Samstag, 2. Januar 2016

Fluchtursachen bekämpfen à la Deutschland.



Mali ist dieser große westafrikanische Binnenstaat mit der charakteristischen Form. Im Nordosten hat das Land, das fast viermal so groß wie Deutschland ist, im rechten Winkel noch ein Sahel-Dreieck angesetzt.


Da ist aber wirklich Wüste und insgesamt leben im dem Riesenstaat weniger als 15 Millionen Menschen. Das sind gerade mal 12 Einwohner pro km². Obwohl Deutschland ja auch diesen extrem dünn besiedelten Nordosten hat, in dem niemand freiwillig leben will, bringt es Merkelland auf 227 Einwohner pro km².

Passionierte Afrika-Touristen lieben Timbuktu, die "Perle der Wüste", wegen ihrer sagenhaften Lehm-Moscheen und Mausoleen, die zum Unesco-Weltkulturerbe gehören.

Moschee in Djenna

Gute 50 Jahre nach der Unabhängigkeit von Frankreich schien das bitterarme und multiethnische Land endgültig verloren, als 2012 Islamisten aus Libyen zusammen mit Tuareg-Stämmen den gesamten Norden Malis überrannten und für den Azawad die Unabhängigkeit ausriefen.

Für Europa ist Elend in Afrika generell eher uninteressant. So richtig mag sich niemand um die millionenfachen Morde im Kongo, Burundi, Uganda oder die failed States Ostafrikas – Südsudan, Somalia und Eritrea kümmern.

Mali erregt viel mehr Aufmerksamkeit, weil es traditionell eine Transitfunktion nach Nordafrika und die Mittelmeerküste bildet. Aus Zentral- und Südafrika kommend reisen Migranten via Agadez (Niger) nach Mali, um dann die Sahara zu durchqueren.

Afrikaner will die EU allerdings unter gar keinen Umständen bei sich aufnehmen und schließt daher mit den miesesten Despoten Geschäfte, die man nur als eine Form von Menschenhandel betrachten kann.
Sie bekommen Geld aus EU-Töpfen, wenn sie die Menschen einsperren und/oder versklaven; Hauptsache, sie kommen nicht mehr bis zum Mittelmeer.
Mit den Sonntagsreden Merkels, Gaucks und Steinmeiers, die angeblich etwas dafür tun wollen, daß die Menschen gar nicht erst aus ihren Heimatländern fliehen müssen, hat das so gar nichts zu tun

Es ist ein ganz absurder Vorgang, dass die EU, die ja wirklich auf den Menschenrechten aufgebaut ist, sich mit Staaten an einen Tisch setzt, die für Menschenrechtsverletzungen in höchster Weise verantwortlich sind.“
Zum Beispiel Eritrea. Der Menschenrechtsbericht der Bundesregierung spricht von einem „diktatorischen“ Regime, von einem Machthaber, der die eigene Bevölkerung massiv unterdrückt. Vor wenigen Wochen veröffentlichen die Vereinten Nationen einen Bericht über die Situation dort. Von einem repressiven System ist die Rede. Menschen würden dort willkürlich verhaftet, gefoltert, verschwänden spurlos und würden ohne Gerichtsurteil hingerichtet. Scharfe Kritik am Regime in Eritrea, auch von den Abgeordneten der Regierungskoalition.
„Folter, jahrelange Zwangsarbeit …“ „Es gibt keine Parteien, keine freien Medien, schon erst recht keine internationalen. Keine Gewerkschaften.“ „Hinrichtung und unsägliche Haftbedingungen.“ „Frauen und Mädchen werden innerhalb der Armee, innerhalb dieses Dienstes als Sexsklaven gehalten.“

