Mittwoch, 10. März 2021

Der Mann an der Spitze

Das Image des George W. Bush unterlag einigen Veränderungen.

 Er war schon vor seiner Präsidentschaftskandidatur im Jahr 2000 als unangenehmer Sohn des 41. US-Präsidenten George H. Bush (1989-1993) bekannt und der Alptraum aller Liberalen und Friedensbewegten, weil er als texanischer Gouverneur mit der missionarischen Verve eines „wiedergeborenen Christen“ töten ließ wie keiner vor ihm.

Er war das Symbol der Todesstrafe und schien regelrecht Vergnügen zu empfinden möglichst viele Menschen hinzurichten.

Die Urteile unterschrieb er wie am Fließband, ohne sich davon seine gute Laune trüben zu lassen.

[…..] Dort zeigt sich wieder mal ein interessantes Religionsparadoxon:
Während Liberale und Atheisten sehr stark für das fünfte Gebot eintreten, wird Gottes Tötungsverbot umso heftiger bekämpft, je christlicher man ist.
The Chosen One, wie ihn seine Mutter Barbra Bush nannte, der Auserwählte also, ist einer dieser antibiblischen Hardcore-Christen.
Der frömmste US-Präsident so far betete unablässig, belog sein Volk in noch nie dagewesener Weise (8. Gebot - LOL!) und hatte schon in seiner Zeit als Gouverneur des Killerstaates Texas sage und schreibe 152 Hinrichtungen durchführen lassen.
Alle eigenhändig unterschrieben.
Kein einziges mal setzte er eine Todesstrafe aus.
Kein einziges mal hatte er nach eigenem Bekunden auch nur die geringsten Anflüge von schlechtem Gewissen.
George Bush war der Top-Killer unter den amerikanischen Gouverneuren.
Fromm und tötungsfreudig; stramm christlich und waffenvernarrt - das sind in Amerika zwei Seiten einer Medaille. […..]

(Das fünfte Gebot, 28.08.2011)

Das Image als religiöser Killer wurde im Präsidentschaftswahlkampf durch das des ungebildeten Deppen ersetzt.

Er zeigte bis dahin nicht gekannte Wissenslücken, wußte rein gar nichts über die Welt außerhalb der USA und ließ internationale Journalisten ob seiner naiven-trotteligen Sätze staunend zurück.

(…..) Nach ein paar Monaten Amtszeit erschien uns GWB noch als harmloser Irrer, der zwar intellektuell unterbelichtet wäre und mit der Rhetorik allgemein auf Kriegsfuß stände, aber sorgen brauche man sich nicht – er wäre doch ganz “putzig”.

Die Wahl dieses Adjektivs wurde wie folgt belegt:

„GWB: „Ich habe mit meinem kleinen Bruder Jeb gesprochen – ich habe das noch nicht vielen Leuten erzählt, aber er ist der Gouverneur von – ich sollte ihn nicht meinen kleinen Bruder nennen –, also: mein Bruder Jeb, der große Gouverneur von Texas…“ Interviewer: „Florida“. Bush: „Florida. Der Staat von der Florida.“ Es sprudelt nur so aus ihm heraus: Einmal „wachsen Flügeln Träume“, dann wieder „kommt die ganz große Mehrheit unserer Importe aus dem Ausland“. Es gibt fundamentale Erkenntnisse wie: „Wenn es uns nicht gelingt, laufen wir Gefahr zu versagen“, oder Rätselhaftes wie: „Ich habe in der Vergangenheit gute Entscheidungen getroffen, und ich habe in der Zukunft gute Entscheidungen getroffen.“ Unwiderlegbares: „Die Zukunft ist morgen“ steht neben Visionärem: „Die Menschheit ist bereit, das Sonnensystem zu betreten.“

Theorien, die begründen sollten, weshalb der US-Präsident derart enthirnt faselt, wurden auch geliefert; so sei die amerikanische Star-Journalistin Gail Sheehy überzeugt, dass Bush Junior wie sein jüngerer Bruder Neil an einer Leseschwäche leide, die ihn dazu bringe, die Sätze auf seinem Teleprompter gnadenlos zu verwursten. (….)

(Wie sich die Weltsicht ändert, 03.02.2007)

So einer könnte sicherlich nicht gegen den intellektuellen, beliebten und erfahrenen Vizepräsidenten Gore gewinnen; waren wir uns in Europa sicher.

Tatsächlich gewann Al Gore bei der Präsidentschaftswahl von 2000 insgesamt eine halbe Million Stimmen mehr als GWB, aber Präsident wurde er nicht.

