Sonntag, 18. August 2013

Fragwürdige Demokratie



Um das vorweg klarzustellen: Nein, ich weiß auch keine bessere Staatsform als eine Demokratie und setze mich daher im Zweifelsfall immer für demokratische Spielregeln ein.

Das liegt daran, daß der durchschnittliche Homo Sapiens eben nicht allgemein informiert ist und dann rationale und altruistische Entscheidungen trifft.
Die Kennzeichen westlicher Demokratien sind überbordende Apathie, Egoismus und St. Florians-Prinzip.
Der Wähler schätzt nicht nur massive Lügner wie Merkel, Friedrich, Schäuble, von der Leyen und Co, er belügt sich auch selbst.
Wenn sich der demokratische Wähler empört – sei es über Gammelfleisch, Dioxin im Ei, fehlende Infrastruktur, miese Schulen – dann beklagt er in der Regel Zustände, die er such sein eigenes Verhalten verursacht hat.
Wenn man immer nur zu Discountern rennt und das billigste Fleisch kauft, muß man sich nicht wundern, wenn in der Landwirtschaft und den Schlachthöfen schlimme Zustände herrschen.
Geradezu ekelhaft wird die Demokratie in Form der neu entdeckten Wutbürgerschaft, die sich gegen alles und jedes empört.
Es ist kaum noch möglich eine KITA, ein Altersheim oder gar eine Asylunterkunft zu errichten, ohne daß sofort Nachbarn auf den Barrikaden stehen, die streng nach St. Florian argumentieren. Ja, sie hätten Verständnis dafür, daß der Staat Unterbringungen für Sicherheitsverwahrte, Trinker oder verhaltensauffällige Jugendliche schaffen müsse – aber doch bitte in der Nachbarschaft von jemand anderen.
Keine zwei Kilometer von mir entfernt, schwillt gerade ein solcher Nachbarn-gegen-den-Bezirk-Streit an. Die Hamburger Boulevardmedien berichten in gewohnter Einseitigkeit ausschließlich aus der Sicht der „besorgten Eltern!“.
Wenn ich so was schon höre! Es ist immer ein Anzeichen von schwachen Argumenten, wenn es jemand nötig hat, die Sätze mit „Gerade ich, als Mutter..“ oder „ich als besorgter Vater..“ zu beginnen.
Aus der bloßen Tatsache einst den Geschlechtsverkehr ohne Verhütung durchgeführt zu haben, wird offenbar eine höhere Moral abgeleitet.
„Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter“ lautet das empfehlenswerte Buch zu der beklagenswerten Spezies der Latte-Macchiato-Mütter.

Worum geht es in meinem Nachbarstadtteil?
Nun, gegenüber der Grundschule in der Humboldtstraße befindet sich ein Bordell, das so unauffällig ist, daß lange Zeit niemand merkte was dort vor sich ging.
Man muß dazu erklären:
Wenn man von dem klassischen Arbeiterstadtteil Barmbek auf direktem Wege zur Außenalster geht – also beispielsweise auf der Geraden „Beethovenstraße -> Zimmerstraße -> Karlstraße“ bewegt man sich auf einer bemerkenswerten Mietxplosionsstrecke. Mit jedem Meter in Richtung Außenalster wird es teurer und exklusiver. Wenn man das Wasser sehen kann, befindet man sich in einer reinen Villengegend mit unbezahlbaren Quadratmeterpreisen. Nur einen Kilometer weiter östlich gibt es hingegen sehr einfache Gelbklinkerbauten aus der Nachkriegszeit. Wohnungen mit sehr kleinen Räumen, nachträglich eingebauten Bädern und dünnen Wänden.
Auf dem Weg von arm nach reich, wird die Strecke vom Winterhuder Weg -> Herderstraße zerschnitten. Eine häßliche anonyme, vierspurige Straße mit kaum einem Ladengeschäft. Jeder möchte gerne westlich davon wohnen, die meisten können sich aber nur östlich leisten.


 Die Herderstraße und die angrenzenden Straßen in Ostrichtung beherbergen traditionell jede Menge Kleinbordelle. In so ziemlich jedem Laden, der leer zu stehen scheint, wenn man tagsüber dran vorbei fährt, arbeitet in Wahrheit eine Prostituierte/Thaimasseurin/Escortfrau.

