Bei einigen Social-Media-Plattformen besitze ich einen Account, weil ich irgendwann mal irgendeinen bestimmten Beitrag sehen wollte, oder nach einer Person suchte, die ich mal kannte.
An „Stayfriends“, die schlechteste und altmodischste Plattform von allen, habe ich sogar 12 Euro überwiesen, weil ich nur als „Gold-Mitglied“ Kontakt zu einem Grundschulfreund aufnehmen konnte. Bei „Linkedin“ ging es um aktuellere Informationen. Und bei Pinterest wollte ich mir ein bestimmtes Foto ansehen.
In allen drei Fällen habe ich mich später nie wieder eingeloggt, müsste dafür auch erst mal mein Heftchen aus der Schreibtischschublade suchen, in das ich mit Bleistift Zugangsdaten und Passworte notiere, die ich nirgends speichern will.
In allen drei Fällen dauerte es aber einige Wochen bis ich es endlich geschafft hatte, die massenhaften Benachrichtigungs-Emails, die mich zurück auf die Plattform locken sollten, zu unterdrücken. Es gibt so viel verschiedene Formen der Benachrichtigungen, mit denen man zugespamt wird, daß man sie als Neuling gar nicht alle erwischt.
Andere Social-Media-Netze verstehe ich entweder gar nicht, oder sie sind ausdrücklich für Kinder oder Gamer bestimmt, so daß sie wirklich keinen Sinn für mich machen: Xing, Reddit, Twitch, TikTok. Ich freue mich über die gesparte Zeit, weil ich in diesen Fällen gar nicht erst wissen will, was das ist.
Schwieriger liegen die Fälle bei Zuckerbergs Facebook/Instagram und Musks Twitter. Beide Superreichen sind mir maximal unsympathisch. So wie auch Jeff Bezos. Meinen Amazon-Account habe ich aber schon vor mindestens zehn Jahren stillgelegt. Das geschah natürlich aus politischen Gründen, war aber zugegebenermaßen als Großstädter auch einfach. Das Allermeiste kann ich regional in stationären Geschäften kaufen und wenn es unbedingt online sein muss, weil ich krank bin oder Lockdown herrscht, bleiben genügend private Alternativen von Unternehmern, die in Deutschland Steuern zahlen und kein Lohndumping oder Umweltzerstörung betreiben. Otto statt Amazon. Außerdem haben inzwischen die meisten Fachgeschäfte auch einen Webshop.
Facebook und, mit Einschränkungen Instagram, zu boykottieren ist für mich wesentlich schwieriger, weil dieser Meta-Bereich so riesig ist, viele Inhalte sich nur da befinden und insbesondere meine Kontakte zu Freunden und Familie in den USA sehr viel über FB-Gruppen laufen.
Da Herr Zuckerberg keine Kritik an Religion oder konservativen Politikern mag, wurde mein Account schon mehrfach zur Strafe erst eingeschränkt und gelöscht.
Man sollte darüber lachen, wenn man wie ein kleines Kind von kalifornischen Algorithmen gemaßregelt wird.
Diese Woche brummte mir Zuckerberg eine 90-tägige Instagram-Strafe auf, weil seine „Fact-Checker“ eine Karikatur, die ich zu den Präsidentschaftswahlen 2020 geteilt hatte, als „Falsch-Information“ einstuften.
Ich staune über mich selbst, daß mich das immer noch ärgert, statt über den Dingen zu stehen. Aber man gewöhnt sich so sehr an diese Form der Kommunikation, befindet sich so selbstverständlich mit Menschen auf verschiedenen Erdteilen im Austausch, daß es als ärgerlicher unangemessener Eingriff in die Intimsphäre betrachtet wird, wenn irgendjemand einfach den Stecker zieht, weil ihm liberale politische Meinungen nicht gefallen. Ich konnte 50 Jahre hervorragend ohne Klugtelefon leben. Aber wenn man einmal dran gewöhnt ist, will man es nicht wieder hergeben.
Wäre ich rechtsradikaler Verschwörungstheoretiker, würde ich jetzt „Zensur“ schreien, aber da ich einen höheren IQ als Zimmertemperatur habe, weiß ich was eine Privatfirma ist. Instagram, Whatsapp und Facebook gehören Mark Zuckerberg. Wenn ich freiwillig bei ihm mitspiele, brauche ich mich nicht darüber zu beklagen, daß er vollkommen hysterisch auf das Zeigen einer Frauenbrustwarze reagiert, aber voller Langmut rechten Extremismus und Antisemitismus toleriert.
Das wußte ich, bevor ich meinen FB-Account einrichtete. Ich tat das zähneknirschend, weil ich keine kommunikative Alternative sah, aber ich hätte es auch lassen können.
