Dienstag, 21. Oktober 2025

Gern gespalten

Johannes Rau war ein großer und unterschätzter Bundespräsident. Sein bekanntes Motto lautete „Versöhnen statt Spalten“ und fehlt heute mehr denn je.

Gilda Sahebis aktuelles Buch heißt „Verbinden, statt spalten.“

[…] Eine Antwort auf die Politik der Polarisierung

Warum uns mehr eint als trennt: In ihrem neuen, hochaktuellen Buch zur Politik der Spaltung und Polarisierung hierzulande räumt die renommierte Journalistin und Autorin Gilda Sahebi mit gängigen Mythen und Fake Facts auf. Wer heute in die deutsche Gesellschaft schaut, könnte denken: Es ist ein Land voller Drama, Gegeneinander und Spaltung. Dass dies so sei, ist eine Erzählung, die politisch generiert und medial verstärkt wird. Gilda Sahebi entlarvt sie als Lüge, als Herrschaftsinstrument autoritärer Kräfte. Das zeigt sie an den einschlägigen Debatten um Sozialleistungen, Migration, Gendern und Wokeness, Krieg und Frieden sowie Corona. Studien zeigen immer wieder: Im eigenen Leben sind Menschen viel öfter zufrieden; sie helfen und unterstützen einander, suchen Verbindung, nicht Hass. Wo geht die Suche nach Verbindung auf der gesellschaftlichen Ebene verloren? Und was kann man tun, um der Erzählung von Spaltung keinen Raum im eigenen Leben zu geben?  [….]

(S. Fischer Verlag)

„Versöhnen“ und „Verbinden“ gehören zum klassischen positiven Konnotationskanon der SPD und ihr nahestehenden Gruppen: Solidarität. Mitgefühl. Gemeinschaft. Zusammen. Soziale Verantwortung. Miteinander. Frieden. Ausgleich.

Das kommt an und daher gelten gemeinschaftliche Großereignisse, wie das Fußball-WM-„Sommermärchen“, Vatertag, Schützenfest, Gottesdienst, ESC, Hafengeburtstag als anzustrebende Idealzustände, in denen das Volk vereint steht.

Lange Zeit eingeübte Demokratiepraxis in den USA und anderen großen Demokratien war es, am Ende das Wahlabends, die harten Auseinandersetzungen des Wahlkampfes zu begraben. Der/die Gewinnerin erklärte feierlich, er/sie werde nun der Ministerpräsident, Kanzler, Präsident aller Franzosen, Deutschen, Amerikaner sein. Auch für all die einstehen, „die mich nicht gewählt haben“.

Von diesem konsensualen Habitus verabschieden sich die Demokratien des Socialmedia-Zeitalters aber zunehmend.

Donald Trump verbreitet offensiv, wie sehr er die eine Hälfte seines eigenen Volkes hasst, lässt das Militär gegen die eigenen Städte aufmarschieren, überschüttet sieben Millionen protestierenden US-Amerikaner per AI mit Scheiße.


Es ist ein nur zu folgerichtiger politischer Kommentar des US-Präsidenten, da seine Partei seit Obamas Tagen intensiv daran arbeitet, das eigene Volk in zwei sich gegenseitig verachtenden Blöcke aufzuspalten. Das gelang mustergültig. Die eine Hälfte der US-Amerikaner spricht nicht mehr mit der anderen. Man lebt in unterschiedlichen Medienwelten und Realitäten.

Erdogan, Orban und auch Merz wenden diese Methodik ebenfalls an, da sich die politischen Kerngefühle der Konservativen - Homophobie, Nationalismus, Misogynie, Xenophobie, Rassismus, Ableismus, Antiziganismus, Antisemitismus – viel leichter verbreiten lassen, weil sie mehr Emotionen auslösen, keine durchgerechneten Konzeptionen verlangen und bevorzugt von den Socialmedia-Algorithmen verbreitet werden.

Es ist leichter, Hass gegen eine Bevölkerungsgruppe anzustacheln, als zur Versöhnung mit ihr zu bewegen.

