Samstag, 22. April 2023

Steinmeiers Anachronismus

Es gibt nichts alberneres auf der Welt, als formal wichtige Menschen, die ihre Minderwertigkeitskomplexe durch haufenweise Lametta an der Brust zur Schau stellen. Orden sind die kleinsten Brüder des Porsches, nämlich sichtbares Zeichen für einen sehr kleinen Penis des Trägers. Nur eben ohne Hightech und Design, sondern aus billigem Blech. 

Ob Schützenverein, Nordkoreanische Armee oder König – sich diese Abart der 1970er Pril-Blume an die Jacke zu heften, ist heute hoffnungslos anachronistisch.

In wenigen historischen Kontexten kann ich einen Sinn darin erkennen, sich mit Blech-Broschen zu schmücken. Ich denke beispielsweise an Sheriff-Sterne aus vordemokratischen Zeiten, als man sich die Dinger noch nicht als billige Fake-Version im Internet bestellen konnte. Mit so einem sichtbaren Abzeichen konnte der „Gesetzeshüter“ sich im besten Fall Autorität verschaffen und Gewalttaten verhindern. Vielleicht glaube ich das aber auch nur, weil ich als Kind durch einige schlechte Western indoktriniert wurde, in denen der Marshall oder Sheriff immer der Gute war und die braven Christenbürger vor Indianern und Banditen beschützte.

Im 21. Jahrhundert taugen solche Penisprothesen allerdings schon deswegen nicht mehr, weil jeder auf billige Fälschungen setzen kann.

Ich mag mechanische Uhren, aber die allermeisten Menschen kennen sich damit nicht aus, so daß die (technisch eher durchschnittliche) Rolex mit ihren Mondpreisen zum Symbol für die Luxusuhr wurde. Sie ist die einzige Marke, die auch Laien erkennen und daher so beliebt bei Protzern, Zuhältern und FDP-Politikern.

Das Laienverständnis reicht aber nicht so weit, eine echte Rolex, die einen fünf- bis sechsstelligen Preis hat, von einem 50-Dollar Fake zu unterscheiden. Daher haben Leon Schelske und Robin Haas als „Munich Wrist Busters“ so einen Erfolg damit, peinliche Proleten der Münchner Schickeria als Träger von gefälschten Uhren zu entlarven. Die taiwanische Rolex-Imitation fungiert hier als selbst verliehener Billig-Orden, um seinem Drang zur Prahlerei zu frönen. Ein wahrer Liebhaber mechanischer Uhren wird sich, sofern er wohlhabend genug ist, ein viel edleres Modell erstehen, das aber so gut wie niemand als derartig teuer erkennt. Hochwertige mechanische Uhren sind die Inkarnation des Understatements; gewissermaßen Anti-Orden, die das Edle und Besondere eben gerade nicht nach Außen strecken, sondern regelrecht verbergen.

Wäre die in Hamburg geborene Angela Merkel eine Hanseatin (und nicht als Kind in die DDR gebracht worden), wüßte sie vielleicht, wie wir Hamburger mit Orden und Titel umgehen. Wir nehmen sie gar nicht erst an und tragen sie schon gar nicht.

[….] Der eine heftet ihn sich freudig ans Revers, um’s auf stolz geschwellter Brust glitzern zu lassen. Der andere nimmt dankend an, lagert das gute Stück jedoch daheim – zur persönlichen Erbauung. Wieder andere bezeichnen Orden als „Hundemarken“ oder „flitterhaften Prunk“ und lehnen den ganzen „Kokolores“ rigoros ab. Gerade in Hamburg ist mit ausgezeichneten Ehrungen nur schwer Staat zu machen. Weil Hanseaten, so heißt es von jeher, keine Orden annehmen – oder annehmen dürfen.   Klingt irgendwie gut. Stolz und erhaben, frei und unabhängig. Und ganz im Sinne des bürgerlichen Geistes unserer Verfassung: „Es gibt über dir keinen Herrn und unter dir keinen Knecht.“ Es entspricht traditionell geübter Praxis, dass die Annahme von Adelsprädikaten und Orden bei Bürgermeistern, Senatoren, Bürgerschaftsabgeordneten und Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes zumindest verpönt ist.  [….]

(Jens Meyer-Odewald, 2017)

Daß Angela Merkel nun nach Adenauer und Kohl die dritte Person ist, die vom Bundespräsidenten das "Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland in besonderer Ausführung", den zweithöchstmöglichen deutschen Orden erhält, empört rechte, wie linke Gegner ihrer Politik.

Um sich darüber aufzuregen, muss man aber so einen Klimbim a priori tatsächlich für eine Ehre halten. Das tue ich nicht.

Ich sehe nur die künftige Trägerin des zweithöchstmöglichen Orden, die sich bei einem großen Presseevent mit dem Träger des allerhöchsten Ordens – Steinmeier trägt die „Sonderstufe des Großkreuzes mit achtspitzigem Bruststern“ zu einer überflüssigen gegenseitigen Selbstbeweihräucherung trifft, um ihre frühere, als Kanzlerin und Außenminister, gemeinsame, krachend gescheiterte, Russland-Politik zu vernebeln. Der zutiefst fromme Steinmeier bereut und bezweifelt, im Gegensatz zu seiner früheren Chefin, zwar seine Russlandpolitik, ist aber als bundespräsidialer Grüßaugust zuständig für den deutschen Blech-Kokolores und verleiht jedes Jahr rund 1.500 Orden.

Gregor Gysi ärgert es, daß nur CDU-Kanzler das "Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland in besonderer Ausführung" erhielten und findet, Willy Brandt hätte ihn mehr verdient.

