Freitag, 16. August 2019

Die Anständigen sind müde


Man kann es nicht mehr sehen, will es nicht mehr hören, möchte sich nicht immer wieder den Tag versauen, wenn man auf Xenophobe, Rassisten und Ähnliches trifft.
Man macht Witze über sie, verdammt sie still vor sich hin oder aber man fühlt sich ernsthaft deprimiert von all der perfiden Bosheit, die offenbar durch die Köpfe so vieler Mitmenschen spukt.

Es ist nicht immer gefahrlos sich Rassisten entgegenzustellen. Man muss es natürlich tun, wenn die in der Öffentlichkeit jemand bedrohen, aber will man auch Prügel riskieren, wenn mehrere von denen "nur" ihre Überzeugungen herausposaunen?
Noch nicht mal in der Anonymität des Netzes, weil die sich durchaus zusammenrotten, Accounts melden und einem das Onlineprofil zuspammen.

Über mir wohnt auch so ein Exemplar. So ein dürres Weib, um die 70.
Der Mann war Alkoholiker, starb früh, ihr erwachsener adipöser Sohn ist vor langer Zeit ausgezogen. Nun hockt sie mit offenbar sehr kleiner Rente allein in der Bude und hadert mit der ganzen Welt, die sich gegen sie verschworen hat.
Sie kann „Türken und Kanaken“ nicht ausstehen, weil die immer so laut sind im Bus und nie arbeiten. Außerdem nervt sie, daß diese Kanaken, von denen ja keiner arbeitet, überall arbeiten – im Krankenhaus, Arztpraxen – man sehe ja gar keinen Deutschen mehr.
Insbesondere ist sie fest davon überzeugt, daß die Deutschen, also insbesondere sie selbst, die Kanaken finanzieren.
Kanaken sind nämlich von allen Zahlungen befreit.
Die ersten Jahre versuchte ich sie im Sinne des Hausfriedens unter Nachbarn immer geduldig ausreden zu lassen und ihr dann höflich zu widersprechen.
In einer ihrer Treppenhaus-Tiraden, die sie passiv-aggressiv fast flüsternd und stets lächelnd vorträgt, beschuldigte sie mich zu wenig Fernsehen zu gucken; denn anderenfalls wäre ich besser informiert und wüßte, daß Ausländer in Deutschland keine Mieten, keine Rentenbeiträge und keine Rundfunkgebühr zahlen, außerdem grundsätzlich umsonst ärztlich behandelt werden.

„Da ich selbst Ausländer bin, kann ich ihnen mit Sicherheit sagen, daß ich all die genannten Kosten selbst trage und keineswegs aufgrund meiner fehlenden deutschen Staatsbürgerschaft davon befreit bin!“
Natürlich war es naiv von mir anzunehmen, diese Antwort könnte irgendetwas bei ihr bewirken.
Es bewirkte etwas bei mir: Drei Wochen später erhielt ich ein Schreiben der Wohnungsgesellschaft. Es gäbe Beschwerden über mich, ich verstieße gegen die Hausordnung.
Eine Abmahnung vom Vermieter, weil ich mal einer Rassistin widersprach.
Das nervt. Und außerdem will man es sich in einer relativ günstigen Großstadtwohnung ganz bestimmt nicht mit seinem Vermieter verderben.

Inzwischen horche ich an der Wohnungstür, bevor ich rausgehe, weil ich die debile Denunziantin gar nicht erst treffen will.
Begegnen wir uns irgendwo sage ich knapp „guten Tag“ und gehe schnell weiter.
Ich weiß natürlich, daß ich mich damit feige und erbärmlich verhalte.
Was ist schon ein Brief vom Vermieter im Gegensatz zu dem was dunkelhäutige Menschen den ganzen Tag in Europa und den USA mit Rassisten erleben?

Wer meinen exotischen Namen nicht kennt und mir nur auf der Straße begegnet, sieht weiße Haut und hört akzentfreies Deutsch.
Ich triggere Rassisten also nicht sofort.
Normalerweise bin ich auch nicht auf den Mund gefallen und widerspreche ihnen wann immer es geht, aber manchmal bin ich auch einfach müde und tauche in meiner hellhäutigen Existenz ab.
Ich habe keinen Bock mehr mit der Nachbarin zu sprechen. Sie ist sowieso völlig borniert, würde nie eins meiner Argumente glauben und am Ende nur in ihrer Ausländerfeindlichkeit bestätigt werden.
Sie kümmert so ein Gespräch nicht, während ich das tagelang nicht abschüttele.

Wenn man aber den Rassisten von nebenan (buchstäblich) gewähren lässt, oder an der Supermarktkasse oder im Taxi oder beim Arzt irgendeinen Geronten oder Teenager menschenfeindlich reden lässt, fühlt er sich jede Stunde, die ihm nicht widersprochen wird, etwas bestärkt.
Das Tabu Rassismus fällt.
Es ist auch nicht mehr peinlich AfD zu wählen, man poltert sogar mit gewissem Stolz gegen „das System Merkel“ oder „die Flüchtlinge“, weil man aus seinen Filterblasen den Eindruck gewinnt, alle dächten so.
Diese falsche Annahme wird aber bestätigt, wenn man außerhalb der Filterblase in der „realen Welt“ auch solche Sprüche ablassen kann und nur Schulterzucken erntet.

In den USA verstärken Trump und die GOP diese Enttabuisierung massiv.
Der Präsident redet ja auch so.
Das bestärkt nicht nur Attentäter und Extremisten. Seit Trumps Amtsantritt hat sich die Zahl der hate-crimes vervielfacht, weil immer mehr bösartige Rassisten in den Twitter- und Rally-Tiraden des Präsidenten nur sehr wenig verblümte Aufforderungen zur Gewalt verstehen.
Aber auch der Alltagsrassismus wird verstärkt.
US-Amerikaner mögen schon immer rassistisch gewesen sein, aber in den letzten Dekaden war vielen von ihnen diese Einstellung wenigstens peinlich. So peinlich, daß sie nur hinter vorgehaltener Hand gegen Schwarze/Latinos/Schwule polterten.
Dieses Schamgefühl verschwindet gerade.


So ist das: Da wird “das N-Wort“ in die Kamera geblökt und Tage später darauf angesprochen, ist man auch noch stolz drauf, zufrieden damit jemand verletzt zu haben.
Immer mehr solche Videos spuken durchs Internet, in denen scheinbar völlig normale Nachbarn und Passanten ungeniert ihre tiefe Menschenverachtung hinausposaunen. Trump macht es vor.
Da kann die dicke Vorstadtmama auch gleich mal zum Latino-Gärtner rübergehen und ihm ins Gesicht sagen, daß er Vergewaltiger und Drogendealer ist.


Oh Menschheit, mir graut es vor Dir. Mir graut es vor Trump, vor der GOP, vor der AfD, vor allen Rassisten unter uns.
Aber es graut mir auch vor jedem Anständigen, der dazu mit den Schultern zuckt, der nicht eingreift, sich nicht verbal widersetzt oder einfach keine Lust mehr hat mit der Nazi-Oma von oben zu reden.