ohne den Terminus Technicus zu kennen, leicht
sozialphobisch oder aspergerig. Körperkontakt, zumindest in der eher rabiaten
Art, gefiel mir nie.
In der
dritten oder vierten Klasse bekamen wir erstmals „Schwimmen“ als Schulfach. Ich
erinnere mich noch, daß ich zunächst frohlockte. Dadurch daß wir einen großen
Teich im Garten hatten und meine Eltern befürchteten ich könnte ersaufen, war
ich schon viele Jahre vorher in eine „Schwimmschule“ geschickt worden und
schwamm seitdem wie ein Fisch.
Wasser
war eindeutig mein Element. Endlich sollte ich auch mal irgendwas im Sport gut
können, sogar deutlich besser als die meisten. Es gab eine ganze Reihe
Nichtschwimmer in der Klasse.
Aber das
war natürlich auch ein Reinfall. Erstens gefiel es mir noch weniger als Vorbild
für die armen untergehenden Tropfe herzuhalten, als wie früher selbst derjenige
zu sein, der etwas nicht gut konnte und zweitens war das Schulschwimmen mit
sagenhaftem Aufwand verbunden. Erst mußte man sich sammeln, dann mit einem Bus
quer durch die Stadt gefahren werden, um schließlich in einem durchchlorierten Hallenbad
anzukommen, welches mit stinkigen Fußpilz-Katakomben nicht gerade einladend
wirkte.
In einer
der sparkigen Mannschaftsumkleiden mußte man sich dann eine blöde Badehose
anziehen, die am Körper klebte (Wozu? Zuhause schwammen wir immer nackt!), eine
gräßliche Badekappe aufstülpen, so daß man nichts mehr hörte, um dann
schlußendlich noch nicht mal nach Herzenslust herum zu tauchen und ins Wasser
zu springen.
Nein,
nun wurde akribisch zwischen Kraulen und Brust unterschieden. Zudem hatte ich
auf der Bahn zu bleiben und zu allem Übel wurden Zeiten gestoppt, so daß wieder
die verhassten Rangfolgen und Noten erstellt werden konnten. Was für eine
Pleite.
Besser
wurde es nicht. Schon vor der Sportumkleide graute es mir. All die Jahre, in
denen die Jungs penetrant mit den Fortschritten ihrer Pubertät prahlten,
verkündeten nun schon sechs Sackhaare zu haben; sich auch noch auf den
Sportunterricht freuten!
So zog
sich das über die Jahre hin. Der Tag, an dem ich den verflixten, peinlichen „Turnbeutel“
mit in die Schule schleppte, war schon mal die Pest.
Gut war dann
erst die Skireise in der zehnten Klasse, auf die sich alle so freuten. Diese 10
Tage im Kleinwalsertal galten als Highlight vor der Oberstufe und schon Jahre
vorher kleideten sich die Popper mit den teuersten Skianzügen.
Zum
Glück war ich da aber alt genug, um das einzig richtige zu tun; ich schwänzte
und hatte zehn Tage frei! Das war super. Endlich in Ruhe abends mit den älteren
Schülern zechen gehen, ohne daß man am nächsten Morgen in die Schule mußte.
Anders
als beim üblichen Schwänzen wurde aber niemand verdächtigt die Skireise zu
schwänzen, so daß noch nicht mal die Ausrede besonders ausgefeilt sein mußte
und man sogar bedauert wurde.
