Große multiethnische Staaten, die einmal auf gewaltsame Weise zusammen gefügt wurden, „funktionieren“ im Inneren oft nur Konflikt-frei, wenn eine extrem starke Zentralgewalt jede aufkommende Unruhe sofort erstickt.
So etwas
kann viele Jahrzehnte halten. Wir haben das in Jugoslawien, der Sowjetunion,
Libyen oder dem Irak erlebt.
Setzen
bei solchen Quasi-Diktaturen demokratische Prozesse ein, oder wird die
Zentralgewalt von außen destabilisiert, ist das Chaos vorprogrammiert.
Demokratie
ist in der Theorie eine schöne Sache, aber wenn man damit große
auseinanderdriftende Staaten befrieden will, steht man quasi mit bloßen Händen
einer Horde wilder Grizzlys gegenüber.
Mit
Parteien und Rechtsstaat lassen sich die Konfliktparteien in Ägypten, dem Sudan
oder Kongo nicht zur Raison bringen.
Dabei
sind Religioten natürlich mit Abstand am Gefährlichsten.
Wer sich
Gott auf die Fahnen schreibt und damit loszieht, um die Un- oder
Andersgläubigen niederzumachen, ist für Vernunft nicht zugänglich.
Solche Gruppen
können nur mit der ganz groben Knute regiert werden.
Diese
Erkenntnisse sind weltweit gültig und immer wieder bestätigt worden.
Nur mit
extremer Dummheit und Selbstüberschätzung ist es möglich wie 2003 die Klammern Saddam
und Baathpartei aus dem Irak zu sprengen und dann anzunehmen Schiiten, Kurden,
Christen und Sunniten fielen sich glücklich gegenseitig in die Arme und
paradiesische Zustände kehrten ein.
Ich
staune nach wie vor, daß eine gesamte US-Administration, Tony Blair,
Berlusconi, Aznar, Merkel, Schäuble und Pflüger tatsächlich vor einer Dekade so
sagenhaft dumm sein konnten.
Der ägyptische
Diktator Mubarak garantierte für die Sicherheit von 6-10 Millionen Christen
(vor allem Kopten).
Unter Saddam
Hussein waren 650.000 Christen im Irak geschützt.
Ein
Treppenwitz der Geschichte, daß das wahabitische Saudi-Arabien der engste
Verbündete des Westens ist und vom Lichtjahre demokratischeren und säkulareren
Irak verlangt wird eine Demokratie zu etablieren.
In Saudi
Arabien heißt es Rübe ab, wenn man nur einen Bibel besitzt.
Tarek
Aziz, in Mossul geboren und Angehöriger der chaldäisch-katholischen Kirche war
von 1983 bis 1991 Außenminister sowie von 1979 bis 2003 Vizepremierminister des
Irak, sowie der engsten Berater von Saddam Hussein.
Unter Assad
konnten sogar rund zwei Millionen Christen friedlich in Syrien leben.
(Melkitische
Kirche mit Patriarch Youhanna X., Armenische Apostolische Kirche, Syrisch-Katholische und
Griechisch-Katholischen Kirche,
syrisch-orthodoxe Gemeinden, Assyrische Kirche, Chaldäische Kirche,
Maroniten, verschiedene protestantische sowie römisch-katholische Gemeinden.)
Saddam
wurde aber Opfer des von Washington bestimmten „Regime-Change“; mit Assad wird
das Gleiche versucht.
Und dann
kamen Muslimbrüder, demokratisch gewählte Schiitenregierungen und die ISIS.
Genau wie
es schon vor 2003 jeder vorausgesagt hatte, der sich in der Gegend auskennt.
Peter Scholl-Latour verließ seinerzeit die TV-Studios gar nicht mehr und
erklärte über Wochen und Monate was passieren würde, daß die Christen dann
wohl massakriert würden oder fliehen müßten.
Nun, da
die Zukunft, die kommen mußte, gekommen ist, jammern die Irakkriegsbefürworter
in der CDU.
In der biblischen
Stadt Ninive, dem nordirakischen Mossul, leben vermutlich keine Christen mehr.
Wo einst der Prophet Jona wirkte und seit 1600 Jahren christliche Gottesdienste
gefeiert wurden, herrscht das Terrorregime der Dschihadisten. Mit beispielloser
Gewalt gehen die Söldner des "Islamischen Staates" (IS) gut 360
Kilometer von Bagdad entfernt gegen religiöse und ethnische Gruppen vor, die
nicht in ihre Hassideologie passen. Christen, Schiiten oder Turkmenen müssten
mit "grausamen Menschenrechtsverletzungen" rechnen, warnte jetzt Rita
Izsak, Uno-Sonderberichterstatterin für Minderheiten.
