Dienstag, 24. Mai 2016

Schlimme Nervensägen.



Tobias Haberl und Matthias Ziegler vom SZ-Magazin hatten vermutlich schon unangenehmere Aufträge als den letzten, der sie für zehn Tage durch wunderschöne Hotels in asiatischen Urlaubsparadiesen wie Thailand oder Hongkong führte.
Aber einen Haken gibt es ja immer.
In diesem Fall das Subjekt der journalistischen Begier, Haberl und Ziegler hefteten sich an Margot Käßmanns Fersen, mußten allein 12 mal ihren Vortrag über Martin Luther über sich ergehen lassen und dabei die Frage erörtern, wieso diese Frau so polarisiert.
 Millionen Deutsche sind begeistert von ihr, sie kaufen ihre Bücher, gucken ihre Talkshows, lesen ihre BILD-Kolumne und besuchen ihre Veranstaltungen.
Ebenso viele Millionen verdrehen entnervt die Augen, wenn nur der Name „Käßmann“ fällt. Der intellektuellen Klasse gilt sie als Inbegriff der ungebildeten Nervensäge.

Vor sechs Jahren ist Margot Käßmann tief gefallen, eine öffentliche Person ist sie immer noch. Derzeit reist sie als Lutherbotschafterin um die Welt. Was hat sie an sich, dass manche sie so tief verehren und andere sie so radikal ablehnen?

Da ich zur letztgenannten Gruppe gehöre und wie in diesem Blog dutzende Male bewiesen von kaum einem anderen Geistlichen so angewidert wie von ihr bin, fragte ich mich natürlich auch, was sie mir eigentlich getan hat?
Wieso reagiere ich überhaupt so emotional auf eine von abertausenden Pfaffen und Pfäffinnen, die für ihren Berufstand auch noch relativ liberal ist und zu den sogenannten moraltheologischen Fragen durchaus moderat tönt?
Muß man von so einer Person genervt sein? Wieso ist sie mir nicht genauso egal wie die meisten Theologen, die ihrem Märchenglauben frönen?
Sicher, Käßmann lebt recht unbeschwert von politischer Kompetenz oder sonstigem Hintergrundwissen, aber auch das trifft schließlich auf die meisten Deutschen zu.

Eine Frau, die Merinowolljäcken von Betty Barclay trägt und Handyfotos der Enkel anhäuft. Die sich nachts, wenn sie nicht schlafen kann, alte Tatort-Folgen auf Youtube anschaut. Sie ist auf sympathische Art geheimnislos, deshalb kann man sie auch nicht entzaubern. Da ist nichts Metaphysisches oder Intellektuelles, nichts Mystisch-Mönchisches, weit und breit kein Weihrauch und gar nicht so viel Kalkül.

Haberl zeichnet nun ein wohlwollendes Käßmann-Bild, reiht sich nicht in die scharfe bis radikale Kritik ein, die ihr sonst üblicherweise aus den Feuilletons entgegenschallt.

Margot Käßmann - der Name macht was mit den Deutschen. Auf irgendeine Art reagiert fast jeder auf ihn. Viele verehren sie und finden Trost in ihren Büchern. Manche lehnen sie so radikal ab, dass man sich fragt, was es sein könnte, das die Menschen an dieser zierlichen Person mit dem Liza-Minelli-Köpfchen so aggressiv macht. Ist es die Frau oder die Christin? Die Protestantin oder der Gutmensch? Die gescheiterte Bischöfin, die Bestsellerautorin oder die lästige Mahnerin, die einfach nicht die Klappe halten kann? Liegt es an ihr? Oder an den anderen, weil sie in dieser Frau eigene Defizite erkennen oder Talente, die sie selbst gern hätten?

Sie wäre eigentlich recht unprätentiös, furchtbar normal geblieben.
Eine fromme, redselige Frau, die lediglich manchmal etwas ungeschickt bei ihren Formulierungen wäre, auch mal ohne länger nachzudenken draufloskommentiere.
Kann man ihr vorwerfen so viel zu reden, wenn es doch als Predigerin ihr Job ist sich vor Menschenmengen zu stellen, um zu reden?
Dabei geht es um Texte, die 2000 Jahre alt sind, im besten Fall 500 Jahre, wenn sie ihren heißgeliebten Luther zitiert.
Das ist natürlich sehr öde und Myriaden mal gehört.
Aber müsse man sie deshalb hassen?