 „Das Ziel der europäischen Politik ist es, Flüchtlinge fernzuhalten. Koste es, was es wolle. Und es gibt keine Schamgrenze mehr in der Kooperation. Mit einer Militärdiktatur, wie zum Beispiel Eritrea darf man nicht kooperieren, mit dem Ziel Flüchtlinge fernzuhalten. Die Opfer dieser Diktatur sollen in der Diktatur bleiben. Das ist das Ziel der europäischen Regierungen.“
Und es geht nicht nur um Eritrea. Auch die Nachbarstaaten sind offenbar enge Kooperationspartner der EU. Zum Beispiel der Sudan. Hier soll laut Verhandlungsunterlagen sogar ein regionales „Trainingszentrum“ etabliert werden, um Menschenhandel zu bekämpfen. Und das, obwohl der sudanesische Diktator seit Jahren wegen Völkermords und Kriegsverbrechen vom Internationalen Strafgerichtshof gesucht wird. Oder Südsudan. Wo Hunderttausende Menschen vor Massenvergewaltigungen und Massenerschießungen fliehen, die auch von den Regierungstruppen des südsudanesischen Präsidenten begangen werden sollen. Ausgerechnet hier will Europa das „Grenzmanagement“ verbessern.

Es bleibt aber nicht nur dabei, daß Deutschland und die EU mit den Diktatoren kooperieren, vor denen die Menschen fliehen, so daß die Horrorregime sogar noch gestärkt werden.

Die EU und insbesondere Deutschland gießen auch noch begeistert Öl in die Bürgerkriegsgebiete, indem sie genau dorthin Waffen exportieren.
Der IS schießt inzwischen mit Heckler & Koch. Merkel hat es im Bundessicherheitsrat genehmigt.

Zurück zu Mali.
Den von islamistischen Tuareg gehaltenen Azawad wollte die ehemalige Kolonialmacht Frankreich nicht akzeptieren. 400.000 Malier versuchten als Binnenflüchtlinge den Islamisten zu entkommen.
Damit nicht noch mehr arme Menschen nach Europa ziehen, griff Frankreich im Januar 2013 nach einer UN-Resolution militärisch ein („Operation Serval“) und jagte die Rebellen aus dem Land.

Es kam, wie es so oft kommt, wenn „der Westen“ in Bürgerkriege eingreift; letztendlich führte es zu Chaos, weil es keine Strategie gab, was anschließend passieren sollte.
Inzwischen sind auch einige Hundert von Frau von der Leyens Jungs in Mali und wollen Polizei und Armee ausbilden. Der deutsche Brigadegeneral Franz Xaver Pfrengle kommandiert knapp 600 Militärausbilder aus 24 europäischen Nationen.
Ein relativ hoffnungsloses Unterfangen.
Ähnlich wie in Afghanistan sind die einheimischen Kräfte noch Lichtjahre davon entfernt das eigene Land gegen islamistische Gruppen verteidigen zu können.

Um sich einen Überblick zu verschaffen, ermitteln sie jetzt erst mal, wie viele Soldaten überhaupt bei der Armee im Sold stehen. "Keiner weiß das so genau", sagt er. "Manche sagen, 22 000 Mann, andere, 30 000."  Pfrengle berichtet von museumsreifen Flugabwehrraketen, für die der Kommandant alljährlich Wartungsgebühren in Rechnung stellt. Er erzählt von Soldatensocken aus China, abgerechnet mit einem Einkaufspreis von 30 Euro. Viele Malier im Offizierslehrgang scheitern schon am Nato-Alphabet, weil sie nicht schreiben können. Sie sind nicht in der Lage, die Flugbahn einer Rakete zu berechnen, weil ihnen Grundkenntnisse der Mathematik fehlen. Es sind Männer, für die der Offiziersrang keine Verpflichtung ist, sondern ein durch Beziehungen erkauftes Privileg.
(Der Spiegel 48/2015 s.103.)

Aber wieso ist die wirtschaftliche Lage Malis eigentlich so miserabel?
Wieso kann sich das Land nicht selbst ernähren, obwohl Hunderte NGOs dort engagiert sind und der Staatshaushalt schon zu 20% aus Entwicklungshilfe besteht?

Ein Grund liegt auf der Hand:
Auch Mali ist eine Kleptokratie. Hunderte Millionen Euro bleiben in den Taschen einer kleinen herrschenden Schicht hängen. Diese haben inzwischen Milliarden zurück nach Europa auf ihre privaten Bankkonten in der Schweiz, Luxemburg, Liechtenstein und London geschafft.

