Die
Erkenntnis habe ich zwar auch schon vor ein paar Jahren gewonnen, aber für mich
als Geront ist es immer noch vergleichsweise neu und verblüffend, daß Teenager
von heute gar keinen Fernseher mehr brauchen.
Die
kennen auch gar keine Fernsehzeitschriften, die für die drei Generationen
vorher mit größter Selbstverständlichkeit in jedem Haushalt lagen.
Daß man
Serien oder Filme nur nach festgesetzten Anfangszeiten nur im heimischen
Wohnzimmer ansehen kann, empfinden die im 21. Jahrhundert Geborenen als absurd.
Genauso absurd wie die Notwendigkeit jeden Tag zu Zeitungskiosk zu gehen, um
sich eine auf Papier gedruckte Zeitung zu kaufen, oder gar ein sündhaft teures
Print-Abonnement anzuschaffen.
Sie
kaufen auch keine CDs mehr, geschweige denn Langspielplatten.
Man
bekommt ja alles quasi kostenlos im Internet downgeloaded/gestreamt.
Diese
Umsonst-Mentalität ist vielen Jugendlichen so in Fleisch und Blut übergegangen,
daß ihnen die Frage womit ein Musiker eigentlich seinen Lebensunterhalt
bestreiten soll, gar nicht in den Sinn kommt.
Dabei
sind doch die Konsequenzen offensichtlich: Wenn man mit Musik nichts mehr
verdient, wenn sich musikalische Qualität nicht mehr bezahlt macht, muß man
eben Spektakel veranstalten, aberwitzige Bühnenshows veranstalten, damit auch
ein Popleichtgewicht wie Justin Bieber 300 Euro für ein Konzertticket verlangen
kann.
Merchandising
ist der Ausweg.
Ist es
schon so weit, daß ich mich altersbedingt in Kulturpessimismus ergehen muß,
weil die Generationen nach mir ihr Geld für Voting-Anrufe bei RTL ausgeben, um
gecastete Retorten-Sternchen zu unterstützen, statt ein Gefühl für richtig gute
Musiker zu entwickeln?
Jein.
Die schöne neue Internet-Medienwelt hat auch Vorteile.
Die Interessen
werden internationaler, man kommuniziert mehr und das Internet nivelliert.
Während
über Generationen nur die Reichen und Schönen der Highschool beliebt waren und die
Kinder ohne Markenklamotten eine demütigend Schulzeit erlebten, kann jetzt
jeder mit seinem Twitter-Account, Instagram-Profil oder Youtube-Channel selbst
bekannt und bedeutend werden. Die Außenseiter, die Dicken, die Schwulen und die
Merkwürdigen müssen nicht mehr einsam leiden, weil sie an ihrer Schule keine
Gleichgesinnten finden.
Aus der
Socialmedia-Trickkiste lassen sich für jeden noch so bizarr aussehenden Topf
die passenden Deckel fischen.
Die
einzige Lesbe an der Dorfschule? Kein Problem; mit einem Klugtelefon findet
man beliebig viele Mädchen in der gleichen Situation.
Hunderte
„Youtuber“ sind inzwischen so Klick-stark, daß die davon leben können, von der
Werbeindustrie hofiert werden.
Da sie
naturgemäß vernetzt sind, ticken sie viel liberaler und vorurteilsfreier als
die Jugendgenerationen vor ihnen.
Ich bin
überzeugt davon, daß der enorme gesellschaftliche Umschwung Amerikas in der
LGBTI-Akzeptanz mit den vielen homofreundlichen Youtube-Helden zu tun hat, die
ganz selbstverständlich täglich zig Millionen von Followern begegnen.
Nach
meinem Kenntnisstand (als Geront mag ich mich da irren) sind unter den
international erfolgreichsten „Youtubern“ überproportional viele Briten.
Diese
haben den Vorteil der englischen Muttersprache. Im Gegensatz zu Amerikanern
denken sie als Europäer aber a priori internationaler, sind reisefreudiger und
kulturell offener, so daß sie sich weltweit Anhänger einsammeln können.
Die
Zahlen ihrer Kanal-Abonnenten sind so gewaltig, daß jeder Fernsehmacher, der
auf Einschaltquoten achten muß, vor Neid erblasst.
Die nette kleine „Zoella“ aus Brighton,
bürgerlich Zoe Sugg, *1990, hat fast elf Millionen Abonnenten, die ihren
Schmink- und Modetipps lauschen.
Ihr
kleiner Bruder Joe, 24, bringt es als
ThatcherJoe auf sieben Millionen Follower.
Das sind
jeweils nur ihre Haupt-Youtube-Kanäle. Daneben betreiben sie noch Vloging-,
Gaming-, Prank- und sonstige Kanäle, die es auch jeweils auf siebenstelligen
Abo-Zahlen bringen.
