Heute durfte ich das erste Mal an einer Hamburger Bürgerschaftswahl teilnehmen und verteilte meine zehn Stimmen weise unter den Kandidaten meiner Partei.
Wir werden seit zehn Jahren rotgrün regiert und dabei wird es glücklicherweise mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch bleiben.
In der Berliner Runde brauchen die GeneralsekretärInnen gelegentlich viel Kreativität, um das eigene Ergebnis mit weit hergeholten Relationen schönzureden und die Zahlen der anderen mies zu machen. Heute bei der ZDF-Hauptstadtstudioleiterin Diana Zimmermann wäre es sehr leicht gewesen:
Die SPD hat mit fünf Prozentpunkten drastisch verloren. Die SPD hat als mit Abstand stärkste Partei drastisch gewonnen.
Die CDU gewann mit acht Prozentpunkten mehr als jede andere Partei dazu. Liegt aber immer noch nur bei 19%; also weit hinter ihrem Bundesdurchschnitt.
Die Grünen sind mit sechs Prozentpunkten weniger der Verlierer das Abends, schafften aber ein Ergebnis satte sieben Prozentpunkte über Habeck vor einer Woche und konnten klar die rotgrüne Mehrheit verteidigen.
Die Linke legte vier Prozentpunkte zu, wurde erstmals in einem westdeutschen Land zweistellig. Sie liegt aber weit hinter den Kollegen in Berlin zurück und spielt keine Rolle bei der Regierungsbildung.
Die AfD legte erneut um zwei Prozentpunkte zu, bleibt aber im Vergleich zu Bundestagswahl und insbesondere der nahe 40%-AfD bei den Ossis, im Mickerbereich der Einstelligkeit – kleinste Fraktion der Hamburger Bürgerschaft.
Schwierig wäre der Job für die FDP- und BSW-Vertreter, die jeweils auf 2% abstürzten. Aber da sie im neuen Bundestag nicht vertreten sind, durften sie auch nicht mehr ins Fernsehen.
In einem 121-Sitze-Parlament konnte die rotgrüne Regierungskoalition satte 17 Sitze abgeben und verfügt immer noch über eine stattliche absolute Mehrheit – so ungeheuerlich stark war sie vor fünf Jahren.
[….] Peter Tschentscher ist das letzte Einhorn der Sozialdemokraten, auch wenn selbst er bundesweit seine Partei wohl nicht retten könnte. Dafür ist Hamburg ein zu spezielles Biotop, aber abgucken könnte sich die SPD trotzdem einiges von seinem Regierungsstil, der Weltoffenheit mit Law-and-Order-Politik mischt. Die SPD ist in Hamburg weiterhin eine Volkspartei, die am Sonntag zwar deutliche Einbußen verzeichnete, aber immer noch 34 Prozent holt. Seit 14 Jahren regiert sie wieder den Stadtstaat, anfangs noch allein, seit 2015 mit den Grünen. Was die CSU in Bayern ist, ist die SPD in Hamburg. Tschentscher ist der Politiker, der bundesweit die höchsten SPD-Wahlerfolge einfährt. Auf ihn können sich die Menschen parteiübergreifend einigen, er erreicht Zustimmungswerte von fast 60 Prozent. Seine Wiederwahl war Formsache.
Tschentscher, ursprünglich Laborarzt, beerbte Olaf Scholz vor sieben Jahren, nachdem der als Finanzminister nach Berlin gewechselt war. Auch er gilt zwar als hanseatisch kühl, aber als weniger belehrend als Scholz. Und als lebhafter.
Tschentscher findet, dass ihm medizinisches Denken in der Politik hilft: „Untersuchen, Befund erheben, Diagnose stellen und dann erst die Therapie festlegen.“
Er ist ein Politikertyp, wie er nur im Norden funktioniert, wo man vor allem Sachlichkeit und Pragmatismus will. Umgekehrt hätte ein Darsteller wie Markus Söder in Hamburg nicht den Hauch einer Chance. [….]
Das analysiert die Frau von der fernen SÜDdeutschen Zeitung ganz richtig: Einen eitlen Hallodri wie Maggus Söder, der sich pausenlos selbst abfeiert, während er despektierlich auf Minderheiten eindrischt, mag niemand in Hamburg.