Wesentlich verheerender ist aber die Agrarpolitik des Westens.
Merkels EU und die USA subventionieren ihre Bauern so extrem, daß die landwirtschaftlichen Erzeugnisse in solchen Massen und so billig auf den Weltmarkt geschwemmt werden, daß die gesamte Agrarwirtschaft des afrikanischen Kontinents abgewürgt wird.
Hochsubventionierte Hühnerteile aus der EU landen in jeden Tag Tonnenweise in Zentralafrika. Kein afrikanischer Züchter kann sich noch leisten ein einziges Huhn zu halten.

Die EU-Regierungschefs wie Angela Merkel sind also direkt dafür verantwortlich, daß Millionen Afrikanern aus blanker wirtschaftlicher Not nur noch die Flucht bleibt.
Merkel ist Miterzeugerin des Migrationsdruckes.
Hauptübeltäter in Deutschland sind das CSU-geführte Agrarministerium und das Bundesland Bayern, das traditionell den Bauern verbunden ist. Niemand kämpft so hart für Flüchtlingsstrom-generierende Agrarsubventionen wie die CSU.
Daß also ausgerechnet Horst Seehofer sich als Vorkämpfer wider die Einwanderung nach Deutschland präsentiert, ist an Heuchelei nicht mehr zu überbieten.

IWF und EU machen Mali systematisch kaputt und wundern sich dann, wenn die Leute da abhauen wollen

"Ist nicht immer leicht", sagt [der GIZ*-Chef in Mali Jürgen] Koch, als er am Abend in nachdenklicher Stimmung auf einer Hotelterrasse sitzt. Die Erlebnisse des Tages arbeiten in ihm. Er hat gehört, dass das Schulsystem in Mali einst als eines der besten in Westafrika galt. Der Niedergang habe eingesetzt, als die internationale Gemeinschaft in den Achtzigerjahren damit begann, dem Land umfassende Strukturreformen zu verordnen.
Wie viele andere hoch verschuldete Länder wurde auch Mali dazu gedrängt, seine Staatsausgaben drastisch zu senken. Unter Aufsicht von Weltbank und IWF privatisierte die Regierung Dutzende Staatsbetriebe, Tausende Lehrer wurden entlassen. Das Erbe ist ein kaputter Staat, der kaum noch seinen Verpflichtungen nachkommt. Heute erscheinen die Lehrer oft nicht zum Unterricht, weil ihre mageren Gehälter sie zwingen, Privatstunden zu geben. Oder sie vergeben gute Noten gegen Geld. Vielleicht könnte sich Deutschland die Soldaten sparen, wenn es mehr Lehrer gäbe.
Der Niedergang des Schulsystems ist nur ein Beispiel. Als der [deutsche] Bewässerungsexperte [Matthias] Kliewe zum ersten Mal auf einem Markt Importzucker aus Guatemala sah, fand er es so absurd, dass er ein Foto machte. Genauso gut hätte er Hühnerfüße knipsen können oder Milchpulver, Abfallprodukte aus hoch subventionierten deutschen Großbetrieben, die in Bamako zu Preisen angeboten werden, mit denen kein einheimischer Bauer konkurrieren kann. Die Baumwolle kommt oft aus den USA, wo die Regierung ihre Farmer jedes Jahr mit rund zwei Milliarden Dollar unterstützt.
Es ist diese Doppelzüngigkeit, die viele beklagen. Politiker, die von Entwicklung oder fairem Handel reden, aber denen letztlich nur daran gelegen ist, neue Absatzmärkte zu erschließen. "Was fehlt", sagt Kliewe, "ist Kohärenz." Und solange sich daran nichts ändert, bleibt sein Kampf ein Kampf gegen Windmühlen, egal wie gut die Excel-Tabellen aussehen. Am Ende all dessen steht ein Verdacht: Könnte es sein, dass auch die Rede von der Bekämpfung der Fluchtursachen nur eine Erzählung ist, die in die Irre leitet? Dass das Interesse, das dahintersteht, eigentlich ein ganz anderes ist?
(Der Spiegel 48/2015 s.103.)

*GIZ = Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit.

NACHTRAG:

Siehe auch hier.