Dienstag, 18. Februar 2020

Taktische Spielchen.


Das war mal ein geschickter Schachzug von der Linkspartei in Thüringen:
Sie schlägt Ramelows Vorgängerin Lieberknecht als Übergangs-MP vor.

Anders als das vergiftete Linder-Angebot, der à la Österreich eine Expertenregierung einsetzen wollte – und damit sagt „wir Politiker sind keine Experten“ – hätte die fromme CDU-Pastorin Christine Lieberknecht den Charme keine aus der Luft gegriffene Fremde zu sein, sondern wäre als ehemalige MP dem Volk leicht zu erklären und sie müsste als ehemalige MP des Landes auch nicht eigearbeitet werden, weil sie den Laden kennt.

Damit zeigt sich die Linke kompromissbereit, wirkt unideologisch, versucht nicht mehr krampfhaft ihren Mann durchzubringen und setzt die auf Totalverweigerung pochende CDU gewaltig unter Druck, da Lieberknecht bekanntlich CDU-Mitglied ist.

[….] Und nun, CDU? Können die Christdemokraten ernsthaft die Wahl einer Christdemokratin ablehnen, wie sie zuvor die Wahl Ramelows abgelehnt haben?
Sie können. Und sie spielen den Schwarzen Peter wieder Ramelow zu. [….]

Oberflächlich sieht es so aus, als ob sich die CDU nun endgültig ins Abseits manövriert hätte. Dieser unverantwortlichen, mit der AfD paktierenden Thüringen-CDU ist offenbar das Land vollkommen egal. Ein Chaotenhaufen, der nach den Rücktritten von Hirte, Mohring und AKK weiterhin nur destruktiv erscheint.
Umso heller strahlt Ramelow, der von der politischen Rechten immer schlechter als linksextreme Gefahr dargestellt werden kann.


Es gibt allerdings eine andere Sicht auf die Dinge, die Ramelows Angebot deutlich vergiftet erscheinen lässt.
Zunächst einmal zeigt sie die Absurdität des Hufeisenmodels auf. Persönlich ist Lieberknecht Ramelow sehr nah, da beide extrem fromme praktizierende Christen sind. Außerdem steht die Ex-MP im Gegensatz zur Mohring-CDU für eine klare Abgrenzung zum Faschisten Bernd Höcke. Sie sollte nach Ramelows Vorstellungen nur 70 Tage bis zu Neuwahlen regieren und dafür drei rotrotgrüne Minister aus dem ehemaligen Kabinett an ihrer Seite haben.
Damit wäre de facto eine CDU-Links-Koalition praktiziert, auf die RRG zukünftig bei jeder Linken-Verdammung aus dem Konrad-Adenauer-Haus verweisen könnte. Der Post-AKK-CDU-Vorsitzende hätte eine höchst unangenehme Diskussion am Hals und die Werteunion liefe Amok.
Die fetteste Kröte wären aber die Neuwahlen, die Thüringens CDU und auch AFDP-Mann Kemmerich unbedingt verhindern wollen.

[….] Von Neuwahlen allerdings würde - Stand jetzt - vor allem die Linke profitieren. Die CDU könnte sich Umfragen zufolge halbieren, Grüne und FDP aus dem Landtag fliegen. Möglicherweise reichte es für ein rot-rotes Bündnis unter Ramelow. [….]

Nun ist eine recht unangenehme Situation für die zerfasernde Erfurter Union entstanden. Sie steht als Verweigerin da, die aus Angst um ihre Sitze im Landtag sogar eine Ministerpräsidentin der eigenen Partei ablehnt.

Also beteiligt sich die CDU nun ihrerseits eifrig an taktischen Spielchen.

