Montag, 6. Juni 2022

Christentum als Hassverstärker

Vermutlich bin ich der letzte Mensch der Welt, der von der Bösartigkeit überzeugter Christen überrascht sein sollte. Schließlich nenne ich Religionen schon seit vielen Jahren die „wir sind besser als die“-Ideologie, die einer exkludierenden Grundhaltung frönt.

Aber es graust mich dann immer noch, wenn ich wegen des „pride months“ im Juni abends beim gesitteten MDR in die Dennis Parrot-Dokumentation über verschiedene Coming-Outs zappe und dort erlebe, wie Christen mit ausdrücklichem Bezug auf ihren Gott und die Bibel, ihre Kinder aus dem Haus in die Obdachlosigkeit jagen, oder sie sogar mit Mordfantasien überziehen.

Die Teenagerin oder der Teenager, der eben noch am Mittagstisch saß und angeblich so geliebt wurde, von seinen eigenen Eltern voller Hass verstoßen wird.

Der in diesem Video gezeigte Daniel Ashley Pierce lebte in Kennesaw, Copp County, Georgia, das zum 6th congressional district gehört, also unweit des berüchtigten 4th congressional district der Marjorie Taylor Greene liegt. Da ist der Hass der Religiösen am wenigsten abstrakt, sondern bedrückend konkret, wenn er sich gegen die eigene Familie, wendet. Unbeschreiblicher Hass auf seine eigenen Kinder von denjenigen, die jedem „God is Love!“ erklären und so stolz auf ihre „Family Values“ sind. 

Artem Kolesov, 23, erster Violinist in Chicago, Geigen-Wunderkind aus St. Petersburg, beschreibt besonders eindrücklich, wie die russisch-orthodoxe Kirche den blutigen Hass auf Schwule schürte, wie er dadurch schwer depressiv wurde und als Teenager viermal versuchte, sich umzubringen.

DAS ist Gottes real existierender Kirchismus: Eine Ideologie, die Hass zwischen Eltern und Kindern sät und Jugendliche mit äußerster Perfidie in den Suizid treibt.

Praktiziertes religiöses Leben stürzt unzählige Kinder und Heranwachsende in schweres Unglück, lädt ihnen so viele Schuldkomplexe auf, daß sie so sehr in Depressionen versinken, daß sie sich umbringen.   Umbringen für nichts. Weil sie ganz normale Menschen sind mit Gefühlen. Weil sie beispielsweise masturbieren oder nur daran denken zu masturbieren.

In religiösen Verhältnissen aufgewachsene Kinder leiden also keineswegs „nur“, wenn sie direkt von Priestern verprügelt oder sexuell missbraucht werden, sondern ihre Psyche wird durch die brutale christliche Lehre selbst ramponiert.

Ich muss an meinen Vater denken, der auch in so einer US-amerikanischen Kleinstadt in religiösen Verhältnissen aufwuchs. Ich bin mir sicher; er hatte nie homosexuelle Anwandlungen, aber dennoch erzählte er bis an sein Lebensende von den traumatischen Erfahrungen bei der Beichte, zu der er als kleiner Junge jeden Sonntag geschleppt wurde. Im Beichtstuhl interessierte sich der Pfarrer hauptsächlich für das Thema Masturbation, fragte meinen Vater, lange vor der Pubertät detailliert nach seinen Genitalien aus. Von Montag bis Samstag grauste ihm davor und verzweifelt suchte er nach Dingen, die er beichten könnte. Aber welche Sünden begeht schon ein kleiner Junge? Er dachte sechs Tage darüber nach, irgendetwas zu stehlen, damit er dem Priester etwas zu erzählen hätte und um das Penis-Gespräch herumkäme. Aber das traute er sich nie. Also erfand er schließlich Ladendiebstähle, nur um im Beichtstuhl etwas sagen zu können. Anschließend fühlte er sich erst recht schuldig, weil er den Priester belogen hatte. Seine Rettung war der Umzug nach New York, als er ein Stipendium für die Kunstschule bekam. Dort teilte er zunächst das Zimmer mit einem jüdischen Jungen (der ein lebenslanger Freund bleiben sollte) und guckte ihm abends beim Ausziehen verstohlen auf die Füße, da sein Priester immer erklärt hatte, Juden hätten ob ihrer teuflischen Abstammung oft noch Huf-artige Gliedmaßen.  Aber nein, es waren dann doch nur Füße mit fünf Zehen. Mein Vater lernte zum Glück, daß nicht alle Menschen den christlichen katholischen Glauben seines Heimatdorfes teilten und tat das einzig Vernünftige: Als Erwachsener wurde er Atheist und besuchte nie wieder eine Kirche von innen.