Joe
Suggs Mitbewohner Caspar
Lee bringt es auf 6,4 Millionen Follower und Zoellas
Boyfriend, Alfie
Deyes, 22, kann auf stolze 5,2 Millionen Anhänger verweisen.
Alfies
beste Kumpel sind natürlich auch alles britische Youtuber:
Marcus Butler mit 4,5 Millionen Followern, Jim Chapman (2,6 Mio), Oli White (2,4 Mio) und Joe Weller (3,5 Mio).
Marcus Butler mit 4,5 Millionen Followern, Jim Chapman (2,6 Mio), Oli White (2,4 Mio) und Joe Weller (3,5 Mio).
Jim
Chapmans Frau ist Tanya Burr,
der 3,5 Millionen Fans folgen.
Wayne Goss
begeistert 3,5 Millionen Anhänger mit Make-Up-Tutorials; der 23-Jährige Conor Maynard, ebenfalls aus Brighton singt
gern auf Youtube; vor 2,3 Millionen Fans.
Die Liste
ließe sich lange fortsetzen. Ihre Marktmacht ist gewaltig; ich habe jeweils nur
die Abonnentenzahl ihres wichtigsten Kanals genannt.
All
diesen jungen Twens aus Südengland ist gemeinsam, daß sie viel reisen und viele
andere Youtuber kennen. Gerne machen sie ihre Späße in Kooperationen –
crosspromotion. Es bleibt immer harmlos, oberflächlich, lustig.
Zoe,
Alfi, Marcus, Joe und Caspar und wie sie alle heißen haben aber weitere
Gemeinsamkeiten. Sie sind alle nett, gutaussehend, ecken nicht an, haben
makellose Haut, immer gute Laune, Model-Figuren.
Sie sind
allesamt Traumschwiegersöhne und Traumschwiegertöchter.
Kreativ,
schön und fröhlich.
Genauso
wünschen sich wohl die meisten zu sein.
Insbesondere
bei ihren amerikanischen Youtuber-Kollegen, die man natürlich auch ständig
besucht, um ihre Abonnenten hinzu zu gewinnen, gab es in den letzten Jahren
eine große Outing-Welle.
Shane Dawson,
7,2 Millionen Follower, Joey
Graceffa mit 6,3 Mio Anhängern, Ingrid
Nilsen mit 4 Millionen, Connor
Franta mit seinen 5,6 Millionen Freunden und natürlich der
ewig kichernde Spaßvogel Tyler
Oakley mit sagenhaften 8,1 Millionen Fans sind alle schwul,
bzw lesbisch oder bi.
Die
Jugendlichen von heute konnten diese Outings alle tränenreich miterleben und
insbesondere lernen, daß die anderen Youtuber (natürlich auch alle Britischen)
die schwulen und lesbischen Kollegen nun sogar noch mehr mochten, gar
nicht mehr aufhören konnten sie zu herzen und küssen.
Das
prägt womöglich eine Generation. LGBTI ist normal geworden und tatsächlich ist
es ja auch normal LGBTI zu sein.
Dank der
Youtuber gibt es eine massive gesellschaftliche Veränderung in diesen Fragen.
Rassismus,
Misogynie und Homophobie haben da keine Chance mehr.
Warum
sind dann aber die britischen Jugendlichen so doof und lassen den Brexit
geschehen?
Die
Jugend-Ikone Lili Allen fasste es am Abend des 23.06.2016 mit ihrem inzwischen
weltberühmten Tweet zusammen:
„Well
millennials. We're really really fucked.“
Statt
sich a posteriori selbst zu beweinen hätte es allerdings eine Alternative
gegeben:
Wählen gehen!
Wählen gehen!
Bei
den 18- bis 24-Jährigen lag die Wahlbeteiligung bei knapp über einem Drittel,
während die über 65-Jährigen mit 83%-Beteiligung abstimmten.
Die
Jungen haben die Zukunft verpennt, weil sie zu phlegmatisch waren, um sich zu
den Wahlurnen zu schleppen.
Es
wurde also wieder einmal eine Entscheidung wider das Volk getroffen, weil das Volk selbst zu doof war.
Ich habe
mir die Mühe gemacht die Themen aller Videos der genannten britischen Youtuber
der letzten zwei Monate anzusehen:
Kein einziger erwähnte das Brexit-Referendum.
Kein einziger erwähnte das Brexit-Referendum.
Weit
schlimmer: Es gab überhaupt keine politischen Informationen, keinerlei
Problembewußtsein.
Kriege,
Terroranschläge, Umweltzerstörung, Flüchtlingsströme, TTIP, Ceta, Erdogan oder
Syrien kommen in der schönen hygienischen Pastellwelt der Youtuber
grundsätzlich nicht vor.
Es gibt
bei ihnen keine wirtschaftliche Ungerechtigkeit, keine Krankheit, keine Diskriminierung.
Keine Parteien, keinen Rechtsradikalismus, keine EU, keinen IS.
Es geht
allen gut, alle sehen blendend aus.
Sie sind
makellos.