Wir Europäer hatten uns geirrt. Die meisten Amerikaner störten sich nicht an GWBs drastischen Wissenslücken, weil sie sich selbst auch nicht für die Welt da draußen interessierten.    Im Gegenteil, für sie machten erst die dümmlichen Sprüche GWB richtig sympathisch. Endlich mal kein abgehobener Intellektueller.

In den ersten acht Monaten seiner Amtszeit wandelte sich sein Image erneut.

Im Weißen Haus wurde unablässig gebetet, aber insbesondere versuchte GWB jeden Hauch von Ausschweifungen zu verhindern. Es gab strenges Alkoholverbot, keinerlei Abendveranstaltungen, gesellschaftliche Anlässe wurden abgesagt. Flirten und Affären waren zutiefst verpönt.

GWB prahlte geradezu mit seiner Provinzialität, bestätigte stolz nie zu lesen, ließ um 17.00 Uhr die Lichter abschalten, um die Mitarbeiter zu ihren Familien zu schicken.  Er selbst verbrachte die meiste Zeit urlaubend auf seiner texanischen Ranch.

 Die republikanischen Falken, das Establishment, freundeten sich mit der Situation an.    Es wäre letztlich doch völlig egal, wer im Oval Office säße. Die Politmaschine Washington funktioniere auch so. Ohnehin wäre die graue Eminenz Dick Cheney, der anders als vorherige VPs, keineswegs nur dekorative Zwecke erfüllte, der eigentliche Strippenzieher.   Eine angenehme Arbeitsteilung für alle Lobbyisten; GWB repräsentierte die Macht, aber wer seine Interessen durchsetzen wollte, konnte sich unter dem öffentlichen Radar mit Cheney absprechen.

Mit dem 11.09.2001 änderte sich auch diese Sicht auf GWB fundamental.

Nun wurde er ein aktiver Präsident, der von sich selbst beeindruckt als „War-President“ sprach.   Die USA wurden mit einer Welle der Solidarität überschwemmt, GWBs Zustimmungsraten schossen auf nie gemessene Rekordwerte.

Aber schon bald begannen das große Lügen und der unbedingte Wille zu militärischen Abenteuern.

(…..) Wie sagte Angela Merkels Lieblingspolitiker GWB noch 2003?
"See, free nations are peaceful nations. Free nations don't attack each other. Free nations don't develop weapons of mass destruction."

Mit 935 öffentlichen Falschaussagen vor dem Irkakkrieg trieb die Bush-Administration die Nation in den Waffengang.


Als er dann Präsident wurde, ging das Killen erst richtig los - aber das ist eine andere Geschichte. (…..)

(Das fünfte Gebot, 28.08.2011)

Im Wahljahr 2008 hatte sich wieder eine andere Sicht auf GWB durchgesetzt.

Er war zweifellos der schlechteste US-Präsident aller Zeiten, würde es sicher für Jahrhunderte bleiben.  Er war in jeder Hinsicht total gescheitert.

Seine Kriege waren verloren, alle Kriegsgründe hatten sich als dreiste Lügen herausgestellt, alle Prognosen waren verfehlt. Keineswegs wurden die US-Truppen mit Jubel und Blumen begrüßt, der Irak war keine Vorzeige-Demokratie nach US-Vorbild geworden. Das Image der USA war weltweit ruiniert, immer mehr GIs starben am Tigris und im Hindukusch.    Dazu hatte GWB auch noch mal eben die größte Weltfinanzkrise seit der großen Depression 1929 verursacht und der USA eine gewaltigen Schuldenberg hinterlassen.

Schlimmer konnte es nicht mehr kommen und eben aus dieser Total-Katastrophe der GOP-Regierung schaffte es tatsächlich ein Schwarzer der nächste US-Präsident zu werden.

War das eine Erleichterung als Nr.44 die Amtsgeschäfte übernahm! In Europa stieg Obama sofort in die höchsten Beliebtheitssphären auf. Insbesondere, weil er nicht GWB war. Da überreichte man schon mal prophylaktisch den Friedensnobelpreis.

Nie, nie, niemals hätte ich mir vorstellen können, nur etwa neun Jahre später milde auf GWB zurück zu blicken, ihm geradezu sympathisch Züge abzugewinnen, weil er immerhin selbstironisch war. Aber verglichen mit dem was uns unter #45 blühte, war #43 tatsächlich eine intellektuelle Lichtgestalt.

Und was sind schon 935 Falschaussagen, die addiert von einer ganzen Administration stammten, gegen 30.573 Lügen, die Trump ganz allein in vier Jahren verbreitete?