Vergegenwärtigt man sich das Milliardengeschäft mit der Prostitution – jeden Tag, ich wiederhole: JEDEN TAG, gehen in Deutschland 1,1 Millionen Freier zu einer Hure - wundert die Puff-Quantität nicht.
Ein riesiges Business, das sich natürlich nicht nur in den Glitzervierteln mit dem Nachtleben abspielt. Die meisten Kunden wünschen Anonymität und gehen in den netten kleinen Puff nebenan.
Verpönt sind in unserer verlogenen Demokratie natürlich nur die Huren und nicht die Freier.
Denn die Freier sind wir alle. Der Durchschnittsdeutsche.
Vor über 20 Jahren stieß ich im SPIEGEL auf eine Buchempfehlung über das Leben von Strichern. Da es sich um eine Hamburger Recherche handelte, las ich das Buch und erinnere mich heute noch daran, daß die meisten Sextreffs nicht nachts (wie ich es mir naiverweise vorgestellt hatte), sondern in der Mittagspause stattfinden.
Der Banker und Büroangestellte geht offenbar in Wirklichkeit runter ins Bahnhofsklo, um einen Minderjährigen durchzupoppen, statt in die Kantine.
Auch das erzählten die Stricher – wenn ihre Freier im Auto kommen, sind fast immer hinten die Kindersitze im Auto. Es sind eben die ganz normalen Familienväter, der 0815-Mensch, der sexuelle Bedürfnisse gegen Geld erledigt.

Ein neues Buch zu einem Tabu-Thema: Strichjungen schildern ihren trostlosen Alltag.
[….]  Hinzu kommt, daß zahlreiche Kunden, die heimlich die Dienste junger Männer in Anspruch nehmen, ein Doppelleben führen. Weil viele von ihnen auch heterosexuelle Partnerschaften haben, als Ehemänner und Familienväter leben, steht die Männerprostitution im Verdacht, die Ausbreitung des Virus über das Milieu hinaus unter Heterosexuellen zu begünstigen.  […]  Strichjungen stammen - wie im Buch ebenfalls dargestellt wird - größtenteils aus sozial schwachen, zerrütteten Familien.
* Birgit Bader/Ellinor Lang (Hrsg.): "Stricher-Leben". Galgenberg-Verlag, Hamburg; 182 Seiten; 24 Mark.

Seit 1991 mag sich die Szene noch weiter normalisiert haben. Prostitution ist jetzt legal.
Man steht nur noch moralisch unter Beobachtung, nicht mehr juristisch.
Wer wollte bestreiten, daß Prostituierte auch eine therapeutische Aufgabe erfüllen, wenn sie mit den liebesbedürftigen Kunden verkehren, die aufgrund ihres Alters oder ihres Aussehens schlechte Chancen auf Sex, den sie nicht bezahlen müssen, haben?
Natürlich heuchelt unsere Gesellschaft bei dem Thema so stark es nur irgendwie geht.
So ging vor zwei Jahren ein Todesfall in der eben von mir beschriebenen Gegend durch die Presse, der für Entsetzen bei den braven Bürgern sorgte.

Beim Sex mit einer Prostituierten (52) ist am Montagabend ein Freier (79) gestorben. Die erste Einschätzung vom Rettungsarzt: Es war ein Herzinfarkt.  Gegen Mittag betritt der ältere Mann das Bordell an der Wachtelstraße (Barmbek). Er ist ein Stammkunde von der 52-jährigen Hure, die sich Lisa nennt. Beim Sex sackt der Mann plötzlich in sich zusammen und bleibt leblos liegen. […] Bei der Prostituierten soll es sich um eine Frau handeln, die nur gelegentlich anschaffen geht, um sich ein wenig Geld dazuzuverdienen.

Nun ja, zugegeben, für die 52-Jährige Großmutter war das sicher unerfreulich. Aber Sterben ist immer unerfreulich für die Zuschauer.
Der 79-Jährige hatte hingegen einen idealen Abgang.
 Optimal. Er hatte Spaß und mußte nicht leiden.
Ich fasse zusammen:
Prostitution ist ein Massenphänomen und eine Alltäglichkeit.
In Hamburg-Barmbek-Uhlenhorst ist es nun aber so, daß die gutsituierten Uhlenhorster, denn dort will keiner eine Schule mit lärmenden Kindern haben, ihre Blagen weiter östlich in Barmbek-Süd zur Schule geben. Aber was ist das für ein Umfeld!
Weshalb sich die Eltern einer angrenzenden Grundschule über das bloße Vorhandensein eines an sich vollkommen unscheinbaren Bordells so aufregen, ist nur mit Heuchelei zu erklären.