Ausgrenzung ist leichter, als Integration.

Mit diesem spalterischen Politikansatz gelangt man an die Macht, weil sich Mehrheiten leichter von den lauten und brutalen Tönen anziehen lassen, als von Nachdenklichen und Versöhnlichen.

Der spalterische Politikansatz bringt zwar einen Merz ins Kanzleramt und einen Trump ins Weiße Haus, ist aber brandgefährlich für die von ihnen marginalisierten Minderheiten, die zunehmend Gewalt erfahren.

Der spalterische Politikansatz bringt zwar einen Merz ins Kanzleramt, schadet aber dem Land und der nationalen Wirtschaft insgesamt und wird daher von der linken Seite attackiert.

[…..] Diese Rhetorik spaltet […..] Der Kanzler wiederholt nach der CDU-Präsidiumssitzung seine Äußerungen zum Stadtbild. Dem von ihm beschworenen Deutschland der Einheit nützt das gar nichts. […..] In der Debatte um den richtigen Umgang mit der in Teilen rechtsradikalen AfD gilt eine Erkenntnis schon lange als gesichert: dass es den sogenannten Parteien der Mitte nicht hilft, die AfD in ihrer Rhetorik und in ihren Themen kopieren zu wollen. Auch Friedrich Merz dürfte das wissen. […..]

Trotzdem hat Merz beim selben Auftritt noch einmal nachgetreten, hat seine missglückte Aussage aus der vergangenen Woche, in der er das Stadtbild in Deutschland bemängelte, dem man die neue, rigide Migrationspolitik leider noch nicht ansehe, nicht nur wiederholt; er hat sie bockig verstärkt. […..] Einheit statt Spaltung, fordert der Kanzler. Und sollte bei seiner eigenen Rhetorik beginnen. [….]

(Katharina Riehl, 20.10.2025)

„Spaltung“ wirkt so unsympathisch, daß Rechte umgekehrt auch den Linken vorwerfen, zu spalten.

Natürlich lügt Söder, wie auch Merz lügt, aber die Lüge ist ein gebräuchliches Mittel der Spalter. Die geht ihnen nur allzu leicht über die Lippen.

Spaltung geschieht inzwischen von beiden Seiten. Zugegeben, auch ich verspüre keinerlei Neigung mehr, den AfDlern, CDUlern, GOPern meine Hand zu reichen. Dazu verachte ich sie inzwischen zu sehr.

Bedienen sich als Linke und Rechte der gleichen Methoden?
Nein! Es gibt völlig andere Stoßrichtungen.

So wie Linksextremismus sich gegen die Starken und Unterdrücker wendet, während der Rechtsextremismus die Schwächsten attackiert, gibt es auch unter den normalen Wählern von AfD/FDP/CDU/CSU einerseits und SPD/Grüne/Linke andererseits, eine grundsätzlich andere Motivationen.

Die Rechten sind destruktiv; wir Linken sind konstruktiv.


Die Schweizer Professoren Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey arbeiten das in ihrem aktuelles Buch „Zerstörungslust“, für das sie mit dem Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet wurden, glasklar heraus.

[…..] Zerstörungslust

Elemente des demokratischen Faschismus

Donald Trump versprach vor seiner erneuten Wahl, die liberale Demokratie aus den Angeln zu heben. Er wurde nicht trotz, sondern wegen dieses Versprechens gewählt. In ihrem Bestseller Gekränkte Freiheit zeigten Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey, wie Libertarismus und Autoritarismus miteinander verschmelzen könnten. Zwei Jahre später hat die Realität ihre soziologische Diagnose auf bedrückende Weise bestätigt. Nun befassen die Soziolog:innen sich mit den Wähler:innen und Followern von Trump, Musk sowie der AfD.

