Samstag, 31. Oktober 2020

Noch drei Tage

Im Angesicht besonders wichtiger Wahlen wie den US-Präsidentschaftswahlen am 03.11.2020 verfolge ich so manisch die Prognosen, Analysen und Umfragedaten, daß ich fast vergessen, daß all die gesammelten Zahlenmaterialien und gesammelten Zeitungs-Artikel zur Wahl in vier Tagen obsolet sind.

Es wäre ein viel ökonomischer Umgang mit der eigenen knapp bemessenen Zeit, sich bis Dienstag-Nacht die gesamte Lektüre zu sparen.

Aber die vorherige Spannung, der sich daraus entwickelnde Spin und der weitgehend irrationale Glaube mit der Verbreitung von Informationen noch Einfluss auf den Wahlausgang nehmen zu können, verhindert es immer wieder loszulassen.

Vor jeder US-Wahl wird beschworen, es handele sich diesmal wirklich um die wichtigste Wahl überhaupt, EVERYTHING IS AT STAKE, aber auch diesmal bin ich geneigt der Einschätzung zuzustimmen: Trump und seine Republikaner haben die Welt-Supermacht USA so schwer beschädigt, daß es sich um ein de facto irreparables Desaster handelt. Sie setzten eienr seit Dekaden verfehlten Entwicklung die Krone auf.

[…..] Amerikas ökonomische Talfahrt begann keineswegs mit Chinas Aufstieg, und sie begann erst recht nicht mit der Amtsübernahme Donald Trumps. Sie begann bereits mit der Abwanderung der ersten Industriebranchen in den Fünfziger- und Sechzigerjahren und setzte sich fort mit der Entfesselung der Finanzmärkte in den Achtzigern. Die Friktionen, die diese Entwicklungen auslösten, blieben zunächst unter einem Berg aus Arroganz und Selbstbetrug sowie dem Gerede über das vermeintliche "Ende der Geschichte" verborgen. Und doch verwandelten sie die USA in ein zerrissenes Land, das heute weit hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt.  Der entscheidende Fehler war wohl der bewusste Entschluss der amerikanischen Politik- und Wirtschaftselite, der Industriearbeit den Rücken zu kehren und Wohl und Wehe des Landes auf dem wackeligen Fundament eines neuen Finanzkapitalismus aufzubauen. Sollen doch die anderen die Drecksarbeit machen, so lautete das unausgesprochene Credo zunächst der Republikaner, später auch der Demokraten - wir sammeln dafür am Ende die Gewinne ein. [….]

(Claus Hulverscheidt, 01.10.2020)

Abgesehen von den ultrarechten Fanatikern, Realitätsblinden und Religioten analysieren aber die Beobachter in der Welt und in den USA selbst, von ganz links bis weit ins konservative Milieu hinein die Situation einheitlich und meiner Ansicht nach auch richtig:

1.   Der kolossale Abstieg des Welt-Hegemons zeichnet sich schon seit einem halben Jahrhundert ab.

2.   Die gewaltigen Schwächen innerhalb der amerikanischen Gesellschaft wurden durch ökonomische Macht, Selbstbewußtsein und Patriotismus immer nur kaschiert, aber nie beseitigt.

3.   Auch die demokratischen Two-Term-Präsidentschaften Clintons und Obamas haben keine wesentliche Verbesserung bei Bildung, sozialer Ungerechtigkeit, Infrastruktur, Waffenwahn und Gesundheitssystem gebracht.

4.   Trump war nicht der Anfang des Desasters, sondern die Folge einer langen sozialen, religiösen, edukativen und medialen Fehlentwicklung.

5.   Selbst im günstigsten Fall, also Blue Wave mit Biden-Erdrutschsieg und progressiven Mehrheiten im House und Senat,  werden die USA nicht mit sich selbst versöhnt werden können.

6.   Auch ohne Trump bleibt das eigentliche Problem – rund 70 Millionen fanatisierte, militaristische, der Realität entkoppelte, rassistische Trump-Fans – bestehen.

Die Fronten sind dermaßen verhärtet, daß die unterlegene Seite; insbesondere die Republikaner das Ergebnis in weiten Teilen nicht akzeptieren werden.

Die USA sind kaputt, so kaputt, daß sich die Amerikaner bald nicht mehr leisten können gegeneinander zu kämpfen.

[….] Heute gibt es in den USA Hunderte, ja Tausende Dörfer und Städte, in denen ein Teil der Häuser und Geschäfte verrammelt ist. In denen bleiverseuchtes Wasser aus den Hähnen fließt, ganze Familien medikamentenabhängig sind und die Polizei die Kontrolle über einzelne Viertel verloren hat. In denen Brücken bröckeln, Schulen schließen und Eisenbahnschienen wegrosten. [….]

(Claus Hulverscheidt, 01.10.2020)

Viele der US-amerikanischen Probleme sind gar nicht mehr Reformen aus Regierung und Parlament, mit Gesetzen und Kampagnen zu beheben, weil sie tief in die Mentalität der Bürger eingestempelt sind: Isolationismus, Größenwahn, Bildungsfeindlichkeit, Waffenwahn, Religiotie, Hass auf staatliche Eingriffe.

So konnten die USA von allen westlichen Demokratien viele einsame Spitzenplätze einnehmen:

Die höchste Mordrate, die höchste Zahl der Gefängnisinsassen, die meisten Obdachlosen und trotz der pro Kopf gerechneten höchsten Gesundheitsausgaben, sinkt die Lebenserwartung. Die Amerikaner werden immer fetter und kleiner, weil so viele Kinder mangelhaft ernährt werden.

Körpergröße und Lebenserwartung geben einen besseren statistischen Indikator als das Prokopf-Einkommen, da der Reichtum so eklatant ungerecht verteilt ist, daß es ein Bezos und ein Gates das durchschnittliche Vermögen extrem verzerren. Das völlig versagende öffentliche Gesundheits- und Sozial- und Bildungssystem führt dazu, daß es keine „Mittleren“ mehr gibt.

Es werden einerseits ungesunde, schlechte gebildete Arme produziert und andererseits die durch elterlichen Reichtum, Privatschulen- und Privatversicherungen hochgebildeten Kerngesunden mit Adonis-Figur.

Das „vom Tellerwäscher zum Milliardär“-Versprechen ist längst obsolet. In die Oberschicht gelang man fast ausschließlich, indem man Eltern aus der Oberschicht Mama und Papa nennt.

[…..] Der Verzicht auf eine allgemeine, staatlich organisierte Krankenversicherung etwa ist aus Sicht vieler Bürger keineswegs unsozial, sondern schlicht Ausdruck von Freiheit. Wenn ein Land jedermann die Freiheit bietet, einen Beruf zu wählen, eine Firma zu gründen und reich zu werden, so die Lesart, dann trägt umgekehrt jedermann auch die Verantwortung dafür, wenn der Job verloren geht, die Firma Insolvenz anmelden muss oder das Konto überzogen ist. Selbst Krankheit ist vor diesem Hintergrund eine Privatangelegenheit, zumal man ja nicht weiß, ob der oder die Betroffene nicht vielleicht Lastern frönte oder es sich mit dem lieben Gott verscherzt hat. Warum, so der Gedanke, sollte der Staat, die Allgemeinheit, für Fehlverhalten oder mangelnde Frömmigkeit einstehen?  Es ist diese Spielart des Individualismus, man könnte auch sagen: diese Rücksichtslosigkeit, die die USA über Jahrzehnte mit groß gemacht hat. Ein Land, das auch im 21. Jahrhundert Erfolg haben will, braucht jedoch beides: kreativen, willensstarken Individualismus und mutigen, solidarischen Gemeinsinn. […..]

(Claus Hulverscheidt, 01.10.2020)

Sollte es am Dienstag einem Trump-Wahlsieg geben, prophezeie ich den drastischen weiteren Abstieg der USA.

Sollte Biden knapp gewinnen, wird es ein endloses Chaos mit möglicherweise bürgerkriegsähnlichen Zuständen geben.

Sollte den Demokraten auf allen Ebenen ein Durchmarsch gelingen, bleiben die US-Probleme dennoch fast unlösbar; zumal die erzkonservative katholische 6:3-Mehrheit im Supreme Court auf Jahrzehnte fortdauern könnte und es fast keinen Weg gibt, das zutiefst ungerechte Wahlsystem zu ändern.

Für Amerikas Zukunft sehe ich schwarz, und zwar dunkelschwarz.

Freitag, 30. Oktober 2020

Die Quittung

Es ist ein faszinierender Fall von „I told you so“ – nun wird in ganz Europa die Notbremse gezogen; das öffentliche Leben wieder herunter gefahren, nachdem die Bürger über Monate von allen Experten und seriösen Politikern gehört hatten, genau das werde am Ende des Jahres passieren, wenn man nicht penibel die Hygiene- und Abstandsregeln einhalte.

Aber überall werden die Sars-CoV-II-Aerosole ungehindert hinausgewirbelt, weil Homo Demens entweder unabsichtlich nachlässig die Maske nur unter Kinn oder an Ohr hängen lässt, oder aber schon ins Aluhut-Lager gewechselt ist und es wie Trump trotzig als sein Recht ansieht andere Menschen in tödliche Gefahr zu bringen.

AFDP-Chef Linder hat den Pfad eines seriösen Politikers längst verlassen.

[……] Das Virus [……] macht im Zweifel, was es will. Entsprechend absurd ist der Satz von FDP-Parteichef Christian Lindner, wonach dieser zweite Teil-Lockdown „der letzte“ gewesen sein müsse. Eher liegt das Gegenteil nahe. [……]

(Markus Decker, RND/MoPo, 30.10.2020)

Das blonde Fallbeil kennt keine moralischen Grenzen mehr und verbreitet auch noch ungeniert Verschwörungstheorien über den SPD-Gesundheitsexperten Prof. Karl Lauterbach, der nun von der Naidoo-Hildmann-Fraktion Morddrohungen erhält. Schuld sind BILD und Lindner, die gemeinsam mit bösartig aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten hetzten.

