Oh wie altmodisch ich doch bin. Ich sehne mich 30 Jahre zurück, als Typen wie Harold Wilson, Helmut Schmidt und Valéry Giscard d'Estaing in Rambouillet zusammen saßen, um mal wirklich Klartext zu sprechen, um die wirklich drängenden Fragen der Zukunft konstruktiv anzugehen.
2015
geht es schon lange nicht mehr um Sachpolitik.
Ökonomisch
ist es weitgehend unumstritten, daß die Griechenland aufoktroyierten Austeritätsfesseln
absolut kontraproduktiv sind.
Schließlich
ist das fünf Jahre lang ausprobiert worden. Das Ergebnis ist klar: 30% der
Griechen leben unter der Armutsgrenze, die Gesamtwirtschaftsleistung brach um
25% ein, die Jugendarbeitslosigkeit stieg auf unfassbare 50%.
Ungeniert
präsentieren aber gerade mal wieder die ARD-Tagesthemen mit Merkels Büttel
Reinald Becker dreiste Fehlinformationen („500 Milliarden Hilfsgelder sind nach
Griechenland geflossen“ – NEIN sind sie nicht – fast alles ging in die Kassen der
Gläubigerbanken in Deutschland und Frankreich!) und Hetze („Der Grieche hat
jetzt lang genug genervt“).
Daß
diese Art Politik in Berlin gemacht wird, hat einen Grund: Sie kommt bestens an
beim desinformierten Urnenpöbel.
Schäubles
und Merkels Beliebtheit stieg auf Rekordwerte, nachdem
sie andere Länder mal so richtig gedemütigt hatten.
Da kommt
der abscheuliche Dumpfdeutsche zu Tage, den man zu Recht nicht leiden kann.
Das ist
zwar peinlich für Deutschland und schäbig für die CDU, aber es hat auch eine
internationale Dimension.
Deutschland
ist so wieder zum „hässlichen Deutschen“ geworden.
Merkel,
die laut Amtseid eigentlich den Schaden abwenden und Nutzen mehren sollte, hat
einen gewaltigen Imageschaden verursacht und nebenher auch noch mal eben
mindestens eine Volkswirtschaft ruiniert.
Zu
komisch, daß einst Oskar Lafontaine hartnäckig als der gefährlichste Mann
Europas diskreditiert wurde, als er versuchte den entfesselten
Finanzkapitalismus etwas zu bremsen.
Der
gefährlichste und destruktivste Mann Europas ist Wolfgang Schäuble!
Der Mann, der sechs Jahre als Finanzminister auf ohne sein Zutun übersprudelnden Kassen sitzt, aber nicht in der Lage ist auch nur einen Vorschlag zu machen wie das deutsche Mehrwertsteuerchaos nur ein Fünkchen übersichtlicher werden könnte und nun von Syriza verlangt ein Mehrwertsteuergesetz in 48 Stunden zu verabschieden.
So scheitert Europa! Merkel
und Schäuble haben dank einer ekligen Allianz alle deutschen Forderungen durchgesetzt.
Das Ergebnis: ein Sanktions- und Zwangsregime.
[….]
In einem noch nie dagewesenen Durchmarsch
haben Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble alle deutschen Forderungen
durchgesetzt. Sie laufen darauf hinaus, Premier Alexis Tsipras und seine Syriza
zu bestrafen und Athen unter Kuratel zu stellen.
Nun kommt nicht nur
die Treuhand-Anstalt nach DDR-Muster. Auch die verhasste Troika darf in Hellas
wieder das Zepter übernehmen. Gleichzeitig wird das Parlament entmachtet: Es
muss alle Spar- und Reformvorgaben abnicken und automatische Budgetkürzungen
erlauben.
Ausgedacht hat sich
diesen Coup unser beliebter Herr Schäuble. Mit seinem mittlerweile
berühmt-berüchtigten Positionspapier hat er schon vor dem Gipfel die Weichen
gestellt. Er kam damit Ländern wie Finnland entgegen, die Griechenland aus dem
Euro drängen wollen und seit jeher Sicherheiten für neue Hilfen fordern.