Aus religiöser Sicht ist dieser Pluralismus eine reale Gefahr. Fundamentale Evangelikale, streng gläubige Katholiken, Amish People und ultraorthodoxe Juden bekommen weit überdurchschnittlich viele Kinder, weil ihre Religion lehrt, sich gegen die Ungläubigen zu verbreiten. Diese Religionsgemeinschaften wachsen aber keineswegs so schnell wie sie es mathematisch angesichts von zehn Kindern pro Mutter müssten, weil ihnen immer mal wieder ein Schäfchen abhanden kommt.

Bei den Amish ist es das „Rumspringa“-Jahr, bei den Ultraorthoxen in Jerusalem die Nähe zum säkularen Tel Aviv und bei Fundi-Christen in den USA sind es die öffentlichen Schulen.

All das sind Möglichkeiten mit anderen Philosophien, mit Bildung in Kontakt zu kommen, so daß man den eigenen Glauben hinterfragt und gegebenenfalls (wie mein Vater) fallen lässt.

Daher rührt auch der radikale Kampf der religiösen Republikaner gegen öffentliche Schulen, gegen die angeblich so liberalen Universitäten und für das Homeschooling. Daher dürfen Orthodoxe in Israel kaum Bildung außerhalb der Thora-Schulen bekommen und es wird hart gegen die dort eigentlich obligatorische Wehrpflicht gekämpft.

Schon so mancher strenggläubige Jude lernte in der Armee das erste mal säkulare Israelis kennen, die masturbieren, einen Joint rauchen, Fluchen und sich womöglich auch mal in einen Menschen desselben Geschlechts verlieben, ohne sofort in die Hölle zu kommen.

Nach der Armeezeit geht es für alle erst einmal für eine ausgiebige Drogenparty nach Goa in Indien, um vom Krieg zu entspannen. Wer hat anschließend schon Lust auf ein ärmliches Leben in einer Zweizimmerbutze mit einer Frau, die stets ihr Haar verhüllt, zehn Kinder am Rockzipfel hängen hat und man ansonsten den ganzen Tag mit anderen stinkigen Schläfenlockentypen den Talmud auswendig lernt?

Nichts anderes stand hinter dem von so vielen angeblich Liberalen (Jauch, Thierse, Käßmann, Arne Friedrich, FDP, CDU) kategorischem Eintreten für das Berliner Volksbegehren „Pro Reli“ von 2009. Sie wollten mit allen Mitteln verhindern, daß christliche Kinder gemeinsam mit Säkularen, mit Muslims, mit Juden und Ungläubigen lernen, weil sie insgeheim wußten, daß ihre eigene Ideologie so wackelig und paradox ist. Da könnte das ein oder andere Schäfchen verloren gehen und man wird keineswegs Schäfchen hinzugewinnen.

Nicht nur Toleranz oder gar Akzeptanz sind eine Bedrohung für christliche Fundamentalisten, sondern schon Informationen an sich.  Fakten sind der Feind eines kontrafaktischen Glaubens.

Dagegen hilft nur der gemeinsame Hass auf alles andere. Wer sein eigenes Kind so sehr hasst, daß er es aus dem Hause prügelt, zeigt sich dabei als besonders christlich, weil er damit auch ein enormes Opfer bringt. Ein aus der Bibel bekanntes Opfer. Schließlich ist es niemand geringeres als G*tt selbst, der verlangt seine Kinder zu töten und zu schlagen. Die zunehmende öffentliche Sensibilität für die Trans-Community kommt den Rechten und Religiösen gerade Recht, um ihren über so viele Generationen anerzogenen Hass mal wieder richtig zu zelebrieren.

