Es muß
ab und zu gesagt werden, weil es sonst ganz in Vergessenheit gerät:
Sigmar Gabriel ist eigentlich ein Guter, der zuhören kann und sehr klug abwägt.
Sigmar Gabriel ist eigentlich ein Guter, der zuhören kann und sehr klug abwägt.
Er ist
ein Engagierter, der im Kabinett Merkel I als einziger mutig SPD-Politik
durchsetzte.
Man soll
nicht den Stab über den Vizekanzler brechen.
Nach
der Mega-Niederlage von 2009 brauchte die psychologisch niedergeschmetterte
Partei, deren baldige Auflösung schon von vielen Zeitungen kolportiert wurde,
jemand, der sie wieder aufrichtet. Jemanden, der Mut machen kann.
Sigmar
Gabriel hat viele Talente und dazu gehört, daß er gelegentlich sehr gute bis
brillante Reden hält. Darin ist er Merkel weit überlegen.
Zudem
ist Gabriel intelligent und in der Lage in kleineren Kreisen extrem sensibel
und tiefgründig zu argumentieren.
Er
kann beeindrucken; beispielsweise so geschehen auf der ZEIT-Matinee im Juni
2011, als er so brillierte, daß die gesamte feine Gesellschaft Hamburgs schwor
bei der nächsten Bundestagswahl SPD zu wählen.
Ich
habe ihn gelegentlich in Talkshows zu Randthemen gesehen, bei denen er mich
absolut überzeugte.
Der
SPD-Vorsitzende ist allerdings nicht nur wankelmütig bezüglich der vertretenen
politischen Inhalte, sondern weist auch charakterlich enorme Schwankungen auf.
Er
kann die leisen, behutsamen Zwischentöne und poltert im nächsten Moment wie
eine Dampfwalze los.
Er
bohrt einerseits mit Engelsgeduld dicke Bretter, bereitet Jahre lang vor und
dann reißt ihm abrupt doch die Hutschnur.
Er
argumentiert manchmal hochseriös und überzeugend, um dann im nächsten Moment
seine Gegner für dumm zu verkaufen.
Er
war seit Jahrzehnten durch seinen Vater extrem für Rechtsradikalismus
sensibilisiert, engagierte sich persönlich für den Erhalt von KZ-Gedenkstellen,
leistete Aufklärungsarbeit gegen Neonazis. Plötzlich aber lässt er seinen
vorbildlich gegen rechts engagierten Justizminister Maas im Regen stehen und
besucht als Vizekanzler den menschlichen PEGIDA-Abschaum.
Gabriels
2016er Performance fällt bisher dumpf und dunkel aus.
Das
erbärmliche Hickhack um das sogenannte Asylpaket II, mit dem die SPD Kinder zu
Waisen macht und noch mehr Menschen in die seeuntüchtigen
Schlepperschlauchboote auf die ungewisse Reise durch die Ägäis schickt, lobt der Superminister a posteriori als stringente
SPD-Regierungspolitik.
Ähnlich
absurd entwickelte sich Gabriels Versprechen für Transparenz bei den
TTIP-Verhandlungen zu sorgen.
Nachdem
er den berüchtigten „TTIP-Leseraum“ eingerichtet hatte, erstarb das letzte bißchen
Offenheit, weil die kritischen Bundestagsabgeordneten nun mit einem Maulkorb
versehen sind.
Was ist
los mit Gabriel?
Dazu
zitiere ich mal eine dezidiert linke Stimme, nämlich Ulrich Schulte, den Leiter
des Parlamentsbüros der taz.
[….]
Besser
als sein Ruf
Das Image von Sigmar
Gabriel ist mies. Die SPD leidet unter ihrem Chef, bei den Deutschen ist er nur
mäßig beliebt. Warum eigentlich?
[….]
Gabriel und die Deutschen, das ist keine
Liebesgeschichte. Die Sprunghaftigkeit des SPD-Vorsitzenden und
Wirtschaftsministers ist legendär, seine Neigung zu Ungeduld und schlechter
Laune auch. Die SPD leidet, oft still und immer öfter laut. Gabriels Ja zur
Vorratsdatenspeicherung, sein Nein zu linker Steuerpolitik, der Populismus in
der Griechenland-Krise, die verfluchten 25 Prozent in den Umfragen.
Bei alldem geht unter,
dass Gabriel manchmal besser ist als sein Ruf.
[….]
Gabriel schwebt ständig in
Populismusgefahr, einfach weil er Gabriel ist. Aber in der Flüchtlingsdebatte
fällt etwas Erstaunliches auf: Der SPD-Chef sagt allen die Wahrheit, auch wenn
das unangenehm ist.
[….]
Dem aufgeklärten Bürgertum im Volksbad
Jena erklärt er, dass es auch einfach denkende Menschen in Deutschland gibt.