[…..] BILD und Christian Lindner verbreiten Falschdarstellungen über Lauterbach[…..][…..][…..]  Lauterbach hat also nur das für NRW gefordert, was für die meisten Deutschen ohnehin gilt. […..] Christian Lindner trat dabei mit einem Interview in der BILD eine Kampagne des Springer Verlags los und bezeichnete Lauterbachs Aussagen zuerst als eine Forderung nach “Kontrollen in Privatwohnungen” und sagte gar darüber, dass das Maßnahmen seien, die “schärfer sind als die bei der Terrorismusabwehr”. Nochmal: Über eine Forderung für NRW, die in Bayern, Berlin und Baden-Württemberg längst gilt. […..]   Eine halbe Stunde DANACH lügt Christian Lindner immer noch auf Twitter, das Lauterbach das gefordert hätte, und wiederholt seine unsinnige Anschuldigung, dass dies “schärfer als Terrorismusabwehr” wäre. […..] (Andreas Bergholz, 28. Oktober 2020)

Der FDP-Mann bildet inzwischen eine offene Allianz mit Gaulands braunen Lügentruppen im Bundestag, man unterstützt und beklatscht sich gegenseitig.

[…..] Wolfgang Schäubles Autorität droht einen kurzen Moment zu wackeln. [Merkels] Regierungserklärung wird von AfD-Abgeordneten durch wüstes Gebrüll immer wieder unterbrochen, deren Fraktionschef Alexander Gauland sagt später, Deutschland sei auf direktem Weg in die „Corona“-Diktatur. Merkel macht immer wieder Pausen, ignoriert Anfeindungen und Rufe wie: „Wir sind das Parlament.“ Aus der SPD-Fraktion brüllt jemand: „Haltet doch mal die Klappe.“ […..] "Lüge und Desinformation, Verschwörung und Hass beschädigen nicht nur die demokratische Debatte, sondern auch den Kampf gegen das Virus", sagt sie Richtung AfD. Die Maßnahmen seien „geeignet, erforderlich und verhältnismäßig. […..] Lindner hatte zuvor das Bild einer deformierten Demokratie gezeichnet, einer Kanzlerin, die zusammen mit den Ministerpräsidenten einsam sehr weitreichende Beschlüsse fasse, am Parlament vorbeiregiere und von Corona-Maßnahmen, die völlig unverhältnismäßig sein. „Der Deutsche Bundestag kann den Beschluss nur noch nachträglich zur Kenntnis nehmen“, kritisiert Lindner den Bund-Länder-Beschluss für einen „Wellenbrecher“-Lockdown ab kommendem Montag. […..]  „Das muss der letzte Lockdown sein.“  Lindner bekommt von den eigenen Leuten viel Applaus, und von einer weiteren Fraktion: der AfD. […..] „Der Lindner sucht sein Thema“, ätzt einer aus dem nordrhein-westfälischen Regierungsapparat. […..]

(Tagesspiegel, 29.10.2020)

Ich bin ein großer Freund der Merkel-Kritik, aber es wäre schon ganz nett, wenn die AFDP bei der Wahrheit bliebe. Was sollte denn das Motiv der Bundesregierung und aller Bundesländer sein, das öffentliche Leben derart einzuschränken und der deutschen Ökonomie diesen katastrophalen Schaden zuzufügen, wenn es keinen übergeordneten Notstand gäbe?
In diesem Fall sind die beiden Motive der Regierenden so klar wie selten; sie wollen Menschenleben retten und spätere noch viel brutalere Lockdownmaßnahmen vermeiden.

Ja, die Regierten sind genervt, die Zustimmung zu den Regierungsmaßnahmen bröckelt.

Aber einerseits gibt es immer noch eine deutliche Mehrheit, die den „lockdown light“ unterstützt und andererseits hat das verantwortungslose oder bestenfalls schluderige Verhalten der Bürger genau zu dem rasanten Anstieg der Infektionen und Todesfälle geführt, den wir gerade erleben.

Das „gesunde Volksempfinden“, BILD-getriebene Wut und Umfragen sind keine guten Ratgeber.

Die Bürger sind eben gerade nicht vernünftig.

[…..] Chaos und Schlangen in Supermärkten: Hamburger hamstern wieder!

Die Rückkehr der Hamsterkäufe: Kurz vor Beginn des angekündigten „Teil-Lockdowns“ ab Montag in Hamburg reagieren viele Bürger im Supermarkt offenbar panisch. Wie im Frühjahr gab es am Freitagabend vielerorts leere Klo- und Haushaltspapier-Regale, endlose Schlangen an den Kassen und Einkaufswagen prall gefüllt mit Konserven, Mehl und Zucker. [….]

(Mopo, 30.10.2020)

Es geht wieder los; Covidioten einerseits, die Reptiloiden vom Aldebaran-Nebel zusammen mit Gates und Soros am Werk sehen und andererseits aufgescheuchte Paniker, die glauben hinter eine Klorollen-Batterie Pandemie-sicher zu sein.

Meine Wochenend-Einkäufe hatte ich schon auf gestern vorgezogen.

Da morgen Feiertag ist, erwartete ich in Kombination mit dem Nudel- und Klopapierrausch schon seit ein paar Tagen heute die totale Überfüllung in den Läden.

In dem EDEKA nebenan hingen schon wieder Hinweisschilder, man dürfe pro Person nur einmal Klopapier, einmal Hefe und einmal Nudeln kaufen.

Die Menschen kamen mir aber nicht panisch vor; es war eher eine Stimmung wie vor dem Winterschlaf.

Noch einmal Vorräte auffüllen und dann ein paar Wochen in seiner Höhle verschwinden.

Ich habe heute schon angefangen; wozu noch rausgehen?

Den ganzen Tag mit Café und Zeitungen im Bett verbracht.

Der Semi-Lockdown -  so sehr mir natürlich die Existenzsorgen der Gastronomen, Veranstalter, Musiker bewußt sind – ist für mich ein Geschenk.

Das Leben auf das Notwendige beschränken, mehr Zeit für sich nehmen und keine anderen Menschen sehen.

Diesmal ist es noch schöner als im Frühjahr, weil auch das Wetter nach dem heißen Horrorsommer ganz nach meinem Geschmack ist. Frische Luft draußen, man kann wunderbar lüften und sogar schlafen ohne alle zehn Minuten schweißgebadet zu sich zu kommen.

Das ist Sozialphobikers Traum. Der Winter kommt und das alles begleitet von einem seichten Lockdown, so daß man zwar noch einkaufen kann, aber jedes Socializing mit dem Hinweis auf Covid19 abblocken kann.

F*ck You Weihnachtsmarkt, f*ck you Silvestersause, f*ck you Sonne, f*ck you Menschenmassen, f*ck you Großevents, f*ck you Sport-Wahn, f*ck you Gottesdienste.

Mein Traum wäre es, den Zustand bis Januar oder Februar durchzuziehen, weil ich nichts grauenhafter finde als den Weihnachtskonsum-Rausch, die fürchterliche inszenierte Zwangs-Familienstimmung, das Fressen und Prassen, das Glühwein-Saufen, den ganzen unerträglichen Kitsch, die Horror-Musik, die riesigen aus China importierten Plastik-Santa-Claus-Puppen, die an jeder zweiten Fassade hängen.

Das Gute am Dezember ist das Wetter. Ohne den Weihnachtswahn wird es noch viel besser.

Und ja, natürlich weiß ich, daß ich eine Minderheitenposition bekleide.

Natürlich weiß ich, daß es für viele, sehr viele Menschen fürchterliche finanzielle Folgen hat, daß auch sehr viele unter Isolation und Einsamkeit leiden.

Aber deren Befindlichkeiten werden auch tagtäglich in allen Medien transportiert, so wie auch im Sommer alle Medien einfach davon ausgehen, daß sich JEDER viel Hitze und Sonne wünscht.

Aber bei mir ist es umgekehrt: Ich leide unter Nähe zu Menschen und Lärm und Zwangsbeglückungen. Ich leide unter heißen Sommern.

Ich reagiere regelrecht allergisch auf Weihnachtsdekoration und die damit verbundene Nivellierung der Menschen, die manisch alle genau das gleiche machen und mich seit Ewigkeiten dafür schief angucken, mich aus dieser ganzen Feierei grundsätzlich fernzuhalten.

Einmal in meinem Leben bin ich nun derjenige, der sich im Dezember wohlfühlen kann.

Donnerstag, 29. Oktober 2020

Der Trump-Vergleich

Selbst wenn man am ganz rechten Rand der CDU steht und seit 20 Jahren eindrucksvoll beweist auch nicht über das kleinste Fünkchen eines sozialen Gewissens zu verfügen, ist es nicht schmeichelhaft als „der kleine Trump aus dem Sauerland“ in den Schlagzeilen zu stehen.

Merz, der Sauerland-Trump“ nennen ihn die Zeitungen der konservativen RND-Gruppe.

„Sauerland-Trump“ gegen das „Establishment“, kommentiert FAZ-Herausgeber Berthold Kohler.

Diesen Vergleich hat sich CDU-Bundesvorsitz-Kandidat Friedrich Merz allerdings ganz allein selbst zuzuschreiben.

Seine Bewerbung als Parteichef und damit mutmaßlich auch nächster Bundeskanzler ist von den typischen Trump-Charakteristika geprägt:

-      Sich immer wieder selbst ein Bein stellen

-      Doubling Down, also hanebüchene Aussagen anschließend sogar noch zu verschlimmern

-      Lügen

-      Unfähigkeit Fehler einzuräumen und Verantwortung zu übernehmen

-      In Bausch und Bogen andere für das eigene Versagen verantwortlich machen

-      Sich ausschließlich mit sich selbst beschäftigen

-      Bei Gegenwind oder Kritik ausflippen und wüst um sich schlagen.

Die Umstände in Deutschland sind anders als in den USA.

Die CDU ist moralisch (noch) nicht so verkommen wie die GOP. Merz hat kein eigenes Medienimperium, das nur ihm zu Füßen liegt und ihn rund um die Uhr lobpreist. Das politische System ist nicht so verzerrend wie in den USA.

Merz ist reich, sehr reich, Millionen nimmt er durch seine Aufsichtsratssitze sein; in einem Hangar stehen zwei Privatflugzeuge in seinem Besitz. Aber das ist dennoch weit entfernt von dem Milliarden-Elternhaus, aus dem Trump stammt.

Der kleine Friedrich aus dem Sauerland hatte keinen Milliarden-Papi, der ihm sein halbes Leben lang mit einem Dukatenschweißer hinterher lief, um jede Dummerhaftigkeit gerade zu biegen und Probleme mit Geld zu zuschütten.

