Montag, 7. März 2022

Unsere Anführer.

Natürlich wiederhole ich mich, aber es bleibt nun mal richtig: Guter Journalismus kostet, muss etwas kosten, wenn man nicht nur aus Wikipedia und Presseagenturmeldungen zusammenkopierte Schnipsel lesen will, deren Inhalte nicht überprüft sind.

Wie viele andere auch, treibt mich die Frage um, ob Putin möglicherweise verrückt geworden ist, oder ob wir nur nicht nachvollziehen können, wie er aus einer eurasisch-religiösen Sicht vernünftig handelt.

Bisher halte ich die Erklärung, er wäre psychisch krank, für simplifizierend und plump.

Glücklicherweise habe ich die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG abonniert und finde in den Inhalten hinter den Bezahlschranken Erhellendes. Am liebsten würde ich seitenlange Putin-Analysen hierher kopieren, aber das wäre erstens illegal und zweitens möchte ich jeden dazu animieren, selbst ein bißchen Geld für Spitzenjournalismus zu zahlen. Also hier klicken, wenn man näheres wissen möchte.

Unterdessen feiert sich Deutschland, von Grünen bis CSU, für seine Vernunft, seinen Realitätssinn. Nun sei endlich Schluss mit träumerischer oder ideologischer Außenpolitik. Wir werden nun wehrhaft und schmeißen alles raus, das irgendwie nach Russenkultur aussieht.

[…] Populärer ist vielerorts der Jubel darüber, dass Deutschland endlich "in der Wirklichkeit" angekommen, das alles, was man Russland als Staat, bei manchen durchaus auch: den Russen als Volk, immer zugetraut hat, sich nun auf ganzer Linie bestätigt. Jahrelange Kooperationen mit russischen Kulturinstitutionen oder Unternehmen (Gasprom! Schalke!) werden mit einem Federstrich beendet. Niemand möchte sich mehr die Hände an staatsnahen Institutionen des putinistischen Imperialismus schmutzig machen.  Nein, das ist kein guter Tag für Europa. Es sind beklemmende Zeiten, wenn der alte und fast schon ausgeleierte Slogan "Frieden schaffen ohne Waffen" plötzlich nicht mehr nur als ein bisschen wohlfeil oder weltfremd kommentiert wird, sondern geradezu als unmoralisch.  [….]

(Sonja Zekri, SZ, 01.03.2022)

Dabei ist genau das eine westliche Hybris: Zu glauben, nur wir handelten vernünftig, während Araber, Muslimische Länder, China, Nordkorea, Russland, Belarus, Türkei alle irrational agierten. Alle irre, außer wir?

Aber so einfach ist es wirklich nicht. Auch wenn Putin nun „Aluhut trägt“ (Kister), sind wir noch lange nicht kühl analysierende Mächte, die schlaue und vertrauenswürdige Menschen in die Regierungen schicken.

[….]  Nun ist es, historisch gesehen, neu, dass in einigen Teilen der Welt metaphysische, also nicht rationale Begründungen für politisches Handeln für befremdlich, gar für "unverständlich" gehalten werden. "Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ...", hört man immer wieder seit Donnerstag im Zusammenhang mit Putins Krieg. Dabei ist das Irrationale auch im aufgeklärten Westen ja nach wie vor heimisch. Wer will, kann an ein paar US-Präsidenten der sehr jungen Vergangenheit denken, von denen der eine (Bush Jr.) einen "Kreuzzug" (crusade) im Mittleren Osten ausrief, der andere (Obama) mit seinem fatal überheblichen Gerede von der russischen "Regionalmacht" mehr als nur metaphysischen Schaden in Moskau anrichtete und der dritte (Trump) ohnehin in einer selbst zu möglichen Parallelwelten noch mal extraparallelen Welt lebte und lebt. Auch für den Westen gilt: Nicht die Vernunft ist auf dem Vormarsch, sondern die Unvernunft. In Deutschland ist der handlungsleitende Obskurantismus heute glücklicherweise nicht mehr so ausgeprägt. Aber man muss nur die jüngere deutsche Geschichte betrachten, um zu dem Schluss zu kommen, dass "wir" bis vor ein paar Jahrzehnten eindeutig zu den Weltmeistern metaphysischer Politik gehörten: Gottgesandte Monarchen des Hauses der Hohenzollern haben durch die deutsche Vereinigung unter Preußens Führung das Erbe Karls des Großen oder Friedrich Barbarossas erfüllt; deutsche Soldaten und Siedler haben Zivilisation und Kultur nach Afrika oder Asien gebracht; stets stand der verlotterte Erbfeind Frankreich bedrohlich im Westen; schließlich überfiel Deutschland dann nahezu alle überfallbaren Länder und brachte Abermillionen Menschen um, damit die kostbare deutsche Rasse Lebensraum und Gerechtigkeit erhalte. [….]

(Kurt Kister, 27.02.2022)

Metaphysisches Handeln ist für mich ein Zeichen von Gefährlichkeit, von eingeschränkter Ratio. Aber sich von metaphysischen Überlegungen leiten zu lassen, bedeutet nicht zwangsweise, dumm oder sadistisch zu sein.

Aus dieser Richtung lauert echte Gefahr: Daß die wirklich gefährlich Doofen von der Multimillionenmasse der Doofen, in mächtige Positionen geschubst werden.