Gut also, daß Rotgrün in Hamburg bleibt. Diesmal gern mit einem roten Verkehrssenator. Ich bin sicher, die missratene Tjarks-Verkehrspolitik kostete die zehn verlorenen Prozentpunkte.
Gut auch die Ergebnisse ganz Rechts und ganz Links: FDP und BSW raus. Sieben Prozent für die AfD sind zu viel, aber verglichen zu den fast 40% bei den Ossis, kann man mal wieder stolz sein auf die Hamburger. Besonders erfreulich, daß die Linke, die Nazis weit hinter sich ließ und bei den U25-Wählern sensationelle 25% holte
Janis Ehling, der jung gebliebene 40-Jährige Bundesgeschäftsführer der Linken aus Rostock, war auch die Überraschung der Berliner Runde. Zunächst einmal mit seiner klaren Ansagen zur Ukraine: „Wir sind jetzt in der Situation, wo zwei rechte Arschlöcher; Trump und Putin; quasi sich die Ukraine aufteilen. Das ist so ein Gebaren, wie die Könige im 19. Jahrhundert, die die Welt unter sich aufteilten.“
Das gefällt mir nicht nur, weil ich 24 Stunden zuvor den gleichen Gedanken formulierte, sondern auch, weil Zimmermann ganz entsetzt reagierte: „Das ist Ihre Sprache! Nicht unsere!“
Liebe Medien, das war der perfekte Moment, um zu verstehen, wieso sich ganz junge Leute für die Linke begeistern und keine Lust haben, ZDF zu gucken.
Putin und Trump sind nun einmal „rechte Arschlöcher“, egal wie viel Lippenstift man den Schweinen aufmalt.
Ehling sagte übrigens nicht nur, daß sich Deutschland verteidigen können müsse und er klar auf Seite der Ukrainer stehe, sondern kündigte auch an, sie würden der möglichen neuen Groko sicher helfen, wenn die CDU auf sie zukäme, um gemeinsam die Schuldenbremse zu beerdigen. Das war meines Erachtens bisher noch nicht so klar und einer der Hauptgründe für die panische Eile der Merzianer, noch mit den Stimmen des alten Bundestags die Schuldenbremse zu reformieren: Im neuen Bundestag gäbe es dafür keine 2/3-Mehrheit mehr. Es gibt sie mit Grünen und Linken aber doch!
Zudem ventilierte Zimmermann Gerüchte, nach denen bei den CDUCSU-SPD-Koalitionsverhandlungen gewaltige Sondervermögen besprochen würden: 400 Milliarden Euro für Rüstung, 500 Milliarden Euro für Infrastruktur.
Verrückt, denn es ist zweifellos richtig, jetzt dafür diese gewaltigen Summen aufzuwenden, aber es war die CDU, die das bisher strikt blockierte, weil schuldenfinanzierte Giga-Konjunkturprogramme das diametrale Gegenteil der schwarzgelben Wirtschaftsvorstellungen sind. Unmittelbar nach der Wahl also die 180°-Wende der gesamten CDUCSU-Politik?
Dabei sind diese Sondervermögen in irrwitziger Höhe letztlich nur ein haushälterischer Trick – die bessere und saubere Lösung wäre tatsächlich das Ende der Schuldenbremse.
Ich sehe das noch nicht. Aber es scheint nicht mehr ganz so unmöglich, wie gestern. Sollte Merz tatsächlich einen Emissär zu Jan und Aken schicken, um dieses Manöver zu planen (und bereit sein, der Linken irgendetwas dafür zu geben), so daß die nächste Bundesregierung fähig wäre, EINE BILLION geliehene Euro zu investieren, gäbe es tatsächlich wieder etwas Hoffnung für die Zukunft der EU. Ein Treppenwitz, wenn ausgerechnet Merz diesen Megaschuldenberg aufschichtete.
Ferner war auffällig, daß Miersch, Linnemann und sogar der bajuwarisch-enddebile Huber, extrem freundlich miteinander umgingen, sich keine Häme leisteten und nichts aus den Koalitionsverhandlungen leakten. Es scheint so, als hätten die vier Parteichefs strikte Maulkörbe verhängt. Gut so.