In der
Oberstufe, der VS (11. Klasse) wurde ein behaarter Riese namens „Kingkong“ mein
Sportlehrer. Aufgrund der begrenzten Sporthallenkapazität hatten alle
Oberstufenschüler in der Nullten Stunde
(07.05 Uhr) Sport. Da drängelten sich die verschiedenen Kurse, so daß Kingkong
entschied wir würden ein volles Jahr trainieren eine Meile zu laufen. Viermal
um den Fußballplatz herum zu gurken war natürlich auch eine Strafe, aber
Kingkong bevorzugte in 9 von 10 Fällen einen Waldlauf. Dazu rannten wir direkt
aus der Umkleide ca 50 m die Straße entlang, um dann in ein Wäldchen
abzubiegen. Mein bester Freund Sören und ich liefen immer am Ende der Schlange,
bogen vor dem Wäldchen rechts ab, kauften dort bei einem Penny-Markt ein Billig-Brick
Weißwein oder wenn wir mehr Geld hatten auch eine Flasche Sekt (Bier war nicht
gut, wegen der Fahne), hockten uns auf eine Bank, rauchten ein paar Zigaretten,
tranken die Flasche leer und warteten bis man ein vielstimmiges Keuchen aus dem
Wald hörte. Das bedeutete sich kurz hinter der Parkbank zu ducken, zu warten
bis die verschwitzten Mitschüler an einem vorbei gerast waren und sich dann wieder
ganz hinten einzugliedern.
Gelegentlich
fragten wir uns wie Kingkong uns wohl benoten würde, da er uns ja nie zu
Gesicht bekam. Ich weiß noch wie herzlich wir lachten, als Sören nach einem
Semester 8 Punkte und ich lediglich 4 Punkte im Sport bekam.
Offensichtlich
wirkte meine Frisur weniger windschnittig auf ihn.
In der
12. Klasse war aber Schluss mit lustig. Ich mußte zwei Semester Jazzgymnastik,
ein Semester Volleyball und ein Semester Basketball belegen. Das war vielleicht
ein Alptraum. Natürlich packte mir inzwischen niemand mehr einen Turnbeutel, so
daß ich logischerweise gar keinen dabei hatte und stets auf Socken und in Straßenkleidung
mit den anderen rumhampeln mußte.
Jazzgymnastik
stellte sich zudem nicht nur wie erwartet als unfassbar peinlich heraus (nur in
Verbindung mit Marihuana zu ertragen. Zum Glück gab es einen Dealer an der
Schule!), sondern dabei fiel meine Schwänzerei immer besonders unangenehm auf.
In jeder Stunde lernte man neue Schrittfolgen einer Choreographie, die aufgrund
meiner spärlichen Anwesenheit für mich unmöglich zu erlernen war.
Nach zwei
Joints auf Socken ohne irgendwelche Schrittfolgen zu können, sinn- und
zweckfrei bei der Notenvergabe zu Tina Turners „Privat Dancer“ zu debakulieren,
gehört zu den traumatischsten Erlebnissen meiner Jugend.
Nach
über 30 Jahren kann ich mit Fug und Recht sagen, daß ich die Sportlehrerin
heute noch genauso abgrundtief hasse wie damals.
Als sie
mit Leichenbittermiene verkündete, das sei aber nicht mehr als 2 Punkte wert
und theatralisch losgiftete, falls ich um meine Versetzung fürchtete, solle ich
nicht auf ihr Mitleid hoffen, war ich ernsthaft sauer.
Was
bildet sich dieses pastellfarbige Stirnband-tragende Gymnastikhuhn mit den
albernen Keulen, Reifen und Bändern ein? Daß sie aus meinen
Jazzgymnastikleistungen schließen kann, ich wäre in den Schulfächern, die
Köpfen erfordern genauso schlecht?
Unverschämtheit. Dachte die, ich wäre kein vorbildlicher Schüler mit guten Noten? Zum Glück war ich zu high, um mit ihr zu streiten, sondern lachte sie nur aus.
Unverschämtheit. Dachte die, ich wäre kein vorbildlicher Schüler mit guten Noten? Zum Glück war ich zu high, um mit ihr zu streiten, sondern lachte sie nur aus.
A
posteriori lässt sich ganz klar sagen, daß 90% meines Schulverdrusses am
Sportunterricht lagen.
Ohne den Mist wäre das durchaus zu ertragen
gewesen.
Während
in der Grundschule und teilweise auch noch in der Mittelstufe viele Kinder den
Sportunterricht mochten, war ich in der Oberstufe wenigstens nicht mehr der
einzige, der an der Quälerei verzweifelte.
Schwimmen,
das ist einsehbar, gehört zu den Basics, die jedes Kind in der Schule lernen
sollte.