Die Misserfolge des Donald J. Trump sind jetzt schon so legendär, daß ich trotz der GWB-Erfahrungen erneut die Prognose wage, in #45 den schlimmsten US-Präsidenten meines Lebens erlebt zu haben.

 Die Theorie aus dem ersten Halbjahr 2001, nach der die gut geölte Regierungsmaschine der US letztlich auch ohne den Mann an der Spitze funktioniere, ist nicht mehr haltbar.

Trump verwandelte alles in ein dysfunktionales Chaos aus nicht besetzten Stellen und zutiefst unfähigen Trotteln, die allein nach ihrer Fähigkeit, dem Chef zu umschmeicheln ausgesucht wurden.

Der manische Golfer war extrem faul, aber diese Absenz wurde von keinem VP kompensiert.   Aktuelle Krisen, die ein Handeln der Regierungsspitze erforderlich gemacht hätten, wurden einfach ignoriert.

Trump war nie in der Lage Empathie für die Opfer der Pandemie zu empfinden und so verweigerte er insbesondere in den drei Monaten nach seiner Abwahl vollständig die Arbeit. Er war beleidigt, nicht wiedergewählt worden zu sein und wollte den Karren für seinen Nachfolger so tief wie möglich in den Dreck fahren.

Die USA wurden zu einer Nation in Agonie. 500.000 Covid19-Tote, Chaos bei den medizinischen und sozialen Maßnahmen, Wirtschaft am Boden, Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit und nie dagewesene Schulden.

 Biden, die #46, ist wenig glamourös und mit 78 Jahren auch nicht gerade ein Typ, der für Elan und Aufbruch steht.

Aber er ist nicht faul, war sich der Probleme, die auf ihn zukommen sehr bewußt, stützte sich auf eine funktionierende Partei und traf offenbar die richtigen Personalentscheidungen, indem er die Ministerien zwar auch nicht sehr spektakulär, dafür aber mit viel Kompetenz besetzte.

Im 2020er Wahlkampf hatte ich mich immer gefragt wieso eigentlich überhaupt irgendein Demokrat freiwillig Präsident werden möchte. Wozu tat sich Joe Biden das an? Die Trump-Hinterlassenschaften erschienen mir so toxisch, daß man sich fragen musste, ob das überhaupt reparabel ist.

Möglicherweise täuschte ich mich da aber. Nach nur sechs, sieben Wochen Präsidentschaft Biden – also viel zu früh, um wirklich urteilen zu können – scheint er erstaunlich erfolgreich und effektiv vorzugehen.

[….] Während der Mittagspause können sich viele Amerikaner demnächst einen Shot in den Arm holen: Die US-Gesundheitsbehörden erlauben großen Unternehmen, ihre Mitarbeiter selbst und vor Ort zu impfen. Der Pharmakonzern AbbVie und der Fleischverarbeiter Tyson Foods haben bereit losgelegt. [….] Die Corona-Immunisierung in den USA gewinnt an Tempo. 60 Millionen Menschen haben mindestens eine Impfung erhalten, beim derzeitigen Tempo wäre die Nation im September durchgeimpft. Präsident Joe Biden hat versprochen, dass schon Ende Mai genügend Impfstoff für alle Erwachsenen zur Verfügung steht.  An der Wall Street hat das für einen Stimmungsumschwung gesorgt: Während noch vor nicht allzu langer Zeit die Angst vor einer schleppenden Erholung wie nach der Finanzkrise grassierte, erwarten viele Investoren nun einen Boom [….] Die dynamischste Volkswirtschaft der Welt ist wieder da. [….] Ähnlich positiv sieht auch die Industrieländerorganisation OECD die Rolle Amerikas: Sie hob an diesem Dienstag ihre Prognose für das US-Wirtschaftswachstum von 3,2 auf 6,5 Prozent an. [….]

(Ines Zöttl, 09.03.2021)

Was eine funktionierende und aktive Regierung doch ausmacht!
Umso deprimierender ist es das debakulierende Duo Scheuer und Spahn zu beobachten.