Den Neonazis zeigt er seine Verachtung, was dem Willy-Brandt-Haus diese Woche
hunderte Hassmails und wütende Anrufe einbrachte. Und der ängstlichen Heidenauerin,
die sich vor dem Baumarkt vor den hohen Flüchtlingszahlen fürchtet, rechnet er
vor, dass der Libanon, ein Staat mit 5,9 Millionen Einwohnern, rund 1,2 Millionen
Flüchtlinge aufgenommen hat.
Was für ein Vergleich.
Stünde Deutschland vor einer solchen Aufgabe, müsste es 16,5 Millionen Menschen
integrieren, fast die ganze Bevölkerung von Nordrhein-Westfalen.
[….]
Gabriel agiert in der Flüchtlingsfrage
wie ein echter Staatsmann. Er fuhr hin, Merkel zögerte. Er redete Tacheles,
Merkel druckste herum. Die in Umfragen beliebte Kanzlerin, die scheinbar
unbesiegbar scheint, wirkte plötzlich wie „die Getriebene“, schrieb die
Nachrichtenagentur dpa. [….] Merkels
Pragmatismus kommt an, auch wenn oft keiner weiß, was die Kanzlerin will.
Gabriels Ungeduld ist unbeliebt. Gabriel hat sich deshalb ebenfalls eine
zutiefst pragmatische Haltung zugelegt. Er macht einfach weiter, Selbstzweifel
helfen ja nicht. Fragen, warum die SPD nicht aus dem Umfragetief herausfindet, umkurvt
er inzwischen routiniert.
Eines ist dabei nicht
unwichtig: In Gabriels DNA fehlt offenbar ein Gen, das für Politiker
lebenswichtig ist. Ihm ist völlig schnuppe, ob ihn Menschen mögen oder nicht.
Er putzt gern Journalisten herunter, die aus seiner Sicht dumm fragen.
Pressekonferenzen mit ihm arten oft in Machtspielchen aus. Es ist deshalb eine
erwähnenswerte Nachricht, dass der SPD-Vorsitzende bei dieser Sommertour keinen
Reporter zusammenstauchte.
Diese Unbeherrschtheit
ist intellektuell nicht zu verstehen. Wer Kanzler werden will, muss gemocht
werden – und gemocht werden wollen.
[….]
Gabriel,
der Gute.
Der
Unterschätzte und Niedergeschriebene, das Talent, der selbstlose Familienmensch
und Tochter-Pfleger, der Basis-Spürer und Stimmungsseismograph präsentierte
sich heute als Abrüstungsminister.
Die
lästigen Waffenexporte steigen und steigen, weil
es keine Regeln dagegen gibt.
Heute
ging also der Wirtschaftsminister vor die Presse, gab einen absoluten Rekord an
deutschen Waffenexporten bekannt und begann gleichzeitig eine jetzt schon
legendäre Weichzeichnung. Denn eigentlich hatte Gabriel selbst vor der
Bundestagswahl 2013 intensiv dafür geworben mit der SPD würden deutsche
Rüstungsexporte massiv eingeschränkt.
Bisher aber ist vom
großen Politikwechsel nicht viel zu erkennen. Also holte Gabriel in Berlin zum
großen Erklärversuch aus. Fast 20 Minuten trug er vor, warum die Zahlen
täuschten. So seien in den 7,5 Milliarden viele unproblematische Deals
enthalten, etwa der Verkauf von Tankflugzeugen nach Großbritannien oder der
Export von Lastwagen, die nur formal als Rüstungsgüter gelten. Für einen Mann
wie Gabriel, der sonst ohne Manuskript redet, war der Vortrag bemerkenswert.
Zeile für Zeile trug er nun vom Blatt vor, er war gut vorbereitet.
Doch je mehr Gabriel
redete, desto stärker wirkte der Termin wie eine Verteidigungsschlacht. Das
ging so weit, dass er seine Vorgänger für so ziemlich alle fragwürdigen
Geschäfte verantwortlich machte. Fast ein wenig wehleidig trug er vor, dass er
nun einmal an Genehmigungen gebunden sei, die noch unter der schwarz-gelben
Koalition erteilt worden seien.
Die SPD
stimmt beim Thema Waffenexport in Krisengebiete stoisch mit der CDU.
Wir
haben eine Waffenexportrichtlinie, die den Export in Krisengebiete nicht
erlaubt. Es sei denn besondere
politische Umstände sprechen dafür.
17.000
Anträge auf Exportgenehmigung in Krisenregionen aufgrund besonderer Umstände
gingen in Gabriels Ministerium ein. 16.900 wurde Genehmigungen wurden erteilt.
Der Tod
ist ein Meister aus Deutschland.
Millionen
Menschen fliehen aus Kriegen und Bürgerkriegen, die Deutschland erst möglich
macht, an denen Deutschland Milliarden verdient.
