Der in Tübingen geborene erzkatholische Inhaber des Lehrstuhls für Soziologie I an der Universität München Prof. Dr. Armin Nassehi, ist ein Star seiner Branche. Seit über 20-Jahren wird der eloquente 61-Jährige mit Ehrungen überhäuft. Er gewann den IDIZEM-Dialogpreis in der Kategorie „Akademiker“ (2012), wurde von der Deutschen Gesellschaft für Soziologie für seine herausragenden Leistungen geehrt, bekam den Schader-Preis zugesprochen, war Fellow der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Nassehi ist Mitglied der „Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina“, des Bayerischen Ethikrates, des Ethikverbandes der Deutschen Wirtschaft, des Expertenrates "Corona" der nordrhein-westfälischen Landesregierung und des Senats der Deutschen Nationalstiftung. Als Katholiban machte er sich aber insbesondere bei den deutschen Bischöfen beliebt. Daher wurde er Mitglied im Stiftungsrat der Katholischen Universität Eichstätt, sowie vom Hildesheimer Bischof Trelle zum Mitglied des Vorstands der Stiftung Forschungsinstitut für Philosophie Hannover ernannt.
Politisch interessant ist aber insbesondere Nassehis Mitgliedschaft im „Zentrum Liberale Moderne“ (LibMod), welches von dem Grünen Urgestein Ralf Fücks, Senator a.D. des Landes Bremen, geleitet wird.
Ihm stehen die ehemalige Grüne Parlamentarische Staatssekretärin Marieluise Beck, Alexandra Gräfin Lambsdorff (die Witwe des FDP-Vorsitzenden Otto Graf Lambsdorff), die ehemalige FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, der ehemalige US-Botschafter John Kornblum, sowie die CDU- Landesministerin Karin Prien aus Armin Laschets „Expertenteam“ zur Seite.
Das LibMod betrachtet sich als transatlantische Denkfabrik, die antiliberalen und prorussischen Strömungen entgegentritt.
[…..] Der Kreml ist heute das Hauptquartier einer antiliberalen Internationale, deren Netzwerke sich durch ganz Europa ziehen. Die Trennung der USA von Europa ist ein Langzeitprojekt russischer Hegemonialpolitik, das mit antiamerikanischen Ressentiments in den europäischen Gesellschaften zusammenspielt. [….] Die Westbindung der Bundesrepublik ist ein Stützpfeiler europäischer Sicherheit und Demokratie. Wer sie durch die Achse Berlin-Moskau ersetzen will, gibt die normative Grundlage deutscher Außenpolitik auf. […..]
(LibMod)
In dieser fromm-konservativen proamerikanischen Nassehi-Welt haben Säkulare, Linke und Sozialdemokraten nichts zu suchen. Die Grünen Chefs setzen auf FDP und CDU, um zukünftig eine bürgerliche Gesellschaft ohne sozialen Klimbim und Pazifismus zu erreichen. Ab ca 2018, als Robert Habeck und Annalena Baerbock Parteivorsitzende der Grünen wurden, konnten Fücks, Beck und Nassehi ihr Projekt Schwarz-Grün mit Rückendeckung des Parteivorstandes vorantreiben.
[…..] Armin Nassehis Vordenkerrolle ergab sich nämlich just zu der Zeit, als Robert Habeck und Annalena Baerbock gemeinsam den Parteivorsitz übernahmen. Als Stichwortgeber im Hintergrund wirkte das „Zentrum Liberale Moderne“ um Ralf Fücks und Marieluise Beck, in dessen Beirat Nassehi sitzt. Vorbereitet wurde hier das lagerübergreifende Projekt einer schwarz-grünen Koalition im Bund, wohl wissend, dass die Mehrheit der Grünen-Mitglieder das nicht wollten. Der grünen Partei war dabei jene Funktion zugedacht, die in den Nachkriegsjahrzehnten die FDP erfüllt hatte: zuverlässig für bürgerliche Mehrheiten zu sorgen. Nassehi begründet das höchst elegant. An der Seite der Grünen, sagt er, solle sich der ausgezehrte Konservativismus erneuern: „Ich denke, dass die entscheidende strategische Partnerschaft für das Experiment einer Politik der Bündnisse mit unterschiedlichen Logiken am ehesten mit der Union möglich ist, auch weil das das eigentliche Thema eines modernen Konservativismus sein müsste.“ Der kluge Christdemokrat Norbert Lammert, bis 2017 Präsident des Deutschen Bundestages, holte Nassehi daraufhin als Fellow zur Konrad-Adenauer-Stiftung. Der schwarz-grüne Plan schien zeitweise unausweichlich und wäre wohl auch aufgegangen, hätte es nicht fünf, sechs Wochen vor der Bundestagswahl diesen abrupten Absturz der Unionsparteien (und der Grünen) gegeben. […..]