Twitter ist ein anderer Fall für mich, da ich dort nicht aktiv am Geschehen teilnehme und insofern die Mechanismen nicht richtig verstehe. Aber Twitter hat Vorteile durch seine enorme Schnelligkeit. Wenn irgendwo in Kirgisistan oder Alaska eine Nachwahl stattfindet, kann es sehr lange dauern, bis ich in deutschen Medien oder auf CNN dazu einen offiziellen Bericht finde. Das ist auch gut so, denn das sind Gatekeeper, die veröffentlichte Informationen erst prüfen. Will ich aber in Echtzeit Informationen, finde ich sie auf Twitter.
Außerdem ist es verlockend, weil man selbst mit nur ein paar Dutzend eigenen Followern urplötzlich hunderte oder tausende Leser erreicht. Als Blogger ist das zunächst einmal erfreulich, wenn man einen Satz auf einem Posting mit ein paar Hashtags twittert und ein paar Stunden später die Mitteilung bekommt „Dein Tweet erregt Aufmerksamkeit, schon 1.007 User…“.
Dabei vergisst man aber, daß 90% der Deutschen keinen Twitter-Account haben. Man befindet sich in einer Blase aus 10% und die lesen auch nur die Überschriften. Keiner klickt tatsächlich auf den Link und landet auf meinem Blog.
Facebook ist für mich also a) der wirksamere Multiplikator und b) die Plattform, in der ich durch die Gruppenstruktur auf viel mehr Interessierte treffe.
Insofern war es kein großes Opfer, heute wegen Elon Musk meinen Twitter-Account zu löschen.
[….] Wer noch nicht wusste, in welche Hände eine globale Informationsinfrastruktur gelangt ist, der lernte schnell dazu. Wenige Tage nach dem Kauf von Twitter wird dem Ehemann von Nancy Pelosi zu Hause von einem Verschwörungstheoretiker der Schädel zertrümmert. Der neue Chef-Twitterer Musk leitet daraufhin einen Link zu einer Verrückten-Website an die Twitter-Welt weiter, die ohne Beleg behauptet, Mr. Pelosi sei in Wahrheit betrunken und das Ganze ein Streit mit einem Callboy gewesen. Eigentlich zu übel, um es hier überhaupt aufzuschreiben. Dieselbe Website hatte 2016 behauptet, Hillary Clinton sei gestorben und in einer Debatte mit Trump durch ein Bodydouble ersetzt worden. Unmittelbar nach der Übernahme verbreitet der neue Eigner von Twitter also höchstselbst Desinformation. Der Tweet über Mr. Pelosi ist nicht das erste Mal, dass Elon Musk Links von Verschwörungserzählern teilt. Besonders peinlich für Musk war ein Vorfall 2018. Verärgert von negativen Berichten über ihn in der Presse spielte Musk damals mit dem Gedanken, eine neue Plattform einzurichten, die Medien nach ihrem "Bias", ihrer vermeintlichen Voreingenommenheit, bewerten sollte. Er teilte einen Artikel der Plattform The Knife über die Berichterstattung der Medien zu ihm selbst. Elon Musks Urteil: "Diese Analyse ist exzellent." Dazu postete er einen Link zum Wikipedia-Eintrag über kritisches Denken. Kurz darauf wurde er von anderen Usern darauf hingewiesen, dass die Seite The Knife das Sprachrohr eines Sex-Kults ist, in dem Frauen wie Tiere wörtlich gebrandmarkt werden und dessen Sektenanführer mehrmals für den Missbrauch Minderjähriger angeklagt wurde. [….]
(Julia Jäckel, ehemalige Gruner & Jahr Chefin, 07.11.2022)
Ich schlucke schon eine Menge Kröten, aber wenn der reichste Mann der Erde so ein Medienunternehmen aufkauft und dann seine Reichweite nutzt, um perfideste Verschwörungstheorien zu verbreiten und zur Wahl der antidemokratischen Trumpianer aufzurufen, ist der Rubikon überschritten.
Heute erleben wir die letzten freien Wahlen der USA. Twitter-Besitzer Musk fördert den Weg in den Faschismus.
[…] Die Zwischenwahlen an diesem Dienstag, die sogenannten Midterms, dürften auf absehbare Zeit die letzten zumindest einigermaßen fairen Wahlen in den USA sein. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind als funktionierende Demokratie einstweilen so gut wie verloren. Das hat viel mit Donald Trump zu tun, doch es gibt in diesem Zusammenhang einen weiteren Politiker, über den die Geschichte nicht gnädig urteilen wird. Mitch McConnell, Chef der Republikaner im Senat, hätte dem Land einen Dienst erweisen können, er hätte dafür sorgen können, dass die USA den Weg in den Abgrund verlassen und zurückfinden zu Anstand und Vernunft. Er hat diese Chance verstreichen lassen. [….]
(Christian Zaschke, SZ, 08.11.2022)
Natürlich habe ich heute in New York die Demokraten gewählt und auch wenn ich im Gegensatz zu Gigi Hadid oder Daniel Radcliffe keinerlei Reichweite habe, treffe ich doch auch die bewußte Wahl, Elon Musk nicht zu unterstützen.
Keine Raketenreisen mit ihm, keinen Tesla kaufen, Twitteraccount löschen.