Ein neuer Rekordwert
in Zeiten von Krisen und Kriegen ist ein düsterer Tiefpunkt der deutschen
Rüstungsexportpolitik. Bei Sigmar Gabriel klafft zwischen Wirklichkeit und
Anspruch eine hässliche Lücke der Verantwortungslosigkeit. Seit Amtsantritt
beteuert der Wirtschaftsminister gebetsmühlenartig, dass er als Sozialdemokrat
für eine strenge Rüstungspolitik stehe. Sigmar Gabriel steht mittlerweile für
große Worte und nichts dahinter. Statt hohler Phrasen erwarten wir von Sigmar
Gabriel einen radikalen Kurswechsel in der Rüstungsexportpolitik.
[….]
Ausufernde Waffengeschäfte zerstören die
Erfolge der Friedens- und Sicherheitspolitik und tragen dazu bei, dass die Welt
immer unfriedlicher wird.
(PM
Grüne, Agnieszka Brugger, Sprecherin für Sicherheitspolitik und Abrüstung und
Katja Keul, Parlamentarische Geschäftsführerin, 19.02.16)
Wir
sehen an diesem Fall mustergültig wieso die SPD so schlecht dasteht.
Gabriel
schafft es, daß seine Partei den ganzen Groll allein abbekommt, obwohl es die
ungleich stärkeren CHRISTLICHEN Parteien Merkels und Seehofers sind, die den
Waffenexport pushen.
Gabriel
könnte sich a) massiv dagegen auflehnen oder b) Koalitionsdisziplin üben, dabei
aber dem Publikum erklären, man habe sich aufgrund der Mehrheitsverhältnisse
der CDU/CSU unterordnen müssen, würde aber wenn man allein zu entscheiden hätte
etwas anderes tun.
Stattdessen
versucht sich Gabriel herauszumogeln, eiert und mäandert um die häßlichen
Fakten herum, tut so, als ob er doch irgendwie die Rüstungsexporte gesenkt hätte,
obwohl sie gestiegen sind.
Das ist
unglaubwürdig und kommt ganz schlecht an bei SPD-Sympathisanten.
Unglücklicherweise
gibt es dann auch noch den brillanten Linken Jan van Aken, der
eiskalt die Finger in die Wunde legt.
Van Aken
schlich sich heute in Gabriels Pressekonferenz, wurde dort entdeckt und unter
den Augen der gesamten Hauptstadtpresse rausgeworfen.
Tja,
Herr Gabriel, so macht man es natürlich gerade
nicht, wenn man die Kritiker der eigenen Politik verstummen lassen will.
[….]
Jan van Aken, Rüstungsexperte der
Linkspartei, hat sich in eine Pressekonferenz von Sigmar Gabriel eingeschlichen
- und wurde prompt rausgeworfen. Was ihm nur zusätzliche Aufmerksamkeit
sicherte.
[….]
Die Pressekonferenz mit
Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) zu den deutschen Rüstungsexporten 2015
hatte noch gar nicht begonnen, da hatte van Aken ihm schon die Show gestohlen. [….]
Offiziell war der Linken-Politiker
gekommen, um die vorläufigen Zahlen der Rüstungsexporte im vergangenen Jahr zu
erfahren. Die Linke hatte dazu ihre traditionelle parlamentarische Anfrage
gestellt. "Eine Antwort haben wir immer noch nicht", so van Aken.
"Sigmar Gabriel führt da einen Eiertanz auf. "Nun also saß er im
Publikum der Bundespressekonferenz und wartete gemeinsam mit den Journalisten
auf Gabriels Zahlen. Doch noch vor Konferenzbeginn wurde er des Raumes
verwiesen - offenkundig hatte er seinen Besuch nicht angemeldet. "Ich
wusste nicht, wie die Regeln hier sind", gab van Aken nach der
Pressekonferenz zu Protokoll. Dass er sich hätte anmelden müssen, sei ihm ja
nicht klar gewesen.
[….]
Das Raumverbot bewog van Aken allerdings
mitnichten dazu, das Gebäude zu verlassen. Stattdessen blieb er vor der
Glasfassade des Raumes stehen und schaute zu, wie Gabriel seine Zahlen verlas. [….]
"Es
zeigt sich wieder, dass die Exportkontrolle in Deutschland nicht funktioniert,
das ganze System ist kaputt. Gabriel hatte eine bessere Kontrolle von
Rüstungsexporten versprochen, jetzt sind die Genehmigungen unter seiner
Verantwortung ins Gigantische gestiegen. Sigmar Gabriel muss endlich
grundlegend etwas am System ändern und nicht nur kleine Schönheitskorrekturen
vornehmen. Einen echten Rückgang der Waffenexporte wird es nur mit klaren,
gesetzlichen Verboten geben. Ein komplettes Verbot von #Kleinwaffenexporte
ist lange überfällig."
(Jan van Aken, DIE LINKE, 19.02.16)