Woher diese Lust an der Zerstörung? Und warum folgen so viele Bürger:innen den libertären Autoritären in den selbstgewählten Faschismus? Auf der Grundlage umfangreicher empirischer Forschungen, darunter einer Vielzahl ausführlicher Interviews, u. a. mit AfD-Anhängern und Mitgliedern libertärer Vereinigungen, entwickeln Amlinger und Nachtwey eine Erklärung: Im Kern richtet sich diese Revolte gegen die Blockade liberaler Gesellschaften, die ihre Versprechen auf Aufstieg und Emanzipation nicht mehr einlösen. In diesem Sinne geht es Trump, Musk, Weidel und ihren Anhänger:innen, schließen die beiden mit Erich Fromm, um die Zerstörung der Welt als letzten, verzweifelten Versuch, sich davor zu retten, von ihr zermalmt zu werden.  [….]

(Suhrkamp, Insel)

Linke sind eben nicht nur die Kehrseite der rechten Medaille, die mit ähnlichen Methoden ihre jeweiligen Ziele erreichen wollen.

Rechte sind ganz anders, als wir.

[….] SZ: Frau Amlinger, Herr Nachtwey, Ihr neues Buch trägt den Titel „Zerstörungslust“. Sie behaupten, das sei ein wenig beachteter Grund für den Aufstieg rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien. Warum?

Oliver Nachtwey: Unsere Beobachtung ist, dass viele der Anhängerinnen und Anhänger von Donald Trump und der AfD die Institutionen des liberalen Rechtsstaates nicht verändern oder schwächen, sondern beseitigen, also zerstören wollen. Und dies oft mit unverhohlener Lust.

Carolin Amlinger: Es geht uns nicht darum, eine komplett neue Erklärung für den Aufstieg rechter Parteien zu formulieren. Wir haben uns aber gefragt, woher diese Lust kommt, demokratische Institutionen anzugreifen, deren Funktion ja auch darin besteht, die Freiräume und Selbstbestimmung derjenigen zu garantieren, die sie beseitigen wollen. Als ob man das Haus niederbrennen will, in dem man selbst wohnt.

Steckt dahinter aus Ihrer Sicht Boshaftigkeit? Oder ist es eher Verzweiflung?

Nachtwey: Das Wort Verzweiflung würde ich nicht benutzen. Viele Befragte empfinden aber ihr Leben als blockiert. Sie haben das Gefühl, dass sich in der modernen Gesellschaft viele nicht mehr an die überlieferten Spielregeln halten, sie selbst vor lauter Regeln aber keinen Zug mehr machen können. Das erzeugt eine Destruktivität, vergleichbar mit der Wut, mit der jemand nach einem verlorenen Spiel die Figuren vom Tisch schlägt. Dahinter steckt weniger Verzweiflung als vielmehr der Wille, sich aus einer Art sozialen Klaustrophobie zu befreien. Die Personen kommen aus ganz unterschiedlichen sozialen Schichten, aber was sie verbindet, ist das Gefühl der persönlichen und gesellschaftlichen Blockade. Sie fühlen sich sowohl von Liberalen und deren Normen wie auch von Migrantinnen und Migranten geradezu umzingelt.

Amlinger: „Es hat sich alles verschlechtert“, war der Satz, den wir in unseren Interviews am häufigsten hörten. Viele Befragten haben das Vertrauen verloren, ihre sozioökonomische Position durch eigene Leistung verbessern zu können. Stattdessen fühlen sie sich gefangen in einer Gesellschaft, in der Lebens- und Zukunftschancen insbesondere in den unteren sozialen Klassen schwinden. Das stellten wir auch bei Personen fest, die in Wirklichkeit gar nicht vom sozialen Abstieg betroffen waren.

Gewalttätige Demonstrationen, Parolen wie „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ [….] beweisen, dass es das Phänomen der Zerstörungslust auch bei der Linken gibt.

Nachtwey: Absolut. Die anarchistische Zerstörungswut der Linken richtete sich allerdings gegen überlieferte Hierarchien. Die Rechte nimmt eher liberale und egalisierende Normen ins Visier. Dazu kommt ein aus meiner Sicht sadistischer Zug dazu, Schwächere zu demütigen und zu quälen.

Wirklich?

