Jeder weiß, daß Deutschland
eins der ineffektivsten Schulsysteme hat, weil hierzulande schon 9- bis
10-Jährige für ihr Leben selektiert werden. Dann heißt es entweder
Ja, du bekommst eine
Chance im Leben (=Gymnasium),
Ja, du darfst in Zukunft
niedere Arbeiten verrichten (=Realschule), oder
Nein, du wirst jetzt schon
als unnütz aussortiert (= Haupt/Förderschule)
Das ist selbstverständlich
extrem ungerecht und asozial.
So haben wir es zu
miserablen PISA-Platzierungen, der niedrigsten Studierendenquote Europas und
einem eklatanten Fachkräftemangel gebracht. Nirgendwo hängt Bildung so stark
von Papas Portemonnaie ab, wie in Deutschland.
Hier wird man nur Manager,
wenn schon die Eltern aus dem Großbürgertum stammten. Die einfachen Arbeiter
und Angestellten sind in den Parlamenten inzwischen nicht mehr vertreten.
Dieser Zustand ist so
offensichtlich verheerend, daß vor drei Jahren eine ganz große Super-Koalition
aus Linken, Grünen, SPD und CDU in Hamburg versuchte die Grundschule auf sechs Jahre auszuweiten, so daß die Kinder wenigstens etwas länger zusammen
lernen könnten, bevor der Plebs auf die Restschulen ausgesondert wird.
Die Millionäre in den
Elbvororten befürchteten, daß Bälger aus armen Schichten ihre Elite-Gymnasien
überrennen würden. Bessere Bildung wollten sie unbedingt exklusiv behalten, so
daß ihre Brut später einmal von lästiger Konkurrenz verschont bliebe.
Es war bald vom „AKADEMISCHEN
PROLETARIAT“, welches die Unis verstopfen würde die Rede.
Dentisten und Advokaten,
deren Eltern Bauarbeiter oder Krankenschwestern sind, würden zu einer beruflichen
Gefahr für das Zahnarztsöhnchen aus Blankenese und den Kanzleierben aus
Harvestehude werden.
Unglücklicherweise gibt es
in der Hansestadt direkte Demokratie und eine Menge apathisches Stimmvieh.
Die oberen Zehntausend
rotteten sich um den Tierhasser-Anwalt Scheuerle zusammen und kämpften für das
alte System.
Mit Leichtigkeit brachten
sie Millionen für eine Werbekampagne zusammen, mobilisierten Promis und
gewannen tatsächlich einen Volksentscheid gegen die gesamte Hamburger
Bürgerschaft!
Das Wort „Gucci-Protest“
war geboren, weil die reichen Eltern aus Blankenese alle zu den
Wahlurnen strebten, während die Prekariatler aus Steilshoop sich gar nicht erst
aufrafften abzustimmen.
Rückblick:
Hamburg
hat es heute wieder eindrucksvoll mit der Ablehnung der Schulreform gezeigt.
Zehn Jahre unablässig neue PISA-Teste, die stets ergaben, daß Deutschland das schlechteste Schulsystem Europas hat, die dümmsten Schüler produziert, die höchsten Zahlen Jugendlicher ohne Schulabschluß verursacht und zudem auch noch Teenager in die Berufswelt entläßt, die trotz regulärer Abschlüsse zu 50% nicht ausbildungsfähig sind.
17 Prozent aller 20- bis 30-Jährigen haben in Deutschland keine abgeschlossene Lehre.
Lesen, rechnen, schreiben, englisch - all das ist zu hoch für die deutsche Jugend, die - einmalig in Europa - schon im Alter von neun oder zehn Jahren in Chancenreiche und Zukunftslose selektiert wird.
Mit aller Kraft sollen Kinder desillusioniert werden und von Hochschulbildung ferngehalten werden.
Zehn Jahre unablässig neue PISA-Teste, die stets ergaben, daß Deutschland das schlechteste Schulsystem Europas hat, die dümmsten Schüler produziert, die höchsten Zahlen Jugendlicher ohne Schulabschluß verursacht und zudem auch noch Teenager in die Berufswelt entläßt, die trotz regulärer Abschlüsse zu 50% nicht ausbildungsfähig sind.
