Samstag, 16. August 2014

PSL

Wenn intellektuell bedeutende Menschen die 90 überschreiten, sind Journalisten vorbereitet. Die Nachrufe liegen fertig geschrieben in den Redaktionsschubladen.
Marion Gräfin Dönhoff, Nelson Mandela, Marcel Reich-Ranicki, Helmut Schmidt und Egon Bahr sind solche Fälle. Und mit Peter Scholl-Latour (* 9. März 1924 in Bochum; † 16. August 2014 in Rhöndorf) hat es heute wieder einen vorbereitet erwischt.
Mit makabrer Schnelligkeit poppen in allen Nachrichtenportalen ausführliche Portraits und Würdigungen auf.

Es ist also müßig hier all die beeindruckenden Abenteuer seines Lebens zu erwähnen; sie werden überall beschrieben.
PSL wurde als Sohn einer Jüdin von den Nazis verfolgt und man sollte sich als jemand, der viele Generationen später geboren wurde davor hüten, ihm seine leicht bellizistische Grundhaltung zu verübeln.
Wer von der Gestapo gejagt wird und den Terror der Nazis erlebt hat, wird natürlicherweise große Sympathien für diejenigen entwickeln, die gegen die Nazis kämpften und diese niederrangen.
In PSLs Fall war es die französische Armee des Charles des Gaulles; in Reich-Ranickis Fall war es die polnischen Kommunisten.
Es ist hochgradig erbärmlich, wenn sich dann Typen wie Tilman Jens (*1954) öffentlich darüber empören, MRR habe für den polnischen Geheimdienst gearbeitet. Die Nazis haben die gesamte Familie Reich-Ranickis und die gesamte Familie seiner Frau Theofila umgebracht. Er überlebte unter abenteuerlichen Umständen das Warschauer Ghetto, hielt sich ein Jahr in einem Keller versteckt. Wer nicht verstehen kann, daß jemand in der Lage der Roten Armee dankbar ist, hat kein moralisches Recht sich zu empören.
Ebenso albern ist es, wenn friedensbewegte Linke von heute PSL verübeln, daß er nach dem Krieg aus Dankbarkeit in die französische Fremdenlegion ging.

Scholl-Latour war konservativ, katholisch, arrogant, verachtete politische Korrektheit, von der Notwendigkeit militärischer Aktionen überzeugt, besserwisserisch und hegte eine ordentliche Portion Vorurteile gegen Pazifisten, Linke, Grüne, Ökos und dergleichen mehr.
Er hätte gern die Bundeswehr atomar bewaffnet und forderte eine massive Aufrüstung und Militarisierung der EU. Immer wieder betonte er Tugenden wie Tapferkeit und soldatische Ehre.

Das sind sicherlich keine Positionen, die bei mir Sympathie erzeugen.

Dennoch mochte ich PSL und bin ernsthaft traurig, daß er nun weg ist.

Einerseits bedauere ich es, daß die gemütlich hinter ihren Schreibtischen alt werdenden Orientalistik-Professoren deutscher Hochschulen nun ihren Privatkrieg gegen PSL „gewonnen haben“, indem sie einfach übrig sind.

Andererseits schätzte ich PSL als Mensch, der redete wie ihm der Schnabel gewachsen war, der ohne Rücksicht auf Verluste amerikanische und britische Außenpolitik scharf verurteilte und verdammte.

Es ist durchaus nicht ganz selbstverständlich, daß ein Mann seiner Generation sämtliche Krisen und Konflikte der letzten 60 Jahre vor Ort studierte und so völlig vorurteilsfrei blieb.
Er lebte mit vietnamesischen Kommunisten, islamischen Dschihadisten, Kongolesischen Christen, persischen Revolutionären, Kurdischen Aufständischen, tibetanischen Kampfmönchen, Tadschiken, Paschtunen, Uiguren und roten Khmern zusammen, ohne jemals auf sie hinabzublicken.
Und nicht nur das. Obwohl er als Mitglied der Fremdenlegion im Koreakrieg und später als Gefangener des Vietcong ganz erheblich um sein Leben fürchten mußte, entwickelte er echte Liebe zu den Ländern, die man durchaus aus seinen Büchern herauslesen konnte.

Nein, ich stimmte nicht allem zu, was PSL bei Myriaden Talkshowauftritten behauptete.
 Aber ich fand seine Anwesenheit fast immer unterhaltsam und vielfach lehrreich.
Und sei es, daß man sich über einen seiner Einwürfe wunderte und dies daraufhin genauer recherchierte.

2003 sagte er die Konsequenzen des Irakkriegs mit einer geradezu grotesken Präzision voraus.
Er war damit der natürliche Verbündete der Speerspitze der internationalen Irakriegsgegner Schröder und Fischer.
Aber der französische Staatsbürger PSL war als Gaullist kein Fan von SPD oder Grünen. Daher mokierte er sich in den Talkshows über die Lächerlichkeit der deutschen Regierung und war völlig sicher, daß Deutschland im UN-Sicherheitsrat letztendlich doch für den Irakkrieg stimmen würde. Die Vorstellung, daß Joschka Fischer als einziger zusammen mit Syrien gegen 13 andere Länder votierte und Deutschland in die totale Isolation triebe war für Scholl-Latour so absurd, daß er voller Häme auf Berlin blickte.

Nun, es kam bekanntlich ganz anders.
Auch ein PSL irrt.
Aber Orakel, die immer Recht haben, sind langweilig.

Ich vermisse ihn schon jetzt.



„„Ich habe das Talent, mich mit den Ganoven ganz gut zu verstehen“, meinte er kokett. Europa, so lautete sein unkokettes Credo, ob es nun um den Nahen Osten, die Islamisten, den Iran, Russland, China, Haiti oder Mali ging, kapiert nichts, verhält sich naiv oder überheblich, verteufelt seine Gegner, macht vieles falsch. Weil es die Lage und die Leute vor Ort nicht kennt. Weil der Westen nicht tut, was Peter Scholl-Latour zeitlebens tat: Neugierig sein, hinfahren, Menschen treffen, reden, fragen, sich ein Bild machen. Und nicht im Mainstream der veröffentlichten Meinung schwimmen.“