Nachtwey: Ja, denken Sie nur daran, wie die US-Einwanderungspolizei mit Migrantinnen und Migranten umgeht oder mit welch boshafter Freude Trump über das Abschiebegefängnis namens „Alligator Alcatraz“ in den Sümpfen Floridas frohlockt. Das Gefährliche an der rechten Zerstörungslust besteht darin, dass sie auch Teile der bürgerlichen Gesellschaft erfasst. In unseren Interviews haben auch ganz normale, bürgerliche und aufstiegsorientierte Menschen solche Tendenzen gezeigt. [….]

(SZ Interview, 13.10.2025)

Amlinger und Nachtwey sprechen indirekt auch ein Problem an, das ich mit all den wohlgesonnen liberalen Kommentatoren und mahnenden Menschenfreunden habe.

[….]  Die andere Mauer, an der Merz wackelt, ist eine rhetorische. Am Montag bekräftigte er seine Aussagen zum „Problem im Stadtbild“, dem seine Regierung nun mit Abschiebungen begegne. Statt die Debatte einzufangen, hat der Kanzler sich entschieden, weiter zu raunen. Man solle die eigenen Töchter fragen, sagte er: „Alle bestätigen, dass das ein Problem ist, spätestens mit Einbruch der Dunkelheit“. Was „das“ ist, sagt Merz nicht. Über die AfD sagte der Kanzler, sie wolle „spalten und ist nicht an Lösungen interessiert“. Aber der Kanzler spaltet mit.

Merz will dem Eindruck entgegentreten, dass die Union ihre Politik mit der AfD längst besser durchsetzen könnte. Doch dafür müsste Merz einen Weg finden, konservative Positionen zu äußern, ohne dabei das gesellschaftlichem Klima mit rechtem Geraune zu vergiften.  [….]

(Kersten Augustin, 20.10.2025)

Das in hässlicher Regelmäßigkeit aufpoppende abscheuliche rechtsradikale Geraune des Fritzekanzlers, stößt mich ab. Es fällt aber auf so viel fruchtbaren Boden, daß Millionen Deutschen unheilbar damit infiziert sind.

Sie sind fest in ihren kackbraunen Bubbles eingegraben; unerreichbar für Argumente, Richtigstellungen und Quellen.

Sie sind aggressiv und böse.

[….] Amlinger: Wir haben versucht, die individuellen Beweggründe dieser Menschen nachzuvollziehen. Gleichzeitig wollten wir auch sagen: Hier handelt es sich um ein gefährliches soziales Phänomen, das nicht nur einzelne Individuen betrifft, sondern seinen Ursprung in der Gesellschaft hat, die ihre eigenen Versprechen nicht mehr hält.

Sind die Interviewten für Sie alles Faschisten?

Amlinger: Nein, viele der Befragten sind aber auf dem Weg dorthin. Sie haben Einstellungen, die über das gemäßigte rechtskonservative Spektrum hinausgehen, beispielsweise was Rassismus, Antisemitismus oder die Befürwortung von Gewalt zur Lösung politischer Probleme betrifft. Wir sagen keinesfalls, diese Personen seien nicht mehr zurückzuholen. Aber sie sind offensichtlich in eine gefährliche Drift geraten.  [….]

(SZ Interview, 13.10.2025)

Ich will mit diesen Typen nicht versöhnt werden, Herr Rau.

Ich will mit den AfDCSUlern nicht verbunden werden, Frau Sahebi.

Es war sicher falsch, es so weit kommen zu lassen, aber die Millionen faschistischen Kinder sind im Brunnen. Von denen bin ich sehr gern abgespalten und hege keinerlei Wunsch, mit ihnen zu fraternisieren.

Spaltung zwischen mir und den 40% AfD-Wählern in Sachsen-Anhalt?  Zwischen mir und einem Markus-Söder-Bierzelt voller anti-grün skandierender CSUler? Zwischen mir und „Ausländer raus“-grölenden Sylter Luxusjugendlichen mit Rolex und Porsche?

Ja, BITTE! Da gibt es keine Gemeinsamkeiten.