Sonntag, 24. September 2017

Die Würfel sind noch nicht gefallen



Ganz so abwegig war meine pessimistische Prognose von gestern also nicht.

Die Grünen sind stärker als ich dachte. Vermutlich gab es einige taktische Denkende, die annahmen, daß Frau Merkel als Kanzlerin ohnehin nicht zu verhindern ist, denen Lindner höchst unsympathisch ist. Unter den Prämissen kann man als linksliberal Denkender der CDU das Leben am schwersten mit machen, wenn Grüne in den Jamaika-Verhandlungen möglichst stark sind.
Daher haben 400.000 SPD-Wähler von 2013 diesmal für grün gestimmt.

Außerdem scheinen die Sozis mit knapp 21% nicht ganz so dramatisch abgestürzt wie ich befürchtete. Dennoch ist es das schlechteste Ergebnis überhaupt seit 1949 und es erstaunt mich schon, wie sehr Herr Schulz in seiner Zustimmungsblase hockt und ihm gar nicht in den Sinn kommt zurückzutreten.
Seit er im Amt ist, gab es krachende Niederlagen in drei Landtags- und der Bundestagswahl.

[….] Mehr als 40 Millionen Bürger wurden Anfang 2016 von Rot-Grün regiert. Nach einem Verlust Niedersachsens wären es nicht einmal mehr 2,5 Millionen. [….] Noch Anfang des vergangenen Jahres wurden sechs Länder von Koalitionen aus SPD und Grünen regiert. Kein anderes Bündnis kam häufiger vor, selbst große Koalitionen gab es damals lediglich in fünf Ländern. Ein Jahrzehnt nach dem Ende der Bundesregierung Schröder/Fischer hatte Rot-Grün wieder Konjunktur. In Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Hamburg und Bremen zeigte sich eine erstaunliche Renaissance des lange als "Projekt" idealisierten Bündnisses von SPD und Grünen. Wenn man Schleswig-Holstein dazuzählt, dort konnten SPD und Grüne mithilfe des kleinen SSW regieren, kommt man sogar auf sieben Bundesländer, in denen Rot-Grün damals reüssierte. [….] Doch seitdem gab es einen beispiellosen Niedergang. [….]
Aus mehr als 40 Millionen Bürgern, die in einem Bundesland mit rot-grüner Regierungsmehrheit leben, wurden innerhalb eines guten Jahres weniger als 2,5 Millionen. Nur in den Stadtstaaten Hamburg und Bremen hat das Bündnis überlebt. Der Absturz ist auch ein Fanal für SPD und Grüne im Bund. [….]

Nach gut 20% für die SPD bei der Bundestagswahl 2017; Schröder holte 1998 noch 41%; sollte man sich als Chef fragen, ob man der Richtige ist.
Martin Schulz betonte heute, er habe die volle Rückendeckung der Parteiführung.
Als ob sich jetzt irgendjemand vordrängen würde.
53% der SPD-Wähler fanden nach ARD-Zahlen Schulz im Wahlkampf "hilfreich."
Bei der CDU sind es umgekehrt 91%, die Merkel für hilfreich halten.

Selbst die eigenen SPD-Anhänger trauen ihm nicht zu der Partei zu nützen.
Zudem wird heute immer wieder gemeldet, Herr Schulz werde am Mittwoch Andrea Nahles als neue SPD-Fraktionsvorsitzende vorschlagen.
Einen Hinweis darauf bekamen wir schon, als Schulz im Willy-Brandt-Haus vor die Presse ging und Nahles, obwohl sie kein Parteiamt hat, direkt neben ihm stand und im Gegensatz zu den anderen SPD-Größen auf der Bühne ununterbrochen breit grinste.

Glückwunsch; mit sicherem Griff pickt sich Herr Schulz unter 150 Abgeordneten die Ungeeignetste und Unbeliebteste heraus. Eine extrem schlechte Rednerin, die selbst in der eigenen Partei nicht gemocht wird,
Ausgerechnet also die Frau, die politisch für das Thema, welches der SPD nicht mehr zugetraut wird, nämlich die Sozialpolitik zuständig ist.


Und nun? Bleibt nur Jamaika?
Manuela Schwesig gab schon um 18.01 Uhr die Wortwahl vor, an die sich auch alle anderen Sozis hielten: Ein Wahlergebnis gegen die GroKo, wir nehmen die Oppositionsrolle an.
Aber keiner schließt die GroKo definitiv aus.
Schulz tat es auch in der Berliner Runde nicht!
Gut möglich, daß ein, zwei Monaten alles anders aussieht.

In drei Wochen ist Landtagswahl in Niedersachsen. Bis dahin wird kein Sozi das Wort „Groko“ in den Mund nehmen.
Aber die SPD muss nur abwarten, da die Koalitionsverhandlungen mit CSU und FDP extrem schwer werden. Schon früher waren es Seehofer und Lindner in den jeweiligen Parteien, die sich 2009-2013 wie die Pest hassten (Gurkentruppe, Wildsäue).
Dazu noch die Grünen, die es ausgerechnet mit einer frustrierten CSU zu tun haben, die mit ihrer AfD-Imitationspolitik auf 38% in Bayern abgestürzt ist („man wählt immer das Original“) und nun noch rechtslastiger auftreten will.

