Samstag, 31. Mai 2014

One Man, Some Vote



Letzten Sonntag gingen Heinz-Jürgen und Sigrun Müller in Molfsee (Schleswig Holstein) in ihr Wahllokal und wollten an der Europawahl teilnehmen.
Obwohl sie ihre Wahlbenachrichtigungskarte dabei hatten, klappte es nicht. Ihre Namen waren in der Wahlliste schon abgehakt. Jemand anderes hatte offenbar schon für sie gewählt. Ihnen blieb nichts anderes übrig als unverrichteter Dinge nach Hause zu gehen. Sie durften nicht wählen.
Bürgermeister Roman Hoppe nahm es locker. Der Name „Müller“ sei nun einmal so häufig; da könnten sich mal Fehler einschleichen.
Giovanni di Lorenzo wählte dafür gleich zweimal. Auch das war illegal, aber woher sollte er das wissen? Der Mann ist schön. Das reicht doch. Er muß sich nicht auch noch mit Politik auskennen.
Ich spekuliere an dieser Stelle, daß der Fall Müller aus Molfsee nicht der einzige Wahlbetrug war in Europa war. Ob wohl jeder Roma in Ungarn ungehindert im Wahllokal seine Stimme abgeben konnte? Lief wirklich alles glatt in der Slowakei und auf Zypern?
Die Unregelmäßigkeiten in Deutschland fallen allerdings weniger ins Gewicht, weil es kaum irgendwo so viele Stimmen für einen EU-Parlamentssitz bedarf wie bei Merkel.
Europa wählt nämlich mit degressiver Proportionalität. Je mehr Einwohner ein Land hat, desto weniger zählt die Wahlstimme eines einzelnen Wahlberechtigten.
Das Prinzip wird immer dann verwendet, wenn sehr unterschiedlich große Einheiten verbunden werden. Wir kennen das aus dem deutschen Bundesrat, in dem die Sitze ebenfalls degressiv proportional zur Einwohnerzahl der Bundesländer vergeben werden. Das Bundesland Bremen hat beispielsweise 656.000 Einwohner und bekommt dafür drei Bundestagssitze. Es erhält also einen Sitz auf rund 220.000 Einwohner.
Nach diesem Schlüssel erhielte das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfahlen mit seinen 17,5 Millionen Einwohnern satte 80 Sitze! Niedersachsen könnte noch 36 Vertreter in den Bundesrat entsenden, wenn jeder Einwohner Deutschlands das gleiche Stimmengewicht hätte.
Tatsächlich haben NRW und NdS aber nur je sechs Sitze.
In Nordrhein-Westfalen braucht man aber fast drei Millionen Menschen für einen Bundesratssitz.
Das heißt also, daß die vier Städte Köln (1 Mio Einwohner), Düsseldorf (600.000), Dortmund (570.000) und Essen (560.000) zusammen gerade mal einen Sitz bekommen, während Bremen allein mit 650.000 Einwohnern gleich drei Sitze innehat. Ein Bremer ist demokratisch betrachtet 13 mal so viel wert wie ein Kölner.

Das Prinzip gilt auch in der EU. Nach dem Vertrag von Lissabon (2007) wurden die Sitze sogar noch etwas unproportionaler als nach dem vorherigen System (Vertrag von Nizza 2000) verteilt.
Deutschland verlor drei Sitze, während das winzige Malta einen Abgeordneten gewann.
Das höchste Stimmengewicht hat ein Wähler in Malta. Es braucht nur 68.000 von ihnen für einen Sitz im EU-Parlament.
84.000 Luxemburger, 133.000 Zyprioten und 250.000 Letten repräsentieren jeweils einen Sitz im Brüssel.
Ein Franzose, Spanier, Italiener, Brite oder ein Deutscher hat relativ gesehen nur ein Zehntel des Stimmrechtes.
Es braucht jeweils deutlich über 800.000 Einwohner pro EU-Sitz. Das ungünstigste Verhältnis hat dabei nicht etwa das bevölkerungsreichstes Land Deutschland (852.083 Stimmen pro Sitz) sondern Frankreich mit sogar 874.514 Stimmen. Aber auch ein Spanier ist noch weniger wert als ein Deutscher.

Das Prinzip der degressiven Proportionalität führt also zu extremen Verzerrungen der Grundregel „One man, one vote“.
Rechtfertigen läßt es sich allerdings mit der Rücksicht auf die historisch entstandenen Nationen. Malta oder Luxemburg würden bei proportionaler Stimmenverteilung völlig untergehen, da sie jeweils nur ein Promille der EU-Bürger stellen.

EU-Wahlen sind aber auch auf nationaler Ebene keineswegs gleich.
Unser deutsches Wahlrecht und Auszählungssystem führt zu weiteren extremen Verzerrungen.
Martin Sonneborn bekam mit seiner PARTEI 184.525 Stimmen und damit genau einen Sitz in Brüssel. Damit sind die Satirepartei-Wähler die potentesten ganz Deutschlands!
Obwohl die Piraten mehr als doppelt so viele Stimmen bekamen, nämlich 424.510 Stimmen, erhalten sie ebenfalls nur einen Sitz. Wären ihre Wähler genauso viel wert wie Sonneborns Epigonen, könnten 2,3 Piraten in Brüssel sitzen.
Schuld ist das Auszählungssystem.
Während CDU und SPD jeweils rund 300.000 Wähler pro EU-Sitz stellen, gibt es bei ÖDP, freien Wählern und Piraten grobe Verzerrungen. Es liegt am mathematischen Mandatszuteilungsverfahren.
Steinmeier ist schon schwer genervt.

 „Hände weg von deutschen Titten! Nein zur EU-Norm-Brust“, stand auf Wahlplakaten von Ex-Titanic-Chefredakteur Martin Sonneborn und seinen Mitstreitern. Kaum war Sonneborn gewählt, verkündete er, sein Mandat bereits in einem Monat wieder niederlegen zu wollen. Frank-Walter Steinmeier regt das auf. „Parteien, die sich am Tag nach der Wahl einen Spaß daraus machen, sich publikumswirksam zurückziehen, leisten keinen Beitrag zur Demokratie, eher das Gegenteil“, sagt er am Freitag der FAZ. […] Die Freien Wähler benötigten knapp 429000Stimmen je Mandat, die größeren Parteien um die 300000. Sonneborn kam aber ins Europaparlament, obwohl seine Partei nur 184525 Stimmen erhielt. [….]   Bei den ersten beiden Europawahlen wurde das Verfahren von Victor d’Hondt eingesetzt, später das von Thomas Hare und Horst Niemeyer. Seit der Wahl 2009 wird das Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren verwendet. Das hat sich eigentlich bewährt, der Wegfall der Sperrklausel hat jetzt aber eine Schwäche offenbart, von der Sonneborn profitiert. Das ist auch deshalb delikat, weil das Bundesverfassungsgericht die Hürden gekippt hat, um die Wahlrechtsgleichheit zu verbessern. Wegen des Wegfalls der Sperrklausel kann es jetzt aber passieren, dass eine Partei mehr als doppelt so viele Stimmen wie eine andere gewonnen hat, sich aber trotzdem mit derselben Zahl an Mandaten begnügen muss. So ist es diesmal jedenfalls den Freien Wählern im Vergleich zu Sonneborn ergangen.[…]