17 Prozent aller 20- bis 30-Jährigen haben in Deutschland keine abgeschlossene Lehre.
Lesen, rechnen, schreiben, englisch - all das ist zu hoch für die deutsche Jugend, die - einmalig in Europa - schon im Alter von neun oder zehn Jahren in Chancenreiche und Zukunftslose selektiert wird.
Mit aller Kraft sollen Kinder desillusioniert werden und von Hochschulbildung ferngehalten werden.
Als „verblüffend“ und „besorgniserregend“ bezeichnete es der Pariser OECD-Generalsekretär Angel Gurría, dass in Deutschland nur 21 Prozent der 15-Jährigen für sich ein Studium überhaupt in Betracht ziehen. Im OECD-Schnitt sind dies 57 Prozent.
(Tammox 2008)
Da gab es endlich mal eine parteiübergreifende Anstrengung (CDU, SPD, Grüne und Linke waren für die Reform!), um die systematische Verblödung der deutschen Jugend ein wenig abzumildern und das Schulsystem etwas zu verbessern - kleinere Klassen, mehr Lehrer, mehr Betreuung, spätere Selektion in Gymnasial- und Ausschußschüler - und dann kommt ein Volksentscheid, der alles zertrümmert.
Initiatoren des Volksentscheides für die Festschreibung der Kinderverdummung waren ein paar elitär denkende Eltern, die am liebsten ihre Gymnasien mit NATO-Draht von den ärmeren Kindern abschotten wollten.
Schüler mit gleicher Qualifikation aber aus ärmeren Elternhäusern wurden als zukünftige Konkurrenz angesehen.
Der Master dieser Verschwörung gegen das Allgemeinwohl ist ein gewisser Walter Scheuerl, der sich und seinen erzkonservativen Mitstreitern die Pfründe sichern will - auch für den Preis, daß Deutschland im Bildungsranking weiter nach unten durchgereicht wird.
"Meine Kinder sollen nicht mit den Schmuddelkindern lernen müssen" heißt das Motto der Reichen, die von einem Gedanken beseelt sind: Ihre Kinder von Unterschichts- und Migrantenkindern abschotten.
Es wurde in alle Trickkisten gegriffen. Da durfte ein NS-Vergleich nicht fehlen - der Chef der Reformgegner lieferte ihn im Oktober 2009.
Anfang Oktober schrieb dann Bündnissprecher Walter Scheuerl: Die Reformpläne hätten "eine Tradition in der NS-Pädagogik" des Erziehungswissenschaftlers Peter Petersen. Drei Tage später bat Scheuerl um Entschuldigung.
Hinter
so einen Mann scharten sich Adelige, konservative Rechtsanwälte, Sky du Mont
und die außerparlamentarisch Elb-FDP.
Wie die Initiatoren denken, wurde von den Medien schon lange dargestellt; zum Beispiel von Panorama:
Wie die Initiatoren denken, wurde von den Medien schon lange dargestellt; zum Beispiel von Panorama:
O-Ton befragter Hamburger:
“Ich meine, man muss nicht die sozial Bevorteilten benachteiligen, um die sozial Schwächeren zu bevorteilen. Das muss, meine ich, nicht sein.“
O-Ton Blankeneser Marktfrau:
„Wir haben ja systematisch in den achtziger Jahren ein akademisches Proletariat herangezüchtet, das für die wissenschaftliche Laufbahn und auch für eine gehobene akademische Laufbahn gar nicht fähig ist.“
O-Ton befragter Hamburger:
„Man spricht immer nur von unten, dass man von unten anheben will, dass man die Sonderschulen nicht mehr will. Alles ist richtig, aber man muss doch auch sehen, dass man die Kinder, die oben gut sind, weiterentwickelt und fördert.
Die Hamburger sind heute dumm genug gewesen, um das bestehende sehr schlechte Schulsystem vor Verbesserungen zu schützen.
Scheuerl gewann seinen mit extrem unseriösen Methoden geführten Kampf klar mit 58% zu 42%.
39 % der Hamburger (das sind 492.057) beteiligten sich an dem Volksentscheid.
