Donnerstag, 14. November 2013

Murx mit Merkel


Mehr und mehr kommen Kommentatoren zu dem Schluß, daß Sigmar Gabriel seine Sache gar nicht so schlecht macht.
Die SPD in die ungeliebte Große K.O.alition zu führen, ohne dabei die Parteiflügel auseinander zu reißen, ist alles andere als einfach.
Frau Kraft drückte es kürzlich sehr anschaulich aus:

75% der Wähler haben uns nicht gewählt! Da ist es absurd anzunehmen, wir könnten 100% des SPD-Programms durchsetzen.

Unglücklicherweise gibt es in der SPD einen Mitgliederentscheid, bei dem 500.000 Menschen ihre persönlichen Partikularinteressen so werten können, daß in der Summe eben doch ein 100%-SPD-Programm erwartet wird.
Es gibt auf Facebook Tausende User, die sich in Gruppen zusammenschließen, dort verabreden kollektiv in die SPD einzutreten, dann bei dem Mitgliederentscheid mit „Nein“ stimmen und anschließend sofort wieder austreten.
Die Verfechter der Homorechte, die Ausländer, die auf die doppelte Staatsbürgerschaft schielen, die Waffenexportgegner, die Niedriglöhner – jeder bekennt auf Facebook keinesfalls mit „Ja“ zu stimmen, wenn nicht sein Anliegen 1:1 erfüllt wird.
Die SPD riskiert und akzeptiert diese tangentialen Mitgliedschaften, weil sie hofft, daß einige doch länger bei ihnen bleiben, nachdem sie gesehen haben, welche Vorteile man dadurch hat. Tatsächlich ist die SPD-Methode die Koalitionsverhandlungen zu führen von beispielhafter Transparenz. Wir Parteimitglieder werden täglich über den Verhandlungsstand informiert, können mitdiskutieren und anschließend abstimmen.

Trotz des mauen SPD-Ergebnisses von knapp 26 Prozent ist es Gabriel gelungen, seine widerstrebende Partei auf eine große Koalition einzuschwören. So gekonnt hat er taktiert, dass sogar die Basis der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zustimmt. Nun steht der 54-Jährige kurz davor, eine tragende Rolle in der neuen Regierung einzunehmen.

Obwohl Gabriel gewissermaßen einen Lauf hat, hält sich die SPD an das Hildebrandtsche Motto „Die SPD scheißt in jede Hose, die man ihr hinhält“:

Die SPD hat Glück, erstmals seit vielen Jahren hat sie wieder so etwas wie eine starke Führungsfigur. Sigmar Gabriel ist politisch gereift, taktiert geschickt in den Koalitionsverhandlungen und versteht es, seine Politik gut zu erklären. Mit seiner nachdenklichen Rede auf dem SPD-Parteitag in Leipzig hat er das unter Beweis gestellt.
Alles gut also bei der SPD? Bei weitem nicht.
Die SPD wäre nicht die SPD, wenn sie es sich und ihrem Führungspersonal einfach machen würde. In Leipzig ist zu spüren: Die SPD ist eine Partei in Angst. Die Parteispitze hat Angst vor der unberechenbaren Basis. Die Basis hat Angst vor der Großen Koalition. Und alle zusammen fürchten sie sich vor der Zukunft.

Obwohl die Strategie des heute mit Verlusten wiedergewählten Parteivorsitzenden durchaus als intelligent zu bezeichnen ist (insbesondere gefällt mir der Nadelstich in Merkels Hintern nun die Linken-Ausschließeritis zu beenden) bleiben einige Probleme.

1.)  Grundsätzlich besteht das Problem bei Basisbefragungen, daß man die Entscheidung den am wenigstens Qualifizierten überlässt. Es gibt auch „Schwarmdummheit“
2.)  Das Personal der SPD ist eher mau, weil die besten Köpfe in den Ländern (Z.B. Hamburg und NRW) sitzen bleiben wollen. Stattdessen wird der SPD-Teil der möglichen nächsten Bundesregierung vermutlich von zwei religiösen Dumpfbacken, die im Wahlkampf schwer versagt haben, bestimmt: Nahles und Steinmeier.
3.)  Auf die Inhalte kommt es an und die überzeugen bisher nicht.

Inhaltlich der neuen Großen Koalition einen Stempel aufzudrücken ist nahezu unmöglich, wenn man erstens der sehr viel schwächere Partner ist und zweitens die Person, die für den deutlich stärkeren Partner spricht, Angela Merkel heißt.
Wie schon bei dem inzwischen legendären Koalitionsvertrag von 2009, der als der Schlechteste, Un-ambitionierteste und Unkonkreteste der Geschichte der Bundesrepublik galt, bleibt Merkel auch 2013 ihrer Linie treu, sich nicht in politische Angelegenheiten einzumischen. Denn nur als in Luftblasen schwebende Präsidialkanzlerin konnte sie ihre gigantischen Zustimmungsraten erreichen.
Daß in Deutschland endlich mal die liegengebliebenen Themen aufgearbeitet werden, will sie nicht. Und schon wieder klappt ihr Flirt mit den Meinungsmachern. Die SPD wird gescholten, sinkt sogar noch in den Umfragen und Merkel ist sakrosankt. Fast.