(Wolfgang Michal, Der Freitag, 37/2021)
Es hätte so schön sein können mit Baerbock-Laschet-Habeck-Söder-Özdemirs schwarzgrüner Traum-Regierung. Da aber beide Kanzlerkandidaten dieser oliv-bürgerlichen Konstellation von Panne zu Panne stolperten, während der SPD-Profi Olaf Scholz zuverlässig wie ein Uhrwerk funktioniert, dürfte Schwarz-Grün keine Mehrheit bekommen.
Für den frommen Nassehi, den frommen Laschet, das Kirchenmitglied Baerbock ist es aber ein Alptraum, von einem Bundeskanzler Scholz geführt zu werden, der die Religioten jetzt schon zur Weißglut bringt, indem er in Aussicht stellt, wie vor ihm Gerhard Schröder, den Amtseid ohne die Gottesformel schwören zu wollen.
Scholz ist intelligent und wie die meisten schlauen Menschen, die als Kind getauft und konfirmiert wurden, trat er als erwachsener Mann aus der Kirche aus.
[…..] Der SPD-Kanzlerkandidat, Bundesfinanzminister Olaf Scholz, würde im Falle eines Wahlsieges seinen Amtseid ohne den Zusatz „So wahr mir Gott helfe“ ablegen. Das sagte er in einem Interview mit „Bild am Sonntag“ (Ausgabe vom 19. September). Er habe diesen Zusatz noch nie bei einem Amtseid gesprochen. Auf die Frage „Woran glauben Sie?“ antwortete der Politiker: „Dass wir Menschen füreinander verantwortlich sind. Dass wir gegeneinander gerecht sein müssen. Nennen wir es Solidarität oder Nächstenliebe. Diese Werte des Christentums prägen mich sehr.“ Scholz würde im Falle eines Wahlsieges der erste konfessionslose Bundeskanzler in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Er ist evangelisch getauft, aber aus der Kirche ausgetreten. […..]
Den Kirchenfreunden Baerbock und Laschet, Kathrin Göring-Kirchentag und Brinkhaus gefällt das gar nicht.
Baerbock stellt sich angesichts der Umfragen in den letzten Tagen vor der Wahl öffentlich näher an Scholz – wohlwissend, daß im Gegensatz zu den Grünen Parteimitgliedern und Funktionären, viele Grüne Wähler ebenfalls lieber eine SPD-FDP-Grüne Ampel als Jamaika hätten.
Union und Grünen-Führung geben aber ihren Traum von Jamaika noch nicht so schnell auf und so wird heute in den konservativen Blättern Focus und Merkur von einem geheimen schwarz-grünen Deal orakelt.
Auch wenn Olafs Scholz und die SPD am Sonntag deutlich stärkste Kraft werden sollten, möge sich Baerbock für eine Jamaika-Koalition entscheiden und Wahlverlierer Laschet zum Kanzler wählen. Christian Lindner ist ohnehin mit im Boot, schließt eine klassische Ampel nahezu aus, umwirbt Grüne und CDU. Baerbock und Habeck bräuchten aber ein starkes Argument, um die Grüne Basis von Laschet zu überzeugen.
Hier kommt der fromme SPD-Bundespräsident Steinmeier ins Spiel, der sich selbst für eine zweite Amtszeit beworben hat. Die Wahl steht am 13.02.2022 an, wird also eine der ersten großen Entscheidungen der neuen Bundesregierung sein. Ein Bundeskanzler Scholz würde sich selbstverständlich für seinen Parteifreund einsetzen.
Die CDU bietet nun angeblich den Grünen Steinmeiers Kopf als Brautgeschenk, um sie ins Koalitionsbettchen zu locken.
[……] Laut Focus will die CDU jedoch selbst dann noch einen Kanzler Scholz verhindern. Der laut Bericht konkrete Plan soll eine Jamaika-Koalition mit Grünen und FDP vorsehen. Die Grünen will man mit dem Bundespräsidialamt zufriedenstellen, denn die Partei um Spitzenkandidatin Annalena Baerbock neigt vermeintlich eher zum Bündnis mit den Sozialdemokraten. Als mögliche Kandidatin für das Amt der Bundespräsidentin gilt Katrin Göring-Eckardt. Auch die FDP wäre demnach dazu bereit, die Grünen-Politikerin zu unterstützen. […..]
Die ultrafromme Theologin Göring-Eckardt wäre ein Coup für die Grünen. Erste Frau und erste Grüne im höchsten Amt. Damit könnte Baerbock die eigene Basis überzeugen. Für Laschet wäre es eine Genugtuung, nachdem ihm ausgerechnet Steinmeier so furchtbar schlecht bei der Flutkatastrophe aussehen ließ.
Die FDP könnte sich dafür feiern lassen, die SPD aus dem Kanzleramt gehalten zu haben und bei den Grünen im Vorstand des „Zentrums Liberale Moderne“ würden die Sektkorken knallen.
Wer einen Bundeskanzler Laschet verhindern will, muss also unbedingt SPD wählen und darf nicht riskieren, mit einer Stimme für die Grünen den Aachener Lügner überhaupt erst ins Amt zu befördern.