Freitag, 30. Dezember 2022

Mehr Elend macht vorheriges Elend nicht weniger elend.  

Eine der moralisch verwerflichsten politischen stunts ist es, Minderheiten gegeneinander auszuspielen. Hartz-Empfängern zu suggerieren, Migranten nähmen ihnen etwas weg. Oder POS einzureden, Queere bekämen zu viel  Diskriminierungsschutz, während man Juden auf Quoten für Afroamerikaner hinweist. 

Ein Rentner in Altersarmut oder ein chronisch Kranker auf Grundsicherung, der sich vergeblich um eine barrierefreie Sozialwohnung bemüht, sind schnell gegen Ukrainer aufgehetzt, wenn sie „vom Amt“ hören, alle freien Wohnungen gingen an Flüchtlinge.

Damit ist der Groll in die gewünschte Ecke gedrängt und die eigentlich Schuldigen sind vergessen: ZB raffgierige börsennotierte Wohnungskonzerne oder der sträflich untätige CSU-Bundesbauminister Seehofer.

„Die Politik“ muss sich um alle Bedürftigen kümmern und soll keine Sozial-Triage anstellen: Afghanische Flüchtlinge werden abgeschoben, weil die Ukrainer jetzt dringender sind.

Deutschland ist nicht nur ein reiches Land, welches moralisch verpflichtet ist, Menschen zu helfen, die vor Hungertod, Krieg oder Folter fliehen, sondern vielfach ist Deutschland auch unmittelbarer Mitverursacher des Elends in anderen Teilen der Welt. Wir exportieren Waffen in die Krisengebiete, waren 20 Jahre in Afghanistan stationiert, statten Terrorregime mit Überwachungstechnik aus, treiben durch Austeritätspolitik andere in Armut, fischen die Meere vor Afrikas Küste leer, heizen mit unseren Emissionen den Klimawandel an, manipulieren die Lebensmittelweltmarktpreise oder werfen hochsubventioniertes Hühnerklein und Dosentomaten auf den afrikanischen Markt, um dort die Bauern zu ruinieren.

Europäer haben die willkürlichen und konfliktträchtigen Grenzen in Nahost und Afrika gezogen und die dortigen Gesellschaften durch Jahrhunderte des Menschenraubs (Sklavenhandel) und Kolonialismus ausgebeutet.

Wir sind mindestens mitschuldig, verschärfen laufend die Fluchtursachen. Wir müssen Migranten davor bewahren, elendig auf der Flucht zu verrecken.

Erst dann kommt ON TOP, daß wir händeringend auf Zuwanderung angewiesen sind und den Menschen, die überhaupt nach Deutschland kommen wollen, den Roten Teppich ausrollen sollten.

Es ist sehr billig, die grünen Ampelminister höhnisch der Lüge zu bezichtigen, weil sie nun Atomkraftwerklaufzeitverlängerungen abnicken, für den Export schwerer Waffen kämpfen, Kohlkraftwerke anschalten und in zutiefst antidemokratischen misogynen, homophoben Golfmonarchien katzbuckeln, um CO2-erzeugende fossile Energieträger einzukaufen. Denn, auch wenn es einigen nicht gefällt; es gab wirklich eine „Zeitenwende“ und die Grünen sind glücklicherweise intelligent genug, ob der völlig veränderten Rahmenbedingungen, nicht tumb an den alten Rezepten festzuhalten.

So viel Doofheit ist FDP, die im Gegensatz zu den Grünen rein ideologisch-borniert agiert (kein Tempolimit! Straßenausbau! Tankrabatt!) und eben nicht bei veränderten Bedingungen dazulernt.

Die realpolitischen flexiblen Grünen sind sogar bis in die Basis-Ebene anpassungsfähig und nicken ohne Gegenwehr die Abwicklung der Grünen Essentials ab. Etwas mehr Widerwille auf Parteitagen dürfte es schon sein.

