Als Meckerpott von der Seitenlinie, ist es leicht, den handelnden Politikern zuzurufen, was sie alles falsch machen und was man nicht will.
Frackinggas aus den USA kaufen? Will ich nicht.
Waffenkomponenten an das Scharia-Regime in Riad schicken? Will ich nicht.
Bei antihumanistischen Golfmonarchen um Erdgas betteln? Will ich nicht.
Einen kleinen Anteil von Hamburgs kleinsten Terminal an eine Chinesische Reederei verkaufen? Will ich nicht.
100 Milliarden Euro für die Bundeswehr ausgeben? Will ich nicht.
Explodierende Heizkosten, weil weit weg ein fernes Land ein anderes fernes Land bekriegt? Will ich nicht.
Ewig im Stau stehen, weil überall Baustellen sind, wenn Abwassersiele saniert werden? Will ich nicht.
Mehr Kohlekraftwerke, mit viel mehr CO2-Emissionen? Will ich nicht.
Acht Windräder zerstören, damit man in Garzweiler mehr Braunkohle fördern kann? Will ich nicht.
Nie war es so einfach, Parteien den Stinkefinger hinzuhalten.
Nie gab es mehr Häme beim erhobenen „ihr habt aber früher etwas ganz anderes versprochen“-Zeigefinger!
Das ist etwas ermüdend. Natürlich waren die Wahlprogramme von 2021 nicht an eine Kriegswirtschaft angepasst. Es gibt nicht genügend Kristallkugeln, um jede Eventualität zu planen.
Ich behaupte, die Wähler hätten es niemals goutiert, wenn Grüne oder FDP vor fünf Jahren jeden Tag über die vage Möglichkeit einer Pandemie, eines Lockdowns, einem plötzlichen Ende der russischen Gaslieferungen oder die Sabotageanfälligkeit der kritischen Infrastruktur geredet hätten. Man wäre empört über die theoretischen Diskussionen gewesen, hätte sich beklagt, weil die Parteien sich nicht mit den aktuellen Problemen beschäftigen. Ich könnte mich abendfüllend darüber echauffieren, daß es ausgerechnet eine GRÜNE Landesregierung ist, die das Dorf Lützerat wegbaggern lässt und dafür Windkraftanlagen einreißt.
Aber man muss schon so ehrlich sein, daß die letzte Bundesregierung mit grünen Ministern 1998-2005 massiv den Ausbau der erneuerbaren Energien förderte und wir heute längst unabhängig von russischem Gas wären, wenn die verblödeten Wähler das nicht 2005 gestoppt hätten und 16 Jahre kontinuierlich die CDU ins Kanzleramt geschickt hätten, die systematisch wieder auf fossile Brennstoffe umsteuerte und die Windkraft sabotierte. Die Grünen waren es nicht, die 16 Jahre im Kanzleramt saßen, sich bei Foto-Ops mit Putin die Klinke in die Hand gaben, den Stromtrassenausbau blockierten, die Solaranlagenförderung strichen.
Ja natürlich sitzen SPD und Grünen jetzt in einer extrem unkomfortablen Situation, in der es nur noch miese und sehr miese Lösungen gibt. Und selbst die sind oft nicht durchsetzbar, weil die Wähler 2021 FDP und AFD so stark machten, daß es keine linke Regierung geben kann. SPD und Grüne würden nicht nur sehr gern eine gerechtere Bürgerversicherung einführen, Vermögenssteuern erheben, den Spitzensteuersatz später und höher greifen lassen, die Mietpreisbremse drastisch verschärfen, ein Tempolimit durchsetzen, sondern haben dafür auch intensiv geworben. Der Wähler hat dem einen Riegel vorgeschoben. Ja, es geht verdammt ungerecht zu in Deutschland, Privatpatienten werden bevorzugt und die Mieten steigen rasant. Das hätte man alles 2021 abstellen können, aber der Urnenpöbel sagte NEIN und wollte lieber die FDP dabei haben, die das alles verhindert.
Das ist nicht die Schuld von Scholz, Baerbock, Klingbeil und Habeck.
Der Bundeskanzler sitzt doch nicht morgens im Kanzleramt und überlegt sich, wie er Deutschland schaden kann und möglichst viele Wähler ärgert. Bis ihm einfällt, AU JA, ich verkaufe den größten deutschen Hafen an die bösen Chinesen!
An dieser heute so viel getwitterten Darstellung so ziemlich alles falsch. Die Fakten sehen anders aus. Offenbar wägt hier einer die negativen Auswirkungen einer erteilten und einer verweigerten Genehmigung ab. Wir müssen keine Abhängigkeit von China befürchten, weil diese schon längst besteht. Ohne Russland wird es verdammt schwer für die extrem globalisierte exportorientierte deutsche Wirtschaft. Ohne China hingegen, steht hier alles still. Einen zürnenden Xi können wir uns nicht leisten im Jahr 2022. Das Kind ist im Brunnen.
Ein kleines Wort an diejenigen in der Presse, die nun von ganz oben herab beurteilen, wie falsch Scholz angeblich liegt: Scholz verkauft nicht den Hafen. Es geht nicht um den Hafen und nicht um kritische Infrastruktur. Es geht um kein Bundeseigentum oder gar Scholz-Privatbesitz. Die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) und ihre Chefin Angela Titzrath wollten den Deal und schlossen ihn vor über einem Jahr im September 2021 ab. Ein Geschäft zwischen zwei privaten Firmen, gegen das allerdings ein Veto des Bundeskabinetts eingelegt werden könnte. Die Scholz-Regierung kam erst drei Monate später, am 08.12.2021 ins Amt. Die zuständigen Minister Scheuer (CSU) und Altmaier (CDU), sowie die Kanzlerin Merkel (CDU) hatten keine Einwände. Und volle 13 Monate kümmerte sich kein einziger Journalist und Twitter-Terrorist, die jetzt so unheimlich genau Bescheid wissen, um das Thema. Niemand schrieb über kritische Hafen-Infrastruktur, bemängelte irgendetwas daran, daß HHLA und Cosco seit 30 Jahren eng in Hamburg zusammenarbeiten. Alle schliefen gemütlich und interessierten sich nicht die Bohne für ein Thema, das nun innerhalb von Stunden die Medien beherrscht und als Scholz-Generalbashing verwendet wird.
Es wäre ganz erfrischend von den jetzt so lauten Scholz-Kritikern zu hören, daß sie sich im Gegensatz zu ihm, die letzten Jahre keine Sekunde um die Eigentümerstruktur des Betreibers des kleinsten Hamburger Containerterminals Tollerort kümmerten. Es war all den Kommentatoren und Eiferern bestenfalls egal. Eher zu vermuten ist allerdings, daß niemand etwas darüber wußte.
Hinterher ist man immer klüger.