Samstag, 17. August 2013

Demokratie als Wert


Um das vorweg klarzustellen: Nein, ich weiß auch keine bessere Staatsform als eine Demokratie und setze mich daher im Zweifelsfall immer für demokratische Spielregeln ein.

In der Praxis ist die Demokratie aber höchst anfällig für Missbrauch.
Das liegt daran, daß der durchschnittliche Homo Sapiens eben nicht allgemein informiert ist und dann rationale und altruistische Entscheidungen trifft.
Die Kennzeichen westlicher Demokratien sind überbordende Apathie, Egoismus und St. Florians-Prinzip.
Aber auch in anderen Teilen der Welt lässt sich die Wählermasse gern von Stimmungen oder religiösen Aufwallungen leiten. 
Man wählt Rajoy statt Zapatero, George W. Bush statt Gore, immer wieder Berlusconi und 16 Jahre Kohl.
Amerikanische Volksabstimmungen über Waffenrecht, Drogenkonsum und Homoehe waren in der Vergangenheit fast immer von Vorurteilen und nicht von Fakten beeinflusst.
Der Westen propagiert Demokratie, aber nur vor der Kamera.
Eigentlich hat man lieber eine schöne Diktatur mit einem verlässlichen Diktator/König/Papst/Führer, der alles im Griff hat. 
So wie es vor der Arabellion war.
Oder Palästina. Jeder lobt Israel, als die „einzige Demokratie des Nahen Ostens“.
Als die Palästinenser auch wählten, fand man das dann nicht mehr so toll. 
Insbesondere nicht mehr, nachdem 2006 die Hamas die Wahl gewann; also die sunnitische Befreiungsorganisation Palästinas, die sich quasi als Tochter der Muslimbruderschaft gegründet hatte.
Ähnlich sah es in Ägypten aus, nachdem die Hamas-Mutter „Muslimbrüderschaft“ die Präsidentenwahl gewonnen hatte und ihr Mann Mursi das tat, was er versprochen hatte.
Das gefiel Merkel und Obama überhaupt nicht und sie begrüßten den höchst antidemokratischen Regierungsumsturz, der nichts anderes als ein Militärputsch war und nun zu einer Gewaltorgie geführt hat.

Deswegen ist der Westen übrigens so unbeliebt in Nordafrika und im Nahen Osten: Die Glaubwürdigkeit der Nato-Staaten, die von Demokratie und Frieden reden, aber dann die Diktatoren bevorzugen und die Gegend mit Waffenexporten überziehen, ist nicht mehr messbar. 
Und die Witzfigur Westerwelle hat heute vor einem Bürgerkrieg in Ägypten gewarnt. 

Westerwelle warnt vor Bürgerkrieg in Ägypten!
(AFP 17.08.13)

Wenn man als westliche Politik nur noch eine der myriadenfachen Warnungen des Hobbypolitikers Guido W. vernehmen kann, ist Hopfen und Malz verloren.

Schändliche Antwort des Westens.
Mohammed Mursis Sturz war nichts anderes als ein Putsch - und die aktuellen Gewaltorgien gegen die Muslimbrüder sind Massaker. Trotzdem schaut der Westen nur tatenlos zu, während Ägyptens alte Militär- und Geheimdienstgarde die Macht wieder an sich reißt. Doch Amerika und Europa fällt nicht mehr ein, als über die Brutalität zu jammern. […]
Zuerst das Offensichtliche: Ägyptens Militärmachthaber kümmern sich einen Dreck um den Westen. […]
Die Antwort des Westens ist schändlich. Die EU-Länder wollen nächste Woche eine gemeinsame Linie finden, bis dahin (und wohl auch danach) wird es bei entrüsteten Erklärungen bleiben. Barack Obama, Präsident jenes Landes, das Ägyptens Armee seit Jahrzehnten päppelt, sagte ein Militärmanöver ab. Das "Foto des Tages" des Weißen Hauses zeigte am Freitag Obama im ernsten Gespräch mit seiner Sicherheitsberaterin Susan Rice. Krise im Griff, sollte das bedeuten. Das ist keine Außenpolitik, sondern absurdes Theater.
[…] Obama redete von der Unterstützung Amerikas für das Menschenrecht auf friedlichen Protest. Zugleich erklärte er die USA für neutral im ägyptischen Machtkampf. Wie das zusammen gehen soll, wenn in Kairo friedliche Proteste niederkartätscht werden, blieb sein Geheimnis. Er warf Mursi vor, dessen Regierung hätte nicht "die Ansichten aller Ägypter respektiert". Mit dieser Begründung könnte jeder US-Republikaner die Armee zur Meuterei auffordern.