Bis
heute sehe ich nicht ein, daß man für das Abi Englisch oder Erdkunde auslassen
kann, aber Sport nicht abwählbar ist.
Wie kann
etwas benotet werden, das mit den rein zufälligen physischen Gegebenheiten
zusammenhängt?
Das
peinliche Gehoppse zu Tina-Turnersongs ging genauso in meine Abi-Note ein, wie meine
mathematischen Fähigkeiten bei der Integralrechnung.
Allerdings,
das gebe ich zu, zu meiner Schulzeit gab es keine Smartphones, keine
Computerspiele und nur ganz ganz wenige hatten MTV oder einen Videorekorder.
Kinder
spielten üblicherweise draußen. Diese vorm Bildschirm klebenden Nerds waren
noch nicht erfunden. Es gab auch noch nicht diese Overprotective-mums, die
einen immer mit dem Auto kutschierten. Wir hatten alle Fahrräder und mußten uns
alle sowieso regelmäßig bewegen.
Vielleicht
bin ich auch bloß ein hoffnungsloser Fall. Andere sind womöglich durch den Schulsport
zu Hobbybasketballspielern und Profi-Gymnastinnen geworden.
Ich habe
an der Uni noch ein paar mehr Mathescheine gemacht, als ich haben mußte,
während viele ehemalige Schüler sicher froh sind, wenn sie nichts mehr mit
Mathematik zu tun haben müssen.
Sich zu
beklagen ist aber müßig. In Deutschland bekommen die Kinder eine vergleichsweise
recht gute Schulbildung völlig kostenlos.
Der Staat
bezahlt KITA plus 13 Jahre professionellen Unterricht bis die Blagen erwachsen
sind und als „hochschulreif“ gelten.
Unterm Strich
ist das für Eltern schon ein extrem gutes Geschäft.
Öffentliche
Schulen und Schulpflicht ist die Methode der Wahl.
Man
sollte Darwin danken, daß in Deutschland Homeschooling verboten ist und daß
sich keine Betsy de Vos den Posten der Bundesbildungsministerin gekauft hat.
Die
Gesellschaft, die in diesem Fall als Kultusministerkonferenz auftritt,
verständigt sich auf allgemeine Schulinhalte, über die Eltern und Schüler eben
gerade nicht individuell entscheiden dürfen.
Ob es
jedem einzelnen Kind gefällt Kurvendiskussionen durchzuführen, französische
Grammatik zu lernen und Jazztanzchoreographien zu studieren, ist irrelevant.
Kinder
müssen lernen. Sie müssen insbesondere lernen zu lernen.
Dazu
gehört es auch sich Dinge anzueignen, die zumindest auf den ersten Blick nicht
gefallen.
Es ist
nicht Aufgabe der Eltern je nach Neigung oder religiotischer Vorbelastung
darüber zu entscheiden, ob Evolution oder lieber Kreationismus gelehrt wird.
Die
Lehrpläne haben sich nach wissenschaftlichen Erkenntnissen und nicht nach den
Irrlehren elterlicher Privatgurus zu richten.
Hedwig
Beverfoerde, Gabriele Kuby und Birgit Kelle sollen ihre „Demo für alle“ unterlassen
und akzeptieren, daß in den Schulen des Jahres 2017 kein ausgrenzendes und
diskriminierendes Menschenbild der 1950er Jahre mehr gelehrt wird.
Kinder müssen
von früh an lernen, daß lesbische Eltern oder Trans-Sänger nicht dafür da sind,
um mit dem Finger auf sie zu zeigen und sie auszulachen.
So wie
man auch in der Schule lernen muß nicht die Finger auszustrecken und „NEGER“ zu
grölen, wenn man einem dunkelhäutigen Menschen begegnet.
Ich
sympathisiere mit dem streng säkularen Bildungssystem des Attatürk, das Kopftücher
ultimativ in Schulen und Universitäten verbot. Das hat der Türkei gutgetan.
Allerdings
empfinde ich das Kopftuch nicht als emotionales Thema.