[…..] Sie fordert stattdessen eine Experten-Regierung, berufen von Linken, CDU, SPD, Grünen und FDP. "Sie sollen die volle Handlungsfähigkeit hinsichtlich der entscheidenden Herausforderungen des Landes herstellen", heißt es in der Pressemitteilung der CDU-Fraktion. Eine dieser Herausforderungen wäre die Festlegung auf den Haushalt 2021. Erst danach, so die CDU, soll es in Thüringen zu Neuwahlen kommen. Also erst gegen Ende des Jahres. Das widerspricht jedoch klar der Forderung Ramelows, Neuwahlen frühzeitig anzusetzen. [….]

Das Kalkül ist klar: Wenn erst mal ein Jahr lang wieder die CDU die Ministerpräsidentin stellt, könnte sie mit Amtsbonus in Neuwahlen gehen, das gewaltige Linken-Umfragehoch – derzeit wird sie bei 40% gemessen – resultiert aus der Kemmerich-AFDP-CDU-Empörung und wird bis dahin sicher wieder abklingen. Möglicherweise könnte man die vorzeitigen Neuwahlen auch ganz sein lassen.

Wenn die Parlamentsfraktionen allzu heftig taktieren besteht immer die Gefahr, daß sich das Wahlvolk angewidert abwendet. Es sind traumhafte Bedingungen für Populisten, die ihrem Mob-Anhang verkünden können „die Parteien“ beschäftigten sich nur mit sich selbst und kümmerten sich nicht um das Volk.

Wir kennen das aus dem Bundestag, wenn Oppositionsparteien Gesetzesvorschläge einbringen, die ursprünglich von einem der Koalitionspartner stammen und nun dem was sie selbst eben noch gefordert hatten, ablehnen.
Das tun alle Parteien um des wahltaktischen Vorteils willen.
Rot und Grün brachten immer wieder zu schwarzgelben Zeiten Vorschläge zur Cannabis-Legalisierung oder der „Ehe-für-alle“ ein, die auch von der FDP gefordert wurden, um dann zu zeigen wie die FDP an der Seite der CSU gegen ihre eigenen Überzeugungen stimmt.
Ähnlich verfährt heute die Linke mit ehemaligen SPD-Vorschlägen, um anschließend die angeblich so verwerfliche Wendigkeit der Sozis an Merkels Seite öffentlich zu beklagen.

In Wirklichkeit ist aber die Klage über „taktische Spielchen“ das einzig verwerfliche.
Ich erwarte von einer Partei parlamentarische Taktiken nicht nur zu praktizieren. Sie sollen das auch beherrschen.
Denn letztendlich sind Parteien nichts anderes als Überzeugungslobbyisten, die ihren Wählern gegenüber verpflichtet sind möglichst viel ihrer eigenen Programmatik umzusetzen.
Das ist sogar ihre Kernaufgabe. Eine prinzipienreitenden Oppositionspartei, die sich jeder Parlamentstaktik um gemeinsame Anträge, Redezeiten und Kompromisse verweigert, kann sich zwar ihren Wählern als reinrassige Vertreterin der reinen Lehre präsentieren.
Aber sie ist gleichzeitig auch vollkommen wirkungslos, erreicht also das Gegenteil ihrer Wünsche, weil sich dann alle anderen mit deren Vorstellungen durchsetzen.
Wer nicht regieren will, hat im Parlament nichts zu suchen, weil er damit seinen Anhängern den Mittelfinger zeigt.
Eine Koalitionspartei wie die FDP 2009-2013 stimmte zwar gegen die Homoehe, die in ihrem eigenen Wahlprogramm stand, aber nur weil sie innerhalb der CDUCSU-Koalition mehr für ihre Lobbyisten erreichen konnte: Hotelsteuerbefreiung, pampern der Privatkrankenversicherungen, Pharmaindustriefreundliche Arzneimittelzulassungen, etc.

So geht es jeder Partei, die nicht zufällig mit absoluter Mehrheit regiert, man muss ein paar Kröten schlucken, um dafür umso mehr der eigenen Programmatik durchzusetzen.

In diesem Sinne wünsche ich den Thüringer Parteien heftiges Taktieren zu Gunsten ihrer Wähler und hoffe natürlich, daß Rotrotgrün erheblich erfolgreicher taktieren als AFDP und CDU.