Freitag, 11. Juni 2021

Werbung.

Mein Vater arbeitete Jahrzehnte in der Creativ-Abteilung einer internationalen Werbeagentur.

Der ewige Frust der Werber sind die Kundenpräsentationen. Ich habe oft die wirklich genialen und zum Schreien komischen Entwürfe gesehen. Aber es war ein ehernes Gesetz, daß der Kunde immer die langweiligste und biederste Variante wählt. Niemand traut sich Geld für etwas wirklich Aufregendes auszugeben.

Daher sind die wenigen Werbekampagnen, in denen sich die zu bewerbende Firma etwas traut auch so beeindruckend, daß sie jeder kennt: SIXT oder BENNETON. Auch die Davidoff-Kampagnen der 1980er für „Zino Davidoff“ und „Cool Water“ erregten ungeheures Aufsehen und führten zu durchschlagendem Erfolg der Produkte.

Deutsche Werbekunden sind ähnlich dröge wie deutsche Musiker oder deutsche Wähler: Keine Experimente! Was der Bauer nicht kennt, isst er nicht. 4,5 Millionen langweilige gleich aussehende VW Golf fahren auf deutschen Straßen. Ein öderes Auto kann man sich kaum vorstellen und genau deswegen ist das Modell so ungeheuer erfolgreich in Deutschland.

Deutsche Politik, deutsche Musik und deutsche Werbung, deutsche Mode sind so langweilig, daß man sie kaum erträgt. Aufkleber mit „KEINE WERBUNG“ kleben daher auf jedem zweiten privaten Briefkasten.

Dabei sind es schließlich diese Deutschen selbst, die sich stets für das Langweiligste entscheiden. 16 Jahre der Aussitzer Kohl, 16 Jahre die bräsige Merkel, die mit ihren 80% Zustimmungswerten auch für 20 oder 24 Jahre gewählt werden würde, wenn sie denn wollte.

Werbung kann aber auch fürchterlich schief gehen. Gelegentlich müssen ganze Kampagnen eingestampft werden, weil die Konsumenten dadurch eher gegen das Produkt aufgebracht werden.

Recht schlecht kommt es an, wenn sich ein übermächtiger reicher Auftraggeber höhnisch auf eine Einzelperson stürzt.

So geschah es heute in vielen großen überregionalen Zeitungen, die eine antisemitisch, verschwörungstheoretisch angehauchte Hetzkampagne der notorischen Friedrich Merz-Fans von der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) gegen Annalena Baerbock abdruckten.

Neben dem nahezu allmächtigen und von Merkels Busenfreundin Hildegard Müller geführten „Verband der Automobilindustrie“ (VDA) ist die INSM vermutlich die schädlichste und reichste Lobbyorganisation für FDP, CDU und CSU.

[…..] Mit faktenferner Propaganda gegen Baerbock

[…..] Die grüne Spitzenkandidatin Annalena Baerbock als Moses mit den Steintafel mit den Geboten. Der Text groß: “Wir brauchen keine Staatsreligion”. Auf den Tafeln (ganz klein) vermeintliche “Gebote” der Grünen, darunter dass “Verbote der Grünen” das “Land lähmen” würden. […..] Dieses Ausmaß an “negative campaigning“, das offenbar mit allen Mitteln versucht, Baerbock und die Grünen mit faktenfernen Argumenten schlecht zu sprechen – und dafür offenbar viel Geld auszugeben – ist man in Deutschland nicht gewohnt. […..] Die Argumente sind derart verkürzt, verzerrt und unvollständig und dienen offensichtlich nur dem Zweck, eine einseitige und falsche Darstellung von Baerbock und dem Programm der Grünen zu erzeugen, dass es sich nun mal um Propaganda und Fake News handelt, wie wir finden. […..] Es sind typische, wissenschaftsfeindliche talking points, die die Fakten um die Klimakrise vertuschen und falsche Dichotomien aufbauen. […..] Und sicherlich keine Absicht, aber eine extrem unglückliche Konnotation kritisiert der Antisemitismusbeauftrage von Baden-Württemberg, Michael Blume, so: Baerbock wird mit einem Juden gleichgesetzt und will eine “Staatsreligion” aufdrängen, das erinnere an antisemitische Verschwörungsmythen. Er warnt vor solchen Bildern, denn Antisemit:innen verbreiten diese Verschwörungserzählung völlig ernst gemeint: Von mächtigen, jüdischen Eliten – und Baerbock als ihre Ausführende (mehr dazu). [……]

(Volksverpetzer, 11.06.2021)

Bekanntlich bin ich kein riesengroßer Baerbock-Freund, kein Fan ihrer rechtslastig-CDU-affinen Partei, aber angesichts einer so perfiden, demagogischen Kampagne, solidarisiere ich mich natürlich mit ihr.

Allerdings wird Annalena Baerbock meine Unterstützung kaum brauchen, da die INSM-Anzeigenkampagne so abstoßend ist, daß sich sogar CDU und Arbeitgeberverbände distanzieren.

Wenn die deutschen Konzerne, die Millionen an die C-Parteien zahlen, nun noch mal Millionen Euro für ganzseitige Anzeigen ausgeben, um die Grünen zu sabotieren, spricht das für die Grünen.

Ein klassisches INSM-Eigentor. Aus Hessen und Baden Württemberg sollten sie wissen, daß Grüne Minister in der Regierung sofort zu eifrigen Lobbyisten-Huren mutieren.