Wer es
tragen möchte, soll es tragen. Jemand anders dazu zu zwingen ein Kopftuch gegen
seinen Willen zu tragen, ist ohnehin verboten, da es keinen Religionszwang
gibt.
Das
Problem bleiben also Mädchen, die so jung sind, daß man nicht sicher sagen kann,
ob sie aus eigenem Willen oder wegen des Drucks/Wunsches/Vorbildes der Eltern Kopftuch
tragen.
Das ist
eine Aufgabe für die Pädagogen.
Christliche
Eltern, die ihre Kinder schon im Säuglingsalter taufen lassen, also lange bevor
die Kinder selbst über ihre Zugehörigkeit zur Kirche entscheiden können,
sollten sich aber nicht als Verfechter für die Religionsfreiheit aufspielen,
wenn sie gegen das Kopftuch vorgehen.
Ein
generelles Bannen religiöser Symbole aus öffentlichen Einrichtungen könnte eine
Lösung sein. Keine Kopftücher, aber dann natürlich auch keine Kreuze und
Weihnachtskrippen mehr.
Nicht
zulässig ist eine partielle Verweigerung der Schulpflicht.
Ob einem
Sport gefällt, ist irrelevant.
Alle
Kinder müssen mitmachen.
Es ist
auch irrelevant, was ein anatolischer Frömmler davon hält, wenn seine
zehnjährige Tochter Schwimmunterricht erhält. Das ist nun einmal obligatorisch.
Period.
Das
deutsche Schulsystem ist kein Wunschkonzert, bei dem man sich aussuchen kann,
welche Inhalte man annimmt und welche man verweigert.
Mathe,
Englisch, Schwimmen und Sexualkunde – jedes Fach wird von einigen Schülern
vermutlich genauso gehasst wie ich einst Jazzgymnastik hasste.
Aber
gemeinsame Standards schließen Extrawürste aus.
Hier
darf es keine falsche Rücksichtnahme auf elterliche Befindlichkeiten geben.
In das
Kapitel gehört auch der Fall des schwulen Erziehers in der Berliner KITA, der
gerade durch die Presse geht.
Einige
Muslimische Eltern wollen ihre Kinder nicht zu einem schwulen Kindergärtner
geben. Pech gehabt. Ich wollte auch meine Jazzgymnastiklehrerin nicht haben,
hieße jetzt die billige Analogie.
Staatliche
Einrichtungen haben sich aber eben nicht nach religiotischen Befindlichkeiten
zu richten; sie dürfen das gar nicht.
Es liegt
auch nicht im Ermessen der Bürger, ob sie Steuern zahlen möchten oder zum
Autofahren einen Führerschein benötigen.
Wat mut,
dat mut.
[….]
Ein
Homosexueller wird in Berlin-Reinickendorf Erzieher in einer Kita mit
muslimischen Eltern. Das löst wütende Proteste aus. [….] . Die
Kinder wissen ja nicht, dass Eltern wegen Christian Berger massiv
protestierten. „Sie gingen auf die Barrikaden“, sagt die Geschäftsführerin der
Kita in Reinickendorf. Sie protestierten gegen Bergers Anstellung, sie drohten
mit einer Unterschriftenaktion, sie fürchteten um ihre Kinder. Es waren
muslimische Eltern. „Die kommen aus einer anderen Welt“, sagt die
Geschäftsführerin. In dieser Gedankenwelt ist jemand wie Christian Berger eine
latente Gefahr.
[….]
„Wir
sind doch in Berlin, wir sind doch im 21. Jahrhundert, da geht doch so etwas
nicht“, sagt die Geschäftsführerin, die nicht genannt werden möchte, und die
vier Kitas leitet. Die Kita, in der Berger nun arbeitet, hat mit einer Ausnahme
nur Kinder von muslimischen Eltern. Die Eltern kommen aus dem arabischen
Bereich, aus Russland, der Türkei, aus Rumänien. „Für einige von ihnen ist ein
Homosexueller automatisch ein Kinderschänder“, sagt Berger.
[….]
Kurz
darauf trennte sich die Geschäftsführerin von den aufgebrachten Eltern. Deren
Kinder besuchen nun eine andere Kita. [….]