Davon stimmten 276.304 für die Volksverdummungsinitiative.
Über 60% hatten es gar nicht erst für notwendig erachtet sich an der Abstimmung zu beteiligen.
Rund 760.000 Hamburger konnten sich gar nicht erst aufraffen überhaupt eine Entscheidung zu fällen.
So konnten Scheuerl und Co mit gerade mal 22 % der Wahlberechtigten - einem Fünftel der Hanseaten - sämtliche Bürgerschaftsparteien ausbremsen und verhindern, daß die Hamburger Schulen besser werden und womöglich auch diejenigen eine Chance auf gute Bildung bekommen, deren Eltern nicht reiche Villenbesitzer in den Elbvororten sind.
So ist es leider oft. Aus
Doofheit, Desinteresse oder bewußter Fehlinformation wählen Unterprivilegierte
gegen ihre eigenen Interessen.
Extrem ausgebildet ist
dieser Irrsinn in Amerika, wo die ultrarechten Finanzindustriebeglücker von den
Republikanern ihrer treusten Wähler unter dem verarmten White Trash im
mittleren Westen haben, während die sehr viel besser situierten Ostküsten-Intellektuellen
fest an der Seite der Demokraten stehen.
Deswegen wende ich mich ausdrücklich gegen die Ausweitung plebiszitärer Elemente
in Deutschland.
Auch das
Bundestagswahlergebnis von vor zwei Tagen zeigte eindrücklich wie ungeeignet der Urnenpöbel als Entscheider für die Zukunft
ist.
Natürlich, der Wähler hat
auch mal lichte Momente. So zum Beispiel am 20.02.2011 als bei den Hamburger
Bürgerschaftswahlen die SPD die absolute Mehrheit errang und die CDU bei 21,9%
aufschlug.
Vorgestern jedoch
schafften es die Sozis in Hamburg es gerade noch mit viel Glück eine Hauch
stärker als die CDU abzuschneiden.
Die SPD erreichte 286.050 Stimmen
(= 32,4%), die CDU landete bei 283.453 Kreuzen (=32,2%).
Wie es zu diesem sehr
guten CDU-Ergebnis in der roten Hochburg Hmaburg kommen konnte, erklärt ein
Blick auf die Wahlbeteiligung in den verschiedenen Stadtteilen.
Es ist wenig erstaunlich,
daß die CDU umso besser abschnitt, je wohlhabender der Stadtteil ist. Darüber
hinaus korrelieren die besten CDU-Gegenden aber auch noch mit den höchsten
Wahlbeteiligungen.
Die Profiteure der
Schwarzgelben von unten nach oben Umverteilungspolitik gingen also in Scharen
zur Wahl, während die Benachteiligten eher zu Hause blieben, statt die
Kanzlerin abzuwählen.
So hat die CDU natürlich
leichtes Spiel.
Blicken wir auf die Ergebnisse der ärmsten Stadtteile Hamburgs
mit großen sozialen Problemen [Wahlbeteiligung,
Ergebnis CDU, Ergebnis SPD]
Rothenburgsort
53,3
23,9 37.7
Billstedt 55,7 28,7 41,5
Billbrook
43,2 24,7 34,7
Wilhelmsburg
57,1
23,7 40,6
Lurup
61,6
27,4 41,0
Dulsberg
59,8 23,3 36,0
Steilshoop
59,7
23,9 43,3
Lohbrügge
62,5
32,7 38,2
Neuallermöhe
55,7
31,7 35,0
Harburg
54,2
23,6 35,8
Wilstorf
64,3
27,6 40,6
Der Vergleich mit den
Zahlen aus den teuersten Stadtteilen ist aufschlußreich. Natürlich schneidet
die CDU dort besser ab. Aber da dort auch die Wahlbeteiligung viel höher ist,
fallen die CDU-Stimmen entsprechend auch viel stärker ins Gewicht.