Amerika akzeptiert nur Demokratien, die genehme Wahlergebnisse generieren. Wenn wie in Palästina die Hamas oder wie in Algerien die FIS* gewinnen, dann will der Westen doch keine Demokratie und unterstützt stattdessen lieber Besatzungsarmeen oder Militärdiktaturen. 
* (1991 hatte das algerische Militärregime die algerischen Wahlen abgebrochen, als sich ein Sieg der Islamischen Heilsfront (FIS) abzeichnete. Die fundamentalistische FIS forderte einen Gottesstaat und ist in Algerien verboten.
„Tried it once, didn’t like it!“ war dann das einhellige Fazit des Maghreblandes.)
 Auch in Korea drohten 1945 nicht-amerikagenehme Ergebnisse.

Spontan formierten sich überall im Lande lokale Selbstverwaltungsorgane. Am 6. September beschlossen ihre über 1000 Delegierten in Seoul die Gründung der Volksrepublik Korea, um sich den ankommenden Amerikanern wieder als selbstständiger Staat zu präsentieren. Die neue Regierung war linksorientiert, aber legitimiert. Auch im südlichen Teil wünschten sich 70 Prozent der Bevölkerung den Sozialismus, 14 Prozent bevorzugten den Kapitalismus, nur 7 Prozent den Kommunismus. Das ergab noch 1946 eine Umfrage der US-Militärregierung. Am 8. September 1945 führte Generalleutnant John R. Hodge seine US-Truppen nahe Seoul an Land. Zur Begrüßung schickte ihm die neue Regierung drei Englisch sprechende Koreaner entgegen. Doch der Kommandeur hatte den Befehl, keine Repräsentanten einer provisorischen Regierung zu empfangen. Das US-Militär zog in Seoul ein und übernahm sogar Beamte der bisherigen japanischen Besatzer für die Verwaltung. Zum zweiten Mal fühlten sich die Koreaner von Amerika verraten. […] [Franklin D. Roosevelt] hielt das 1910 von Japan annektierte Korea für »nicht reif genug«, sich selbst zu regieren. Deshalb gewann er die Briten und die Chiang-Kai-shek- Regierung in China 1943 dafür, die Halbinsel 20 bis 30 Jahre lang von den Großmächten verwalten zu lassen. Mit welcher »Reife« die USA selbst dieses Projekt angingen, ließ ihr damaliger Außenminister Edward Stettinius erkennen, als er noch 1945 einen Untergebenen bat, ihm zu zeigen, wo Korea liege. Die Aufteilung zerreißt eine alte Nation, die ihren einheitlichen Staat rund neun Jahrhunderte vor den Vereinigten Staaten bildete.
(DIE ZEIT 13.12.12)

Daß Kim Jong Uns Großpapa Kim Il Sung als Major der Roten Armee und Chef der nördlichen Besatzungszone auf die Anweisungen Stalins pfiff und sich erdreistete der Kolonialmacht USA zu widersprechen und Korea den Koreanern zurückgeben wollte, entsetzte die Amis!
Ein selbstständiges Korea hätte die USA um ihre schöne Kriegsbeute betrogen.
Die 40 Jahre von Japan unterdrückten und drangsalierten Koreaner sollten keinesfalls frei und demokratisch leben dürfen!
Dafür überzogen sie die Halbinsel mit einem gewaltigen Krieg!

Die christlichen Schwätzer von der deutschen Bundesregierung kommen JETZT; fünf Wochen vor der Bundestagswahl, auf die Idee Waffenexporte in den Nahen Osten zu überdenken.