[…..] Eine Anzeigenkampagne der Lobbyorganisation Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) gegen Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock sorgt für Unmut im Arbeitgeberlager. »Persönliche Herabsetzungen und eine misslingende Verwendung christlicher Symbolik sind kein angemessener Umgang im notwendigen Wettstreit um politische Inhalte«, teilte die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) mit[…..] Auch die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, warnte auf Twitter vor Vorurteilen: »Die INSM wäre gut beraten, das Thema Religion, von dem sie offensichtlich nichts versteht, anderen zu überlassen«, twitterte Knobloch. Die Initiative habe »sich völlig im Ton vergriffen«. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Matthias Hauer forderte, die INSM solle ihre Kritik »sachlich-fundiert darlegen und nicht so armselig-plump«.[…..] Die INSM wird von der Metall- und Elektroindustrie finanziert, ihre Kampagnen sorgten gerade in Wahlkampfzeiten immer wieder für Aufsehen. […..]  Vor der Bundestagswahl 2017 warf die INSM dem SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz vor, er wolle eine Reichensteuer ab 60.000 Euro erheben – was nicht korrekt war. […..]

(Spon, 11.06.2021)

Der SPIEGEL weist darauf hin, daß die INSM auch bei ihm die Anti-Baerbock-Anzeige schalten wollte. Das wäre für den Hamburger Verlag sehr lukrativ gewesen. Man lehnte aber wegen der unseriösen INSM-Lügen ab.

Heute ging noch eine zweite Werbekampagne ganz fürchterlich schief.

Ein offensichtlich sehr berühmter deutscher Youtuber namens Philipp Mickenbecker (ich hörte den Namen heute das erste mal) geistert als extrem frommer Christ durch die sozialen Medien. Er, sein Zwillingsbruder, seine Familie und die BILD-Zeitung sind von dem Wunsch beseelt, alle Menschen mögen zu Jesus finden. 1,4 Millionen Follower auf dem Hauptkanal und weitere Hunderttausende für „krasse Sachen mit Gott“.   Sogar Mickenbeckers Tod nutzen sie dafür aus und schreiben:

[…..]  Philipp ist gestern Abend im Krankenhaus von uns gegangen. Wir waren alle bei ihm.
Er hat in den letzten Wochen oft starke Schmerzen gehabt und wir sind uns sicher, dass er jetzt an einem besseren Ort ist. Jesus hat gestern seine Hand über uns gehalten. Wir sind unglaublich dankbar so einen unfassbar tollen Freund gehabt zu haben und sind dankbar für jeden Moment, den wir mit ihm in den letzten Jahren erleben durften.
Philipp hatte vollen Frieden mit der Situation und hat sich sehr über all eure Gebete gefreut. Er hat sich für euch gewünscht, dass ihr Jesus persönlich kennenlernt und ihn in euer Herz schließt.
Einer seiner Lieblingsbibelverse war:
„Alle, die ihre Hoffnung auf den Herrn setzen kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler.“ Jesaja 40,31
[…..]
(Real life Guys, Instagram, 11.06.2021)

Ich bin nicht davon überzeugt, daß Jesus sehr hilfreich ist, wenn er selbst die Gläubigsten im Alter von 16 Jahren mit Lymphdrüsenkrebs straft und ihn als Teenager und Twen solche Dinge erleben lässt:

[…..] Hey Leute! Mein neues Gesundheitsupdate ist jetzt online, ich habe lange überlegt ob ich es überhaupt mit euch teilen soll, da das Thema tatsächlich sehr ekelhaft ist. Wahrscheinlich hat sich eine Fliege auf meine mittlerweile 12x11cm große Wunde gesetzt, woraufhin unzählige Maden geschlüpft sind. Ich glaube ich habe noch nie so etwas Ekelhaftes gesehen und das Gefühl bei lebendigem Leib aufgefressen zu werden kann man wohl auch kaum übertreffen (auch wenn die Maden hoffentlich nur totes Gewebe gefressen haben).  Wie es mir aktuell geht und welche Bibelgeschichte mich diesmal durch diese ganze Situation getragen und sehr inspiriert hat, habe ich euch auf dem Life Lion YouTube Kanal erzählt! […..]

(Philipp Mickenbecker, 02.05.2021)

Insbesondere ist die Mickenbecker Jesus-Kampagne natürlich durch seinen gestrigen Tod im Alter von 23 Jahren wenig überzeugend.

Der allmächtige Jesus gab ihm also nicht nur Krebs, sondern rettete ihn auch trotz all der Gebete und Bibelverse nicht.

Die Mickenbecker-Familie erlebte Jesu Liebe schon im Jahr 2018, als die Schwester der Zwillinge, Elli Mickenberger in Hessen mit 18 Jahren bei einem Flugzeugsabsturz starb.

Christen lieben es zu leiden. Woytila schrieb eine ganze Leidens-Enzyklika und die Heilige Mutter Teresa war so begeistert davon Todkranke besonders leiden zu sehen, daß sie hartnäckig in ihren Einrichtungen Medikamente und Schmerzmittel verweigerte. Je mehr ein Mensch an Krebs- oder anderen Schmerzen leide, desto näher wäre er ihrer Ansicht nach, dem leidenden Jesus.

Gebete sind offensichtlich völlig sinnlos; das beweist die fromme Familie Mickenbecker. Jesus nützt nichts.

Falls ich jemals mit dem Gedanken gespielt haben sollte, Christ zu werden, würde ich spätestens nach dieser Jesus-Werbung davon ablassen.