Blicken wir auf die Ergebnisse der reichsten Stadtteile Hamburgs
mit den Porsches und Privatschulen. [Wahlbeteiligung,
Ergebnis CDU, Ergebnis SPD]
Hafencity
83,6
40,7 19,3
Othmarschen
85,4
42,4 23,3
Nienstedten
86,9
49,5 19,0
Blankenese
85,8
46,3 20,9
Harvestehude
81,7
36,1 25,5
Wellingsbüttel
85,3
46,6 24,8
Sasel
84,9
42,3 29,8
Lemsahl
86,9
44,6 29,8
Duvenstedt
84,3
43,8 25,0
Ohlstedt
85,9
43,4 22,3
Tatenberg
84,9
53,2 26,2
Die Reichen gingen also
eindeutig viel stärker zur Wahl und die phlegmatisch-faulen Armen schenkten
ihnen den Sieg, indem sie sich gar nicht erst aufrafften ins Wahllokal zu
gehen.
So ein Glück für Frau
Merkel.
So wird das nichts mit der
direkten Demokratie.
Bei so einem „Mir-ist-alles-egal“-Urnenpöbel
haben die Scheuerles dieser Welt leichtes Spiel, um Volksentscheide zu ihren
Gunsten zu drehen.
Er habe es als angenehm empfunden, „wenn
man einmal gesehen hat, wie man sich einbringen kann – effektiver, als wenn man
nur im Freundeskreis diskutiert.“ Scheuerls Vorteil ist, dass er einflussreiche
Leute kennt. Und die Bürger wollen ja mitbestimmen, in Hamburg, in der gesamten
Republik, manchmal lässt man sie auch. Zeitgleich mit der Bundestagswahl etwa
über die Hamburger Energienetze, über die Gartenschau in Mannheim, über eine
Ortsumgehung für Waren an der Müritz und darüber, ob die Altstadt von Wunsiedel
umgebaut werden soll. Viele wollen nicht nur über Parteien und über Personen abstimmen,
sondern auch über Umgehungsstraßen, Einkaufszentren, Bahnhöfe, Windräder, Tunnel,
Schulformen, Landebahnen. [….] Wie ist sicherzustellen, dass sie nicht
Partikularinteressen, sondern dem Gemeinwohl dient? Scheuerl lächelt über
seinem Glastisch. Mit seiner Initiative „Wir wollen lernen“ hat er vor drei
Jahren die Schulreform der schwarz-grünen Hamburger Regierung, die eine
sechsjährige Grundschule vorsah, gestoppt. Scheuerl strahlt das aus, was in der
Göttinger Studie als „Selbstwirksamkeitserwartung“ bezeichnet wird. […] „Wir
haben viel von der Linken gelernt.“ „Bürgerbeteiligung“, sagt Scheuerl mit feinem
Lächeln, er zitiert eine Kollegin aus der CDU-Fraktion, „das heißt nicht, dass
notwendigerweise herauskommt, was den Grünen und Linken gefällt.“ […]
Hopfenzitz,
Jahrgang 1929, war ein deutscher Beamter, der CDU wählte, und ist nun politisch
gesehen ein anderer Mensch. Er hat die alten Formen der Bürgerbeteiligung
erlebt und die neuen auch. Er klagte im Planfeststellungsverfahren [Stuttgart 21] und
verlor. Er hat diskutiert, demonstriert, stand am schwarzen Donnerstag mit
seiner Frau vor den Wasserwerfern im Schlosspark. Hat bei der Schlichtung
seinen alten Bahnhof verteidigt, der mehr konnte als der geplante, aber es
nutzte nichts. Hat erlebt, wie die Bahn bei der Volksabstimmung die Kosten für
s 21 herunterrechnete und damit gewann. Die Schlichtung, die Volksabstimmung:
Beides sind potentiell demokratische Instrumente, wenn Waffengleichheit
besteht. aber Waffengleichheit kann es nicht geben, wenn eine Seite die Macht
über die Fakten hat. […] Bürgerbeteiligung funktioniert nicht als Befriedung,
das ist die Botschaft von Stuttgart, wenn die beteiligten Bürger den Eindruck
gewinnen, dass man sie hintergeht, dass man ihnen Fakten vorenthält, dass man
sie gar belügt. Dann schafft Bürgerbeteiligung gerade das Gegenteil von dem,
was sie schaffen soll: Misstrauen gegen diesen Staat.
(Spiegel-Essay
Barbara Supp 39/13)