Sonntag, 20. Juli 2014

Willkommen Tod.





Die erste Stunde unseres Lebens ist auch die erste Stunde unseres Sterbens
(Seneca 4 v. Chr. – 65 n. Chr.)


Heute habe ich endlich mal die beiden letzten DGHS-Hefte durchgelesen und wundere mich mal wieder wie außerordentlich vorsichtig da formuliert wird.

Der Bundesgesundheitsminister will ja offensichtlich alles verbieten lassen, das irgendwie mit Sterben zu tun hat. Passive, indirekte, aktive Sternehilfe, Beilhilfe zum Suizid und palliative Sedierung.

Da ich meine Meinung zum Thema, die diametral in jeder Hinsicht der CDU widerspricht, schon oft klar gesagt habe, will ich an dieser Stelle nur auf die grandiose Ingrid Matthäus-Maier verweisen, die nicht nur zum Kirchenarbeitsrecht, sondern auch zum Thema Sterbehilfe vorbildlich engagiert ist.

Wichtig erscheint mir aber, die Begriffe einmal genau zu klären.

Sterbebegleitung
Psychische, soziale und medizinische Zuwendung. Letztere besteht zunächst in der Grundpflege des Schwerstkranken und Sterbenden und greift nicht in den Sterbeprozess ein. Gegebenenfalls palliativmedizinische Maßnahmen, die der indirekten Sterbehilfe zugeordnet werden: Schmerztherapie und terminale Sedierung (Dämpfung von Funktionen des zentralen Nervensystems, künstliches Koma) (erlaubt).

Sterbehilfe
Eingreifen in den Sterbeprozess, in der Weise, dass der Tod eines Menschen herbeigeführt oder nicht hinausgezögert wird, in der Regel mit dem Einverständnis beziehungsweise gemäß dem Wunsch der betroffenen Person.

Passive Sterbehilfe
Bei Menschen, die bereits im Sterben liegen, werden lebenserhaltende oder lebensverlängernde Maßnahmen eingestellt oder unterlassen, unter Beibehaltung von Grundpflege und schmerzlindernder Behandlung. Bei Menschen, die nicht im Sterben liegen, kann das Überleben von bestimmten Medikamenten oder Behandlungen (z. B. der Dialyse) abhängig sein, die eingestellt werden. Seit dem Urteil des 3. Strafsenates des Bundesgerichtshofes vom Mai 1991 zulässig. Therapieabbruch, Abschalten von Geräten oder Unterlassen einer Therapie (erlaubt).

Indirekte Sterbehilfe
Bei Menschen, die bereits im Sterbenliegen, ist die Gabe von Schmerzmitteln erlaubt, die starke Schmerzen lindern und dadurch die momentane Lage des Patienten verbessern, aber insgesamt lebensverkürzend wirken können. Voraussetzung ist, dass der frühere Todeseintritt nicht das Ziel, sondern eine nicht vermeidbare Nebenwirkung ist (erlaubt).

Palliative Sedierung
Herstellung eines komatösen Zustandes bei schwer belastenden Symptomen wie Atemnot oder Übelkeit. Die palliative Sedierung führt nicht von sich aus zum Tod und kann auf Wunsch des Patienten unterbrochen werden. Wird sie bis zum Todeseintritt aufrechterhalten, spricht man von terminaler Sedierung. Bei dieser wird in der Regel auch auf künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr verzichtet (erlaubt).

Beihilfe zum Suizid/ärztlich assistierter Suizid
Beihilfe zum Suizid stellt nach dem Strafgesetzbuch keinen Straftatbestand dar, sofern die Tatherrschaft beim erwachsenen, entscheidungsfähigen Sterbewilligen liegt. Beim ärztlich assistierten Suizid verschreibt der Arzt das todbringende Medikament (erlaubt, aber: Garantenpflicht, Betäubungsmittelgesetz und Standesrecht als Hindernisse).

Aktive direkte Sterbehilfe
Der Tod wird beabsichtigt, um ein Leiden zu beenden, und durch ein Handeln herbeigeführt, das weder eine Therapie darstellt (wie bei der indirekten Sterbehilfe) noch den Abbruch einer Behandlung (wie bei der passiven Sterbehilfe). Im Gegensatz zum (ärztlich assistierten) Suizid, also der Selbsttötung und der Beihilfe dazu, führt hier nicht der Betroffene selbst, sondern ein anderer die tödliche Handlung aus (strafbar gemäß § 216 StGB.)

 Der Nationale Ethikrat hat 2006 vorgeschlagen, diese häufig verwendeten Begriffe (aktive, passive und indirekte Sterbehilfe) aufzugeben und durch folgende zu ersetzen:
1.
Sterbebegleitung
2.
Therapie am Lebensende
(indirekte Sterbehilfe)
3.
Sterben zulassen
(passive Sterbehilfe)
4.
Beihilfe zur Selbsttötung
5.
Tötung auf Verlangen
[….]

Wer es ganz genau wissen will, lese hier nach.