Es ist dieser Hang zur Anekdote, der Käßmanns Trumpf, aber auch ihre verletzlichste Stelle ist, der Zug, mit dem sie die Deutschen in zwei Lager teilt: in ihre Fans, die sie für ihre Natürlichkeit lieben, und ihre Gegner, die ihre patente Kirchentagshaftigkeit kaum ertragen können. Margot Käßmann liebt Kirchentage. Seit 1979 hat sie keinen verpasst. "Tankstelle für die Seele", sagt sie dazu. Klar verdrehen da manche die Augen. Und dass sie immer so wirkt, als käme sie aus dem Supermarkt und nicht aus dem Gottesdienst, macht die, die sie für naiv und selbstgerecht halten, rasend, und alle anderen noch anhänglicher.

Der SZ-Magazin-Autor ergründet ehrlich woran Käßmanns abstoßender Effekt auf so viele Menschen liegen könne.
Aber offenbar empfindet er selbst nicht so. Sie nervt ihn nicht und daher dringt er auch nicht hinter ihre Narrativ-Ebene.

Die Äußerlichkeiten, ihr schlichtes Gemüt, die enervierende Medienpräsenz, ihr Drang Banales zu veröffentlichen und naiv zu kommentieren, stört mich in dem Maße wie mich andere intellektuelle Flachschwimmer stören, die unablässig in den Medien herumgereicht werden: Til Schweiger, Claudia Effenberg, Verona Pooth.
Das ist für mich alles eine Schublade. Menschen, die unberechtigterweise als medial interessant erachtet werden und daher zu jedem erdenklichen Thema befragt werden und Auskunft geben.
Verona Pooth ist dabei ein Beispiel für eine öffentliche Figur, die zwar auch über die Käßmannsche Ebbe im Hirn verfügt, aber anders als Schweiger noch nicht mal unsympathisch ist.
Es gibt auch nette Doofe.

Es ist natürlich ein Ausweis von Doofheit, wenn Käßmann mit ihren Privatmeinungen und Privatproblemen – Scheidung, Klimakterium, etc - gleich zur BILD rennt, um das der Welt mitzuteilen.
Niemand muß die BILD lesen und es gibt den „Aus“-Knopf, den man drücken kann, wenn Käßmann mal wieder bei Will/Lanz/Maischberger/Plasberg hockt.

Nur wenige Menschen, wie der zu bedauernde Denis Scheck, sind gezwungen aus beruflichen Gründen Käßmanns zwischen zwei Buchdeckel platt gepresste Plattitüden zu lesen.

Aber man kennt das aus ihren geradezu debil-doof Büchern, die allesamt Bestseller wurden:

Margot Kässmann: Mehr als Ja und Amen
Gibt es Jämmerlicheres, als wenn Erwachsene beim Besuch im Kindergarten oder in der Grundschule so tun, als wären sie selbst Kindergartenkinder oder Grundschüler? Dieses literarische Leben auf Kredit, diese geborgte Naivität, dieses Sich-blöd-stellen mit großen Stauneaugen ist der basso continuo von Margot Kässmanns publizistischem Oevre. "Für dieses Buch habe ich über viele Monate Zeitungsauschnitte gesammelt und war am Ende fast erschlagen von der Vielfalt der Probleme, der Stimmen, der Ansätze", schreibt sie. Ein unnötiges Buch, von der Konzeption her Kraut und Rüben, in der Ausführung lieblos hingerotzt, ein Buch, dessen Leser sich wie zu Unrecht ans Kreuz geschlagen fühlen müssen.

Margot Käßmann: "Sehnsucht nach Leben"
Zwölf Aufsätzlein der Ex-EKD-Vorsitzenden zu Themen wie Mut, Trost, Liebe und Geborgenheit versammelt dieses leider illustrierte Büchlein. "Ich denke, jeder Mensch muss für sich selbst herausfinden, wo die eigenen Kraftquellen liegen", schreibt Margot Käßmann darin. Aus dem Mund einer FDP-Vorsitzenden klänge das akzeptabel, für eine protestantische Theologin aber ist das bis zur Selbstaufgabe lasch und opportunistisch: ein Offenbarungseid.

Margot Kässmann: "In der Mitte des Lebens"
Aus groupiehafter Sehnsucht nach der medialen Wiederaufstehung einer wegen Trunkenheit am Steuer zurückgetretenen Landesbischöfin und Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland ein grauenhaftes Mischmasch aus Sermon, Erbauungsliteratur und moralisierenden Textautomatenbausteinen über Monate an die Spitze der deutschen Bestsellerlisten zu jubeln – für solch merkwürdige Heiligenverehrung kennt man meines Wissens im Norddeutschen das schöne Wort "katholisch!"

Wenigstens Scheck spricht aus, was offensichtlich ist: Käßmann steht nackt da. Sie hat ja gar nichts an.
Bei den großen Multiplikatoren ist diese Erkenntnis noch nicht angekommen.

