Montag, 15. Juli 2019

Quersubvention


Wer weiß wofür es gut ist?
In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre waren die gesamte veröffentlichte  und 85% der öffentlichen Meinung vom neoliberalen Wahn erfasst.
Alle Versorger sollten privatisiert werden, weil der Staat bekanntlich „nicht wirtschaften“ könne. Es galt zu deregulieren und liberalisieren, Verkrustungen aufzubrechen, Fesseln abzuwerfen, alte Zöpfe abzuschneiden, Unternehmergeist zu wecken.
Nach 2008/2009 schwante es ähnlichen großen Mehrheiten, daß es vielleicht doch nicht so sinnvoll war alle städtischen Versorger zu verkloppen, oder öffentliche Gebäude/Wohnungsunternehmen an Heuschrecken zu verkaufen.
Das brachte zwar viel Geld in die öffentlichen Kassen, hatte aber einen völlig unerwarteten Folge-Effekt. Denn es stellte sich das eigenartige Phänomen heraus, daß man öffentlichen Besitz nur einmal verticken konnte und diese schönen Einnahmen im Jahr drauf fehlten.
CDU-Beust verkaufte als Hamburger Bürgermeister alles was er in die Finger bekam: Versorgungsunternehmen, die Hamburger Krankenhäuser und natürlich Immobilien.
Für eine Million Euro ging das Wandsbeker Bezirksamt weg und wurde anschließend für gute 100.000,- Jahresmiete zurückgemietet.
Richtig gut war es im ersten Jahr. Da blieben also 900.000,- in der Hamburger Kasse übrig. Ab dann kamen jedes Jahr 100.000,- Verlust.
Sehr eigenartig.

Nicht alle Liberalisierungen waren schlecht – Ladenöffnungszeiten, Telefonmonopol zerschlagen. Auf einige warte ich immer noch, hoffentlich erlebe ich noch wie Meister- und Innungszwang, Friedhofszwang und Drogenkriminalisierung fallen.

Einiges war gut gemeint, zeitgemäß, aber nicht gut gemacht oder wurde einfach von der (Zins-)Realität überrollt.
Riesterrente und Rürup-Sparen waren zwar insofern erfolgreich, daß erstaunlich viele Bundesbürger mitmachten (sogar ich Finanztölpel schloss 2006 einen Rürup-Vertrag ab). Es gibt um die 17 Millionen Riester-Verträge.
Die Idee, eine „dritte Säule“ in der Altersversorgung zu schaffen, finde ich immer noch charmant. In der gegenwärtigen, und in 14 Jahren Merkel-Regierung nie vernünftig evaluierten Form sind Riester und Rürup allerdings in erster Linie ein gutes Geschäft für Banken und Versicherer.
Beim derzeitigen Zins- und Inflationsniveau wäre man besser dran, wenn man die monatlichen Beiträge einfach unters Kopfkissen legt.
Statt das Armutsrisiko im Alter zu senken, handelt es sich bei den privaten Vorsorgemodellen also eher um eine Quersubvention für die Versicherungsindustrie, die in der Tat enorm profitierte.
Riester und Rürup sind also keineswegs wirkungslos, sondern haben bei den Konzernen, die diese Produkte anbieten zu einem Umsatz- und Beschäftigungsboom geführt. Auch das ist natürlich gut für den Staat.
Leer ausgegangen sind hingehen die Geringverdiener, für die eine zusätzliche Alterssicherung am wichtigsten wäre.
Aber wer aufstockt, leih- oder kurzarbeitet, hat natürlich keine 100 oder 200 oder 300 Euro im Monat übrig, die er in so einen Vertrag einzahlen kann.

Funfact am Rande, mein Rürup-Vertrag läuft bei der Lebensversicherung von 1871 a. G. München. Einmal im Jahr bekomme ich eine Abrechnung darüber, was gewissermaßen „im Topf“ ist, also wieviel ich seit 2006 angespart habe. Ende 2018 waren es grandiose 400 Euro weniger als Ende 2017. Der Aktienmarkt habe sich nun mal so mies entwickelt. Na, wie gut, daß ich das Experten überlasse, die mir damals garantierten eine risikoarme Streuung anzuwenden.
Aber das Geld ist ja nicht weg; es gehört nur jemand anderem.
Vielleicht sollte ich den ganzen Mist kündigen und von dem Geld was ich dann bekomme zwei Brillen, oder drei Goldmünzen kaufen.

So ist das, wenn der Staat sich Wohltaten ausdenkt, Millionen und Milliarden ausschüttet.
Es kommt nicht unbedingt da an, wo es ankommen sollte, aber es gibt einige sehr glückliche Berater, Lobbyisten, Konzernbosse.

Ursula von der Leyen konnte in sechs Jahren als Verteidigungsministerin zwar nicht die Bundeswehr effektiv, funktionierend oder gar einsatzfähig gestalten, aber so what – dafür sind diverse Beratungsfirmen steinreich geworden. Private Berater im BMVg haben Tagessätze von bis zu 10.000 Euro aufgerufen und vom Steuerzahler bekommen.
Auch das Geld ist nicht weg, sondern wartet nun darauf von Maßanzugs-Trägern mit Dreitagebart und Rolex ausgegeben zu werden. Schafft Nachfrage, Umsatz und generiert Steuereinnahmen.

Einen besonders kuriosen Fall von Quersubventionierung beobachtet man in den USA im Zuge der sich rasant liberalisierenden Cannabis-Szene.
Offenbar stimmen einige Kiffer-Klischees – sie sind erheblich friedlicher als Alkoholisierte, so daß die Kriminalitätsrate sinkt.
Marihuana spült Steuergeld in die Kassen und zieht eine weitere Branche in ungeahnte Höhen:

[….] Die Hersteller von Süßigkeiten und salzigen Knabberartikeln profitieren von der Legalisierung von Cannabis in zahlreichen US-Bundesstaaten.
Fast-Food-Läden machen sich den Heißhunger der Kiffer zunutze und siedeln sich direkt neben Cannabis-Verkaufsstellen an.
Es sei aus aktuellem Anlass noch einmal an eine grandiose Geschäftsidee erinnert: Im Februar 2018, Marihuana war in Kalifornien gerade als Genussmittel legalisiert worden, positionierte sich eine junge Pfadfinderin vor einer Apotheke und bot dort ihre Girl Scout Cookies feil. Sie hatte von den sogenannten Munchies gehört, den Fressattacken von Leuten, die Gras konsumiert hatten. Es funktionierte: Das neun Jahre alte Mädchen verkaufte 300 Packungen mit süßen Keksen darin und nahm so innerhalb von sechs Stunden mehr als 1200 Dollar ein.
 [….]   "Natürlich gibt es einen Zusammenhang; neben vielen Marihuana-Apotheken haben mittlerweile Wirtshäuser oder Lebensmittelgeschäfte eröffnet", sagt Medmen-Mitarbeiter John, und er bietet einem sogleich eine Alternative zu Fast Food und Süßigkeiten nach Cannabis-Genuss an: Brownies mit THC darin - oder wie er es nennt: "das Perpetuum Mobile der Munchies". […..]