[….]
Beschämend ist auch, wie Merkel und
Schäuble ihre traditionellen Partner vor den Kopf gestossen haben. Nachdem sie
ihr Bündnis mit Finnland und anderen Hardlinern geschmiedet hatten, ließen sie
alle Forderungen aus Italien oder Frankreich an sich abprallen.
Kein Wunder, dass die
italienische Presse schon eine neue Berliner Mauer entstehen sieht. Auch in
Frankreich ist man entsetzt über das autoritäre und egoistische deutsche
Vorgehen. [….]
(Eric Bonse taz 13.07.15)
[….]
Griechenland hat kapituliert, Deutschland
gesiegt - das ist die traurige Bilanz des Wochenendes. Denn die Diplomatie von
Wolfgang Schäuble war die Rückkehr Europas zu früheren Machtgefügen, in denen
der Stärkere seinen Willen durchsetzt.
Die Bundesregierung
hat an einem einzigen Wochenende siebzig Jahre Nachkriegsdiplomatie zunichte
gemacht. [….] Was am Wochenende in Brüssel passierte, war
die Rückkehr Europas zurück zu Machtgefügen des 19. und frühen 20.
Jahrhunderts, in denen der Stärkere dem Schwächeren seinen Willen aufzwang. [….]
Was Deutschland und die anderen
Kreditgeber Athen da aufdrängen, ist so extrem, dass man nicht nur in
Griechenland schockiert ist. Es wird einige Tage dauern, bis man dort die
Ereignisse des Wochenendes verdaut hat.
Die entrüsteten
Reaktionen, die ich wahrgenommen habe, kamen nicht einmal von den üblichen
Verdächtigen, sondern von eher konservativ gesinnten Deutschland-freundlichen
Ökonomen. Von Leuten wie Luis Garicano etwa, einem bekannten spanischen
Wissenschaftler, der das politische Programm der neuen konservativen Partei
Ciudadanos geschrieben hat und der in der Vergangenheit die deutsche Position
eher zu verteidigen geneigt war. "Die Euro-Gruppe hat auf die Vorschläge
von Tsipras falsch reagiert. Dort gerät die Diskussion jetzt außer Kontrolle und
erzeugt irreparablen Schaden für die EU. Sehr besorgniserregend", schrieb
er auf Twitter.
Deutschland stellt mit
seiner Diplomatie sicher, dass das jetzt beschlossene Griechenland-Programm
keinesfalls funktionieren wird. [….]
Warum ein
Nobelpreisträger auf Deutschland losgeht
[….]
Derzeitiger Lieblingsfeind Krugmans allerdings
ist die Bundesrepublik Deutschland, wegen der deutschen Sparsamkeit im
Allgemeinen und des Kurses von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble gegenüber
Griechenland im Besonderen. In seinem Blog "The Conscience of a
Liberal" schrieb er am Sonntag: "Die komplette Kapitulation reicht
Deutschland nicht. Es will einen Regimewechsel und die totale Demütigung."
Krugman schloss sich damit einer Hasskampagne gegen Deutschland an, die am
Wochenende die Netzgemeinde beschäftigte. Am Montag legte er noch nach:
"Das europäische Projekt, das ich immer gelobt und unterstützt habe, hat
einen schrecklichen, vielleicht sogar tödlichen Schlag erhalten. Und, was immer
man von Syriza und Griechenland halten mag, es waren nicht die Griechen, die
ihn ausgeführt haben." [….]
"Die Euro-Familie
hat sich als ein kreditwucherndes Konglomerat entpuppt, das sich nicht um die
Demokratie kümmert. (…) Die Welt sieht dabei zu, wie Griechenland im Namen der
Stabilität entmündigt wird. (…) Die harte Linie ist nicht förderlich, sie ist
einfach nur hart um des "Hart-Sein-Willens".