07.08.13 Rüstungsexporte an Golfstaaten auch 2013 auf hohem Niveau.
Aus der Antwort des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie auf eine Schriftliche Frage der Fraktion DIE LINKE geht hervor, dass im ersten Halbjahr 2013 an die sechs Staaten des Golfkooperationsrats Genehmigungen zur Ausfuhr von Kriegswaffen und Rüstungsgütern im Gesamtwert von 817 Millionen Euro erteilt wurden. Damit setzt sich der Trend fort. So wurden 2012 Rüstungsexportgenehmigungen im Wert von insgesamt 1,42 Milliarden Euro genehmigt.

Die Bundesregierung will angesichts der blutigen Unruhen in Ägypten vorerst keine Waffenexporte dorthin mehr genehmigen. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) sagte dem Nachrichtenmagazin "Focus", die deutsche Rüstungsexportpolitik sei "ohnehin restriktiv" und "das wird so bleiben, gerade mit Blick auf diese aktuellen Entwicklungen".
(AFP 17.08.13)

Hätte Westerwelle einen Funken Schamgefühl, würde er bei so viel Heuchelei in Ohnmacht fallen.

Unter Bundeskanzlerin Angela Merkel floriert der Verkauf von Panzern in Krisenregionen wie den Nahen Osten. […]
Einen der größten Waffendeals der jüngeren deutschen Geschichte besiegelt das Auswärtige Amt mit einer E-Mail. "Auf Ihre Voranfrage darf ich Ihnen mitteilen, dass Ihnen die Bundesregierung eine Genehmigung der Ausfuhr in Aussicht stellt", schreibt das Ministerium am 6. August 2012 an den Münchner Waffenhersteller Krauss-Maffei Wegmann (KMW), "sofern sich die Umstände zum Zeitpunkt der Stellung des konkreten Antrages nicht wesentlich geändert haben, der Endverbleib gesichert ist und die Regierung von Katar hinsichtlich der Panzerhaubitze 2000 verbindlich erklärt, mit dieser keine Streumunition einzusetzen." Unter dem Punkt "Ware" listet das Außenministerium auf, worum es geht: 24 Panzerhaubitzen, 65 Kampfpanzer Leopard 2A7 im Systemverbund mit 5 Bergepanzern, 7 Fahrzeuge Fennek, dazu Übungs-, Gefechtsfeld- und Rauchmunition Kaliber 155.
Wenige Tage zuvor hatte der Bundessicherheitsrat unter Leitung von Kanzlerin Angela Merkel in Berlin den Deal beschlossen. 1,9 Milliarden Euro soll das Geschäft mit dem Golfstaat Katar der Bundesrepublik einbringen. Die einst von Außenminister Hans-Dietrich Genscher aufgestellte Leitlinie, keine Kriegswaffen in Krisengebiete zu liefern, ist Geschichte. Für die Regierung Merkel sind Waffenexporte in Konfliktregionen kein Tabu mehr, im Gegenteil – sie sind ein Pfeiler der Außen- und Sicherheitspolitik. Merkels Motto lautet "Ertüchtigung": Lieber Panzer liefern als eigene Soldaten schicken.
Der Deal von KMW mit Katar zeigt exemplarisch, wie schnell die Bundesregierung deutsche Waffengeschäfte abwickelt. Obwohl Berlin stets beteuert, jede Waffenausfuhr als Einzelfall gründlich zu prüfen, braucht das Bundeswirtschaftsministerium im März 2013 nur 19 Tage, um über den Antrag von KMW zu entscheiden. Der ZEIT liegen die entsprechenden Unterlagen exklusiv vor; sie ermöglichen die Rekonstruktion eines zügigen Rüstungsgeschäfts.
Drei Tage – länger soll es nicht dauern, bis die Waffenexporte genehmigt werden. […] 

Und so eine Bundeskanzlerin wird als enorm glaubwürdig angesehen.
So glaubwürdig und vertrauenerweckend, daß ihrer Wiederwahl nichts im Weg zu stehen scheint.
Auch die Deutschen sind offenbar geistig nicht in der Lage mit der Herausforderung Demokratie umzugehen.