[….]  Kardinal Müller: Trans-Akzeptanz ein „Verbrechen an Kindern“

In einem Interview mit der queerfeindlichen „Demo für alle“ sprach der Kardinal gleichgeschlechtlichen Paaren ihre Ehe, Regenbogenfamilien ihre Familien und trans Personen ihr Geschlecht und ihre Selbstbestimmung ab.

(…)  Konkret hatte Beverfoerde gegen Ende des Interviews beklagt, Kinder und Jugendliche würden derzeit „vielfach in diesen Transgender-Wahn hineingezogen“. Der 74-Jährige antwortete: „Das ist ein großes Verbrechen an der Menschheit und an jungen Kindern.“ In der Pubertät gebe es eine Orientierungsphase. „Da müssen sie bestärkt werden. Wenn ich als Mann auf die Welt gekommen bin, muss ich gerade durch die Pubertät hindurch gehen und mich dann mental auch mit meinem eigenen Geschlecht identifizieren.“ Wie in weiteren Passagen verknüpfte der Kardinal beim folgenden Gedankengang dann noch wirr Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung: „Wenn ich Mann bin, bin ich auf eine Frau hin geschaffen. Und wenn ich eine Frau bin, bin ich auf den Mann hin geschaffen.“  [….]

(AMB, 05.06.2022)

Für den Mann im bunten Kleid ist nichts schlimmer als Männer in bunten Kleidern.

Die Döpfner-Poschardtsche WELT gießt zum Beginn des pride-Months ebenfalls Öl ins Feuer, indem sie ordentlich gegen Trans-Menschen hetzt.

[….] Unter der Überschrift „Wie ARD und ZDF Kinder sexualisieren und umerziehen“ werfen in der „Welt“ „fünf Gastautoren, Biologen und Mediziner“ dem öffentlich rechtlichen Rundfunk vor, eine „bedrohliche Agenda“ zur verfolgen. (Der Online-Titel ist mittlerweile geändert worden in: „Wie ARD und ZDF unsere Kinder indoktrinieren.“)  Die „Welt“ suggeriert, ergebnisoffene wissenschaftliche Expert*innen hätten „Beiträge des öffentlich-rechtlichen Rundfunks analysiert“ und seien zu diesen angeblich „alarmierenden“ Ergebnissen gekommen. Dem ist nicht so. Die fünf Autor*innen gehören seit Jahren fast alle zum Who’s Who der deutschen Gegnerschaft von Trans-Identitäten. Es ist eine Gruppe von Menschen, die angesichts der Abschaffung des Transsexuellengesetzes und Einführung eines neuen Selbstbestimmungsgesetzes, die die Bundesregierung plant, gerade aus allen Rohren gegen Trans-Rechte schießen.  [….]Doch obwohl trans Menschen besonders oft Opfer sind und dafür angegriffen werden, dass sie trans sind, versucht nicht nur die „Welt“ immer wieder in klassischer Täter-Opfer-Umkehr eine gegenteilige Erzählung zu verbreiten. Sarah Wagenknecht promotete ihr jüngsten Bestseller „Die Selbstgerechten“ erfolgreich mit der Warnung vor „skurrilen Minderheiten“ inklusive Andeutungen über trans, und auch der Kulturchef des „Spiegel“ problematisierte in einem Essay das Verhalten von trans Menschen, die sich gegen das Deadnaming verwahren, was er mit dem „Neusprech“ ins George Orwells 1984 verglich. Also mit dem Verhalten eines totalitären Staates.

Trans als Trigger funktioniert, und deshalb wird auch die in der „Welt“ verbreitete, über das trans Thema aufgeladene Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk funktionieren. Auch das ist Desaster. Denn anders als die Verfasser*innen behaupten, zeigen die im Dossier zusammengetragenen Programm-Beispiele nicht die Übermacht „woker“ Themen, sondern wie selten Vielfalt dort tatsächlich stattfindet. Wenn man sich die dort angeprangerten 40 mühsam zusammen getragenen Programminhalte (gegenüber den Zigtausenden, die jährlich produziert werden) wundert man sich, auf was sie alles zurückgreifen müssen, um Alarm zu erzeugen. […..]

(Johannes Kram, 02.06.2022)

Die Rechten und die Religiösen müssen Toleranz und Akzeptanz und Bildung gleichermaßen mit purem Hass bekämpfen.

Anderenfalls werden sie immer schwächer.