Und so wurde aus Merz, der am 11.11.2020 das Rentenalter von 65. Jahren erreicht eben nie das, was er sich als natürliche Position vorstellte: Parteichef, Bundeskanzler und mächtigster Mann Europas.

Im Gegenteil; es zieht sich wie ein roter Faden durch sein Leben, stets die größten Erwartungen zu entfachen und dann nicht liefern zu können.

Immer wenn es drauf ankam, scheiterte der Polit-Aussteiger und Politrentner:

ER ging gegen Angela Merkel im Kampf um den Vorsitz der CDU-Bundestagsfraktion unter, Edmund Stoiber überrollte ihn beim Kampf um die Kanzlerkandidatur von 2002, er wurde 2005 gar nicht mehr gefragt, er veröffentlichte „Mehr Kapitalismus wagen – Wege zu einer gerechten Gesellschaft“ ausgerechnet 2008, als die Mega-Finanzkrise jedem zeigte wie vollkommen verkehrt Merz damit lag, er gewann nie eine Wahl, übernahm niemals ein Regierungsamt und als seine Nemesis Merkel nach fast zwei Dekaden endlich den CDU-Vorsitz aufgab, versagte Merz auf dem Wahlparteitag so sehr, daß er AKK unterlag.

Seine Bierdeckel-Sprüche erwiesen sich als Metapher für sein ganzes politisches Leben: Immer das Maul aufreißen, aber nie irgendetwas umsetzen können.

Merz prescht gerne vor und schießt sich dann öffentlich selbst ins Knie.
So auch just wieder geschehen bei seinem 48-stündigen öffentlichen Wutanfall nach der Absage des CDU-Parteitags im Dezember.


[…..] Herrn Merz' Gespür für Eigentore

Der Kandidat für den CDU-Vorsitz will alle, die gegen ihn sind, öffentlich bekämpfen. Das legt den größten Unterschied zwischen ihm und der Kanzlerin offen: Auch sie hatte viele Widersacher, aber schwieg. Das hat sie stark gemacht. […..] Mit seiner Attacke gegen das sogenannte Partei-Establishment hat Friedrich Merz - absichtlich oder nicht - offengelegt, wo seine größte Schwäche und Angela Merkels größte Stärke liegt: Gemeint sind strategische Kraft und politische Klugheit. Sie hat davon sehr viel, ihm mangelt es daran sehr. […..]

 (Stefan Braun, 28.10.2020)

Merkel trat nie so laut, so erwartungsvoll, so vollmundig, so selbstbewusst, so ego-zentriert, so machtgierig, so Messias-komplexig wie Merz auf.

Ihr Auftreten, ihre Optik, ihr Charakter sind hin vieler Hinsicht klein und bescheiden im Vergleich zu Friedrich Merz.

Umso mehr muss es ihn triggern, daß sie aber all das wurde, was er nie schaffte: Mächtig, Kanzlerin, Parteichefin, Wahlsiegerin.

Sie regiert, er redet sich um Kopf und Kragen – immer wieder.

[…..] Friedrich Merz als Parteichef verhindern zu wollen, ist grundsätzlich ein legitimes Anliegen und müsste quasi Bürgerpflicht sein.   Und die Tatsache, dass dieser Mann als ernsthafte Option für diesen Posten gehandelt wird, ist ein Beleg für den desolaten Zustand, in dem das konservative Lager dieses   Landes ist.   Zur Erinnerung eine Anekdote: Friedrich Merz ist der Mann, der einst seinen Laptop an einem Berliner Taxistand verloren hat, und dem Obdachlosen, der das Gerät fand und bei der Polizei abgab, als Dank ein handsigniertes Buch zukommen ließ. Der bemerkenswert sperrige und unangenehm motivationstrainige Titel: „Nur wer sich ändert, wird bestehen. Vom Ende der Wohlstandsillusion – Kursbestimmung für unsere Zukunft“. Dazu noch die Widmung: „Vielen Dank an den ehrlichen Finder.“   […..] Friedrich Merz, dieser Blackrock-Manager der Liebe, der Kapitalist mit dem großen Herz und dem Bierdeckel-Fetisch, hat auch eine ganz andere Seite. Ein Gespür für die Stimmungen des einfachen Volkes. Und für die Bedrohungen, denen unsere Gesellschaft zurzeit ausgesetzt ist.   Die allergrößte Gefahr: Dass wir, also alle außer Merz, einfach zu bequem werden  „Wir müssen ein bisschen aufpassen, dass wir uns nicht alle daran gewöhnen, dass wir ohne Arbeit leben können.“ So kommentierte er inmitten der Corona-Pandemie die Lage. Also, als sehr viele Menschen fürchten mussten, dass ihre Existenzen vernichtet werden, dass sie ins Bodenlose fallen, da war es ihm ein wichtiges Anliegen, das mal los zu werden. […..] Und wenn er gefragt wird, ob er einen schwulen Bundeskanzler okay finden würde, dann sagt er sinngemäß schon mal: Och ja, wenn der nicht irgendwelche Kinder antatscht, dann ginge das schon. […..] Er spricht auch die „Sprache junger Menschen“, dieser famose Merz. Sagt er zumindest selbst. Und das Großartige ist: Dieser Satz belegt das Gegenteil schon in sich selbst. Die „Sprache junger Menschen“. Das klingt so onkelhaft unangenehm, dass jeder junge Mensch gut beraten wäre, schnellstmöglich Reißaus zu nehmen, wenn sich jemand nähert, der so redet. Nicht, dass man noch langweilige Bücher mit sperrigen Titeln geschenkt bekommt ... […..] Tja, das ist es offenbar, was das konservative Lager jenseits des „Establishments“ in der Union sich als Weg in die Zukunft vorstellt: eine Zeitreise zurück in die 90er. Mit einem Herzlos-Onkel am Steuerknüppel. Gruselig. Und es ist noch nicht mal Halloween. […..]

(Maik Koltermann, 27.10.2020)

Die Vergleiche mit Trump verdient sich Merz aber nicht nur mit seine kruden Attacken auf angeblich dunkle Mächte in der CDU, die ihn sabotieren wollen, sondern mit seinem Ego-Wahn, seiner Weinerlichkeit, dem rage-Tweeting und den üblen Folgen seines Verhaltens für die Demokratie.


[…..] Merz hat den Charaktertest nicht bestanden.   Der rabiate Machtkampf in der CDU zeigt, wie bedrohlich sich die politische Kultur ändert.

Auf die Verlierer kommt es an. Das ist einer der Grundsätze der Demokratie, die ständig Verlierer produziert, da sie auf Abstimmungen und Wahlen beruht. Wenn Politiker ihre Niederlage nicht akzeptieren, setzen sie das System unter Stress.   Das ist in der CDU passiert. Friedrich Merz kann sich nicht damit abfinden, dass der Parteitag wegen der Pandemie vom Dezember ins nächste Jahr verschoben wird. Er hält das für eine Intrige unter anderem seines Konkurrenten Armin Laschet, da der sich bei einem späteren Termin bessere Aussichten auf den Parteivorsitz ausrechne.  Merz gibt den schlechten Verlierer, das ist das eine. Das andere ist, dass die CDU derzeit nicht weiß, wie sie zu einem Parteivorsitzenden und damit zu einem Kanzlerkandidaten kommen soll. Sie ist ratlos, hilflos, […..] Mit diesem Impuls spielt Merz, der behauptet, "Teile des Parteiestablishments" wollten verhindern, dass er Vorsitzender wird.   Damit begibt er sich argumentativ in die Nähe von Rechtspopulisten wie Donald Trump oder der AfD, die gern einen Gegensatz zwischen dem "Volk" und den Politikern in den Hauptstädten konstruieren, um sich selbst als Anwälte der Bevölkerung aufspielen zu können. Auch Merz behauptet, die "Basis" stehe auf seiner Seite, also das Parteivolk. […..]

(Dirk Kurbjuweit, 29.10.2020)


Mittwoch, 28. Oktober 2020

Privates Update II

Als meine Mutter wieder in Deutschland lebte, hatte sie immer Heimweh nach New York und stellte sich durchaus vor irgendwann wieder in Amerika zu leben.

Es liegt scheinbar auch in den Genen meiner Familie; alle meine Verwandten sind nicht Orts-treu und haben sich heute auf die verschiedenen Kontinente verstreut.

Ich habe keine Erklärung dafür, weshalb ich als einziger aus dem Rahmen fiel und nie plante in einem anderen Land zu leben.

Vielleicht eine stille Revolte gegen den allgemeinen Reisewahn und den Anspruch auf Mehrsprachigkeit meiner Verwandten?

Nachdem ich 1987 eine Riese durch einige Warschauer-Pakt-Staaten unternahm, hoffte meine Mutter, der Funke wäre endlich auch mich übergesprungen, weil ich wenigstens nach dem Abitur nicht nach Mallorca oder an die Algarve flog, sondern mir etwas eher Untypisches ansah.

‚Vielleicht kommt der Junge nun doch auf den Geschmack und geht zumindest mal für ein Jahr nach Amerika‘ hoffte sie. Vergeblich.

Mein amerikanischer Pass wurde mir allerdings sehr bewußt. Hatte ich während meiner Schulzeit noch gedacht großes Glück zu haben, weil ich mich nicht mit einer Wehrdienstverweigerung rumplagen musste, den Zivildienst auslassen konnte, fand ich mich beim Versuch mich an der Universität einzuschreiben in einer ganz lästigen Realität wieder:
Mein recht guter NC war wertlos; ich hatte mich an das „Akademische Auslandsamt“ zu wenden. Für „Bildungsinländer aus dem nichteuropäischen Ausland gibt es pro Fachbereich genau einen Studienplatz für den Bestqualifizierten. Wartesemester werden nicht anerkannt. Ein Wechsel des Studienfachs war grundsätzlich ausgeschlossen für Ausländer.

Ich musste beim akademischen Auslandsamt vorstellig werden und meine Deutschkenntnisse bei einem Diktat beweisen.

Deutsches Abitur mit Deutsch-Leistungskurs und Deutsch als Muttersprache waren für das Amt kein ausreichender Hinweis auf meine Sprachfähigkeiten.

Das musste erst mal überprüft werden.