[….] Das Bundesverdienstkreuz kriegt ja jemand, der sich verdient gemacht hat. Von einem Bundeskanzler erwarte ich das sowieso. Wieso soll derjenige oder diejenige das Bundesverdienstkreuz bekommen? Es gab ja nur drei Kanzler, die wirklich politische Ziele verfolgt haben. Das waren Konrad Adenauer, Helmut Kohl und Willy Brandt. Alle anderen Kanzler und die Kanzlerin haben die Bundesrepublik im Wesentlichen nur verwaltet. Es ärgert mich, dass Brandt die Auszeichnung nie bekommen hat. […]

(Gregor Gysi, 17.04.2023)

In der Tat, Willy Brandt bekam das Großkreuz ohne besondere Ausführung, das ist  eine Stufe niedriger war als Merkels Brosche.

Im Gegensatz zu Gysi halte ich das aber für völlig irrelevant und bin mir sicher; Willy Brandt wäre das ebenfalls herzlich egal.

Orden sind nicht nur grundsätzlich aus der Zeit gefallene Albernheiten, sondern werden auch inflationär verteilt. Neben den 1.500 – 2.000 Verdienstorden in acht Stufen und verschiedenen Ausführungen, die der Bundespräsident durch Deutschland klekst, vergeben auch Bundesländer, Städte und Gemeinden, sowie Vereine, Kirchen und Militär Orden. Vorzugsweise bedenken sich Politiker und Kleriker und Soldaten gegenseitig mit den bunten Broschen.

Wer einen beliebigen Ministerpräsidenten, Bundesminister oder Bischof googelt, wird bei Wikipedia immer einen ganze Liste von Orden finden. Es gibt so viele dieser emaillierten Blech-Plomben, daß längst niemand mehr registriert, wer gerade welche von wem verliehen bekommt.

Lustiger sind eigentlich die Ordensrückgaben. Denn natürlich sind solche Ehrungen nicht etwa an objektive Leistungen geknüpft, sondern folgen subjektiv-opportunistischen Überlegungen. Bis heute sind Städte und Gemeinden damit beschäftigt, Adolf Hitler und andere Nazi-Größen aus ihren Ehrenbürgerlisten zu streichen.

Auch Kinderfi**erfreunde sammeln Verdienstorden wie Briefmarken.

Kardinal Marx etwa hatte bereits allerhand Lametta auf dem Buckel*, als der frömmelnde Bundespräsident ihm mitten in den Missbrauchsuntersuchungen am 30. April 2021 auch noch das Große Bundesverdienstkreuz anbaumeln wollte. Das war allerdings selbst dem Münchner Erzbischof zu peinlich und so lehnte er ab.

    *2002 Maju-Medienpreis

    2002 Ernennung zum Geistlichen Prokurator der St. Sebastianus Schützenbruderschaft Geseke 1412 e.V.

    2003 Franz-Weißebach-Preis

    2007 Peter-Altmeier-Medaille

    2008 Ehrenbürger seiner Geburtsstadt Geseke

    2009 Ehrendoktorwürde der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar

    2009 Corine – Internationaler Buchpreis für Das Kapital. Ein Plädoyer für den Menschen

    2011 Preis Soziale Marktwirtschaft der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V

    2011 Bayerische Verfassungsmedaille in Gold

    2014 Bayerischer Verdienstorden

    2015 Alexander-Rüstow-Plakette der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft

    2017 Ökumenischer Preis der Katholischen Akademie Bayern

    2019 Ehrendoktorwürde des Institut Catholique de Paris

    2020 Augsburger Friedenspreis, zusammen mit Heinrich Bedford-Strohm

Erzbischof Robert Zollitsch förderte noch viel dreister als Marx aktiv Kinderfic**r.

[….] Man muss das in aller Kühle festhalten: Wenn auch nur ein Teil dessen stimmt, was am Dienstag eine unabhängige Arbeitsgruppe nach vierjähriger Recherche zum sexuellen Missbrauch in der Erzdiözese Freiburg berichtet hat, dann hat der oberste katholische Geistliche in Deutschland, der Mann, der von 2008 bis 2014 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz war, jahrelang höchstpersönlich sexuelle Übergriffe gegen Kinder gefördert. Indem er die Täter freundlich wegversetzte, wenn sie irgendwo mal auffielen und ins Visier der Medien oder der Justiz gerieten. Und indem er die Täter, sobald ihre Vergangenheit sauber vertuscht war, zurück zur Arbeit schickte. Mit neuen, nichts ahnenden Kindern. Ein Abgrund der Unmoral. Erzbischof Robert Zollitsch, heute 84 Jahre alt, hätte damit - wenn das stimmt - so viel Unrecht verübt wie nur wenige Menschen in ihrem Leben.  [….]

(Ronen Steincke, SZ, 19.04.2023)

Zollitsch nahm hingegen alle Glitzerbroschen an, deren er habhaft werden konnte:

    1982: Ernennung zum Päpstlichen Ehrenkaplan (Monsignore)

    1992: Ernennung zum Päpstlichen Ehrenprälaten

    2008: Ehrendoktorwürde der Kardinal-Stefan-Wyszynski-Universität Warschau

    2008: Ehrenplakette des Bundes der Vertriebenen

    2011: Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg

    2013: Adolph-Kolping-Plakette

    2014: Große Staufermedaille in Gold

    2014: Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern

Das 2014 von Pfarrer Gauck erhaltene Große Bundesverdienstkreuz mit Stern gab er allerdings nach den schockierenden Enthüllungen dieser Woche wieder zurück.

Wohl den Hamburgern, die so einen Schwachsinn gar nicht erst mitmachen!