[…..]  Was der neue US-Präsident nicht liefert: Drama, Chaos, Twitter-Tiraden. Was er liefert: Hilfe für Menschen, die Hilfe brauchen. [….]  Bei Donald Trump zum Beispiel war vom ersten Tag an klar, dass da ein unfähiger, erratischer Egomane regiert. Joe Biden wiederum hat erst knapp die Hälfte seiner Hundert-Tage-Frist hinter sich. Doch was er in den vergangenen sieben Wochen geschafft hat, ist durchaus bemerkenswert. Biden hat den Amerikanern versprochen, ihnen durch die beiden großen Krisen dieser Zeit zu helfen - durch die Corona-Pandemie und durch den Einbruch der Wirtschaft, den das Virus verursacht hat. In beiden Fällen hat er sein Versprechen gehalten. [….] Biden hat den Amerikanern gezeigt, wie Regieren funktionieren kann, wenn man nicht Donald Trump heißt. Kein Drama, kein Chaos, kein Geschrei, keine Twitter-Tiraden, die immer nur um das eigene fragile Ego kreisen. Stattdessen: Hilfe für Menschen, die Hilfe brauchen, um eine Katastrophe zu überstehen. [….]

(Hubert Wetzels, 08.03.2021)

Es ist also nicht egal, ob man einfach matt wie Angela Merkel alles aussitzt und desinteressiert die erwiesenen Totalversager Spahn und Altmaier weiter wurschteln lässt.

Es ist nicht egal, ob der US-Präsident bloß FOX glotzt und golft, oder ob er sich ins Oval Office setzt und die Dinge in die Hand nimmt.

CDU-Wirtschaftsminister Altmaier ließ die Auszahlungen der Corona-Hilfen gerade stoppen, weil er von Missbrauch und Chaos hilflos überfordert ist.

Biden hingegen holt die ganz ganz große Keule raus und verpasst der US-Ökonomie einen gewaltigen Boost.

[….] Profi schlägt Schwätzer!   Der neue US-Präsident löst mit der Verabschiedung des gigantischen Konjunkturpakets im Kongress ein wichtiges Wahlversprechen ein - und er stellt seinen Amtsvorgänger schon jetzt in den Schatten. […..] Nun ist Joe Biden seit gut 50 Tagen im Amt, und man muss sagen: Für einen Tattergreis ist dieser Präsident ziemlich agil und durchsetzungsstark.  Während Trump die meiste Zeit vor allem seine Eitelkeiten pflegte, Kritiker niedermachte und schon kleinste politische Erfolge prahlerisch als Weltsensation zu verkaufen versuchte, redet Biden wenig, arbeitet hart und liefert bereits nach kürzester Zeit beachtliche Ergebnisse. Kurz gesagt, er tut das, was von einem amerikanischen Präsidenten zu erwarten ist. [….]

(Roland Nelles, 10.03.2021)

Das tun, was man von einer Regierung erwarten würde.

Im Bundeskanzleramt wird das wohl erst mal nichts.

[….] Viele Bundesbürger blicken dieser Tage erstaunt in Richtung USA, jenes Landes, das noch vor wenigen Wochen von einem schrillen Egozentriker regiert wurde und allein von Deppen, Hinterwäldlern und Rechtsradikalen bevölkert zu sein schien. Ausgerechnet dieses Land zeigt den Europäern nun, wie der Umgang mit der Corona-Epidemie auch aussehen kann: entschlossen, effizient, unbürokratisch. Jeden Tag werden zwei Millionen Amerikaner gegen das Virus geimpft, wer einen Test will, bekommt ihn, und hat ein Unternehmer bei der Herstellung wichtiger medizinischer Gerätschaften ein Problem, springt ihm die Regierung oder das Militär binnen 24 Stunden zur Seite.   Auch finanziell können sich die Amerikaner auf weitere tatkräftige Unterstützung einstellen: Nach dem Senat billigte am Mittwoch auch das US-Repräsentantenhaus das Corona-Paket von Präsident Joe Biden, das Hilfen im Gesamtumfang von 1,9 Billionen Dollar vorsieht. Im Mittelpunkt stehen Direktzahlungen an die Bürger von 1400 Dollar pro Kopf, hinzu kommen Steuererleichterungen. Eine Familie mit zwei kleinen Kindern kann so mit bis zu 12 800 Dollar Entlastung rechnen. [….]  Für die EU bedeutet das, dass sie im Konzert der führenden Volkswirtschaften weiter an Stimme und Gewicht einbüßen wird. Das gilt umso mehr, als Biden noch für dieses Jahr ein Paket zum Ausbau von Straßen, Schienen, Wasserwegen, Strom- und Digitalnetzen im Wert von weiteren bis zu vier Billionen Dollar plant, um nach den akuten konjunkturellen auch die langfristigen strukturellen Probleme des Landes anzugehen. Gelingt ihm das, droht Europa endgültig den Anschluss an die Vereinigten Staaten und China zu verlieren. [….]

(Claus Hulverscheidt, 10.03.2021)