Wenn man sich ausgerechnet kurz vor der Landtagswahl so
richtig tief ins Braune geritten hat, hilft nur noch ein öffentliches Mea
Culpa. Gibt man sich ordentlich zerknirscht, kann man darauf hoffen, daß die
ehrliche Reue positiv angenommen wird.
In den USA funktioniert das wunderbar bei all den extrem
homophoben religiösen Eiferern unter den GOP-Senatoren und TV-Predigern wie Ted Heggard,
nachdem sie mit Koks und Strichjungen erwischt wurden:
Man tritt heulend mit der Ehefrau im Arm vor ein Pult mit
Mikrofonen, erzählt ausführlich davon wie viel man gebetet habe und daß Gott
ihnen verziehen habe.
Christian Lindner war nicht koksend mit einem Mann im Bett.
Das wäre in Deutschland auch relativ unproblematisch, zumal sich Lindner nie
homophob äußerte. Und mal ein paar Drogen zu nehmen, kann man durchaus
politisch überleben, wie Michel Friedmann und Volker Beck beweisen.
Nein, Christian Lindner tat etwas gewaltig viel Schlimmeres!
Trotz eindringlicher Warnungen Tage vorher, gab er
letztendlich das Go für den Pakt der Thüringer FDP mit dem Nazi Bernd Höcke.
Lindner war mitschuldig an dem Bild, das am nächsten Tag auf
fast allen Titelbildern war: FDP-Ministerpräsident Kemmerich reicht AfD-Höcke
die Hand.
Spätestens da hätte Lindner zurücktreten müssen.
Aber er machte es laufend schlimmer. Während selbst die
konservativen Politiker Merkel, Söder, Ziemiak und AKK sofort begriffen welche
Katastrophe angerichtet wurde, den Rücktritt Kemmerichs und Neuwahlen
verlangten, eierte Linder vor der Presse rum, forderte SPD und Grüne auf mit AFDP-Ministerpräsident
Kemmerich zusammen zu arbeiten.
Ein hochgradig hanebüchenes Ansinnen: Sollte nun Rotgrün die
Nazi-Kooperation der 5%-FDP absichern?
Es ging aber weiter, noch Tage später, als schon Dutzende
Sondersendungen ausgestrahlt, hunderte empörte Leitartikel erschienen und
bundesweite Demonstrationen gegen die FDP stattgefunden hatten,
verschlimmbesserte der Parteichef die Situation erneut, indem er die Katastrophen-Metapher
von „Kemmerichs Übermannung“ als Erklärung
heranzog.
[….] Im ersten Moment klang es fast, als würde Christian Lindner sein altes
Konzept gefühlsbetonter Männlichkeit wieder herausholen, wie damals im
Wahlkampf lässig mit T-Shirt und Dreitagebart auf dem Sofa. Thomas Kemmerich
sei halt einfach "übermannt" gewesen von der Situation, erklärte der
FDP-Chef, als Marietta Slomka ihn im "heute journal" am Abend nach
der vergurkten Ministerpräsidentenwahl interviewte: [….] Wie verzweifelt die FDP sein muss, wird
klar, wenn ihr als Lösung nur einfällt, die Legende von der eigenen
Hilflosigkeit zu spinnen - nach über 24 Stunden Nachdenken: letzte Ausfahrt
Ohnmacht. Und sich dann bezeichnenderweise ausgerechnet einen Begriff dafür
aussucht, der diese These ad absurdum führt.
Denn "Übermannung" ist ein Terminus vom Schlachtfeld, erklärt
schon Grimms Wörterbuch: Wenn die Mannstärke der Feinde das eigene Heer
überrennt. Der einzige Moment aller Weltgeschichten, in dem es Männern als
positiv ausgelegt wird, zu unterliegen. Außerdem, so Lindner in dem
Slomka-Gespräch, habe die AfD "handstreichartig" für Kemmerich
gestimmt – noch so ein Kriegsheldenmoment des Überrumpeltwerdens.
Schaut, will dieses Narrativ uns vormachen, ich bin wehrlos,
ausgeliefert. Meinen Emotionen (Siegesdurst, Herrschsucht, Machttrunkenheit).
Und den "anderen", sie haben mich überwältigt, mich gegen meinen
Willen genommen. Die Horden der CDU und AfD gegen uns, die fünf Sitze starke
FDP. Schaut, mein einziger Schutz ist ein wackeliger Backshop-Stehtisch für
meine Pressekonferenz. Dass schon die Grimms notieren, "übermannen"
stehe "euphemistisch" auch für Vergewaltigung, dreht diese Opferinszenierung
ins Ekelhafte.