Es gab offenbar einen besseren Bewerber als mich. Kein Studium in Deutschland lautete das Urteil der Uni für mich.

Als das Semester drei oder vier Wochen lief, bekam ich einen überraschenden Brief vom akademischen Auslandsamt; im Nachrückverfahren wäre mir doch ein Platz zugeteilt worden; ich solle mich sofort bei den Chemischen Instituten einfinden. Offensichtlich hatte der- oder diejenige vor mir schon wieder aufgegeben.

Noch viel lästiger wurden allerdings die kalten Nächte vor der damaligen Ausländerbehörde im Hamburger Bieber-Haus direkt bei den Junkies und Nutten vom Hauptbahnhof.

Dort musste ich eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen und sie alle fünf Jahre in einen neuen Pass eintragen lassen. Ich scheiterte allerdings schon daran nur eine Wartenummer zu ziehen. Dafür musste man sich um zwei oder drei Uhr nachts anstellen und hoffen noch früh genug zu sein, um bei der Öffnung um 7.00 Uhr in einem riesigen Gedrängel eine Marke zu ergattern.

Nach meiner ersten Eis-Nacht gab ich auf, weil das Gemuse zu aggressiv und rabiat war. Die wenigen Marken waren ohnehin nach drei Minuten weg und ich stand außer Reichweite.

Ich erinnere mich nicht mehr genau wie oft ich wiederkommen musste, staunte aber, daß die Abteilungen im Bieberhaus nicht etwa nach Nationen, sondern alphabetisch geordnet waren.

Die Sachbearbeiter konnten sich also nicht auf bestimmte Länder und Sprachen spezialisieren, sondern behandelten jeden so, als ob er deutsch konnte und wurden einfach immer lauter, wenn der oder die Angesprochene nicht verstand.

Eine orientalische Dame vor mir war in Tränen ausgebrochen, weil der zuständige Beamte sie in der irrigen Annahme ihre Deutschkenntnisse verbesserten sich linear mit seiner Phonstärke so laut anschrie.

Ich war ein außergewöhnlicher Fall, weil ichsämtliche Fragenbogen selbstständig in Deutsch ausfüllen konnte und außerdem bei meinen vorherigen nicht erfolgreichen Bieber-Haus-Besuchen schon ergründet hatte, welche Papiere ich vorzulegen hatte und dieselben vollständig dabei hatte.

Nun sollte es wohl nur noch eine Formsache sein, erlaubte ich mir zu hoffen.

Tatsächlich erwischten mich dann gleich die ersten beiden Fragen des brüllenden Beamten so kalt, daß ich nur faseln und stammeln konnte. „Was wollen Sie eigentlich hier in Deutschland? Können Sie etwa nicht zu Hause studieren?“

Wie mir erst später klar wurde, brachten mich diese Fragen deshalb so ins Schleudern, weil ich sie mir noch nie gestellt hatte.

Wieso ist man da wo man ist und nicht woanders? Aber ich wollte doch Naturwissenschaftler und nicht Philosoph werden.

Von da an blickte ich immer sorgenvoll auf das Ablaufdatum des Passes, der alle fünf Jahre im US-Generalkonsulat für ein paar hundert Dollar neu ausgestellt werden musste und auch eine erneute Bieber-Haus-Prozedur erforderte.

Es nützte nichts sich Tricks zu merken, da die Regeln kontinuierlich verändert wurden und ich alle fünf Jahre bei einem anderen Amt zu erscheinen hatte.

Während in den 1980ern und 1990ern wenigstens die Besuche im US-Generalkonsulat recht angenehm waren, weil die US-Beamten grundsätzlich höfliche und freundliche Menschen mit einem lockeren Umgangston sind, änderte sich nach dem 11.09.2001 auch das. Die diplomatischen US-Vertretungen wurden zu Festungen ausgebaut, so daß es zum Spießrutenlauf wurde auch nur bis zum Eingangstor zu kommen. Die berühmte US-Service-Mentalität ist ebenfalls vorbei; das Hamburger Generalkonsulat stellt gar keine US-Papiere mehr aus. Dafür hat man nun in die Botschaft nach Berlin zu kommen.

Die Stärke des US-Reisepasses war in meiner Jugend noch überragend; insbesondere im Vergleich mit dem Deutsche. Da schwang in vielen Ländern noch der Holocaust und Zweite Weltkrieg mit.

Der Arton Capital Passport Index misst, in wie viele Länder man ohne Visum reisen darf.

Aber die USA machen sich zunehmend international unbeliebt. Heute ist der deutsche Pass mit 166 visumfreien Einreise-Ländern nach den Vereinigten Arabischen Emiraten (167) der Zweitstärkste der Welt, der US-Pass liegt auf Platz 14 und trotz recht unkomplizierter Einreise in viele Ländern, sollte man nicht mehr mit Jubel rechnen, wenn man sich als US-Amerikaner in Afrika oder der arabische und muslimischen Welt aufhält.

Vor zwei Jahren ging in meine übliche Bankfiliale und wollte ein Mietkautionskonto eröffnen.

Es ging um genau 1.000 Euro, die ich auf ein Unterkonto einzahlen wollte.

Das ginge aber nur noch mit Termin hieß es – „weil Sie kein Deutscher sind“.

Termine könne ich online beantragen.

Ich tat wie mir geheißen, tippte mein Anliegen in das Kontaktformular und wurde in eine ganz andere Filiale bestellt.

Die Deutschen können auch „Servicewürste“; Banken erst Recht. Warum zur Filiale nebenan, wenn man auch zwei Kilometer weiter fahren kann?

Da würden die komplizierten Fälle konzentriert.

1.000,- auf einem Sperrkonto hinterlegen sollte ein „schwerer Fall“ sein?
Ja, denn ich müsste meinen Aufenthaltsstatus, meine US-Social-Security-Number und insbesondere die i-tan-Number von der IRS, der amerikanischen Finanzbehörde vorlegen.

 Neue Regeln. FACTA werde nun streng ausgelegt; jeder Bank, die dagegen verstoße, indem sie einen US-Amerikaner als Kunden akzeptiere, drohten schwere Sanktionen in den USA.

FACTA, oder wie eine eine befreundete Anwältin in Ohio nennt: „A pain In the Ass“.

[…..] Das ist die Abkürzung für „Foreign Account Tax Compliance Act“. Dieses Nationalgesetz wurde 2010 ins Leben gerufen. Das Gesetz verpflichtet alle amerikanischen Bürger sowie alle Nicht-US-Finanzinstitute, alle Konten, für die eine US-Person eine Vollmacht hat, der amerikanischen Behörde zu melden. Dies sind eigene Konten, Konten, für die eine Person bevollmächtigt ist, Anlagekonten, Renten- oder Pensionskonten und eventuelle sonstige Finanzkonten. Der Hintergrund dieses Gesetzes ist es, ausländische Besitztümer im Rahmen von Steuerhinterziehungen, Geldwäsche, Terrorismusbekämpfung und Finanzierung von Terrorismus aufzuspüren.    Außerdem hat der IRS ein neues Formular mit dem Namen „Form 8938 – Statement of Specified Foreign Financial Assets“ entwickelt. Ab dem Veranlagungszeitraum 2011 muss jede(r) Amerikaner(in) dieses Formular zur jährlichen Steuererklärung hinzufügen, wenn die Grenzwerte (über $ 200.000 zum 31. Dezember oder über $ 300.000 als höchster Saldo im Laufe des Veranlagungszeitraums) erreicht wurden.    Schließlich hat FATCA die Bußgelder erhöht und gelten die Amerikaner als etwas verdächtig, deren Konten nicht bei einem amerikanischen Finanzinstitut geführt werden.   Diese Berichtsanforderungen sind eine Ergänzung der für alle US-Personen geltenden Forderung zur Meldung von nicht-amerikanischen Finanzkonten an das US Financial Crimes Enforcement Network (FinCEN). Die Meldung erfolgt durch Formular 114 „Foreign Bank Account Report“ (auch FBAR genannt). […..]

(Rubes Tax Service)

Im Alter von über einem halben Jahrhundert werde ich auf einmal verpflichtet meine Steuererklärungen auch in der USA abzugeben und bin de facto ausgeschlossen von allen Serviceleistungen deutscher Banken.

Ich darf zwar mein bestehendes Girokonto weiter führen, kann aber kein weiteres Konto eröffnen, keine Aktie kaufen, keine internationalen Überweisungen tätigen.

International agierende Banken wie die Deutsche Bank oder die Commerzbank könnten das zwar theoretisch, wenn sie alle FACTA-Auflagen erfüllen. Aber dann müssten sie sich um alle US-Formulare kümmern und in den USA haften. Das tut natürlich keine Bank; schon gar nicht für ein 1.000-Euro-Mietkautionskonto.

Die europäischen Banken schließen also in ihren Ländern lebende US-Amerikaner wie mich als Kunden aus.

Die Commerzbank riet mir mich bei der Schweizer UBS zu erkundigen; die hätten schließlich eine Filiale in Hamburg.

[…..] Exklusive Beratung für vermögende Privatpersonen und Familien.  Vermögenden Privatpersonen bieten wir in Deutschland eine erstklassige Vermögensverwaltung und Anlageberatung sowie maßgeschneiderte Lösungen, die auf Ihre persönlichen Ziele und Bedürfnisse zugeschnitten sind. […..]

(UBS Investmentbank)

Ob ich mit 1.000 Euro als „vermögende Privatperson“ durchginge?
Ich rief an und erfuhr, daß sie tatsächlich auch US-amerikanische Kunden nähmen, aber nur in der Schweiz. Ich müsste also persönlich mit meinem Geld nach Zürich reisen.

Inzwischen kam ich nicht mehr um den Gebrauch des Mode-Neologismus „kafkaesk“ herum.

In die Schweiz fliegen für ein Mietkautionskonto?

Da ich aber keine US-Social Security-Nummer und schon gar keine iTan-Registrierung bei der IRS habe, blieb mir nur noch der eine Ausweg: Weg mit dem US-Pass und Deutscher werden.

Es es eigenartig; obschon ich keinen Funken patriotische oder nationale Gefühle für irgendein Land in mir habe, fällt es doch ein bißchen schwer eine Staatsbürgerschaft aufzugeben. Es liegt weniger an einer persönlichen Verbindung zu dem kleinen blauen Heftchen, sondern mehr an den 50 Jahren Erfahrungen mit deutschen Ämtern, die mich immer auf „DU gehörst nicht zu uns, Du bist anders, was willst Du hier?“ reduzierten.

