Donnerstag, 16. Januar 2020

Predigende Musiker


Wenn man den Bandnamen „Coldplay“ erwähnt, bekommen eingefleischte Musikliebhaber, die durch die Alternative-Szene mäandern, in der Regel Ausschlag.
Mehr Mainstream als Chris Martins Jungs geht nicht.
Natürlich sind die Briten liebe, gute Jungs, die sich politisch engagieren und ein gewaltiges Publikum erreichen.
2018 wurden sie nur knapp von U2 als bestverdienende Musiker der Welt geschlagen und spielten knapp 120 Millionen Dollar ein.
Wer wie ich die  Band schon kannte, bevor sie Megastars wurde, ist natürlich etwas pikiert nun zu so einem durchschnittlichen Geschmack zu gehören.
Inzwischen sind sie ein Synonym für kommerziellen Erfolg.
Ich erinnere mich an nette Indie-Bands wie Keane oder Aqualung, die nach einigen sperrigen Alben und wenig Erfolg „hörbarer“ wurden, ein größeres Publikum erreichten und dann von nörgelnden Kritikern im „Rolling Stone“ attestiert bekamen nun allerdings so gefällig wie Coldplay zu klingen.
Es stimmt aber, dem netten Matt Hales von Aqualung stand ich bei Konzerten im winzigen INDRA-Club 2002 und 2003 genau gegenüber als er vor den anwesenden 30 Leuten musizierte. Es war grandios. 2007 erschien dann „Memory Man“ mit reinen Popsongs. Der Coldplay-Effekt.
Es fragt sich, ob kommerziell erfolgreich auch schlecht sein muss.
Zu den Topverdienern der Branche zu gehören, bedeutet definitiv nicht, daß man auch zu den besten Musikern gehört.
Lady Gaga, Katy Perry, Justin Bieber und Taylor Swift, die sich ebenfalls in den Top Ten der Bestverdiener tummeln, sind eher durchschnittliche Musiker mit keinen weltbewegenden Stimmen. So sympathisch ich Madonna finde, aber natürlich ist sie durch ihren genialen Geschäftssinn so erfolgreich. Eine große Sängerin ist sie nicht und seit vielen Jahren gab es kein Album mehr von ihr, das man gern gehört hätte. Man kauft die CD, weil es eben „die neue Madonna-CD ist“, hört sie einmal, denkt sich nur „das ist wieder nichts“ und stopft sie zum Vertauben ist CD-Regal. Bei Depeche Mode ist es genauso.
Die international supermegaerfolgreiche Adele hat allerdings wirklich eine Jahrhundertstimme und ist eine begnadete Songwriterin. Auch wer mit dieser Art der Musik gar nichts anfangen kann, wird nicht bestreiten, daß sie ein echtes Goldkehlchen ist.
Auch Top Verdiener Elton John ist zweifellos extrem talentiert, kann komponieren und Piano spielen wie kaum einer.

Coldplay und U2 verdienen weltweit so gut, weil sie begnadete Stadionspieler sind. Sie haben einen charismatischen Sänger, dessen Stimme Wiedererkennungswert hat, verfügen über so gutes Songwriting und so perfekte Produzenten, daß sie es verstehen 50.000 Menschen mit Hymnen-artigen Songs in einen gemeinsamen Rausch des Mitsingens und Mitgrölens zu versetzen.

Alternde Musik-Redakteure schimpfen natürlich wie die Rohrspatzen. Nichts hassen sie so sehr wie Erfolg.

[…..] Man muss es so hart sagen: Coldplay haben in den vergangenen Jahren eine furchtbare Entwicklung genommen. Der Weg in die Stadion-Liga wurde gepflastert mit einem  hyperaktiven Konzeptalbum („Mylo Xyloto“), einer unsäglichen Trennungschmerzplatte („Ghost Stories“) und zuletzt mit Songs, die ein amerikanischer Kritikerkollege polemisch mit tröpfelndem Elefantensmegma verglich. […..]

Aber grundsätzlich ist Stadiontauglichkeit kein Verbrechen. Das verschafft große Erlebnisse für die Fans.
Jim Kerr von den Simple Minds kann das auch, ebenso wie David Gahan (Depeche Mode).
Begnadete Hymnen-Performer sind aber auch Gerard Way (My Cemical Romance), Jared Leto (Thirty Seconds To Mars) oder Brandon Flowers (Killers).
Man sollte die Fähigkeit Hymnen zu performen nie unterschätzen, wenn es um kommerziellen Erfolg geht. In der Disziplin sind Coldplay maßstabbildend.


Ich halte nichts von der Arroganz der Indie- und Alternative-Liebhaber, die Bands wegen ihres Erfolgs verachten.
Coldplay-Live-Konzerte sind beeindruckende Erlebnisse – auch wenn man damit leider zu einer Masse von vielen Millionen gehört, die das genauso empfinden.
Insofern rate ich auch durchaus dazu das aktuelle Album „Everyday Life“ zu kaufen.
Da gibt es prima Songs.
Voraussetzung, um die neuesten Coldplay-Werke zu genießen, ist allerdings daß man kein Wort Englisch versteht.
In jedem zweiten Satz geht es nämlich um Gebete, Kirchen, Kathedralen und den Herrgott. Wie konnte das denn passieren? Hatte Martin vielleicht Sex mit Xavier Naidoo und sich dabei mit Religion angesteckt?
Das Album ist sehr abwechslungsreich, aber alles ist hochspirituell. Es gibt Gospel, Klosterchöre und viel Halleluja.
Ich mag Weltmusikeinflüsse, auch wenn es nicht ganz so genial wie bei Peter Gabriel klingt.
Viele Instrumente und Straßenmusikattitüde wie Arcade Fire begrüße ich ebenfalls, aber muss es so dermaßen religiös sein?

[……] In „Church“, einem Klagegesang, der sich dann doch noch zu einer hochtrabenden, wenn auch melancholisch gebrochenen Euphorie steigert. Doch dieser so typische Coldplay-Song wird zum Abschluss mit arabischem Gesang aufgemotzt. [….]

Für mich ist das zunächst einmal ein sehr gelungener Popsong mit einer hellen und klaren Martin-Stimme.


Ich kann aber nicht verstehen, wie politisch so engagierte Menschen wie Coldplay, die nun sogar auf dreistellige Millioneneinnahmen verzichten, weil sie aus Sorge um den Klimawandel nicht mehr so viel fliegen wollen, die sich gegen Waffengewalt und für Flüchtlinge einsetzen, so sehr der Kirche an den Hals werfen.
Spiritualität klingt euphemistisch, aber Martin singt in Wahrheit viel profaner von der Kirche. Also der Institution, die all die korrupten rechten Umweltzerstörer und Kriegstreiber – Bolsonaro, Trump, Orban, Assad – unterstützt.
Leider verstehe ich genügend englisch, um die Textzeilen in Songs wie „Church“ nicht zu überhören. 

[…..] What can't I get through?
And for everyone everywhere
You're answering every prayer
[…..]
'Cause when I'm hurt
Then I go to your church
'Cause when I'm hurt
Then I go to your church
[…..] أبي يا الله يا قادر، لماذا تركتني؟
ابي يا الله ياقادر
حرية يا الله
محبة يا
محبة يا الله
I worship you in church, baby
Always
I worship you in church
All the seven days
I praise and praise