Donnerstag, 22. September 2022

Wenn sich in Bayern zur Ungerechtigkeit auch noch Perfidie gesellt.

Geringverdiener, AlgII-Empfänger, Grusi-Menschen, Aufstocker, Alte mit kleinen Renten haben auf dem freien Wohnungsmarkt in Großstädten keine Chance.

Wer unbedingt eine neue Wohnung braucht, weil er im vierten Stock ohne Lift lebt, aber mit 75 Jahren aufgrund von Arthritis, Herzschwäche oder Fibromyalgie keine Treppen mehr gehen kann, ist in Lindners Welt des freien Marktes und der Besserverdienenden verloren. Er kann sich eigentlich nur noch zu Soylent Green verarbeiten lassen. Allerdings sind wir im Gegensatz zu den FDP-Wunschvorstellungen, keine reine Marktwirtschaft, in der sich Finanzspekulationen und Kapitalismus frei von allen Beschränkungen austoben können.

Wir sind ein Sozialstaat, in dem sich die Steuerzahler (meistens unfreiwillig) solidarisch mit den finanziell Schwächeren verhalten. Unser Beispiel-75Jähriger wird also Anspruch auf eine Sozialwohnung anmelden, Wohngeld bekommen, einen Dringlichkeitsschein erwirken.

Im September 2022 reicht das aber weder in München, noch Köln, noch Hamburg oder Berlin, um eine barrierefreie Wohnung zu bekommen, weil die Wohnungsämter kein Angebot mehr haben. Alle ihre Kapazitäten wurden für Ukrainische Flüchtlinge verbraucht. Trägt der mit dieser Begründung abgewiesene Biodeutsche einen Aluhut, wird er sich fürchterlich aufregen. Er habe 40 Jahre im Betrieb XY gerackt, immer pünktlich seine Steuern bezahlt und müsse nun hinter Ausländern zurückstehen, die nie einen Cent eingezahlt hätten und kein deutsch sprächen. Herrliche Zeiten für Sahra Sarrazin, Julian Reichelt und die AfD. Selten war es so einfach, populistisch-xenophobe Wallungen zu schaffen. „Ausländer werden Deutschen bevorzugt.“ So füllt man die montäglichen Wut-Märsche Ostdeutschlands. Nur ein kleines Detail wird dabei unterschlagen: Es stimmt nicht, daß Ausländer bevorzugt werden. Vielmehr gehen die Behörden nach der Dringlichkeit des Bedarfs vor. Der Lahme in der vierten Etage mit den vielen Treppen wird seinen Bedarf (an einer barrierefreien Wohnung) sehr hoch einschätzen. Aber er hat immerhin eine Wohnung! Er lebt warm und trocken. Somit ist sein Bedarf objektiv niedriger, als der eines Geflüchteten aus Charkiv, der gar keine Wohnung hat und auf der Straße schlafen muss. Dieser wird nicht etwa bevorzugt versorgt, weil er Ausländer ist, sondern weil er ein Mensch ist, der noch dringender ein Dach überm Kopf benötigt.

Man muss die Nöte der Menschen unabhängig von Ethnie, sexueller Orientierung, Geschlecht und Nationalität gewichten. Bei begrenzten Hilfsangeboten, werden diejenigen in größter Not zuerst berücksichtigt.

Das ist fair, angemessen und humanitär. Der 75-Jährige Biodeutsche ist im Unrecht, wenn er behauptet, als Germane benachteiligt zu sein. Die Politiker und Behörden handeln vollkommen richtig bei der Versorgung von Ukraine-Flüchtlingen, wenn sie diese eben nicht grundsätzlich schlechter als Deutsche stellen, wenn sie unkompliziert eine Arbeitserlaubnis bekommen und ihre Ausbildungen außerhalb Deutschlands akzeptiert werden.

Nicht fair, ist hingegen die fortwährende Schlechterstellung arabischer, afghanischer oder afrikanischer Flüchtlinge. Sie werden aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit schlechter behandelt. Das ist echter Rassismus und somit ein Riesenskandal, der sogar noch schlimmer wird, weil Christliche Unionspolitiker gezielt „gute Flüchtlinge“ aus der Ukraine mit weißer Haut gegen „schlechte Flüchtlinge“ aus Eritrea mit dunkler Haut ausspielen. Wenig überraschend, daß die traditionell xenophobe Regierung Bayerns, die immer wieder den Faschisten Viktor Orbán als Stargast zu ihren Parteitreffen lädt, von Obergrenzen schwafelt und den mit seinem falschen Doktortitel betrügenden Andi Scheuer „Wer betrügt, fliegt“ schwafeln lässt, moralisch besonders verkommen agiert.

[…..]  Was der bayerische Innenminister tut, ist perfide

[…..]  Es wird eng in den Flüchtlingsunterkünften. 2022 dürfte das Jahr werden, in dem noch mehr Menschen kamen als im Fluchtsommer 2015: Berlin allein nahm trotz bitterer Wohnungsnot mehr als 80 000 zusätzlich auf - so viele Menschen, wie in Konstanz wohnen. Bayern schluckte mit 58 000 ungefähr einmal Passau. […..]  Perfide ist allerdings eine Unterscheidung, die Bayerns Innenminister Joachim Herrmann nun getroffen hat. Das Problem sei nicht "vorrangig" der Zuzug ukrainischer Kriegsflüchtlinge, sondern "dass wir seit einiger Zeit mit deutlich steigenden Asylbewerberzahlen zu kämpfen haben". Gemeint waren Schutzsuchende vor allem aus Ländern wie Syrien, Afghanistan, dem Irak und der Türkei.

Gute Flüchtlinge, schlechte Flüchtlinge: Der Minister zementiert hier eine Unterscheidung, die tabu sein sollte. […..]  In Bayern müssen Asylsuchende mit schlechter Bleibeperspektive mitunter selbst dann in diesen umzäunten Kasernen wohnen bleiben, wenn Frau und Kind Deutsche sind. […..]  Statt jetzt gegen die kleinere Gruppe der Asylbewerber zu polemisieren, sollten Joachim Herrmann und seine Kollegen auch deren Lage verbessern können - und damit auch ihre Akzeptanz in der Bevölkerung. […..] 

(Nina von Hardenberg, 22.09.22)