Freitag, 18. Januar 2019

Geschichtsstunde


Es ist ja nicht so, daß ich in den vergangenen Jahren viel von den strategischen Fähigkeiten europäischer und amerikanischer Spitzenpolitiker gehalten hätte, aber 2019 zeigt wieder einmal eine weitere Steigerung des Irrsinns.
Sagenhaft was sich in den USA und in GB abspielt – ganz allein verursacht durch vollkommen Schwachsinnige an der Regierungsspitze.


Man mag gar nicht daran denken, daß diese Kategorie Regent mal mit einer echten von außen auf sie einprasselnden Katastrophe konfrontiert sein könnte.
Schwere Wirtschaftskrise, AKW-Supergau, Krieg, 9/11, Naturkatastrophe.
Diese Leute sind doch offensichtlich schon nicht in der Lage normale Regierungsgeschäfte zu führen.

Schon vier Wochen Kasperle-Theater, weil klein Donald nicht bekommt was er will. Und das müssen 800.000 amerikanische Familien ausbaden, die ohne Gehalt und Job da sitzen.

Neuester Stand: Der schmollende Präsident streicht der Nummer Drei im Staat ihre Flüge.

[….] Melania Flies Alone To Mar-A-Lago On Government Jetliner After Trump Cancels Pelosi’s Trip To Visit Troops [….]


Januar 2019

Die Situationen in London und Washington sind festgefahren. Nichts bewegt sich mehr.
Unglücklicherweise hilft noch nicht mal die Poesiealbum-Binse „der Klügere gibt nach“ weiter. Jeremy Corbyn ist genauso blöd wie PM May und verfügt über keinerlei Mehrheiten.
Klarer sieht es im Amerika aus; dort ist jeder klüger als #45. Aber sollte dementsprechend jeder Trump gegenüber nachgeben?


Nancy Pelosi ist ganz sicher sehr viel intelligenter als der Präsident und sie verfügt über einen veritablen Machthebel; sie könnte ihm die 5,7 Milliarden Dollar bewilligen. Wieviel sind schon fünf oder sechs Milliarden angesichts von 2.000 Milliarden Schulden, die Trump in zwei Jahren angehäuft hat?
Kann eine dem Wähler verantwortliche demokratische Partei Millionen Menschen wegen so einer überschaubaren Summe leiden lassen?
Gibt es hier nicht eine moralische Verpflichtung gegenüber 800.000 von Trump genommenen Geiseln, die Forderung des Erpressers zu erfüllen?

Der Wahnsinn ist sehr, sehr weit fortgeschritten.


Also Nancy, gib dir einen Ruck und rück’ die paar Milliarden raus.
Oder nicht?

Moralisch ist das keine einfache Frage.
Blicken wir zurück auf den 27.02.1975.

Peter Lorenz, Landesvorsitzender der Berliner CDU und Spitzenkandidat für das Amt des Regierenden Bürgermeisters wurde drei Tage vor der Landtagswahl von Mitgliedern der Terrorgruppe „Bewegung 2. Juni“ entführt und als Geisel genommen. Am nächsten Tag veröffentlichten sie ein Bild von ihm und verlangten die Freilassung und Ausreise der sechs RAF-Terroristen Horst Mahler, Verena Becker, Gabriele Kröcher-Tiedemann, Ingrid Siepmann, Rolf Heißler und Rolf Pohle.

Der SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt war in der Woche nahezu amtsunfähig, lag mit sehr hohem Fieber und Grippe im Bett.
Oppositionsführer Helmut Kohl, CDU-Bundesvorsitzender und enger Freund von Peter Lorenz übte erheblichen Druck auf die Bundesregierung aus auf den Vorschlag einzugehen. Anderenfalls werde der Entführte nicht überleben; außerdem mache es doch keinen großen Unterschied, ob die sechs Terroristen im Knast oder irgendwo am anderen Ende der Welt hockten.
Es kam zu dem „der Klügere gibt nach-Präzendenzfall“.
Die Regierung Schmidt ließ Verena Becker, Gabriele Kröcher-Tiedemann, Ingrid Siepmann, Rolf Heißler und Rolf Pohle nach Aden ausfliegen. Nur der heute für die NPD aktive Horst Mahler weigerte sich.
Die Terroristen hielten Wort, die Ereignisse überschlugen sich:

02.03.1975:
Rekordergebnis für die Berliner CDU bei der Abgeordnetenhauswahl: 43,9%.
03.03.1975:
Fünf linksextreme Terroristen auf freiem Fuß im Jemen
04.03.1975:
Peter Lorenz wird tatsächlich freigelassen; Helmut Kohl, die CDU und Lorenz‘ Familie sind verständlicherweise glücklich.

Was zunächst nach einem großen Erfolg und glücklichem Ende aussah, erwies sich a posteriori als Desaster.

