Samstag, 26. Juli 2014

Rekrutierungen


Große multiethnische Staaten, die einmal auf gewaltsame Weise zusammen gefügt wurden, „funktionieren“ im Inneren oft nur Konflikt-frei, wenn eine extrem starke Zentralgewalt jede aufkommende Unruhe sofort erstickt.
So etwas kann viele Jahrzehnte halten. Wir haben das in Jugoslawien, der Sowjetunion, Libyen oder dem Irak erlebt.
Setzen bei solchen Quasi-Diktaturen demokratische Prozesse ein, oder wird die Zentralgewalt von außen destabilisiert, ist das Chaos vorprogrammiert.
Demokratie ist in der Theorie eine schöne Sache, aber wenn man damit große auseinanderdriftende Staaten befrieden will, steht man quasi mit bloßen Händen einer Horde wilder Grizzlys gegenüber.
Mit Parteien und Rechtsstaat lassen sich die Konfliktparteien in Ägypten, dem Sudan oder Kongo nicht zur Raison bringen.
Dabei sind Religioten natürlich mit Abstand am Gefährlichsten.
Wer sich Gott auf die Fahnen schreibt und damit loszieht, um die Un- oder Andersgläubigen niederzumachen, ist für Vernunft nicht zugänglich.
Solche Gruppen können nur mit der ganz groben Knute regiert werden.

Diese Erkenntnisse sind weltweit gültig und immer wieder bestätigt worden.
Nur mit extremer Dummheit und Selbstüberschätzung ist es möglich wie 2003 die Klammern Saddam und Baathpartei aus dem Irak zu sprengen und dann anzunehmen Schiiten, Kurden, Christen und Sunniten fielen sich glücklich gegenseitig in die Arme und paradiesische Zustände kehrten ein.

Ich staune nach wie vor, daß eine gesamte US-Administration, Tony Blair, Berlusconi, Aznar, Merkel, Schäuble und Pflüger tatsächlich vor einer Dekade so sagenhaft dumm sein konnten.

Der ägyptische Diktator Mubarak garantierte für die Sicherheit von 6-10 Millionen Christen (vor allem Kopten).

Unter Saddam Hussein waren 650.000 Christen im Irak geschützt.

Ein Treppenwitz der Geschichte, daß das wahabitische Saudi-Arabien der engste Verbündete des Westens ist und vom Lichtjahre demokratischeren und säkulareren Irak verlangt wird eine Demokratie zu etablieren.

In Saudi Arabien heißt es Rübe ab, wenn man nur einen Bibel besitzt.
Tarek Aziz, in Mossul geboren und Angehöriger der chaldäisch-katholischen Kirche war von 1983 bis 1991 Außenminister sowie von 1979 bis 2003 Vizepremierminister des Irak, sowie der engsten Berater von Saddam Hussein.

Unter Assad konnten sogar rund zwei Millionen Christen friedlich in Syrien leben.
(Melkitische Kirche mit Patriarch Youhanna X., Armenische Apostolische Kirche,  Syrisch-Katholische und Griechisch-Katholischen Kirche,  syrisch-orthodoxe Gemeinden, Assyrische Kirche, Chaldäische Kirche, Maroniten, verschiedene protestantische sowie römisch-katholische Gemeinden.)
Saddam wurde aber Opfer des von Washington bestimmten „Regime-Change“; mit Assad wird das Gleiche versucht.
Und dann kamen Muslimbrüder, demokratisch gewählte Schiitenregierungen und die ISIS.
Genau wie es schon vor 2003 jeder vorausgesagt hatte, der sich in der Gegend auskennt. Peter Scholl-Latour verließ seinerzeit die TV-Studios gar nicht mehr und erklärte über Wochen und Monate was passieren würde, daß die Christen dann wohl massakriert würden oder fliehen müßten.
Nun, da die Zukunft, die kommen mußte, gekommen ist, jammern die Irakkriegsbefürworter in der CDU.

