Was auch
immer man zu Russland assoziiert; niemand kann im Ernst bestreiten, daß „die
Russen“ eine der ganz großen Kulturnationen bilden.
Kaum ein
Volk ist so belesen, bringt so viele geniale Dichter, Schriftsteller, Musiker,
Tänzer, Künstler und Choreographen hervor.
Interessanterweise
haben sich Wertschätzung und Kenntnis der „schönen Künste“ durch alle
politischen Systeme erhalten.
Russische
Literaten und Theater waren im Zarenreich, in der Sowjetunion und im Putin-Russland
gleichermaßen weltberühmt.
Trotz
der über Jahrzehnte prekären Finanzanlage existierten immer Strukturen, die
russische Ballett-Tänzer oder Eiskunstläufer so förderten, daß sie besser als
alle anderen in der Welt wurden.
Sicher „fördert“
politische Unfreiheit unfreiwillig die Kunst der Romanciers, weil sie sich äußerst
geschickt ausdrücken müssen, um der Zensur zu entgehen.
Aber Schriftsteller
können nicht leben, wenn es keine Leser gibt.
Ich erinnere
mich noch mit großer Freude an die ZDF-Doku „Wo Taxifahrer Puschkin lesen“ über
die Bedeutung der Literatur in der Sowjet-Union, die Anke Ritter 1986
produzierte.
Nicht
nur, daß man mit allen willkürlich angesprochenen Passanten über die russischen
Klassiker diskutieren konnte, nein, sie lesen auch Goethe, Grass und Mann und
können ausführlich über die Qualität verschiedener Übersetzungen berichten.
Stephan Orth, der unablässig durch die ganze Welt reist, beschreibt
in seinem aktuellen Russland-Buch, daß
nirgendwo sonst so viele Menschen in den U-Bahnen und Bussen richtige Bücher
lesen, wie in Russland.
In
Deutschland gab es nie so viele Leser wie in Russland, aber heute schon gar
nicht mehr. In einem Hamburger Bus spielen 95% der Menschen mit ihren
Smartphones, in St. Petersburg gibt es genauso viele Klugtelefone, aber jeder
zweite hat dennoch ein Buch in der Hand.
Das
Bolschoi-Ballett funktioniert als Apotheose Russlands, so wie das Burgtheater die
Apotheose Wiens ist.
Trotz
ungeheuerlicher Skandale ist das Bolschoi zweifellos nach wie vor das Maß der
Dinge.
Es gibt
auch in New York, Paris - und übrigens auch in Hamburg – Ballett auf
Weltniveau. Der Unterschied ist aber, daß in den USA, Frankreich und
Deutschland 99% der Einwohner niemals ins Ballett gehen. Es handelt sich dabei
um eine kleine, elitäre Szene.
Das ist
in Russland anders, dort sind diese Künste breiten Schichten der Bevölkerung
vertraut.
Es gibt
allerdings auch eine dunkle Seite des Balletts.
Unter
Tänzern und womöglich auch Choreographen soll es, angeblich, HOMOSEXUELLE
geben. Schock, schwere Not. Ich kann das zwar nicht mit Quellen belegen, natürlich
auch kaum glauben, aber derartige Gerüchte gibt es immer wieder. Wo soll das
nur hinführen? Am Ende behaupten sie, daß es sogar unter Friseuren oder gar
Priestern Schwule gibt!
Der
Direktor des Bolschoi-Theaters, ein Mann mit dem wunderschönen Namen Wladimir
Urin, wollte diese Woche den Saison-Höhepunkt mit einem Ballett über den
vermutlich berühmtesten Tänzer aller Zeiten beginnen: Rudolf Nurejew.
Also den
(womöglich einzigen?) Balletttänzer, der tatsächlich schwul war.
Drei
Tage vor der Premiere setzt Urin das Stück ab. Zu heikel.
[….]
Warum Urin so plötzlich der Mut sank,
darüber wird gerätselt. Alexej Wenediktow, gut vernetzter Chef des Senders
Echo Moskau, erfuhr: Kirchenvertreter hätten die Probe besucht und den
Kulturminister unter Druck gesetzt, der wiederum Urin gedroht habe. Regisseur
Serebrennikow schweigt. [….] Unter der Hand gab es Videos von der letzten
Probe zu sehen. Riesenhaft ist da über der heiligen historischen Bühne
des Bolschoi ein Nacktfoto Nurejews zu sehen. [….]
(Der
Spiegel, 29/2017 s.116)
Ja,
Russland, ist eine große Kulturnation, aber Homoperversion hat darin keinen
Platz.
[…..]
Das Stück über den sowjetischen
Startänzer Rudolf Nurejew, der 1961 in den Westen floh und 1993 an den Folgen
von Aids starb, war mit großer Spannung erwartet worden, zumal es von Kirill
Serebrennikow stammte, einem der innovativsten und renommiertesten Film- und
Theaterregisseure Russlands. […..] Gerüchte,
wonach er auf Anweisung der Regierung gehandelt habe oder selbst über das Stück
schockiert gewesen sei, wies Urin am Montag zurück. Es sei allein eine
"künstlerische Entscheidung" gewesen. Einer der
"Nurejew"-Tänzer, der ungenannt bleiben wollte, zeigte sich jedoch
skeptisch. Zwar habe es während der Proben Probleme gegeben, doch sei dies
normal, sagte er der Nachrichtenagentur AFP. "Deshalb glaubt auch niemand
in der Truppe an die Begründung". Niemand glaube zudem daran, dass "Nurejew"
eines Tages tatsächlich auf die Bühne kommen werde.
Eine regierungsnahe
Quelle sagte dem unabhängigen Sender Rain TV, in dem Ballett sei es um
"Freiheit für Schwule" gegangen, und dies habe wie eine
"Provokation" gewirkt. In Russland ist Homosexualität weitgehend ein
Tabu-Thema: Homoehen sind verboten, der Ruf nach rechtlicher Gleichstellung
Homosexueller wird abgelehnt. Ein seit 2013 geltendes Gesetz stellt positive
Äußerungen über Homosexualität, angebliche
"Homosexuellen-Propaganda", in Anwesenheit von Minderjährigen unter
Strafe. Vorsorglich hatte das Bolschoi die Aufführung mit einer
Altersbegrenzung ab 18 Jahren versehen. [….]
Die
Kulturbanausen übertreiben es aber auch.
Vor
einigen Jahren erst wurde behauptet, daß es sogar einen zweiten russischen
Homo-Künstler geben könne.
Ich bin
entsetzt.
Zum
Glück konnte dieser Skandal gerade noch verhindert werden.
[….]
Serebrennikow beklagt seit Langem, dass
Kulturschaffende in Russland von den Behörden drangsaliert werden. Für ein
Filmporträt von Peter Tschaikowski, das Serebrennikov vor einigen Jahren
plante, wurden zum Beispiel bereits bewilligte Fördergelder zurückgezogen -
weil bekannt wurde, dass Tschaikowskis Homosexualität im Film vorkommen sollte.
[….]