Ich erinnerte mich an die hochvernünftigen Pläne der rotgrünen Bundesregierung von 1998 zur Modernisierung des Staatsbürgerschaftsrechtes, die an Angela Merkel scheiterten. Roland Koch hatte den Hessischen Landtagswahlkampf im Januar 1999 zu einem Referendum über die Doppelstaatsbürgerschaft aufgeblasen, ließ im ganzen Land Unterschriftenlisten auslegen, um „gegen Ausländer zu unterschreiben“ – CDU-Generalin Merkel immer mitten drin und hocherfreut.

Noch-CDU-Chef Schäuble wetterte im Bundestag in selbst für seine Verhältnisse nicht gekannter Bosheit die doppelte Staatsbürgerschaft wäre eine Form von Schizophrenie.

„Wo kann man hier gegen Ausländer unterschreiben?“ hieß es an Merkels hessischen Wahlkampfständen und außerdem sollte ich schizophren sein, weil meine Eltern eine binationale Ehe bildeten?

Die doppelte Staatsbürgerschaft kam nie. Nur ein Optionsmodell für unter 25-Jährige.

Ich durfte kein Deutscher sein, weil nach deutschem Recht nur das VÄTERLICHE Blut relevant ist.

Eine deutsche Mutter, ein deutscher Geburtsort – alles irrelevant.

Mit dem Aufstieg der AfD verstärkte sich der xenophobe Kurs der Bundesregierung; immer wieder wettern deutsche Regierungsmitglieder gegen die Doppelstaatsbürgerschaft mit der klaren Botschaft „die wollen wir nicht!“ Ganz Deutscher, oder gar nicht.

Die USA verspielten in den letzten Jahren alle meine Sympathien, aber in Deutschland fühle ich mich extrem ungewollt und abgewiesen.

Aber ohne Bankkonto geht es auch nicht.

Also beschloss ich, mich von dem US-Pass zu trennen.

Es war unerwartet schwierig den Antrag überhaupt zu stellen, weil alle genannten Adressen aus dem Olaf-Scholz-Einladungsbrief von vor acht Jahren ungültig waren. Emailadresse abgeschaltet, Telefon nicht erreichbar und schließlich kam auch meine ausgedruckte Version als „unzustellbar“ zurück.

Die Behörde für Inneres und Sport in Hamburg-Hamm ist zuständig; wie schon erwähnt, wurde mein Anliegen vom Mai 2019 im August 2020 beantwortet – mit einer nahezu endlosen Liste der vorzulegenden Papiere.

Am Ende ein erstaunlicher Satz:

Nun also doch Doppelstaatsbürgerschaft?

Jackpot, dachte ich und rief meine Bank an. Darf ich wieder ein Konto eröffnen, wenn ich AUCH Deutscher bin?

Die Antwort war ein klares NEIN. Es reicht nicht AUCH Deutscher zu sein, um FACTA zu umgehen; ich muss NUR Deutscher sein.

Es blieb also wie ich dachte; der US-Pass musste weg.

Aber auf die Idee kamen schon zu viele im Ausland lebende US-Amerikaner. Daher baute die Trump-Regierung hohe Hürden auf.

[….] Zum Verzicht auf die amerikanische Staatsangehörigkeit müssen zuvor 5 Jahre lang amerikanische Steuererklärungen eingereicht und in den 6 Vorjahren muss die FBAR Pflicht erfüllt worden sein. Deshalb genügt auch die Befolgung des Streamlined Foreign Offshore Verfahrens noch nicht einmal hierfür. Der IRS möchte nämlich feststellen, ob kein steuerliches Motiv bei diesem Schritt eine Rolle spielt. Danach können Sie einen Termin beim amerikanischen Konsulat in Frankfurt vereinbaren, um zu verzichten: Renunciations & Relinquishments. Zur Bearbeitung dieses Antrags verlangt das Konsulat eine Gebühr in Höhe von $ 2.350, welche beim Konsulat bezahlt werden muss.   Für den Veranlagungszeitraum, in dem auf die amerikanische Staatsangehörigkeit verzichtet wird, muss bis zum Zeitpunkt der Aufgabe noch eine Steuererklärung (1040) und/oder FBAR abgegeben werden. Es muss gleichzeitig ein Formular (8854) ausgefüllt werden in dem Sie die Steuererklärungen der letzten 5 Jahre und alle Ihre Besitztümer angeben. Sollten die Steuererklärungen nicht eingereicht worden sein, kann es vorkommen, dass der Pass einbehalten wird, aber dass der IRS die Person noch nicht aus der amerikanischen Steuerpflicht entlässt. […..]

(Rubes Tax)

Es erinnert mich ein wenig an die DDR-Republikflucht-Gesetze.

2.350 Dollar Strafe, um den US-Pass loszuwerden, sind das kleinere Problem.

Aber ich habe noch nie eine Steuererklärung in den USA bei der IRS abgegeben.

Mein deutscher Steuerberater kann und darf das nicht.

Also muss ich einen amerikanischen Steuerberater beauftragen, ihn bezahlen und mindestens sechs Jahre lang Steuererklärungen dort abgeben und dort zusätzlich Steuern bezahlen, bevor ich überhaupt dran denken kann den amerikanischen Pass los zu werden.

Offensichtlich ist das auch der Hintergrund für die Gewährung des Doppelpasses in meinem Fall – aus der US-Staatsbürgerschaft kommt man; ähnlich wie aus der Iranischen; fast gar nicht heraus.

Aber der deutsche Einbürgerungsprozess ist ohnehin noch langwierig. Wer weiß schon, ob ich dort in weniger als sechs Jahren zum Zuge komme?

Dienstag, 27. Oktober 2020

Privates Update

Meine Mutter und ihre Cousine sind in den 1960ern in die USA, nach New York ausgewandert. Meine Tante wollte Englisch lernen und eine Ausbildung machen, um damit in Deutschland voran zu kommen. Aus dem Teil des Plans wurde nichts; sie lebt bis heute in den Staaten, hat seit Jahrzehnten einen US-Pass und spricht auch nur noch gebrochen deutsch.

Meine Mutter hingegen wollte vor allem weg aus Deutschland, das ihr zu beengt und spießig erschien. Die Sprache spielte keine Rolle, da sie ohnehin schon fließend englisch und französisch sprach, aber NY er schien ihr als der aufregendste Melting-Pot.

Die Vorfahren meines Vaters kamen Mitte des 19. Jahrhunderts aus Osteuropa nach Pennsylvania, einige schlugen sich bis nach Kalifornien durch. Bei ihnen  war es eindeutig die wirtschaftliche Not und die scheinbare Ausweglosigkeit, die sie dazu trieb für ein Ticket auf den Auswandererschiffen alles, das sie hatten zu verkaufen und die Reise ins Ungewisse auf sich zu nehmen.

Als ich in Hamburg studierte, gingen einige Kommilitonen in die USA. Freiheit und wirtschaftliches Wohl gab es inzwischen auch in Deutschland, aber wer sich für eine akademische Karriere entschied; insbesondere in naturwissenschaftlichen Fächern; musste zumindest ein paar Semester in die USA, weil die Universitäten dort um Lichtjahre voraus sind. Ich konnte es kaum glauben, was mir einige Freunde aus dem Uni-Betrieb in den Staaten erzählten. Hightech überall. Schon in Grundstudium standen Geräte zur Verfügung, von denen wir in Hamburg nur aus Fachzeitschriften wußten.

Die grotesk veraltete Ausrüstung der Labore war schon outdated als unsere Professoren studierten und nie erneuert worden.

Es gab zu allen Zeiten aus allen Himmelsrichtungen Migrationsbewegungen gen USA. Die individuellen Gründe könnten unterschiedlicher nicht sein. Juden, die vor Verfolgung flohen, hochgebildete Asiaten, die Karriere machen wollten, Latinos, die ihren Kindern ein von politischen Repressalien freies Leben bieten möchten, Bürgerkriegsflüchtlinge, Arbeitsmigranten, Business-Typen, Journalisten, Reiseveranstalter, Naturliebhaber: Alle zog es immer in die USA und Amerika profitierte von dieser kulturellen Mischung der Hoffnungsfrohen.

Es wurde das militärisch, finanziell und wirtschaftlich stärkste Land der Erde, das entscheidend die globale Kultur beeinflusste.

Ich bemerkte im Berlin der frühen 2000er das erste mal bewußt eine Umkehrung der migrantischen Vektoren.
Die Hauptstadt beeindruckte mit lächerlich geringen Mieten und künstlerischen Freiheiten.

Immer mehr Künstler alle Genres siedelten insbesondere aus NY nach Berlin.

Für die New Yorker Miete eines winzigen Zimmers einer schäbigen WG konnte man sich in Deutschland ein riesiges Loft oder Atelier mieten. Um die Krankenversicherung musste man sich nicht sorgen, konnte einfach zum Arzt gehen, wenn man sich schlecht fühlte. Es gab keine kriegslüsterne konservative Regierung, die unbedingt in allen möglichen Teilen der Welt einmarschieren wollte. Und das Beste: Man konnte sich im Sommer nackt ausziehen, Fotos und Collagen machen, auf denen sogar Brustwarzen zu sehen waren und sogar im öffentlichen Radio und Fernsehen war es möglich „shit“ oder „fuck“ zusagen, ohne daß man sofort weg-gepiept und mit Strafen zu rechnen hatte.

Es gab Typen wie „Evil“ Jared Hasselhoff, den Bassisten der aus Pennsylvania stammenden „Bloodhound Gang“ oder das Jackass-Mitglied Stephen Gilchrist Glover, aka „Steve-O“, die sich in den 1990ern bei Auftritten in deutschen TV-Shows die Hose öffneten, ihren Penis zeigten, nur weil sie es einfach nicht fassen konnten, daß so etwas in Deutschland möglich ist, ohne im Gefängnis zu landen.

Ein Freund aus Ohio besuchte mich während der George W. Bush-Jahre einmal und hatte von diesen ungeheuerlichen Freiheiten gehört. Er könne sich splitternackt ausziehen in einem öffentlichen Park?