AKW-Streckbetrieb, Katarisches Gas und Haubitzen in den Krieg, darf aber nie zu einem moralischen Anything Goes führen. Ja, die arme Annalena Baerbock muss fürchterlich viele Kröten schlucken. Aber daß ausgerechnet die Frau, die sich so sehr ihres Völkerrecht-Studiums rühmt, die abscheulichen Foltermethoden der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache, FRONTEX (frontières extérieures) widerspruchslos hinnimmt, ist erbärmlich. Die Berichte über brutale völkerrechtswidrige Pushbacks sind so alt, daß sich Baerbock, vor ihrem Amtsantritt vehement darüber beschwerte. Ja, die Bundesaußenmi,nisterin hat mit der Ukraine derzeit viel zu tun, aber ich erwarte von ihr, persönlich in der Warschauer Frontex-Zentrale aufzuschlagen, um sich gegen die Folter an Flüchtlingen zu verwahren.

[….] Die Baracke ist offenbar Teil eines Systems. Nach Erzählungen von Flüchtlingen werden sie hier teilweise tagelang eingesperrt. Ohne Essen, ohne Toilette, kaum etwas zu trinken. Dann würden sie zurück in die Türkei gebracht. Wir zeigen die Bilder dem Rechtswissenschaftler Constantin Hruschka. Für ihn ist klar, hier wird mehrfach gegen geltendes Recht verstoßen.

Constantin Hruschka, Rechtswissenschaftler, Max-Planck-Institut München:

 "Das eine ist die unmenschliche und erniedrigende Behandlung. Und das zweite ist die rechtswidrige Freiheitsentziehung. Denn ich darf die Personen ohne Verfahren nicht einfach festhalten und ihnen die Freiheit entziehen. Insbesondere dann, wenn ich die Freiheitsentziehung dazu nutze, sie rechtswidrig über die Grenze zurückzubringen."

Rechtsfreie Räume in der EU. Gemeinsam mit europäischen Medienpartnern und der Recherche-Plattform Lighthouse Reports haben wir über Monate Zeugenaussagen dazu gesammelt, Koordinaten analysiert, Videos ausgewertet. Videos wie dieses: Bulgarische Grenzpolizisten – erkennbar an der Uniform – prügeln auf Menschen ein, offenbar Flüchtlinge. Ein anderes Video soll eine Praxis zeigen, von der uns viele berichten. Flüchtlinge werden teilweise entkleidet bis auf die Unterhose, bevor sie auf die türkische Seite zurückgeschickt werden. Massive Missachtung von Menschenrechten – mitten in der EU? Bulgarien ist EU-Mitglied. Geht es nach der EU-Kommission, soll das Land bald in den Schengen-Raum aufgenommen werden. Zur Begründung heißt es von der Kommission: Bulgarien habe bewiesen, dass es die "Achtung der Grundrechte", den "Zugang zu Internationalem Schutz" und den "Grundsatz der Nichtzurückweisung" gewährleiste." Weiß die EU nichts davon, dass Menschen in Bulgarien misshandelt und eingesperrt werden wie Tiere? Kaum vorzustellen, denn auf dem Gelände der Polizeistation – in Sichtweite des Verschlags – entdecken wir Autos von Frontex, der Grenzschutzagentur der Europäischen Union. Und nicht nur das, bei unseren Recherchen können wir Dokumente einsehen, aus denen hervorgeht, dass Beamte von Frontex in dem Ort in Bulgarien fest stationiert sind  [….]

(MONITOR, 08.12.2022)

Weiß die Völkerrechtlerin nicht, daß Menschen aus Afrika, aus Nahost oder aus Afghanistan, dieselbe(n) Würde und Rechte genießen, wie die christlichen und viel weißeren Ukrainer?

Oder würde Baerbock es auch aussitzen, wenn Ukrainerinnen auf der Flucht vor Putins Bomben in polnischen oder ungarischen Folterlagern malträtiert und schließlich über Ukrainischem Gebiet wieder abgeworfen würden?