Seine beiden Amtsnachfolger Ronald Reagan (1911–2004) und George H. Bush (1924–2018) wurden ebenfalls sehr alt, starben aber lange vor ihm – dem ältesten Ex-US-Präsidenten aller Zeiten: James Earl „Jimmy“ Carter Jr. (* 1. Oktober 1924 in Plains, Georgia; † 29. Dezember 2024 ebenda).
Der sehr fromme, liberale und zutiefst bescheidene 39. Präsident der USA war ganz sicher sympathisch und in jeder charakterlichen Hinsicht das diametrale Gegenteil des 45. und 47. Potus. Er setzte auf friedliche Mittel, Ehrlichkeit und Konsens. Möglicherweise fehlte es ihm am Härte. Bekanntlich war der zeitgleich amtierende Bundeskanzler Helmut Schmidt gar kein Fan der Carter-Administration, weil er sich energischeres Handeln und weniger Zweifel aus Washington gewünscht hätte.
Weltweit sind die Redaktionen auf die Todesnachricht vorbereitet, wenn der einst mächtigste Mann der Welt 100 Jahre alt ist. Sie müssen die Nachrufe und Würdigungen nun nur aus den Schubladen holen; dem will ich jetzt angesichts der ultraaktuellen Todesnachricht nicht vorgreifen.
Aber der allgemeine Tenor dürfte klar sein und aus drei Bausteinen bestehen:
1.) Über die Maßen sympathische Persönlichkeit mit Bilderbuchfamilie und Vorbild-Ehe.
2.) Schwache Präsidentschaft; nicht wiedergewählt.
3.) Bester Ex-Präsident.
Nun ja. Ob es wirklich so schlecht ist, wenn ein US-Präsident vier Jahre lang auf friedliche Mittel, Konsens, sozialen Ausgleich und Verhandlungen setzt? Carters Nachfolger Reagan gilt als größter US-Präsident seit dem Weltkrieg. Viele
halten ihn sogar für den besten US-Präsidenten aller Zeiten. Er griff durch und wurde mit überwältigen Ergebnis wiedergewählt. Sein Erbe sind die Reaganomics, die bis heute den Zerfall der US-Infrastruktur, die Verarmung und Verdummung der unteren Einkommenshälfte der Amerikaner bedingen. Er führte den Trickle-Down-Wahnsinn ein, der die Superreichen grotesk superreicher werden ließ. Er grenzte aus – insbesondere Schwule und HIV-Positive. Vor allem aber, setzt Reagan auf das Militär, griff immer wieder andere Länder an, bombardierte, mordete und unterstützte massiv antikommunistische Militärdiktaturen, wie El Salvador, die Myriaden ihrer eigenen Bürger abschlachteten. Reagan ließ das US-Militär im Nicaragua auf Seiten der Contras mitmischen, griff Grenada an, ließ im Libanon, Libyen und dem Iran bombardieren, rüstete den Irak massiv auf und förderte den Iran-Irak-Krieg, der allein auf Seiten der von Reagan so gehassten Iraner, eine Millionen Tote verursachte.
Das ist also das, was die Amerikaner und Historiker als den besten Präsidenten ansehen, während Carter, der es zur Abwechslung mal mit friedlichen Mitteln und Mitgefühl versuchte, als „total gescheitert“ gilt.
Als internationaler Diplomat lief Carter aber, nach seinem Amtsausscheiden, zur Höchstform auf, wurde zum bedeutendsten Friedensaktivisten und schließlich 2002 für sein humanitäres Engagement mit dem Friedensnobelpreis geehrt.
Anders als die meisten First Ladys, war seine Frau Rosalynn Carter (* 18. August 1927; † 19. November 2023), mit der er 77 Jahre lang verheiratet war, kein hübsches Modepüppchen, das politisch nichts zu melden hatte, sondern im besten Sinne intellektuell auf Augenhöhe. Er verehrte seine Rosalyn über alle Maßen und nahm sie politisch sehr ernst. Ich habe Jimmy Carter im letzten Jahr nicht persönlich sprechen können, mutmaße aber, daß ihm das Witwer-Dasein nicht gefiel. Seine Familie ließ mitteilen, das Erreichen seines 100. Geburtstages am 01.10.2024 sei ihm weniger wichtiger, aber er wolle unbedingt seine Stimme zur US-Wahl am 05.11.2024 abgeben und dazu beitragen, die erste Frau zur US-Präsidentin zu wählen. Er hielt tatsächlich lange genug durch, um Kamala Harris zu wählen, aber sein Wunsch, sie als Präsidentin gewählt zu sehen, erfüllte sich nicht.
Nicht Präsidentin Harris wird seine Grabrede halten. Stattdessen bricht am 20.01.2025 das absolute Grauen an.
Gerade noch rechtzeitig, bevor Trump als amtierender US-Präsident Einfluss auf die Beerdigung Carters nehmen könnte, reiste Carter heute ab.
Noch mal davon gekommen.
Die lebenden Ex-Präsidenten Clinton, Bush, Obama, sowie der noch amtierende Joe Biden, werden mit Sicherheit zu Carters Ehren erscheinen. Möge der Familie Carter erspart bleiben, daß auch die orange Pest erscheint. Die Hoffnung besteht immerhin, denn Trump kann es nicht ertragen, nicht selbst im Mittelpunkt zu stehen.