In Ohio ist das streng verboten und so legte er sich tatsächlich ein paar Minuten im Adamskostüm auf eine Wiese an der Außenalster – im Zentrum Hamburgs.

Und es passierte… nichts!
Für einen US-Amerikaner eine ungeheuerliche Geschichte. Das Land war so derartig prüde geworden, daß es noch nicht mal denkbar war in normalen Badehosen (die wir heute Speedos) nennen am Strand zu liegen. Amerikaner ziehen sich nun wieder knielange Ungetüme aus mehreren Quadratmetern Stoff an, damit sich bloß nichts abzeichnet.

Ich streite nicht über Modefragen, aber es ist zweifellos lässig mit so voluminösen Hosen zu schwimmen. Außerdem entsteht das Problem, sich jedes Mal, wenn man aus dem Wasser kommt umziehen zu müssen, weil so viel Textil nicht trocknet am Körper.

Aber Männer können noch vom Glück reden. Der hysterische Umgang mit Nippeln ist weit schlimmer. Es darf in dem Land, das mit Abstand der weltgrößte Pornoproduzent ist, niemals öffentlich eine weibliche Brustwarze auch nur zu erahnen sein.

Wer ein Bild mit entblößter Frauenbrust auf Facebook postet wir sofort verbannt.

Internationale Modekonzerne müssen ihre Werbung, Onlineauftritte und Broschüren extra für den US-Markt umarbeiten, weil der prüden Öffentlichkeit nichts zugemutet werden kann.

Die Obama-Präsidentschaft schien diese Absurditäten (vollautomatische Waffen für Kinder, Bier ab 21. Todesstrafe ja, aber keine Überraschungseier) zu verdecken, weil es deutliche Lockerungen bei LGBTI und Cannabis gab.

Aber auch von 2009-2017 wurden Kinofilme zensiert, jede „Nudity“ finanziell bestraft und in den amerikanischen Newssendern selbst bei ausdrücklichen Zitaten immer nur schamvoll von „the f-word“ oder „f-ing“ gesprochen.

Fällt ein noch schlimmeres Wort wie „Scheiße“ bekommen alle einen roten Kopf und selbst bei amerikanischen Youtubern muss sorgsam jede Erwähnung von ganz schmutzigen Worten wie „Penis“ oder „Vagina“ weggebeept werden.

 

Und dann kam bekanntlich Trump, der es zum Ende seiner hoffentlich einzigen Amtszeit vermochte mit Amy Coney Barrett eine ultrakonservative ideologische 6:3-Mehrheit im US-Supremecourt für Jahrzehnte zu zementieren.

Das wird mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Ende der legalen gleichgeschlechtlichen Ehe, des Cannabiskonsums, der staatlichen Krankenversicherung führen. Insbesondere müssen sich die Amerikanerinnen auf ein Abtreibungsverbot einstellen.

Amerika ist kein Spaß mehr. In diesen letzten Tagen vor der US-Wahl überfluten und TV-Sender und Zeitungen mit teilweise ausgezeichneten Hintergrundberichten aus allen Teilen der heterogenen Nation USA. Es bieten sich unterschiedliche Bilder, ganz verschiedene Perspektiven. Nur in einem Punkt sind sich alle Journalisten völlig einig: Die USA sind zutiefst gespalten, politische Risse ziehen sich durch alle Familien. Es gibt keine Gespräche mehr zwischen GOP-Wählern und Demokraten. Es herrscht der blanke Hass, man hört sich nicht zu redet nicht. Wo immer größere Gruppen von Menschen zusammenkommen – seien es private Feiern, Sportvereine oder Büros – gilt die strenge Regel niemals über Politik und Religion zu sprechen, weil das unweigerlich zu nicht nur verbalem Krieg führt.

Aber während man vermeiden kann zu reden, ist es schon schwerer die Augen geschlossen zu halten. Das Tragen einer Maske reicht aber schon, um die fanatischen MAGAts handgreiflich werden zu lassen.

Political Correctness und die elende „Cancel culture“ einerseits fanatische Faktenferne andererseits machen den Alltag in den USA zunehmend unerträglich.

Seit Trump gibt es einen nie dagewesenen Anstieg der Hassverbrechen. Jeder offensichtliche Angehörige einer Minderheit muss damit rechnen von einem weißen schwer bewaffneten Fanatiker einer paramilitärischen Gang, oder auch schlicht der Polizei ermordet zu werden.

Im Klima von Massendemonstrationen und sozialen Unruhen, gepaart mit dritte-Welt-artigem Elend der Millionen Obdachlosen, Versicherungslosen und sogar Hungernden wird der Blick auf das kaputte Amerika immer klarer.

Jeffree Star, milliardenschwerer Make-Up-Guru im sonnigen Kalifornien verlor dieses Jahr zwei Millionen Follower, weil er angeblich vor 20 Jahren in einem Wutanfall einmal das „N-word“ benutzt hatte.

Mutmaßlich wird er das finanziell verkraften. Er lebt in einer 15-Millionen-Dollar-Villa, die zu einer dreifach gesicherten Gated Community für Multimillionäre in Hidden Hills (LA) gehört. Seit er dort einzog, lässt er vergolden, upgraden und kauft McLarens, Rolls Royces und Lamborghinis wie unsereins Brötchen.

Gestern gab es einen kurzen Sturm, ein Baum in seiner Straße knickte um und riss sofort eine der völlig maroden 100 Jahre alten Überlandleitungen um.

 

Sofort gab es in Hidden Hills einen totalen Blackout und alle Milliardenvillen wurden dunkel – sofern sie nicht mit Notstromgeneratoren ausgerüstet sind. 

Alltag in Amerika, climate chance ist real , Brände, Stürme, Überflutungen. Hitzewellen, Dürren werden jedes Jahr dramatischer, empört sich auch Jeffree Star, teilt daher BLM- und Greta Thunberg-Videos auf Instagram – steigt aber alle zwei Tage in einen Privatjet, um in Miami oder Dallas oder Las Vegas shoppen zu gehen.

Es ist die perfekte Metapher für das heterogene Amerika: Unermesslicher Reichtum, Prassen als gäbe es kein Morgen und die Bewohner von Hidden Hills, deren Megavillen jeweils auf Tiefgaragen für mindestens 20 Supercars stehen, schaffen es im Jahr 2020 immer noch nicht Strom-Leitungen sturmsicher unterirdisch zu verlegen. Das Internet ist marode und die städtischen Siele sind so kaputt, daß die Leute schon wieder anfangen Sickergruben in ihren Gärten anzulegen, um ihre eigene Scheiße notfalls loszuwerden.

Aus meiner Kindheit kann ich noch das Mantra meiner Mutter „Amerika, du hast es besser“ hören. Was gab es nicht für Wunderdinge in den USA! Und das bei allgemeinem Optimismus, Humor, Tatendrang und Freundlichkeit, während in Deutschland Servicewüste herrscht und auf die Frage “Wie geht es dir?“ ganz ohne Ironie mit „Muss ja“ oder „Kann nicht klagen“ geantwortet wird.

Seinen Status als Sehnsuchtsort begannen die USA spätestens während des Vietnamkriegs zu ramponieren.

Die Golfkriege von Bush Sr. und Bush Jr. erinnerten die Welt noch einmal eindringlich als das hässliche Amerika.

Aber Trumpmerika setzt einen Schlusspunkt.

Da möchte man gar nicht mehr hin.

[….] Immer weniger Deutsche ziehen in die Vereinigten Staaten. Erstmals seit der Wiedervereinigung gaben 2019 weniger als 10 000 Deutsche ihren Wohnsitz auf, um in die USA zu ziehen, wie das Statistische Bundesamt am Montag mitteilte. Nur 9782 der 270 294 Abwanderer zogen im vergangenen Jahr in die USA - also 3,6 Prozent. 2016, dem letzten Jahr der US-Präsidentschaft von Barack Obama, hatten noch 12 781 von 281 411 deutschen Abwanderern die USA zu ihrem neuen Zuhause erkoren - das waren 4,5 Prozent. [….]

(SZ, 26.10.2020)

Die Zahlen werden es spannend, wenn man sie mit der umgekehrten Bewegung vergleicht.

Fast 20.000 Menschen aus den USA zogen 2019 nach Deutschland.

[….] Demgegenüber zogen 19 186 US-Amerikanerinnen und Amerikaner im Jahr 2019 nach Deutschland; das waren 1 087 Zuzüge weniger als im Vorjahr. Im Jahr 2016 verzeichnete die amtliche Statistik 20 736 Zuwanderinnen und Zuwanderer mit US-amerikanischer Staatsangehörigkeit.   Die Betrachtung der Wanderungssalden, sprich die Zuzüge aus den USA gegenüber den Fortzügen in die USA, offenbaren einen weiteren interessanten Aspekt: Seit 2017 zogen insgesamt mehr Personen von den Vereinigten Staaten nach Deutschland als umgekehrt. Daraus ergab sich 2017 für die USA, die hierzulande oft als typisches Einwanderungsland assoziiert werden, aus deutscher Perspektive ein positiver Wanderungssaldo von 4 771 Personen im Jahr 2017 (2018: +3 556 Personen; 2019: +3 334 Personen). […..]

(Destatis, 26.10.2020)

Mehr als ein halbes Jahrhundert lebte ich ausschließlich mit dem US-Pass.

Aber es reicht.

Im Mai 2019 beantragte ich ein Einbürgerungsverfahren in Deutschland, welches nach nur 15 Monaten im August 2020 beantwortet und eröffnet wurde.

Ich will kein Amerikaner mehr sein.

Aus Gründen.

Dazu morgen mehr.

Montag, 26. Oktober 2020

Reuls Maß ist voll.

Er ist der härteste Sheriff der Innenminister und lässt sich für seine Gnadenlosigkeit von der konservativen Presse feiern. Herbert Reul, 68-Jähriger Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen.

Sein Chef Armin Laschet hält diese Personalie für wahltaktisch geboten, da er selbst als konsensorientiert gilt, braucht er einen Rechtsaußen im Kabinett, um die CDU-Wähler bei der Stange zu halten.

Das Vorbild lieferte das Duo Gerhard Schröder/Otto Schily.

Der Vergleich hinkt allerdings deutlich, denn Schily ist ein hochintellektueller musisch gebildeter Mann, der einst die Grünen gründete und als RAF-Verteidiger seinen strikten Glauben an den Rechtsstaat bewies.