In der öffentlichen Diskussion suggerieren die fanatischen Christen nämlich ganz gerne, daß nach DGHS-Vorstellungen die Krankenhäuser zukünftig von Ärzten überflutet werden, die alle schon die Zyankalispritze aufgezogen haben und alles totspritzen, das nicht bei drei auf dem Baum ist.

Dabei ist die Gewissheit im Notfall legale Hilfe zu bekommen sogar suizidpräventiv. Kriminalisierung ist genau wie bei Abtreibungsregeln der falsche Weg, wenn man Abtreibungen verhindern will.
In Panik, Not und Zeitdruck, auf der Suche nach einem Ausweg, führen einige eher eine Schwangerschaftsunterbrechung durch, weil sie gar nicht die Muße haben über die andere Option nachzudenken.
Genau das wird auch bei Suizidabsichten beobachtet.

Die Befürworter einer Kriminalisierung der Suizidhilfe argumentieren, es komme ohne neue Regelung zu einem „Dammbruch“. Die begleiteten Suizide würden erheblich zunehmen, auch wegen eines möglichen Drucks auf alte, hilfsbedürftige Menschen, ihr Leben zu beenden.
Diese Befürchtung findet allerdings in den Erfahrungen anderer Länder, die eine liberalere Rechtslage haben, keine Grundlage. Diese zeigen im Gegenteil, dass die Gewissheit, bis ans Ende des Lebens das Heft in der Hand zu behalten, beruhigt: Ein Großteil der offiziell erlaubten Suizidhilfen wird überhaupt nicht wahrgenommen, weil der Betreffende weiß, dass, wenn es ganz schlimm kommen sollte, Hilfe da ist. Auch meine Gespräche mit dem einzigen Arzt, der sich zur Sterbehilfe offiziell bekennt und der auch das genannte Verwaltungsgerichtsurteil erfochten hat, bestätigt, dass immer wieder Menschen, die seine Hilfe erbeten haben, nach langen Gesprächen den eigentlich geplanten Freitod über Jahre verschoben oder ganz unterlassen haben.
In diesem Sinne hat die Sicherheit „Wenn es ganz schlimm kommt, hilft mir jemand!“ sogar eine suizidalpräventive Wirkung. Und deswegen wäre es auch falsch, die, wie es manche wollen, „organisierte Sterbehilfe“ durch einen neuen Strafrechtsparagraphen zu verbieten.

Gröhe und seine christlichen Freunde sind also nicht nur überheblich und mitleidslos, sondern auch noch dumm und desinformiert.
Sie treiben Menschen nicht nur in Ängste und Verzweiflung, sondern würden mit ihrer angestrebten Total-Kriminalisierung auch die Zahl der Suizide erhöhen.

Die gemeinsam mit der DGHS formulierten Leitsätze der Initiative „Mein Ende gehört mir“ (und nicht Frau Käßmann oder Herrn Gröhe) sind vorsichtig formuliert.

1.  Die Beihilfe zur Selbsttötung (Suizidbeihilfe) ist in Deutschland straffrei (oder »keine Straftat«), wenn der Entschluss  zur Selbsttötung freiverantwortlich ist. Wer hingegen Suizidbeihilfe leistet, wenn der Tatentschluss des Suizidenten aus einer krankhaften Störung entspringt, macht sich nach geltendem Strafrecht wegen Tötung strafbar.
2.  Es besteht keine Notwendigkeit, an dieser geltenden Rechtslage etwas zu ändern.
3.   Nicht urteilsfähige Suizidenten bedürfen keiner Hilfe zur Selbsttötung, sondern fachärztlicher Behandlung. Palliativmedizinische Fähigkeiten und hospizliche Betreuung müssen weiter gelernt und ausgebaut werden, damit sie allen Patienten zur Verfügung stehen, die diese benötigen.
4.   Es gibt aber Patienten, für die palliative Leistungen und hospizliche Betreuung keine Optionen sind, weil diese entweder am  Krankheitsverlauf und den damit verbundenen Beeinträchtigungen nichts ändern können oder weil diese Angebote von den Patienten abgelehnt werden.
5.   Die Menschen müssen darauf vertrauen dürfen, dass die legale passive und indirekte Sterbehilfe nach ihrem geäußerten oder mutmaßlichen Willen oder nach ihrer Patientenverfügung überall praktiziert wird. Es darf nicht sein, dass Menschen sich das Leben nehmen, weil sie heute immer noch Angst haben müssen, dass am Lebensende gegen ihren Willen ein Leidensweg künstlich verlängert wird.
6.    Urteilsfähige Erwachsene sollten also in Zukunft ausreichende Unterstützung bei einem selbstbestimmten Lebensende erhalten. Voraussetzung muss immer sein, dass die Suizidenten selbst ihren bevorstehenden letzten Lebensweg in Kenntnis der Angebote von palliativer oder hospizlicher Versorgung als für sie unerträglich oder nicht lebenswert einstufen.
7.   Die Lebenswertbestimmung darf auch in Zukunft niemandem außer den betroffenen Menschen selbst zustehen! Das gebieten die Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes.
8.   Es ist daher begrüßenswert, dass viele Landesärztekammern den Vorschlag der Bundesärztekammer des strikten standesrechtlichen Verbots der Suizidbeihilfe nicht übernommen haben.
9.    Das Recht der Ärzte, nach eigenem Gewissen und ihrem ärztlichen Ethos Suizidwilligen zu helfen, steht unter dem Schutz der Verfassung und darf nicht eingeschränkt werden. Sie sind jedoch selbstverständlich nicht verpflichtet, diese Hilfe zu leisten.
10.   Die Achtung der Menschenwürde gebietet, dass in den hier genannten Fällen eines freiverantwortlichen Suizids die Menschen in ihrer existentiellen Not nicht auch noch ihre Selbstbestimmung verlieren und in grausame oder gar Dritte gefährdende Suizide getrieben werden.

