Samstag, 2. August 2025

Die letzte Platzpatrone der Demokratie

Das war wirklich hart, als SPD-Mitglied online mein „Ja“ dafür zu geben, ausgerechnet Fritz Blackrock zum Kanzler zu wählen.

Mein ganzes politisches Streben richtete sich immer danach aus, die CDU an der Regierung zu verhindern. Von allen CDUlern war Merz aber nicht nur politisch der Schlimmste, sondern zu allem Übel auch noch bar jeder Erfahrung und auf erschütternde Weise begriffsstutzig.

Aber das hatte uns der Urnenpöbel nun einmal so eingetütet: Nur 16% SPD und eine deutliche absolute CDUCSU/AfD-Mehrheit der Sitze. Eine ganz klar rechts-rechtsradikale Mehrheit im Bundestag; gewünscht vom deutschen Volke.

Da kann man wüten und diskutieren, wie man will: Eine Mehrheit links der CDU ist rechnerisch völlig unmöglich.

Es konnte nur darum gehen, das Allerschlimmste, nämlich Nazis mittelbar (durch Tolerierung der CDUCSU) oder unmittelbar (durch eine braunschwarze Koalition) an der Regierung zu verhindern. Das muss man tun als Sozialdemokrat. Als Mitglied einer Partei, die am 23/4. März 1933 als einzige gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt hatte, verboten wurde und verfolgt wurde, während alle CDU-Vorgängerparteien für die Nazis stimmten und den Untergang Europas einläuteten.

Auf die Merz-CDU war ohnehin schon kein Verlass mehr; die Brandmauer längst bröckelig geworden. Merz hatte Anfang des Jahres bewiesen, daß er bereit war, den jüdischen Menschen in Deutschland erneut das Messer in den Rücken zu rammen, trieb Michel Friedmann aus der Partei.

[…] Am 27. Januar jährte sich der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Ausschwitz zum 80. Mal. Zwei Tage später fand im Deutschen Bundestag aus diesem Anlass eine Gedenkstunde statt. Ausgerechnet an diesem Tag hat CDU-Chef Friedrich Merz mit seinem 5-Punkte-Plan zur Migrationspolitik erstmals eine Mehrheit mithilfe von Stimmen der in Teilen rechtsextremen AfD erlangt. Entgegen vorheriger Versprechungen, Mehrheiten nur mit Parteien der Mitte suchen zu wollen.

Vor dem Hintergrund der Verbrechen der NS-Diktatur galt unter den demokratischen Parteien bislang der Konsens, keine Mehrheiten mit einer Partei wie der AfD zu suchen, die in Teilen vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wird. Darüber hat sich der CDU-Chef nun hinweggesetzt.

Nur zwei Tage später nahm Merz erneut eine Mehrheit mithilfe der AfD in Kauf. Das von seiner CDU/CSU im Bundestag eingebrachte „Zustrombegrenzungsgesetz“, das unter anderem den Familiennachzug von subsidiär Schutzbedürftigen abschaffen soll, scheiterte nur, weil Abgeordnete aus den eigenen Reihen sowie der FDP der Abstimmung fernblieben, sich enthielten oder dagegen stimmten.

Das Vorgehen des CDU-Vorsitzenden rief heftige Kritik und bundesweite Proteste hervor. Holocaust-Überlebende und Jüdinnen und Juden sind alarmiert. So warnte etwa die 82-jährige Auschwitz-Überlebende Eva Umlauf in der „Süddeutschen Zeitung“ Merz davor, Rechtsextreme zu unterschätzen.  [….]

(DLF, 05.02.2015)

Die SPD kann einem solchen Merz nicht vertrauen, in einer wie auch immer gearteten Zusammenarbeit mit der AfD, Deutschland nicht erneut in den Orkus zu steuern. Sie musste Merz selbst zum Kanzler machen, weil in seiner Schwarz-roten Koalition nicht nur keine Nazis sitzen, sondern mehrere SPD-Minister, die in ihren Häusern Macht ausüben. Weil es einen Koalitionsvertrag gibt, in dem Sozis die widerlichsten menschenfeindlichen Anliegen verhindern kann. Anliegen, die in einer anderen Konstellation, nicht nur durchgeführt worden wären, sondern angetrieben von den 151 Braun-Faschisten im Parlament, noch mieser und hasserfüllter ausgefallen wären.