Reul hingegen ist bloß ein ehemaliger Lehrer, der als Kohle-Lobbyist für die  Rheinenergie AG im EU-Parlament sitzend und Vorsitzender des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie, sowie stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Verkehr und Fremdenverkehr die Inkarnation eines Interessenkonflikts gab.

Seit er 2017 in die Düsseldorfer Landesregierung wechselte, produziert er zuverlässig Skandale und Peinlichkeiten.

Insbesondere das Handling der Corona-Ausbrüche, der hanebüchenen Zustände in Billigarbeiter bei Großschlachtern und der Kette der rechtsextremen Vorfälle bei der NRW-Polizei, wie den Rassismus-Skandal der Essener Polizei, entglitten ihm komplett.

Durch sein „das sind alles nur Einzelfälle“-Mantra wurde der Innenminister zur Witzfigur Deutschlands.

Bundesweite Schlagzeilen machte Reul auch mit der Reform des Polizeiaufgabengesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (PolG NRW), welches den Rechtsstaat vielfach aushebeln sollte und Polizeibeamten geheimdienstliche Vollmachten geben sollte.

Die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte schaffte er ab und verbreitete Lügen und Fehlinformationen über die Besetzung des Hambacher Forsts.

Rechtspoltisch agiert Reul wie ein Hobby-Trump. Klar verfassungswidrig forderte der Innenminister die Richter in NRW auf sich „mehr am Rechtsempfinden der Bevölkerung“ statt an Paragraphen zu orientieren.

Das „Erneuerbare Energien Gesetz“ lehnt der Kohle-Mann ebenso strikt ab, wie die Ehe für Alle. Genau wie Seehofer und Laschet lehnte Reul die Gleichstellung „mit der konventionellen Ehe“ kategorisch ab.

Von seiner besonders ekelhaften populistischen Seite zeigte sich Reul erneut am Wochenende.

[…..]  Nach dem Mord in Dresden mit einem syrischen Tatverdächtigen wird ein Ende des Abschiebestopps nach Syrien verlangt. „Rechtskräftig verurteilte Schwerkriminelle haben ihr Gastrecht in Deutschland verwirkt“, so NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). […..]

(HH MoPo, 26.10.2020)

Das passiert, weil Union und Grüne juristische Laien zu Justiz- und Verfassungsministern (Seehofer!) machen: Die plappern nach ihrem persönlichen erzkonservativen Empfinden daher und halten das für juristisch relevant.

Ich habe auch keine einzige Minute Jura studiert, aber den rechtspopulistischen Unsinn vom „verwirkten Gastrecht“ schon so oft gehört, daß ich ernsthaft erschrocken bin wie ahnungslos der NRW-Innenminister offensichtlich ist.

Mit diesem AfD-Sprech blamierten sich schon vor vier Jahren die Saarländischen Querfrontler Lafontaine und Wagenknecht.

Das Lob der Rechtspopulisten hat gerade noch gefehlt. „Frau Wagenknecht hat die Situation sehr schön auf den Punkt gebracht“, findet AfD-Vize Alexander Gauland. „Wer freiwillig zu uns kommt, hat sich wie ein Gast zu benehmen. Möchte oder kann er das nicht, indem er gewalttätig und respektlos seinen Gastgebern gegenübertritt, dann muss er sofort Deutschland verlassen.“   Er freue sich darüber, so Gauland, „dass die Linke dies nun genauso wie die AfD sieht“.   Einen Tag vorher hatte Sahra Wagenknecht ganz anderes zu hören bekommen – aus ihrer eigenen Truppe. Mit Vehemenz und nahezu geschlossen stellte sich die Linksfraktion gegen ihre Vorsitzende.   Deren Äußerung nach den Silvesterübergriffen in Köln („Wer sein Gastrecht missbraucht, der hat sein Gastrecht eben auch verwirkt“) sei nicht hinnehmbar, donnerten die Abgeordneten. Weil das Recht auf Asyl nicht verwirkbar sei. Weil man als Linke Solidarität und Menschenrechte gefälligst nicht in Frage zu stellen habe. Und weil ja wohl auch keiner ernsthaft daran denken könne, syrische Flüchtlinge zurück in die Folterkeller des Assad-Regimes zu schicken.

(Tagesspiegel, 14.01.2016)

Nur Reul begreift es immer noch nicht.

(….) Unsympathische Typen von irgendwo her, die jetzt in Deutschland leben, haben kein Gastrecht, weil es so etwas wie „Gastrecht“ juristisch gar nicht gibt.

Deutschland gehört auch keiner Person, die dieses ominöse Gastrecht gewähren oder entziehen könnte.

Menschen leben hier, weil sie hier geboren sind, legal eingereist sind, einen Anspruch auf Asyl oder zumindest einen Anspruch auf ein faires Verfahren haben.

Wer im Zusammenhang mit Flüchtlingen und Asylanten vom „Gastrecht“ fabuliert, ist entweder total verblödet, oder er triggert sich bewußt an die Sprache der Rechtsradikalen heran.

Diesen Ausfall kann ich der Linken Fraktionschefin nicht verzeihen. (…..)

(Das unheimliche Ehepaar, 20.10.2017)

Innenminister Reul fantasiert hier aber nicht nur von einem nicht existenten Gastrecht, sondern argumentiert gleich noch mit einer rassistischen Sippenhaft-Vorstellung.

Weil ein dunkelhäutiger Flüchtling schwer kriminell wurde, platzt Reul die Hutschnur und fürderhin empfiehlt er alle dunkelhäutigen Flüchtlinge so zu behandeln als gäbe es kein Asylrecht, kein internationales Recht und keinen bestialischen Bürgerkrieg in Syrien.

Shame on you, Reul.

Natürlich erwarte ich von dem Mann keinerlei Schamgefühl; er wird nicht von allein zurücktreten.

Natürlich erwarte ich von seinem Chef Laschet keinerlei Anstandsgefühl; er wird Reul nicht entlassen, weil Unruhe im Kabinett seinen Kanzlerambitionen schaden würde.

Sonntag, 25. Oktober 2020

100% a republican thing!

Das amerikanische Wahlsystem verzerrt extrem und ermöglicht es den Konservativen zu gewinnen, auch wenn die Demokraten wie bei der Präsidentschaftswahl 2016 insgesamt ganze drei Millionen Stimmen mehr als die Trumpisten haben.

Der orange Rassist könnte sogar rein rechnerisch mit einem Stimmenrückstand bis zu 10 Millionen noch wiedergewählt werden.

Um wirklich sicher eine Präsidentschaftswahl zu gewinnen, benötigt der demokratische Kandidat zehn Prozent mehr Stimmen als die Mehrheit, während der Republikaner Trump wie 2016 geschehen noch mit 2,1% weniger Stimmen als die Mehrheit einen komfortablen Vorsprung im „Electoral College“ erreichen kann.

Was für die Präsidentschaftswahl gilt, trifft auch auf den überproportional wichtigen Senat zu.

Die Republikaner bestimmen seit Jahren mit ihrer Senatsmehrheit die US-Politik, indem sie jedes Vorhaben des Gesamt-Kongresses auf Eis legen und jede Personalie stoppen, wie sie möchten.

Dabei erreichten die Demokraten bei der letzten Senatswahl sogar eine astronomische Stimmenmehrheit  von 11 Millionen Stimmen.

ELF MILLIONEN MEHR AMERIKANER stimmten für demokratische Senatorenkandidaten und das mündete in einer republikanischen 53:47-Mehrheit.

[…..]  Although Republicans retained control of the Senate during this year's midterm elections, Democrats actually earned about 11 million more votes.

Reported vote counts show that Democratic Senate candidates this year thus far have won roughly 44 million votes, whereas Republican Senate candidates have earned 33 million, per The Washington Post. That means about 57 percent of the total votes cast went for Senate Democrats. Despite those stats, Republicans managed to flip three seats, bolstering their majority.   Although it might initially sound galling that Democrats earned more votes but didn't get the majority, there's a reason for that: 35 Senate seats were on the ballot this year, and of those, 26 of them were held by Democrats, while only nine were held by Republicans. The fact that most of the seats up for re-election were Democratic made the party more vulnerable to suffer losses, which Sens. Heidi Heitkamp (D-N.D.), Joe Donnelly (D-Ind.), and Claire McCaskill (D-Mo.) did.  Democrats did, in fact, win the vast majority of the Senate seats that were up this year; they just didn't gain enough to gain a majority, with the party losing a net of at least two seats and the Republicans gaining at least two. […..]

(The Week, 07.11.2018)

44 Millionen US-Amerikaner wählten demokratisch, 33 Millionen republikanisch und damit bleibt der Senat mit absoluter Mehrheit republikanisch.

Möglich wird es durch die extrem unterschiedliche Größe der Bundesstaaten, die jeder zwei Senatoren in den US-Senat schicken.

Kamala Harris und Dianne Feinstein vertreten rechnerisch jeweils 20 Millionen Stimmen Kaliforniens, ihre stramm Trump-folgenden republikanischen Kollegen John Barrasso und Michael Enzi aus Wyoming haben genau so viel Macht und stehen rechnerisch nur für jeweils 300.000 Menschen.

[…..] Als die Gründerväter das System erdachten, wollten sie den Zusammenhalt der neuen Vereinigten Staaten dadurch stärken, dass jeder Bundesstaat unabhängig von seiner Größe und Einwohnerzahl dort mit zwei Repräsentanten vertreten ist. Deshalb hat heute selbst das bevölkerungsarme Wyoming mit seinen etwa 600 000 Einwohnern zwei Senatoren. Die beiden kalifornischen Senatorinnen vertreten dagegen die Interessen von fast 40 Millionen Menschen. Im Ergebnis bedeutet all das: Die Republikaner brauchen derzeit weniger als 20 Prozent der Wählerstimmen, um Gesetze zu blockieren, erzkonservative Richter auf Lebenszeit zu ernennen oder eben die Amtsenthebung des Präsidenten zu verhindern. [….]

(FR, 31.07.2020)

 Das sind aber nur die legalen Möglichkeiten den Wählerwillen ad absurdum zu führen.

Viele republikanische Positionen sind aber in der Mehrheit der Bevölkerung so unpopulär, daß sich die GOP nicht auf das enorm zu ihren Gunsten arbeitende System verlässt.