Natürlich unterstütze ich diese Initiative.
Persönlich würde ich aber noch deutlich weiter gehen.

Das fällt mir immer auf, wenn ein Selbstmord eines Menschen bekannt wird, der für die oberflächlich denkende Öffentlichkeit jung und gesund war. Jennifer Nitsch, Silvia Seidel oder Robert Enke sind solche Beispiele.
 Dann rasen die Bischöfe los in die Öffentlichkeit und inszenieren sich als große Mitfühlende. SIE wissen ja genau was der Tote sich gewünscht hätte. 

[Ich] habe ich in der Predigt auch gesagt, dass Robert Enke gerne gelebt hat, aber krank war. Dass er sicher wollen würde, dass seine Fans alle weiterleben. Also unter dem Strich würde ich sagen, die Umgehensweise mit diesem Trauerfall war eine grenzwertige Herausforderung. Im Rückblick insgesamt ist es mit Ruhe und Würde bewältigt worden. Aber das Phänomen Fußball, Männlichkeit, Idole schaffen - das hinterlässt bei mir schon auch Fragen.
[…]  Die Botschaft des Glaubens ist ja: Du bist eine angesehene Person, weil Gott Dich ansieht und nicht weil Du so leistungsstark bist, so klug, so schön oder so reich. Diesen schönen Schein nicht alles sein zu lassen, sondern auch die tieferen Werte im Leben zu sehen - das wäre für mich eine neue Nachdenklichkeit, die ich gerne sehen würde.

Frau Käßmann begreift nicht, daß jedes Leben nur dazu führt zu sterben.
Jeder muss sterben und kann das Problem nicht verdrängen.
Auch alle unsere Angehörigen und Freunde müssen den Tod durchstehen und wir werden es miterleben – sofern wir nicht vorher selbst gestorben sind.
Für mich als Atheist ist das Tot-Sein an sich völlig natürlich und unproblematisch. Wenn die rund 110 Milliarden Menschen, die schon auf der Erde gelebt haben, alle noch lebendig wären hätten wir aber auch ein echtes Problem. Mit 7 Milliarden ist es ja schon recht voll, man streitet sich um Anbauflächen, Wasser und die letzten fossilen Rohstoffe.

Der Prozess des Sterbens ist aber leider oft sehr unangenehm.
 Das habe ich in meinen Leben schon mehrfach über Monate und Jahre in direkter Nähe mitbekommen.
Daher bin ich froh über jeden, der es hinter sich hat.
Über die Hürde müssen wir nun einmal alle rüber.
Wie albern ist es doch, diese Tatsache an sich zu beklagen.
Vorgestern hat es wieder ein Fußballer, Herr Biermann, „geschafft“, obwohl er dank der Christlichen Bundespolitiker keine Hilfe bekommen hat und völlig im Stich gelassen wurde. Technisch ist so ein Suizid nicht leicht und es ist erbärmlich, daß man Sterbewilligen auch noch die Brutalität von gescheiterten Suizidversuchen aufzwingt. Biermann hat es nun doch hinbekommen.
Er hat es gut.

Trauer um Andreas Biermann: Der Ex-Fußball-Profi und St. Pauli-Spieler ist tot. Entsprechende Medienberichte bestätigte sein aktueller Verein "Spandauer Kickers" am späten Samstagabend zunächst auf Facebook.
[…]  "Unser Seniorenspieler Andreas Biermann hat seine depressive Krankheit nicht überwinden können und ist gestern Morgen verstorben." Nach Angaben des Vereins hat sich Biermann das Leben genommen. […]  "Er hatte es schon einige Male probiert. Man dachte, dass er es in den Griff bekommt. Leider hat er es nicht geschafft", erklärte Torsten Mattuschka vom 1. FC Union Berlin, der in der Regionalliga-Saison 2006/2007 gemeinsam mit Biermann bei den "Eisernen" kickte. "Das ist eine Tragödie. Wie verzweifelt muss man sein, wenn man das als zweifacher Familienvater macht? Man kann sich das schwer vorstellen", sagte der Union-Kapitän nach dem Training am Sonntag. […]  Andreas Biermann wurde 33 Jahre alt.