Sonntag, 4. März 2012

Freiheit


Lars Haferkamp schreibt im aktuellen „vorwärts“ Gauck sei deshalb der SPD-Kandidat für das Bundespräsidentenamt, weil er „ohne wenn und aber für die Freiheit“ eintrete.
Damit wäre er genau auf der Linie Willy Brandts. Der Verdienst diesen Brandt-Fan ins Bellevue-Schloß zu hieven gebühre Sigmar Gabriel, der rein im Interesse des Landes gehandelt habe und im Gegensatz zu bösen, bösen Bundeskanzlerin nicht das parteipolitische Kleinklein gesucht habe.

Erst das Land, dann die Partei - nach diesem Motto handelte SPD-Chef Sigmar Gabriel. Von der CDU wurden laut Gabriel sogar „gestandene Sozialdemokraten“ als Präsidentschaftskandidaten ins Gespräch gebracht, nur um Gauck zu verhindern. In der Presse war von Henning Voscherau  und Klaus von Dohnanyi zu lesen. Doch Gabriel suchte keinen parteitaktischen Vorteil. Er blieb bei seinem überparteilichen Vorschlag. Ganz anders Angela Merkel. Sie betrieb Parteitaktik. Eine Politik, die ihr selbst und ihrer Partei nutzen sollte, aber nicht dem Land.
(Vorwärts, März 2012, s.12)

Es ist immer wieder beeindruckend was für einen Blödsinn auch Sozialdemokraten verzapfen können.
 Dieser kurze Absatz strotzt nur so von Un- und Halbwahrheiten.
Selbstverständlich dachte Gabriel rein parteitaktisch, als er 2010 Trittins Personal-Vorschlag folgte. Merkel, die eine gute Freundin Gaucks ist, hätte den konservativen Christen vermutlich selbst als Kandidat nominiert, wenn Rot-Grün die Personalie nicht parteitaktisch vergiftet hätte. 
Daß Gauck 2010 gewählt werden könnte, schien ohnehin unmöglich ob der riesigen schwarzgelben Mehrheit. 
Gabriels Absicht war es einen Keil in die Regierungskoalition zu treiben.
 Hätte Rot-Grün eine Mehrheit in der Bundesversammlung gehabt, wäre garantiert ein Sozialdemokrat von ihm nominiert worden.

Das gleiche Spiel trieb die Kanzlerin mit dem Namen von Dohnanyi, der wie ich meine ein guter Hamburger Bürgermeister war, aber in den folgenden Dekaden kontinuierlich geistig abgedriftet ist und heute einer Clement-artigen FDP-Vorliebe frönt.
 Er hat immer wieder dezidiert anti-rotgrüne Positionen bezogen und fährt als enger Freund Angela Merkels längst auf CDU-Ticket.
 Das ging soweit, daß Dohnanyi sogar nach der großen und genialen Parteitagsrede Helmut Schmidts aus dem Dezember 2011 ernsthaft von dem 93-Jährigen Ex-Kanzler verlangte er müsse sich bei Guido Westerwelle entschuldigen, da er dessen „Außenpolitik“ zu Unrecht angegriffen habe. 
Von einem „gestandenen Sozialdemokraten“ zu reden, ist also der blanke Hohn.

Der frühere Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi forderte Altkanzler Helmut Schmidt (beide SPD) auf, in der Rede auf dem SPD-Parteitag enthaltene Äußerungen über die Bundesregierung zu korrigieren. Die Merkel-Regierung im Zusammenhang mit der Bewältigung der Eurokrise "deutschnational" zu nennen, sei "grundfalsch" und "sehr gefährlich", kritisierte Dohnanyi den Altkanzler. "Ich finde, das war ein großer Fehler und ich hoffe, er findet einen Weg, das zu korrigieren."

Außerdem phantasiert Haferkamp ein Bundespräsident Voscherau würde „ihr selbst“, also Merkel, und „nicht dem Land“ nützen. Im Gegensatz zu Gauck.

Auch das ist einfach abwegig. 
Ich denke, ein schnörkelloser Intellektueller wie Voscherau, der persönlich bescheiden, aber kenntnisreich und witzig ist, würde dem Land ganz enorm nutzen.
 Im Gegensatz zum über alle Maßen eitlen und selbstverliebten Religioten Gauck, der offensichtlich nicht immer so besonders viel nachdenkt, bevor er redet und zudem auch gerne von Dingen redet, von den er gar nichts versteht.