Um die ganzen Schwierigkeiten dieser Koalitionsverhandlungen zu verstehen, muss man nur wenige Wochen zurückdenken, an einen der dunkelsten Momente der Kanzlerin: jene Minuten des Wahlabends, als für Angela Merkels Union sogar die absolute Mehrheit möglich schien. Merkel wollte das nicht. Die absolute Mehrheit für CDU und CSU, sie hätte zwar die absolute Macht, aber eben auch die absolute Gestaltungsfreiheit bedeutet. Und Merkel ist keine Gestalterin. Sie verwaltet eher, sie reagiert lieber. Deswegen verlaufen die Koalitionsverhandlungen jetzt so ambitionslos.
Am 17. Dezember soll Angela Merkel das dritte Mal zur Kanzlerin gewählt werden. Bis dahin sind es noch lange fünf Wochen, doch schon jetzt schleppen sich die Verhandlungen zwischen Union und SPD dahin; die unzähligen Arbeitsgruppen häufen Ausgabenwünsche und Ideen an; alles wirkt unkoordiniert und eher so, als tagten hier die Unterabteilungen eines mittelgroßen Sportvereins – und nicht die künftigen Regierungspartner der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt.
Die Prügel dafür bekam bislang vor allem die SPD ab, aber zunehmend gerät die Kanzlerin ins Visier der Kritiker. Wie sie das Land zukunftsfähig machen will, ja wie eine moderne CDU-Wirtschaftspolitik aussehen soll, dazu fehlen Merkel die großen Ideen. […] Eine Reformagenda, von der im Wahlkampf viele träumten, ist Illusion. "Warum sollten wir das tun?", fragt ein hochrangiger Christdemokrat. "Damit würden wir doch nur unsere Erfolge der vergangenen acht Jahre infrage stellen."
[…]   Im System Merkel spiegele sich die Genügsamkeit von Politik und Gesellschaft, die sich vom großen Streit um Ideale verabschiedet hätten. Es regiere die "organisierte Anspruchsarmut", schreibt der Publizist Richard Meng in seinem Buch Merkelland. Klingt wie 2013, war aber 2005 – nur dass es jetzt zum Problem werden könnte.
Mal sehen, wie sich die Kabinettliste präsentiert. Ein sehr starker Minister könnte natürlich unabhängig von den lauen Vorgaben eines Merkelkoalitionsvertrages gute Politik machen.
Allerdings scheint QUALIFIKATION, wie immer unter einem CDU-Kanzler, bei den Ministerbesetzungen keine Rolle zu spielen.

Mann, Frau, Ost, West, rechts, links: Bei der Kabinettsbildung kommt es auf vieles an – nur nicht auf die Eignung. […]
Der Wähler wünscht sich Minister, die nach Kompetenz und Charakter ausgesucht werden. [Stimmt NICHT – Guttenberg und von der Leyen sind ganz ohne Kompetenz beim Wähler extrem beliebt gewesen! – T.] In der politischen Realität begegnet ihm aber stets die Proporz-Dreifaltigkeit aus Region, Geschlecht und Lager. Bei der Personalauswahl für den Kabinettstisch ist nicht entscheidend, was jemand kann und wie er auftritt, sondern woher jemand kommt, ob er Mann oder Frau ist und wo er oder sie in der eigenen Partei angedockt hat, sprich: wem er oder sie nützt. Dieses Mal aber ähnelt die Besetzung des Kabinetts einer Gleichung, die nicht aufgeht. Jeder Versuch, diese Gleichung zu lösen, führt in ein Labyrinth, aus dem es keinen Ausweg gibt.
Voraussichtlich 16 Ministerposten sind zu vergeben: sieben für die CDU, sechs für die SPD, drei für die CSU. Die SPD will ihre Ressorts gendergerecht verteilen. In der internen Machtverteilung zählen die Positionen des Fraktionsvorsitzenden und des parlamentarischen Geschäftsführers mit. Acht Jobs sind also zu haben, vier für Frauen. Gesetzt sind, es ist ja die SPD, drei Männer: Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und Thomas Oppermann.
Steinmeier, der einstige Schatten Gerhard Schröders, zählt SPD-intern als Hannoveraner. In einer Partei gelten zwar Regeln – nicht aber für den Chef. Gabriel hat seinen niedersächsischen Männerblock nominiert – er selbst ist in Goslar, Oppermann in Göttingen zu Hause – und anschließend die anderen großen Landesverbände aufgerufen, Frauen zu nominieren. So macht man sich keine Freunde. Schon gar nicht in NRW.
[…]  Die CDU hat allem Proporz weitgehend entsagt, was leichterfällt, wenn alle Macht weiblich ist. […] In der CDU ist es wichtiger, zwischenmenschlich mit der Kanzlerin klarzukommen, als aus einem mitgliederstarken Bundesland zu stammen. Nicht der Proporz ist Quelle künftigen Frusts, sondern persönliche Ambitionen, die unerfüllt bleiben.
[…] Über den Länderfinanzausgleich heißt es, es gebe nur zwei Leute, die wüssten, wie er funktioniert. Der eine habe es vergessen, der andere sei verrückt geworden. So ähnlich verhält es sich jetzt auch mit dem Kabinettsbasteln.

Im Gegensatz zu den vielen anderen Anti-Merkel-Bewegten, hat das Parteimitglied Tammox noch keine Entscheidung über sein Abstimmungsverhalten getroffen.
Dazu möchte ich erst einmal das Vertragswerk sehen und wissen worüber ich eigentlich abstimme.
Die Chancen für ein „Ja“ sind allerdings nicht riesengroß.