In der biblischen Stadt Ninive, dem nordirakischen Mossul, leben vermutlich keine Christen mehr. Wo einst der Prophet Jona wirkte und seit 1600 Jahren christliche Gottesdienste gefeiert wurden, herrscht das Terrorregime der Dschihadisten. Mit beispielloser Gewalt gehen die Söldner des "Islamischen Staates" (IS) gut 360 Kilometer von Bagdad entfernt gegen religiöse und ethnische Gruppen vor, die nicht in ihre Hassideologie passen. Christen, Schiiten oder Turkmenen müssten mit "grausamen Menschenrechtsverletzungen" rechnen, warnte jetzt Rita Izsak, Uno-Sonderberichterstatterin für Minderheiten.
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) reagiert mit großer Besorgnis auf die Nachrichten von ihren ökumenischen Partnern im Irak. [….]  Verschärft hatte sich die Lage für die religiösen Minderheiten erneut vor wenigen Tagen. Wie die christliche Hilfsorganisation Open Doors berichtet, stellten die radikalen Islamisten den Christen in der Drei-Millionen-Metropole Mossul ein Ultimatum: "Sagt eurem Glauben ab und werdet Muslime oder verlasst ohne allen Besitz die Stadt! Andernfalls bleibt euch nur der Tod durch das Schwert." Darüber hinaus wurden die Häuser der Christen mit dem arabischen N-Buchstaben gekennzeichnet. N steht für "Naseriten" bzw. "Nazerener" und ist die islamische Bezeichnung für Christen. Kirchliche Beobachter gehen davon aus, dass daraufhin fast alle der verbliebenen 3000 Christen die Flucht in die kurdischen Gebiete ergriffen hätten. Ihre Häuser seien danach von der Terrormiliz geplündert worden. Lebten im Jahr 2003 noch rund 50.000 Christen in der zweitgrößten irakischen Stadt, so dürfte es jetzt fast keiner mehr sein. Die Bischöfe im Nordirak berichten inzwischen von zerstörten Kirchen, Klöstern, Handschriften und Reliquien. [….]

Ich bin nicht sicher, ob es nach dem Sturz des Talibanregimes, des Saddam-Regimes, des Gaddafi-Regimes oder des Mubarak-Regimes unausweichlich war, daß ausgerechnet derart grausame Sunniten Macht erlangten.

Aber NATO und insbesondere die USA haben in den vergangen zehn Jahren auch alles getan, um den Hass auf den Westen zu schüren. Für Differenzierungen bleibt da kein Platz mehr – aus Sicht der ISIS gibt es zwischen Christen, Juden und „dem Westen“ keine großen Unterschiede. Umgebracht gehören alle.

Abu Ghraib, Guantanamo, Baghram und immer, immer wieder „Kollateralschäden“. Unzählige Berichte von „versehentlich“ gekillten Hochzeitsgesellschaften, Kindergartenklassen und Flüchtlinge haben das Rekrutieren von ISIS-Kämpfern leicht gemacht.

„Früher“, zu Saddams, Mullah Omars, Mubaraks Zeiten war es wenigstens sicher.

Mit den Amis in der Luft ist alles anders. Das schürt den Hass auf „den Westen“ und „die Christen“.
Ali Al-Qawli war ein passionierter Lehrer aus der Provinz Sanaa in Jemen. Er war 34 Jahre alt, ein optimistischer und humorvoller Mann, der in dreizehn Jahren nicht einen Arbeitstag an seiner Schule verpasst hatte. Er glaubte an Freiheit und Frieden in seinem Heimatland. 2011 war er in der jemenitischen Revolution gegen den damaligen Präsidenten Saleh aktiv. Am 23. Januar 2013 wurde er getötet, zusammen mit seinem Cousin Salim, von einer amerikanischen Drohne.
Ali und Salim unterhielten nebenher einen privaten Taxiservice, die Familie war arm, das brachte ein bisschen Geld. An diesem 23. Januar nahmen sie zwei Männer in ihrem Auto mit. Sie kannten sie nicht und hatten sie noch nie zuvor gesehen. Dann schlug die Rakete ein. Niemand weiß, wer das Ziel des Angriffs war, der Ali, den Lehrer, tötete. Er war unschuldig, dies bestätigte später das jemenitische Innenministerium. Sein ausgebrannter Toyota Hilux steht noch am Wegesrand, ein Mahnmal für einen Tod, der in der Logik der US-amerikanischen Kriegsführung liegt.
Alis Familie wird nie herausfinden, warum er sterben musste. Sie werden wohl nie eine Erklärung und erst recht keine Entschuldigung für seinen Tod erhalten. Die Menschen in Jemen wissen nicht, wer das nächste Ziel eines Drohnenangriffs sein wird oder warum. Sie wissen nicht, wie sie sich und ihre Kinder schützen können. Hunderte Zivilisten sind bereits gestorben durch diesen geheimen Krieg, das Land lebt in paralysierender Ungewissheit.
[….]   Bis zu tausend Menschen sind seit 2002 in Jemen durch US-Drohnen ums Leben gekommen, vermutlich mehr als hundert von ihnen waren Zivilisten, darunter viele Kinder. In Pakistan sollen es Schätzungen zufolge seit 2004 sogar mehr als 3700 Tote sein, unter ihnen an die 200 Kinder. Der islamistische Terror ist dadurch nicht zurückgegangen. Die vielen zivilen Opfer haben im Gegenteil die Bevölkerung radikalisiert. Solange die US-Regierung sich weigert, jedwedes Detail über die Zielauswahl ihrer Drohnenangriffe zu veröffentlichen, bleibt der Eindruck: Wir alle sind gemeint.  [….]
(Katherine Craig, britische Anwältin, SZ vom 26.07.2014)

Man stelle sich vor Putin würde überall auf der Welt mit Drohnen tausende Zivilisten töten!
Dann wäre aber was los!