„Das weltweite Internet bietet alle Voraussetzungen, um die in den ersten zehn Artikeln unserer Verfassung verankerten Grundrechte aller Bürger in diesem Land auszuhöhlen. Dies gilt insbesondere für das Recht auf freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit in Artikel Fünf – eine wesentliche Grundlage unserer funktionierenden Demokratie – und es gilt letztlich auch für den Kernsatz unserer Verfassung, den Artikel Eins des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar.“


Willkommen in der Realität. 
Gauck outet sich hier nebenbei nicht nur als Internet-Depp, sondern er kennt auch offensichtlich nicht die Grundrechte in unserer Verfassung.
Beides ist nicht so schlimm, aber als Ahnungsloser dennoch dazu Analysen abzugeben, nur weil man sich selbst so gern reden hört, scheint mir weniger als Qualifikation zum Bundespräsidenten nützlich zu sein.

Aber um schriftlich zu erklären das Internet höhle die Pressefreiheit, die Meinungsfreiheit oder die Versammlungsfreiheit aus, muß man schon regelrecht großverblödet sein. 

Daß so ein Mann, der die Freiheiten allesamt durch das Internet „ausgehöhlt“ sieht, zudem auch noch von der SPD-Parteizeitung als großer Freiheitsexperte bejubelt wird, macht einigermaßen fassungslos.

Man könnte zum Beispiel mal die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo fragen, ob das Internet ihrer Meinung nach die Versammlungsfreiheit bedroht. Oder nehmen wir das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit, wie es in Artikel Zwei festgelegt ist.
Das Internet hat vielen Menschen überhaupt erst die Möglichkeit gebracht, ohne großen Aufwand Gleichgesinnte zu treffen, und so ihre Persönlichkeit zu entfalten – auch wenn das im Einzelfall bedeutet, sich Chatroulette-Schwänze anzusehen. Welche Entfaltungsmöglichkeiten uns das Netz genommen hat oder nehmen könnte, ist dagegen schwer nachzuvollziehen.

Freiheitsexperte Gauck ist Protestant im Lutherischen Sinne; also obrigkeitshörig.
Occupy-Aktivisten findet er „unsäglich albern“ und wenn der Staat sein soziales Gesicht zeigt, um die existentiellen Nöte der Unterschicht wenigstens ein bißchen abzufedern, macht Gauck den Westerwelle 2.0 und sieht den Nanny-Staat drohen.

Wie Gauck den Begriff Freiheit versteht, kann man in seinem Pamphlet Freiheit. Ein Plädoyer“, welches soeben erschienen ist, nachlesen.

Freiheit hat für Gauck zwei Gesichter. Das eine, „anarchische“, das er mit dem jugendlichen Drang nach Herrschaftsfreiheit verbindet und am Beispiel der Französischen Revolution in den Terror münden sieht, ist ihm „Freiheit von etwas“.
Freiheit als Pflicht
Dagegen setzt der einstige Kirchenfunktionär eine „Freiheit für und zu etwas“, eine, „die man nicht fürchten muss“ und die vor allem das ist: „Verantwortung“. Die „wunderbare Fähigkeit“ dazu hält Gauck für gottgeschaffen – und so bekommt Freiheit etwas von einer Pflicht, die sich auf fehlende materielle Bedingungen nicht herausreden dürfe: „Zu essen haben wir mehr als genug. Wir haben auch genug zu trinken. Damit kann man uns nicht locken.“
Dem Glück der Existenz, jenem „Erfüllt-Sein“ durch Verantwortung, von dem Gauck spricht, fehlt es am sozialen Fundament. Nicht durch „unsere Rolle im Wirtschaftsleben“ glaubt er die Menschen bestimmt, „entscheidend ist die Teilhabe an der Macht“. Die Freiheit, die Gauck hier meint, kennt nicht das, was ein Liberaler wie Ralf Dahrendorf „Dimensionen der Freiheit in Gesellschaft“ genannt hat, also ihre unauflösbare Verbindung mit Chancen.
Mehr noch: Gaucks Plädoyer zur „Bereitschaft, Ja zu sagen zu den vorfindlichen Möglichkeiten der Gestaltung“ sieht im Bestehenden schon das Erreichbare.

Das kommt also dabei raus, wenn Obersozi Gabriel mal nicht als Sozi agiert, sondern „für das Land“ entscheidet.

Vielen Dank.