Barmbek-Süd. Einige Eltern der Kinder an der Grundschule Humboldtstraße in Barmbek-Süd sind entsetzt: Direkt gegenüber beherbergt ein unscheinbarer Klinkerbau seit einigen Monaten ein Bordell.
Einzig die Klingelschilder des Bordells deuten auf die Etablissements in mehreren Appartements hin. Eltern informierten Schulbehördensprecher Peter Albrecht und berichteten von leicht bekleideten Damen, die in Begleitung von Männern in dem Haus ein- und ausgingen.
Die Behörde wolle nun aktiv werden: "Wir haben gerade erst davon erfahren und tun nun alles, was in unserer Macht steht", sagt Peter Albrecht. […]
Laut Schulbehörden-Sprecher Albrecht stehe auch der Eigentümer, der die Appartements vermietet habe, in der Verantwortung. "Aus unserer Sicht aber ist ein Bordell in unmittelbarer Nähe einer Grundschule nicht haltbar und unzumutbar", sagte Peter Albrecht. Daher werde auch die Schulbehörde das Gespräch mit allen Beteiligten suchen.

Wovor fürchten sich die Biedermänner?
Daß die Huren rauskommen und die Sechsjährigen verführen?
Sind Prostituierte schlechte Menschen?
Jeder liebt doch Shirley MacLain als Nutte in „Irma la Douce“.
Oder haben die Eltern Angst, daß die Kleinen Papa auf dem Weg in den Puff beobachten?
Im Übrigen gibt es auch Gegenden wie Hamburg-St. Pauli (Reeperbahn), in denen es jede Menge Straßenprostitution gibt.
Auch dort leben viele Familien und auch dort gibt es Schulen.
Aber dort bemerkt auch jeder wer eine Hure ist und akzeptiert sie so wie sie ist.
In Barmbek-Süd geht es anonymisiert hinter unscheinbaren Fassaden zu. Das lädt zur Heuchelei ein.
Ich bin kein Pädagoge, aber ich kann mir nicht recht vorstellen, daß sechs- bis Neunjährige schon eine genaue Vorstellung von einem Puff haben.
Uns selbst wenn sie bemerken sollten, was in der Nachbarschaft vor sich geht:
 SO WHAT?
Leben wir hier in einer aseptischen Insel der Moral? Kann man nicht von den Eltern verlangen, daß sie in der Lage sind ihren Kindern eine Erklärung zu bieten? Muß man da so einen "Riesen-Zoff“ machen und Betroffenheit heucheln? Ich halte eine katholische Kirche in unmittelbarer Nähe zu einer Grundschule für deutlich gefährlicher. Fromme Geistliche haben weltweit zu Hunderttausenden kleine Kinder missbraucht. Mir ist nicht bekannt, daß eine einzige Nutte jemals ein Kind sexuell belästigt hat.

Riesen-Zoff um Bordell
Barmbek Süd: Neuer Puff direkt neben einer Grundschule
Nur durch die Humboldtstraße getrennt: Schule und Puff.
Ein unscheinbarer Gelbklinkerbau macht Eltern in Barmbek-Süd Sorgen. Denn hinter den ständig heruntergezogenen blauen Plissee-Rollos verbirgt sich ein Puff. Direkt gegenüber liegt die Grundschule Humboldtstraße. Die Eltern wollen nun alle Hebel in Bewegung setzen, damit ihre Kinder nicht neben einem Bordell zur Schule gehen müssen.
[…] Eingeladen werden die Freier in die Heinrich-Hertz-Straße 120. In dem neutralen Bürogebäude weisen nur die Klingelschilder auf die sieben Apartments der Huren hin. Es gibt keine Leuchtreklame und auch in den Fenstern hängt nichts Auffälliges. Vielleicht konnte das Etablissement deshalb über mehrere Monate unerkannt bleiben.
Doch dann häuften sich die Beschwerden von Eltern. „Ich habe ein mulmiges Gefühl“, sagt etwa Sirkka Prengel (38) aus Uhlenhorst. „Ich habe Angst, meine siebenjährige Tochter den Weg allein gehen zu lassen. Erst vor Kurzem habe ich einen Mann mit einer leicht bekleideten Frau dort hinausgehen sehen und war erschrocken.“ [Wie SCHRÖCKLICH! – T.] Vater Norbert Prinz sieht das genauso: „Wer weiß, was für Leute da ein und aus gehen?“
[…] [Bezirkssprecherin] Katja Glahn [muß den Puff möglicherweise genehmigen]: „Jedenfalls wenn er nicht gegen das Rücksichtnahmegebot verstößt.“ Das ist allerdings nur dann der Fall, wenn Belästigungen ganz bestimmter Art von ihm ausgehen. Dazu gehört vor allem viel Verkehr und Lärm.

Ob „viel Verkehr“ in dem Puff Humboldtstraße herrscht, weiß ich nicht.
Ich war noch nicht da.