Es ist übrigens die gleiche FDP, für die Thomas Kemmerich mit seinem
Glatze-und-Stiefel-Wahlkampf in Beton gegossene Männlichkeitsbilder
inszenierte: der Bruce-Willis-Gladiator, der Versuch der ironischen Brechung
mit dem militaristischen Nazi-Klischee. [….]
Das anhaltende Christian-Lindner-Debakel war eine einzige
Variation des Projektes „Postenrettung“.
Kaum jemals klebte jemand so an seinem Stuhl wie der
FDP-Chef.
Das wird umso frappierender, als inzwischen eine ganze Reihe
weniger Schuldiger ihre Karriere beendeten.
Hirte, Kemmerich, Kramp-Karrenbauer, Kardinal Marx und jetzt
Mohring – alle weg.
[….] Politische Ämter verlangen denen, die sie ausüben, viel ab. Ein
Amtsverzicht ist ein Akt der Demut. Aber er dient nur dann wirklich der
demokratischen Kultur, wenn er nachvollziehbare Gründe liefert, wenn er dem Amt
hilft und nicht bloß dem Ego. Um so viel verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen,
braucht Politik mehr Ehrlichkeit und eine Fehlerkultur, die es zulässt, über
Scheitern offen zu reden. Theresa May hatte die Größe, bei ihrem Rücktritt
einzugestehen, dass sie "nicht fähig" gewesen sei, den Brexit zu
liefern. [….]
Aber Lindner ist noch nicht mal bereit mit falschen Gründen
zurückzutreten, geschweige denn aus den Richtigen.
Er klebt am Amt und tut nun zur Schadensbegrenzung das
einzige, das wirklich nichts kostet und keinerlei Konsequenzen für ihn
bedeutet:
Eine Entschuldigung vor dem Bundestag, als ob nichts gewesen wäre.
Eine Entschuldigung vor dem Bundestag, als ob nichts gewesen wäre.
Seine Lieblingsstellvertretern Katja Suding, im Nebenberuf
Hamburger FDP-Chefin und Bürgerschaftsabgeordnete, die zusammen mit ihrer
Partei in der vergangenen Legislaturperiode 49 mal gemeinsam mit der AfD
stimmte und sich 44 mal zu AfD-Anträgen enthielt, machte diesen erbärmlich konsequenzlosen
Schritt nach, aber immerhin wortreich.
[….] „Wir haben damals als FDP den Versuch unternommen, die AfD als eine
Partei, die im Parteienspektrum gewählt wurde, wahrzunehmen und zu gucken, was
sind die Inhalte – genauso wie wir es mit den Linken machen, mit jeder anderen
Partei. Rückblickend muss man sagen, nach dem, was wir jetzt auch sehen, was
die AfD macht, wie sie die Demokratie nicht nur aushöhlen will, sondern
zerstören will – würde ich nie, nie wieder machen!" [….]
Mama, ich will es auch nie, nie, nie wieder tun – willkommen
in der FDP-Kindergartenversion von Landespolitik.
Selbst dieses Niveau unterbot Christian Lindner aber noch
locker.
Zunächst betonte er, persönlich gar nicht wirklich
verantwortlich zu sein.
[….] „Ja – aber wie gesagt: Ich bin nicht Mitglied des Thüringer Landtags.
Ich kann nur mit der Krise umgehen wie wir alle. Ich kann mich nur namens der
FDP insgesamt entschuldigen.“ [….]
Hier lügt Lindner gleich mehrfach. Natürlich ist er als
FDP-Bundeschef politisch verantwortlich und er ist auch persönlich
verantwortlich, weil er von AKK vorgewarnt war und seit Monaten Briefe der AfD
öffentlich vorlagen, die genau diese Taktik ankündigten.
Insbesondere ist es aber gelogen, daß er nur die Entschuldigung
aussprechen kann; er könnte schließlich auch endlich zurücktreten.
Lindner erreichte aber erstaunlicherweise eine weitere
Verschlimmbesserung am Bundestagsrednerpult.
[…..] "Dafür
entschuldige ich mich namens der Freien Demokraten." [….]
Morallehre für Grundschüler: Man kann sich niemals SELBST
entschuldigen, sondern immer nur um Entschuldigung bitten. Es obliegt dem
Geschädigten die Entschuldigung zu gewähren oder nicht.
Bei dieser erbärmlichen Formulierung ohne das persönliche
Schuldeingeständnis, ohne persönliche Reue, mit dem vagen Hinweis „namens der
FDP“, gewähre ich ihm jedenfalls keine Entschuldigung.