(The
Guardian, Großbritannien, 13.07.15)
Die Nacht, in der
Deutschland Tspiras in die Zange nahm. Ein Kompromiss? Eigentlich ist es eher
etwas, das wie eine Kapitulation des griechischen Premier Alex Tsipras
erscheint.
(Le
Monde, Frankreich, 13.07.2015)
"Die größte
Bedrohung Europas heute sind weder Putin noch der islamische Fundamentalismus,
weder die USA noch China, weder die Euroskeptiker noch die Populisten. Die größte Bedrohung Europas heute
stellt Wolfgang Schäuble dar, der deutsche Finanzminister. Schäuble
weiss, dass er gar nicht im Recht sein muss. Es reicht, der Finanzminister des
reichsten Landes der EU zu sein. Die jüngste Forderung eines Privatisierungsfonds,
der von den Gläubigern kontrolliert wird, scheint aus dem schlimmsten
Kolonialismus und Imperialismus des 19. Jahrhunderts zu kommen.
(Público,
Portugal, 13.07.2015)
"Brüssel legt
Athen auf die Folterbank“
(Volkskrant, Niederlande, 13.07.2015)
"Der
Weg zum harten Hilfsprogramm, was mehr als 80 Milliarden Euro für die Griechen
sichern soll, war ein langsamer, erniedrigender Vorgang, ein Pokerspiel mit
Multi-Milliarden-Beträgen, bei dem die ganze Welt zuschaute."
(The
Irish Times, Irland, 13.07.15)
"Die Staats- und
Regierungschefs der Eurozone haben am Montagmorgen die Fortsetzung der
gescheiterten "Rettungspolitik" beschlossen.“
(Frankfurter
Rundschau, 13.07.2015)
"Europa hat in
Alexis Tsipras einen charismatischen Vorkämpfer, einen, dem Europa wichtiger
ist als der kurzfristige parteipolitische Vorteil, mancher bizarr anmutenden
Volte zum Trotz. Sollte er über diese Haltung stürzen, wäre das ein Verlust vor
allem auch für die europäische Idee."
(Berliner
Zeitung 13.07.15)
Beinahe im Minutentakt
feuert Jeffrey Sachs gerade Tweets ab. Das Ziel: Die deutsche Regierung und
ihre - nach Meinung vieler US-Ökonomen - verfehlte Griechenland-Politik.
Jeffrey Sachs ist
wütend auf Wolfgang Schäuble. Richtig wütend. Man muss dazu nur verfolgen, was
der amerikanische Ökonom am Sonntag auf Twitter verbreitet, während in Brüssel
die Euro-Gruppe um die Griechenland-Rettung ringt. Es ist eine ganze Serie von
Tweets, und sie haben nur ein Thema: Wie Deutschland - und vor allem Schäuble -
die Krise handhabt.
"Ich habe so
etwas noch nie gesehen", schreibt Sachs, einer der bekanntesten
Wirtschaftswissenschaftler der Welt in einem seiner Tweets. Schäuble sei
absolut gegen Griechenland, sein Verhalten völlig irrational.
[….]
Sachs war als Ökonom mit seiner Kritik an
Schäuble am Sonntag nicht allein. Aus Äthiopien meldete sich am Abend Joseph
Stiglitz zu Wort, der amerikanische Nobelpreisträger ist dort für eine
Entwicklungshilfe-Konferenz der UN. Stiglitz warf der Bundesregierung einen
"Mangel an Solidarität" vor. [….] Zuvor äußerte sich Paul Krugman - ebenfalls Nobelpreisträger - in
seinem Blog für die New York Times. Er schrieb, die Nachrichten aus Europa
seien "schrecklich". Griechenland habe schon sehr viel geleistet,
aber offenkundig reiche Deutschland die "sustanzielle Kapitulation"
der Regierung Tsipras nicht aus; vielmehr gehe es darum, Griechenland
vollständig zu demütigen. [….]