Wir leben alle, auch im Westen, in einem System, das radikale Spinner mit destruktiven Charakteren an die Spitze befördert. Johnson, Bolsonaro, Trump, Erdoğan, Orbán, aber auch Typen wir Woelki oder Ratzi, Mixa oder TVE wären nicht möglich, wenn nicht 22 Millionen fromme Zahler Mitglied und damit Ermächtiger der RKK Deutschland wären.

Patriarch Kyrill I., der große Freund Putins, Herr über 150 Millionen russisch-orthodoxe Christen und Kriegsfan ist so ein gefährlicher Irrer.

Der Russen-Papst wirbt nicht nur für mehr Soldaten im Krieg gegen die Ukraine, sondern weiß auch wer schuld am Krieg ist: DIE SCHWULEN! Natürlich.

[….] Kyrill I. hat in einer Predigt am Sonntag in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau zum Krieg in der Ukraine Stellung genommen, ohne diesen als solchen näher zu benennen oder zu verurteilen. Vielmehr sprach das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche von der Notwendigkeit, den christlichen Glauben zu verteidigen, und nutze dabei angeblich vom Westen aufgezwungene Gay Prides als quasi Rechtfertigung für kriegerische Handlungen. [….] "Seit acht Jahren gibt es Versuche, das zu zerstören, was im Donbass existiert", so Kyrill. "Und im Donbass gibt es eine Ablehnung, eine grundsätzliche Ablehnung der sogenannten Werte, die heute von denen angeboten werden, die die Weltmacht beanspruchen."  Laut dem Kirchenoberhaupt gebe es "einen Test der Loyalität gegenüber dieser Macht", der Zutritt gewähre "in diese 'glückliche' Welt, eine Welt des übermäßigen Konsums, eine Welt der scheinbaren 'Freiheit'". Bei diesem "erschreckenden" Test handle es sich um CSDs: "Die Forderung vieler, eine Gay-Pride-Parade zu veranstalten, ist ein Test der Loyalität zu dieser sehr mächtigen Welt; und wir wissen, dass Menschen oder Länder, die diese Forderungen ablehnen, nicht Teil dieser Welt werden, sie werden zu Fremden in dieser Welt."  "Wir wissen, was diese Sünde ist", die durch CSDs gefördert würden, so Kyrill weiter. Sie werde von Gott im alten und neuen Testament verurteilt. "Und wenn Gott die Sünde verurteilt, verurteilt er nicht den Sünder. Er ruft ihn nur zur Umkehr auf – aber nicht, um die Sünde zu einer Lebensnorm, zu einer Variante des menschlichen Verhaltens, zu machen, die respektiert und akzeptiert wird".Wenn die Menschheit annehme, dass Sünde kein Verstoß gegen Gottes Gesetz sei, werde die menschliche Zivilisation enden, so Kyrill. [….]

(Queer.de, 06.03.2022)

Wer das für maximal irre hält, hat noch nicht gehört, wie sich der mögliche nächste US-Präsident und damit Herr der gewaltigsten Kriegsmaschine aller Zeiten, eine Lösung des Ukraine-Krieges vorstellt. Er fände es schön, einen dritten Weltkrieg auszulösen und zuzusehen, wie sich die Atom-Supermächte China und Russland gegenseitig auslöschen.

[….] Vor 250 Parteifreundinnen und -freunden sagte Donald Trump nun, die USA* sollten direkte Luftangriffe auf Russland beginnen. „Bomb the Shit out of Russia“, forderte Trump laut Informationen der Washington Post. Um zu verhindern, dass in Konsequenz der Dritte Weltkrieg ausbricht, hatte der abgewählte Würdenträger ebenfalls einen Plan parat: „Wir sagen einfach, China* war es. Dann fangen sie an, sich untereinander zu bekämpfen und wir lehnen uns zurück und schauen zu.“ US-Präsident Joe Biden* und seiner Regierung empfahl Trump, die F22-Kampfjets der US-Luftwaffe mit chinesischen Flaggen zu übertünchen. [….]

(Daniel Dillmann, FR, 07.03.2022)

75 Millionen Amerikaner finden das gut und wollen ihn wieder wählen.

[….] Nichts an diesem Szenario ist lustig. Nicht nur, weil sich solche Zynismen angesichts der apokalyptischen Bilder aus Mariupol und anderen ukrainischen Städten verbieten. Vor allem verrät die Bemerkung jenseits des kranken Humors mehr über den einstmals mächtigsten Mann der Welt, als diesem lieb sein kann: Trump ist ein selbstmitleidiger Narzisst mit perversen Gewaltfantasien. Er hat von der politischen Wirklichkeit keine Ahnung. Und er bewundert totalitäre Herrscher.

Noch vor knapp zwei Wochen, buchstäblich am Vorabend des Überfalls auf die Ukraine, hatte Trump den russischen Machthaber Wladimir Putin ein „Genie“ genannt und die angebliche Entsendung russischer Soldaten in zwei ostukrainische Provinzen „wunderbar“ genannt: „Das sind die stärksten Friedenstruppen, die wir je gesehen haben.“ Nun ergeht er sich in blutrünstigen Kraftmeiereien gegenüber Moskau und greift seinen Nachfolger Joe Biden als Schwächling an.  [….]

(Karl Doemens, RND, 06.03.2022)