Um ihre Minderheitenwünsche - Abtreibungsverbot, Verbot der Ehe für Alle, Aufhebung jeder Kontrolle beim Waffenverkauf, Aufgabe jedes Naturschutzgedankens, Stopp der allgemeinen Krankenversorgung, Kriminalisierung von Cannabis, Steuerpolitik einseitig zu Gunsten der 1% reichsten Amerikaner, Ernennung von ultrakonservativen Religioten-Richtern – sicher durchsetzen zu können, betrügen sie auch noch im großen Stil.

Dazu gibt es seit Jahrzehnten erprobte und immer ausgefeiltere Methoden.

Da ist einerseits das perfide Gerrymanderung, durch das man alle Demokratischen Wähler in einem bizarr geformten Wahlkreiskonglomerat konzentriert, um ihnen einen Sitz zu geben, während dafür umso mehr andere Wahlkreise ihren konservativen Teebeutler ins Parlament schicken können.

Noch effektiver ist aber die gezielte und äußerst rabiate Unterdrückung der Stimmenabgabe von mutmaßlich zu den Demokraten tendierenden Wählern.

[…..] Neben der tendenziell rassistischen Politik arbeiten die Konservativen seit Jahren mit Eifer daran, Minderheiten das Wählen zu erschweren. Begünstigt wird das durch eine fatale Entscheidung des Supreme Court. Deren konservative Mehrheit erklärte 2013 eine Vorschrift des Voting Rights Act von 1965 für verfassungswidrig, die Wahlgesetze in ehemals besonders rassistischen Südstaaten unter Aufsicht der Regierung in Washington stellte. Damit sollte einst sichergestellt werden, dass Afroamerikaner nach dem Ende der Rassentrennung ungehindert ihre Stimmen abgeben können.  Seit diesem Urteil erschweren die Republikaner in mehr als der Hälfte der Bundesstaaten gezielt die Wählerregistrierung für Minderheiten. In Georgia konnten die Republikaner so den knappen Sieg des Reaktionärs Brian Kemp bei den Gouverneurswahlen 2019 sichern. Obendrein wird die Zahl der Wahllokale reduziert, natürlich in Gegenden, in denen Minderheiten leben, und gleichzeitig die Möglichkeit zur Briefwahl eingeschränkt. […..]

(FR, 31.07.2020)

Die GOP-regierten Bundesstaaten gehen dabei inzwischen so tolldreist vor, daß es einem abstrusen Hindernislauf gleichkommt seine Stimme abzugeben, wenn man schwarz ist.

Bill Maher nennt es „American Ninja Warrior: Democracy Edition” und weist völlig ZU RECHT darauf hin, daß diese extrem verwerflichen und antidemokratischen Aktionen ausschließlich von den Republikanern betrieben werden. „Die Politiker“ sind eben gerade nicht „alle gleich“! Demokraten verhalten sich nicht so!

 

Sollte, und dahinter steht noch ein großes Fragezeichen, in zehn Tagen ein Erdrutschsieg Joe Bidens eingefahren werden; eine Stimmenmehrheit, die so enorm ist, daß alle Vorteile, Tricks und Betrügereien der Republikaner nicht fruchten, dürfen die Demokraten auf keinen Fall erneut den Fehler machen ihre Mehrheit nicht eiskalt und sehr schnell für drastische Wahlrechts- und Verfassungsreformen auszunutzen.

Sie können mutmaßlich nicht das gesamte Wahlsystem ändern, aber es wäre möglich durch die Erhebung der mehrheitlich demokratischen Verwaltungszonen District of Co­lum­bia mit der Haupt­stadt Wa­shing­ton und Pu­er­to Rico  zum 51. und 52. Bundesstaat immerhin vier zusätzliche Senatoren in den US-Senat zu schicken.

Das wäre nicht nur ein Schritt zu mehr Gerechtigkeit und Teilhabe, sondern auch notwendig, um die unverantwortliche Total-Obstruktion der GOP abzumildern.

[…..] Es be­ste­hen we­nig Zwei­fel dar­an, dass sich die Re­pu­bli­ka­ner, soll­ten sie den Se­nat hal­ten, aber das Wei­ße Haus ver­lie­ren, auf eine Ob­struk­ti­ons­po­li­tik zu­rück­zie­hen wür­den. Nach Me­di­en­be­rich­ten hat sich die Par­tei be­reits dar­auf fest­ge­legt, im Fall ei­nes Bi­den-Siegs ein mög­li­ches Kon­junk­tur­pro­gramm mit al­len Mit­teln zu blo­ckie­ren. Das wür­de die Aus­sich­ten auf eine Er­ho­lung der ame­ri­ka­ni­schen Wirt­schaft auf Jah­re hin­aus ver­schlech­tern. »Bi­dens Prä­si­dent­schaft wäre vor­bei, be­vor sie an­ge­fan­gen hat«, schreibt Eric Le­vitz im Ma­ga­zin »New York«. […..] Mitch Mc­Con­nell, der re­pu­bli­ka­ni­sche Mehr­heits­füh­rer im Se­nat, ver­kör­pert den La­ger­kampf in der US-Po­li­tik wie kein Zwei­ter. Erst die­se Wo­che emp­fahl er Prä­si­dent Trump, sich vor der Wahl nicht mehr auf ein Kon­junk­tur­pa­ket mit den De­mo­kra­ten zu ver­stän­di­gen, ob­wohl die US-Wirt­schaft ein sol­ches nach An­sicht von Ex­per­ten drin­gend be­nö­tigt. Mc­Con­nell will ei­nem mög­li­chen Prä­si­den­ten Bi­den den Start nicht mit ei­nem Kom­pro­miss er­leich­tern.

Der His­to­ri­ker Chris­to­pher Brow­ning sieht in Mc­Con­nell den »To­ten­grä­ber der ame­ri­ka­ni­schen De­mo­kra­tie«. 2010 hat­te Mc­Con­nell ge­sagt, sein wich­tigs­tes Ziel sei zu er­rei­chen, dass Ba­rack Oba­ma nur eine Amts­zeit lang Prä­si­dent bleibt – was ihm die De­mo­kra­ten bis heu­te ver­übeln. […..]

(DER SPIEGEL, 24.10.2020)

Es wäre ein Akt der verfassungsrechtlichen Notwehr mit einer demokratischen Mehrheit in House, Senat und Oval Office die zutiefst unfaire Personalpolitik des Senats insbesondere in der Justiz zu bekämpfen.

Es begann mit der Obstruktion des Newt Gingrich während der Clinton-Jahre, eskalierte mit dem Aufmarsch der rassistischen Teebeutel am Anfang der Obama-Jahre und lässt nun unter Trump das System kollabieren.

Eine Minderheit aus Fakten- und Wissenschafts-antagonistischen zutiefst bösartigen Republikanern, die ungeniert gegen die Interessen der Nation USA agieren. Auf Jahrzehnte setzten sie ultrakonservative, ideologisch-fanatische Richter auf allen Ebenen durch, die so extreme Positionen vertreten, daß sie gegen die große Mehrheit der Bevölkerung stehen.

[…..] Als die Re­pu­bli­ka­ner 2014 die Mehr­heit im Se­nat über­nah­men, blo­ckier­ten sie bei­na­he sämt­li­che In­itia­ti­ven der Re­gie­rung. Un­ter an­de­rem wei­ger­te sich Mc­Con­nell, die von Oba­ma no­mi­nier­ten Rich­ter zu ak­zep­tie­ren. Mehr als hun­dert Rich­ter­stel­len blie­ben un­be­setzt, dar­un­ter auch eine am Su­pre­me Court. Die Re­pu­bli­ka­ner ge­währ­ten Oba­mas Kan­di­da­ten Mer­rick Gar­land noch nicht ein­mal eine An­hö­rung. [……] Nach dem Wahl­sieg Trumps bau­te Mc­Con­nell den Se­nat end­gül­tig zur par­tei­po­li­ti­schen Fes­tung aus. Die de­mo­kra­ti­schen Grenz­über­schrei­tun­gen des Prä­si­den­ten lie­ßen ihn un­be­ein­druckt. Mc­Con­nell half selbst da­bei mit, rechts­staat­li­che Ge­pflo­gen­hei­ten aus­zu­höh­len. Im Amts­ent­he­bungs­ver­fah­ren ge­gen Trump wei­ger­te sich die re­pu­bli­ka­ni­sche Se­nats­mehr­heit, auch nur der Ver­neh­mung von Zeu­gen zu­zu­stim­men.

Aus Sicht sei­ner Par­tei war Mc­Con­nell er­folg­reich: Ne­ben drei Rich­ter­stel­len am Su­pre­me Court – die Be­nen­nung von Amy Co­ney Bar­rett gilt als si­cher – konn­ten die Re­pu­bli­ka­ner 53 Rich­ter an den wich­ti­gen Be­ru­fungs­ge­rich­ten und mehr als 200 an un­ter­ge­ord­ne­ten Bun­des­ge­rich­ten be­nen­nen. Sie sol­len das kon­ser­va­ti­ve Erbe auch nach ei­ner mög­li­chen Nie­der­la­ge bei der Prä­si­dent­schafts­wahl be­wah­ren. […..]

(DER SPIEGEL, 24.10.2020)

Um die zutiefst amoralischen GOP-Senatoren wie McConnell, Graham oder Cruz einzuhegen, sollte ein möglicher Präsident Joe Biden alles daran setzen, das abstruse Filibustern abzuschaffen.

Joe Biden ist selbst ein ausgezeichneter Jurist und traut sich trotz ständiger Nachfragen nicht seine Position zum heißen Thema „Packing the court“ auszusprechen.

Aber ich rate ihm dringend genau das zu tun!

Die Republikaner haben mit ihren miesen Methoden die eine 6:3-Mehrheit ultrakonservativer Verfassungsrichter auf Lebenszeit eingerichtet.

Wenn die Mehrheiten der Demokraten es ab 2021 möglich machen, sollten die den Supreme Court auf jeden Fall von neun auf 11 oder gar 13 oberste Richter erhöhen und zu Ehren Ruth Bader Ginsburgs zwei, respektive vier liberale Richter bestimmen.

Die Chance kommt vielleicht nicht wieder – das System hat immer noch eine schwere Schlagseite zu Gunsten der Rechten und Rechtsextremen.