Die Evangelische
Kirche in Deutschland (EKD) reagiert mit großer Besorgnis auf die Nachrichten
von ihren ökumenischen Partnern im Irak. [….] Verschärft hatte sich die Lage für die
religiösen Minderheiten erneut vor wenigen Tagen. Wie die christliche
Hilfsorganisation Open Doors berichtet, stellten die radikalen Islamisten den
Christen in der Drei-Millionen-Metropole Mossul ein Ultimatum: "Sagt eurem
Glauben ab und werdet Muslime oder verlasst ohne allen Besitz die Stadt!
Andernfalls bleibt euch nur der Tod durch das Schwert." Darüber hinaus
wurden die Häuser der Christen mit dem arabischen N-Buchstaben gekennzeichnet.
N steht für "Naseriten" bzw. "Nazerener" und ist die
islamische Bezeichnung für Christen. Kirchliche Beobachter gehen davon aus,
dass daraufhin fast alle der verbliebenen 3000 Christen die Flucht in die
kurdischen Gebiete ergriffen hätten. Ihre Häuser seien danach von der
Terrormiliz geplündert worden. Lebten im Jahr 2003 noch rund 50.000 Christen in
der zweitgrößten irakischen Stadt, so dürfte es jetzt fast keiner mehr sein.
Die Bischöfe im Nordirak berichten inzwischen von zerstörten Kirchen, Klöstern,
Handschriften und Reliquien. [….]
Ich bin
nicht sicher, ob es nach dem Sturz des Talibanregimes, des Saddam-Regimes, des
Gaddafi-Regimes oder des Mubarak-Regimes unausweichlich war, daß ausgerechnet derart
grausame Sunniten Macht erlangten.
Aber
NATO und insbesondere die USA haben in den vergangen zehn Jahren auch alles
getan, um den Hass auf den Westen zu schüren. Für Differenzierungen bleibt
da kein Platz mehr – aus Sicht der ISIS gibt es zwischen Christen, Juden und „dem
Westen“ keine großen Unterschiede. Umgebracht gehören alle.
Abu Ghraib,
Guantanamo, Baghram und immer, immer wieder „Kollateralschäden“. Unzählige
Berichte von „versehentlich“ gekillten Hochzeitsgesellschaften,
Kindergartenklassen und Flüchtlinge haben das Rekrutieren von ISIS-Kämpfern
leicht gemacht.
„Früher“,
zu Saddams, Mullah Omars, Mubaraks Zeiten war es wenigstens sicher.
Mit den
Amis in der Luft ist alles anders. Das schürt den Hass auf „den Westen“ und „die
Christen“.
Ali Al-Qawli war ein
passionierter Lehrer aus der Provinz Sanaa in Jemen. Er war 34 Jahre alt, ein
optimistischer und humorvoller Mann, der in dreizehn Jahren nicht einen
Arbeitstag an seiner Schule verpasst hatte. Er glaubte an Freiheit und Frieden
in seinem Heimatland. 2011 war er in der jemenitischen Revolution gegen den
damaligen Präsidenten Saleh aktiv. Am 23. Januar 2013 wurde er getötet,
zusammen mit seinem Cousin Salim, von einer amerikanischen Drohne.
Ali und Salim
unterhielten nebenher einen privaten Taxiservice, die Familie war arm, das
brachte ein bisschen Geld. An diesem 23. Januar nahmen sie zwei Männer in ihrem
Auto mit. Sie kannten sie nicht und hatten sie noch nie zuvor gesehen. Dann
schlug die Rakete ein. Niemand weiß, wer das Ziel des Angriffs war, der Ali,
den Lehrer, tötete. Er war unschuldig, dies bestätigte später das jemenitische
Innenministerium. Sein ausgebrannter Toyota Hilux steht noch am Wegesrand, ein
Mahnmal für einen Tod, der in der Logik der US-amerikanischen Kriegsführung
liegt.
Alis Familie wird nie
herausfinden, warum er sterben musste. Sie werden wohl nie eine Erklärung und
erst recht keine Entschuldigung für seinen Tod erhalten. Die Menschen in Jemen
wissen nicht, wer das nächste Ziel eines Drohnenangriffs sein wird oder warum.
Sie wissen nicht, wie sie sich und ihre Kinder schützen können. Hunderte
Zivilisten sind bereits gestorben durch diesen geheimen Krieg, das Land lebt in
paralysierender Ungewissheit.
[….] Bis
zu tausend Menschen sind seit 2002 in Jemen durch US-Drohnen ums Leben
gekommen, vermutlich mehr als hundert von ihnen waren Zivilisten, darunter
viele Kinder. In Pakistan sollen es Schätzungen zufolge seit 2004 sogar mehr
als 3700 Tote sein, unter ihnen an die 200 Kinder. Der islamistische Terror ist
dadurch nicht zurückgegangen. Die vielen zivilen Opfer haben im Gegenteil die
Bevölkerung radikalisiert. Solange die US-Regierung sich weigert, jedwedes
Detail über die Zielauswahl ihrer Drohnenangriffe zu veröffentlichen, bleibt
der Eindruck: Wir alle sind gemeint. [….]
(Katherine
Craig, britische Anwältin, SZ vom 26.07.2014)
Dann wäre aber was los!