Wer weiß wofür es gut ist?
In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre waren die gesamte
veröffentlichte und 85% der öffentlichen
Meinung vom neoliberalen Wahn erfasst.
Alle Versorger sollten privatisiert werden, weil der Staat
bekanntlich „nicht wirtschaften“ könne. Es galt zu deregulieren und
liberalisieren, Verkrustungen aufzubrechen, Fesseln abzuwerfen, alte Zöpfe
abzuschneiden, Unternehmergeist zu wecken.
Nach 2008/2009 schwante es ähnlichen großen Mehrheiten, daß
es vielleicht doch nicht so sinnvoll war alle städtischen Versorger zu
verkloppen, oder öffentliche Gebäude/Wohnungsunternehmen an Heuschrecken zu
verkaufen.
Das brachte zwar viel Geld in die öffentlichen Kassen, hatte
aber einen völlig unerwarteten Folge-Effekt. Denn es stellte sich das
eigenartige Phänomen heraus, daß man öffentlichen Besitz nur einmal verticken
konnte und diese schönen Einnahmen im Jahr drauf fehlten.
CDU-Beust verkaufte als Hamburger Bürgermeister alles was er
in die Finger bekam: Versorgungsunternehmen, die Hamburger Krankenhäuser und natürlich
Immobilien.
Für eine Million Euro ging das Wandsbeker Bezirksamt weg und
wurde anschließend für gute 100.000,- Jahresmiete zurückgemietet.
Richtig gut war es im ersten Jahr. Da blieben also 900.000,-
in der Hamburger Kasse übrig. Ab dann kamen jedes Jahr 100.000,- Verlust.
Sehr eigenartig.
Nicht alle Liberalisierungen waren schlecht –
Ladenöffnungszeiten, Telefonmonopol zerschlagen. Auf einige warte ich immer
noch, hoffentlich erlebe ich noch wie Meister- und Innungszwang, Friedhofszwang
und Drogenkriminalisierung fallen.
Einiges war gut gemeint, zeitgemäß, aber nicht gut gemacht
oder wurde einfach von der (Zins-)Realität überrollt.
Riesterrente und Rürup-Sparen waren zwar insofern
erfolgreich, daß erstaunlich viele Bundesbürger mitmachten (sogar ich
Finanztölpel schloss 2006 einen Rürup-Vertrag ab). Es gibt um die 17
Millionen Riester-Verträge.
Die Idee, eine „dritte Säule“ in der Altersversorgung zu
schaffen, finde ich immer noch charmant. In der gegenwärtigen, und in 14 Jahren
Merkel-Regierung nie vernünftig evaluierten Form sind Riester und Rürup
allerdings in erster Linie ein gutes Geschäft für Banken und Versicherer.
Beim derzeitigen Zins- und Inflationsniveau wäre man besser
dran, wenn man die monatlichen Beiträge einfach unters Kopfkissen legt.
Statt das Armutsrisiko im Alter zu senken, handelt es sich
bei den privaten Vorsorgemodellen also eher um eine Quersubvention für die
Versicherungsindustrie, die in der Tat enorm profitierte.
Riester und Rürup sind also keineswegs wirkungslos, sondern
haben bei den Konzernen, die diese Produkte anbieten zu einem Umsatz- und
Beschäftigungsboom geführt. Auch das ist natürlich gut für den Staat.
Leer ausgegangen sind hingehen die Geringverdiener, für die
eine zusätzliche Alterssicherung am wichtigsten wäre.
Aber wer aufstockt, leih- oder kurzarbeitet, hat natürlich
keine 100 oder 200 oder 300 Euro im Monat übrig, die er in so einen Vertrag
einzahlen kann.
Funfact am Rande, mein Rürup-Vertrag läuft bei der Lebensversicherung
von 1871 a. G. München. Einmal im Jahr bekomme ich eine Abrechnung darüber, was
gewissermaßen „im Topf“ ist, also wieviel ich seit 2006 angespart habe. Ende
2018 waren es grandiose 400 Euro weniger als Ende 2017. Der Aktienmarkt habe
sich nun mal so mies entwickelt. Na, wie gut, daß ich das Experten überlasse,
die mir damals garantierten eine risikoarme Streuung anzuwenden.
Aber das Geld ist ja nicht weg; es gehört nur jemand anderem.
Vielleicht sollte ich den ganzen Mist kündigen und von dem
Geld was ich dann bekomme zwei Brillen, oder drei Goldmünzen kaufen.
So ist das, wenn der Staat sich Wohltaten ausdenkt,
Millionen und Milliarden ausschüttet.
Es kommt nicht unbedingt da an, wo es ankommen sollte, aber
es gibt einige sehr glückliche Berater, Lobbyisten, Konzernbosse.
Ursula von der Leyen konnte in sechs Jahren als
Verteidigungsministerin zwar nicht die Bundeswehr effektiv, funktionierend oder
gar einsatzfähig gestalten, aber so what – dafür sind diverse Beratungsfirmen
steinreich geworden. Private Berater im BMVg haben Tagessätze von bis zu 10.000
Euro aufgerufen und vom Steuerzahler bekommen.
Auch das Geld ist nicht weg, sondern wartet nun darauf von
Maßanzugs-Trägern mit Dreitagebart und Rolex ausgegeben zu werden. Schafft
Nachfrage, Umsatz und generiert Steuereinnahmen.
Einen besonders kuriosen Fall von Quersubventionierung
beobachtet man in den USA im Zuge der sich rasant liberalisierenden
Cannabis-Szene.
Offenbar stimmen einige Kiffer-Klischees – sie sind erheblich
friedlicher als Alkoholisierte, so daß die Kriminalitätsrate sinkt.
Marihuana spült Steuergeld in die Kassen und zieht eine weitere
Branche in ungeahnte Höhen:
[….] Die Hersteller von Süßigkeiten und salzigen Knabberartikeln profitieren
von der Legalisierung von Cannabis in zahlreichen US-Bundesstaaten.
Fast-Food-Läden machen sich den Heißhunger der Kiffer zunutze und
siedeln sich direkt neben Cannabis-Verkaufsstellen an.
Es sei aus aktuellem Anlass noch einmal an eine grandiose Geschäftsidee
erinnert: Im Februar 2018, Marihuana war in Kalifornien gerade als Genussmittel
legalisiert worden, positionierte sich eine junge Pfadfinderin vor einer
Apotheke und bot dort ihre Girl Scout Cookies feil. Sie hatte von den
sogenannten Munchies gehört, den Fressattacken von Leuten, die Gras konsumiert
hatten. Es funktionierte: Das neun Jahre alte Mädchen verkaufte 300 Packungen
mit süßen Keksen darin und nahm so innerhalb von sechs Stunden mehr als 1200
Dollar ein.
[….] "Natürlich gibt es einen
Zusammenhang; neben vielen Marihuana-Apotheken haben mittlerweile Wirtshäuser
oder Lebensmittelgeschäfte eröffnet", sagt Medmen-Mitarbeiter John, und er
bietet einem sogleich eine Alternative zu Fast Food und Süßigkeiten nach
Cannabis-Genuss an: Brownies mit THC darin - oder wie er es nennt: "das
Perpetuum Mobile der Munchies". […..]