Söders Metaphorik ist schräg, aber man versteht, was gemeint ist: Die „Kleiko“ ist die letzte Patrone der Demokratie.

Unglücklicherweise scheint es aber eine Platzpatrone zu sein. Merz und die C-Minister können es nicht nur nicht, sie steuern in die falsche Richtung und sind unfähig Disziplin zu wahren. Nach drei Monaten steckt die Merz-Koalition schon in einer schweren Krise. Merz ist borniert. Wie erwartet. Merz ist unerfahren. Wie erwartet. Merz ist aber auch feige und führt nicht. Das war nicht unbedingt zu erwarten. Er ließ die Koalition desinteressiert in das Richterwahldebakel gleiten und traut sich nicht, seinen teuren Wählergruppen etwas zuzumuten. Die neue CDU-Fraktion hingegen erwartet „schwarz pur“ und scheint gar nicht zu begreifen, was eine Koalition ist.

[…] Unter den Neuen, das ist jedenfalls der Eindruck in der [CDUCSU-] Fraktion, scheint diese Loyalität deutlich weniger ausgeprägt zu sein. Das Selbstbewusstsein dafür umso stärker. So nehmen es erfahrene Parlamentarier wahr, so beschreiben es aber auch Neulinge selbst. Es geht ihnen nicht darum, gegen die Führung aufzubegehren. Es sind auch keine Rädelsführer bekannt.

Was für die Fraktionsführung vielleicht noch schlimmer ist: Viele von ihnen meinen es offenbar ernst mit dem versprochenen Politikwechsel. Sie wollen nicht Merkel, sondern Merz. CDU pur statt Koalitionskompromisse. Sie drängen darauf, dass Merz hält, was Merz über die Jahre versprochen hat. Schluss mit links, harte Sozialstaatsreformen wie beim Bürgergeld. Sparsamkeit. Tempo. Kann die Koalition das nicht liefern, dürfte die Unzufriedenheit in der Fraktion weiter wachsen. […]

(DER SPIEGEL, 31.07.2025)

Die SPD, deren stärkste Tugend es nicht erst seit März 1933 ist, bis zur Selbstaufgabe das Staatswohl vor das Parteiinteresse zu stellen, sieht nun aber ihr Opfer der Merz-Koalition nicht nur nicht vom Wähler belohnt, sondern muss fassungslos beobachten, wie die Weidel-Nazis in den Umfragen weiter nach oben klettern.

[…] Nach der vermasselten Richterwahl breitet sich zwischen den Regierungsfraktionen das Misstrauen aus. Viele Abgeordnete sind erst mal in den Sommerurlaub verschwunden. Die Gesetzentwürfe tröpfeln nur noch schleppend aus den entscheidenden Ressorts. Alle warten bisher vergebens auf das nächste Großprojekt, die Reform des Bürgergelds. Die Dinge gehen langsam voran, sehr langsam.

Das wäre vielleicht noch erträglich, wenn da nicht die Zahlen wären. Sie sind ein Debakel. Bisher scheinen vor allem zwei Parteien von der schwarz-roten Koalition zu profitieren: die AfD und die Linke. Die Union liegt in den Umfragen nur noch knapp vor den Rechtsextremen, die SPD schafft es im besten Fall auf 15 Prozent. […]

(DER SPIEGEL, 31.07.2025)

Der letzten Patrone der Demokratie mangelt es  ganz offensichtlich an Durchschlagskraft. Sie zerplatzt an der Doofheit der Minister und den Interessen der Fossillobby.

[….] Wirtschaft vor acht hat es gerade nüchtern vermeldet: Ein historisches Haushaltsloch von 172 Milliarden Euro klafft bis 2029 im Bundeshaushalt. Und das, obwohl schon jetzt so viele Schulden gemacht werden wie nie zuvor. Die Einnahmen brechen weg, das Wachstum bleibt schwach und die finanzpolitische Realität entlarvt ein unfassbares politisches Desaster - und es war mit Ansage. Es ist so unfassbar.