Die RAF verstand die Botschaft vom 03.03.1975 als Aufforderung weitere Politiker zu entführen; der Staat ließe sich bequem erpressen, so bekomme man die RAF-Kumpel immer wieder frei.
Die fünf Freigepressten kehrten umgehend nach Deutschland zurück und mordeten. Mehrere Opfer, insbesondere Polizisten waren zu beklagen. Am Blutigsten wurde es 1977 im Zuge der Schleyer- und Landshut-Entführung.
Diesmal sollten die Stars der Terrorszene freigepresst werden: Baader, Ensslin, Jan-Carl Raspe und Irmgard Möller.
Helmut Schmidt hatte schon im März 1975 den Austausch als schweren Fehler angesehen, seine Befürchtungen sollten sich bewahrheiten.
Gibt man einmal nach, wird es in Zukunft nur noch schlimmer. Wieso sollten skrupellose Menschen eine Methode, die sich aus ihrer Sicht als erfolgreich erwiesen hatte, nicht erneut anwenden?
Helmut und Loki Schmidt verfassten unbemerkt von der Öffentlichkeit eidesstattliche Erklärungen, daß sie im Falle der eigenen Entführung unter keinen Umständen ausgetauscht werden wollten, daß sie bereit wären ihren Tod zu akzeptieren; keinesfalls dürfe man den Forderungen terroristischer Entführer nachgeben.
Auch konservative Politiker und der Generalbundesanwalt Kurt Rebmann, der dem am 07.04.1977 von der zwei Jahre zuvor freigepressten Verena Becker ermordeten Siegfried Buback nachfolgte, folgten dem Beispiel der Schmidts.
Diese Schreiben blieben für Jahre geheim, damit Terroristen nicht bei der Auswahl von Opfern geholfen werden konnte. Sie dienten aber dazu den mit Entführern verhandelnden Personen moralisch zu helfen, um nicht die grausamen Entscheidungen allein fällen zu müssen.

Ich bin alt genug, um mich an den Herbst 1977 zu erinnern. Eine gespenstische Stimmung herrschte.
Helmut Schmidt bekam die volle Wucht der Staatskrise diesmal im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ab. Wieder ging es mit Hanns Martin Schleyer um einen persönlichen Freund vieler handelnder Politiker, aber Schleyer hatte nicht nur keine Anweisungen hinterlassen wie im Falle eine Entführung verfahren werden sollte, sondern seine Kinder und Ehefrau entfalteten den größtmöglichen Druck auf die Bundesregierung der RAF nachzugeben, um ihren Vater/Ehemann zu retten.

Der Bundeskanzler rief einen Krisenstab unter Beteiligung der Oppositionssitzen und Sicherheitschefs zusammen.
Der CSU-Rechtsaußen Friedrich Zimmermann (später Innen- und Verkehrsminister unter Kohl), sowie der vor vier Wochen mit 90 Jahren verstorbene damalige BKA-Chef Horst Herold waren derartig beeindruckt von Schmidts Führungsstärke und kühlem Kopf, daß sie bis zum Ende ihres Lebens nie ein schlechtes Wort über den Sozen verloren.
Das war in Anbetracht der grauenhaften Umstände allerhöchste Regierungskunst.
Versagt hatte allerdings das tiefschwarze CDU-Justizministerium in Stuttgart; das Chaos in Stammheim wurde nie richtig aufgeklärt, keiner kann genau sagen wie es Raspe, Baader und Ensslin gelingen konnte unbeobachtet zu sein und tödliche Waffen in ihren Zellen zu haben, um Selbstmord zu verüben.
Dadurch entstanden immer wieder Verschwörungstheorien.
Neben den vier ermordeten Sicherheitsbeamten, starben auch Jürgen Schumann, der Pilot der Landshut, sowie Schleyer selbst. 86 Geiseln wurden befreit.
Aber Schmidts harte Linie stellte sich langfristig als Sieg über die RAF heraus. So eine große Entführung wagten sie nie wieder.

Hypothetische Geschichte ist sinnlos, aber natürlich wurde immer wieder spekuliert, daß es zu den späteren RAF-Morden und dem „deutschen Herbst 1977“ nie gekommen wäre, wenn die deutsche Bundesregierung schon im Frühjahr 1975 in der causa Lorenz knallhart geblieben wäre.

Ich weiß nicht, ob Nancy Pelosi die Vorgänge im Bonner Kanzleramt von 1975 und 1977 kennt, aber sie wird sicher schlau genug sein, um zu wissen, daß es im Mauerstreit mit Trump nicht um 5,7 Milliarden Euro geht, sondern darum Trump endgültig zu zeigen, daß er mit Erpressung nicht weiterkommt.
Bekäme er den Eindruck durch Regierungs-Shutdown seinen Willen zu erhalten, über die verhassten Demokraten zu siegen und mit dieser ruchlosen Erpressung seine rassistische Basis erfreuen zu können, griffe er bei nächster Gelegenheit wieder zu der Methode.
Das ist der tiefere Sinn von Pelosis Linie: Die Geiselnahme von 800.000 Staatsangestellten darf sich für Trump nichts als Erfolgsmodell herausstellen.