[….] Laut Prognose des Bayerischen Rundfunks landet die Partei von Horst Seehofer bei 38,5 Prozent - ein Verlust von 10,8 Prozentpunkten gegenüber 2013. Das wäre das schlechteste Bundestagswahlergebnis der CSU seit 1949. [….] "Wir hatten eine offene rechte Flanke auf der rechten Seite", sagt Seehofer. "Es kommt darauf an, dass wir diese Flanke schließen. Mit klarer Kante und klaren Positionen." Verkehrsminister Alexander Dobrindt sprach von einem bitteren Wahlabend. Für die CSU bedeute dies, dass sie ihre Themen - vor allem die Migrations- und Flüchtlingspolitik - in anstehenden Koalitionsverhandlungen noch stärker deutlich machen müsse. […]

Mit den Orban-umarmenden Obergrenze-Bayern wollen nun Özedemir und Göring-Kirchentag ins Bettchen?

[….] Der schleswig-holsteinische Grünen-Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz ist ebenfalls skeptisch: "Der Weg nach Jamaika ist viel weiter noch als in Schleswig-Holstein, weil er über München geht", sagte Notz, der zuletzt Vizefraktionschef der Grünen im Bundestag war. [….]
(dpa, 24.09.17)

Das wird lange dauern und sehr unerfreulich sein. Währenddessen bleibt die GroKo im Amt, möglicherweise viele Monate, in denen die Kanzlerin täglich mit SPD-Ministern im Kabinett zusammentrifft.
Ich halte es für möglich, daß Merkel die sozialdemokratischen Minister dabei doch noch weichkocht, möglicherweise aufgrund des miesen CDU-Ergebnisses einen zusätzlichen Ministerposten oder sogar den Finanzministerjob anbietet.
In der Berliner Runde sprach die Kanzlerin ausdrücklich von „meiner Staatsministerin“ Aydan Özoğuz, nahm also die SPD-Vizechefin gegen die AfD in Schutz. Zudem verwies sie auf die ganz großen Krisenherde der Welt, nannte die Türkei, Russland und Nordkorea. Wäre es da nicht besser einen SPD-Außenminister im Amt zu haben, statt eines FDP-Windeis?
Insbesondere Armin Laschet wirbt heute schon intensiv um die SPD.

Während die alte Groko noch im Amt ist,  erlebt aber die SPD schon wie es sich mit den Opposition-Partnern Linke und AfD lebt, die insbesondere mit einer derart schlechten Rednerin wie Nahles leichtes Spiel haben werden jede SPD-Forderung populistisch von links und rechts zu übertrumpfen.

Merkel wird in der Zeit jeden Tag Außenminister Gabriel und Co ausmalen wie gefährdet die EU mit Lindner und seinen Greenhorns ist – wer soll eigentlich Ministersessel in der FDP übernehmen?

Die Europapolitik wird extrem kompliziert bei Jamaika, weil Lindner den ESM ablehnt, Griechenland aus dem Euro schubsen will und auf extremen Gegenkurs zu Macrons Ideen über eine gemeinsame EU-Finanzpolitik geht.

Das ist eigentlich komplett inkompatibel zu Merkel und erst recht zu den Grünen.

Ich befürchte, Martin Schulz ist intellektuell überfordert mit Parteipolitik und strategischer Planung.

So erklärte er vorhin in der Berliner Runde, die SPD werde ihrer staatsbürgerlichen Verantwortung für das Land in der Opposition nachkommen und behauptete gleichzeitig, Jamaika werde vier Jahre eine Politik der Lähmung bedeuten.
Was für eine Steilvorlage für Christian Lindner, der sich sofort als seriöser Staatsmann inszenierte und Schulz – leider ZU RECHT – vorhielt, wie er aus „staatspolitischer Verantwortung“ eine „Regierung der Lähmung“ befürworten könne.

Es gefällt mir gar nicht, wenn ausgerechnet Lindner in so einer wichtigen Sendung auf Kosten der SPD punktet.

Zu allem Übel legte dann Joachim Herrmann, CSU, („Roberto Blanco war immer so ein netter Neger“) nach und fuhr eine wüste Attacke gegen ARD und ZDF, die mit ihrer Themenwahl die AfD erst stark gemacht hätten.
Das schreibe ich seit zwei Jahren!
Muß es ausgerechnet ein rechter CSU’ler sein, der das den Hauptverantwortlichen der öffentlich Rechtlichen ins Gesicht schleudert?
Wieso fiel das Schulz nicht während des Duells mit Merkel ein?

Für die SPD und die CSU war die Bundestagswahl ein Debakel  - sagt Heribert Prantl.


Recht hat er, der Prantl, aber Jamaika ist auch so übel, daß ich mich frage, ob Harakiri nicht besser für das Land wäre.