#Brandstiftung

Das Desaster kommt nicht überraschend. Es ist das Ergebnis einer perfiden Strategie der Union: Erst wurde die Ampelregierung im Streit um die Schuldenbremse in Geiselhaft genommen. Dann blockierte man Investitionen, klagte gegen Sondervermögen, und genau dieselben Ausnahmen, die man vorher verteufelte, genehmigte man sich nach der Wahl selbst. Das war übelstes politisches Kalkül.

#WahlbetrugInZeitlupe

Viele hatten davor gewarnt: Ökonomen, Fachjournalist:innen, politische Gegner. Habeck selbst hat immer wieder auf die fehlende Gegenfinanzierung hingewiesen. Jetzt zeigt sich: Die Warnungen waren richtig, und was die Union vor der Wahl versprochen hat, war nicht nur illusionär, sondern möglicherweise der größte Wahlbetrug aller Zeiten hierzulande. Während die Ampel mit aller Kraft das Land stabilisieren wollte, hat die Union systematisch ihre Handlungsfähigkeit zersägt, um sie dann selbst zu beerben.

#HoffnungVerbrannt

Besonders bitter: Mit Robert Habeck verließ einer der klügsten Köpfe der letzten Jahre die politische Bühne. Für viele war er ein Hoffnungsträger; nicht perfekt, aber integer. Die Grünen, die sich trotz massiver Angriffe noch um Verantwortung bemühten, sind inzwischen politisch verbrannt. Zurück bleibt eine trostlose Landschaft: Eine SPD im Überlebensmodus, eine zerstörte FDP und eine völlig unfähige Union.

#AfDNutznießt

Das Versprechen von Merz, die AfD zu halbieren, hat sich ins Gegenteil verkehrt: Sie wurde verdoppelt. Nicht durch Zufall, sondern durch das Vakuum, das eine inhaltsleere Union hinterlassen hat. Wer rechte Narrative übernimmt, statt sie zu bekämpfen, stärkt am Ende nur das Original. Die Diskursverschiebung ist längst Realität, und die demokratische Mitte zahlt den Preis.

#DasParadox

Und doch bleibt: Wenn selbst die Union jetzt scheitert, dann fällt das letzte verbliebene Bollwerk gegen einen offenen Durchmarsch der extremen Rechten. Es ist ein bitteres Paradox: Ausgerechnet die, die so viel zerstört haben, müssen wir jetzt stabilisieren; nicht aus Überzeugung, sondern aus Verantwortung für das größere Ganze. [….]

(Mirko Lange, 01.08.2025)

Mir fällt es inzwischen sehr schwer, mir vorzustellen, daß diese Kleiko noch vier Jahre bis zur regulären Wahl im Frühjahr 2029 durchhält. Denn die schwierigsten Brocken – Rente, Steuern, Sozialsystem – sind noch gar nicht angetastet worden. Der Trumpsche „Zollhammer“ ist noch gar nicht in Kraft und schon schrumpft die Wirtschaft, steigen die Arbeitslosenzahlen.

Über allem schwebt die Unsicherheit durch Merzens Unfähigkeit. Er schafft es, eine ohnehin sehr schwierige Lage für Deutschland, noch schwieriger zu machen.

[….] Handelskonflikt mit den USA Grünen-Fraktionschefin Dröge gibt Merz Schuld am schlechten Zolldeal!

Nach der Zollvereinbarung mit den USA kritisieren die Grünen den Kanzler scharf. Er habe die Verhandlungslinie der EU geschwächt und sei für das schwache Ergebnis verantwortlich. Es sei ein »Bärendienst« für die deutsche Industrie.   [….]

(SPIEGEL, 01.08.2025)

Am 08.März 2026 dürfte die SPD bei der Landtagswahl in Baden Württemberg zerquetscht werden. Zwei Wochen später geht vermutlich der rote Ministerpräsidentensessel in Rheinland-Pfalz verloren. Die Schicksalswahl findet am 06.09.2026 in Sachsen-Anhalt statt. Gut möglich, daß dort BSW, FDP, Grüne und SPD alle an der 5%-Hürde scheitern und es einen AfD/CDU-Landtag mit ein paar vereinzelten Linken geben wird.

Mir fehlt die Phantasie, wie danach die Bundes-SPD in Berlin einfach weiter mit Spahn und Reiche und Dobrindt stimmen könnte.