Bis hierhin könnte man Käßmann lediglich als Symptom des Kulturpessimismus betrachten.
Eine freundliche, junggebliebene Großmutter, die schlicht denkt und ein bißchen viel redet.

Das ist aber leider nicht alles.
Als ehemalige Top-Kirchenfunktionärin übt die Frau enormen Einfluss aus.
Ihre unmaßgeblichen Privatmeinungen beeinflussen die Politik und somit auch das Leben von Atheisten, die von der Kirchenkrake in Ruhe gelassen werden wollen.

Die auf einem riesigen Milliardenschatz hockende EKD bekommt mal eben vom Staat zusätzliche 70 Millionen Euro für das Lutherjahr, also der Privatfeier von Deutschlands dümmster Bischöfin und Lutherbotschafterin Käßmann.

Lutherjahr: Staat zahlt 70 Millionen – Kirche 17 Millionen
[…] Der Bund stellt aus dem Kulturetat 35 Millionen Euro für das 500-jährige Reformationsjubiläum zur Verfügung und das Land Sachsen-Anhalt, wo sich die meisten Lutherstätten befinden, 35 Millionen. Die evangelischen Landeskirchen haben 17 Millionen Euro bewilligt.

Wieso gibt es da nicht den geringsten öffentlichen Aufschrei, während Bürgerkriegsflüchtlinge wegen Geldmangels unter erbärmlichen Zuständen hausen müssen?

Es ist schlimm genug, daß ich als Atheist die Kirchen finanzieren muß. Bischofsgehälter wie das von Frau Käßmann bezahle – statt daß man diese Kosten allein den Gläubigen aufbürdet.

Der entscheidende Punkt ist aber, dass die öffentliche Bezuschussung von Kirchentagen die weltanschauliche Neutralität des Staates verletzt. Von einer wirklichen Trennung von Staat und Kirche kann man in Deutschland leider nicht sprechen. Die Kirchen erhalten nicht nur Milliardenbeträge vom Staat, sondern sind auch an der Gesetzgebung maßgeblich beteiligt. So war es nicht zuletzt dem Einfluss der Kirchen geschuldet, dass der Deutsche Bundestag im letzten Jahr die Bestimmungen zur Sterbehilfe verschärft hat, obwohl die Bevölkerung mit einer überwältigenden Mehrheit von 80 Prozent für eine Liberalisierung votierte.

Käßmanns widerlich-verblödeter Einflussnahme ist es zu verdanken, daß Sterbehilfe nicht erlaubt ist. Sie selbst sprach sich massiv und wiederholt gegen professionelle Todesbegleitung aus.

Geht es um derart persönliche und intime Dinge wie das eigene Leben und das Ende dessen, fällt es schon sehr schwer eine grinsende Käßmann mit ihrem Lieblingsspruch „man kann nie tiefer fallen als in Gottes Arme“ auftreten zu sehen, wenn man einen Angehörigen unter grauenhaften Schmerzen leiden und sterben sieht.
Käßmann und ihre Christenfreunde dürfen gern jedes krankheitsbedingte Leid jahrelang auf Intensivstationen an drei Dutzend Schläuche angeschlossen genießen.
Aber sie sollen nicht die Konfessionsfreien durch ihren Einfluss auf die Gesetzgebung zwingen es ebenso zu handhaben.
Allein das gesetzliche Sterbehilfeverbot, welches durch Druck der Käßmanns zustande kam, ist für mich Grund genug die Kirchen zu verachten.

Selten erlebt man so penetrantes Ignorieren des alltäglichen menschlichen Leids.
Gröhe illustriert mustergütig seine eigene Heuchelei, seine Unwissenheit, seine Gewissenlosigkeit, seine Anmaßung, seine schlicht unmenschliche Bosheit.
Jeder Christ kann sein Leiden, seine bestialischen Schmerzen, sein Ersticken, seine Unselbstständigkeit, seine Lähmungen, seine Perikardergüsse, seine Magensonden, seine Tracheotomien, seine Intubationen, seine Katheter, seine verschleimenden Lungen, seine Inkontinenz, seine Dekompensation, sein Organversagen, seine Hämodialyse, seine Klistiere, seinen künstlichen Darmausgang, seine Desorientierung, seine Panikattacken, seine Ängste, Phobien und Depressionen, seine Verzweiflung, seine Paresen, seine Dekubiti, seine Ekzeme, seinen Pruritus, seine Exsikkose, seine Infusionen, seine Transfusionen, seine OPs, seine Beatmungsmaschinen und die Verzweiflung der Angehörigen so lange genießen wie er will.

Wenn jemand anders das nicht möchte und mit seinem EIGENEN Leben selbstbestimmt umgehen will, geht das den Christen nichts an.

Kirchen haben einen konkret schlechten Einfluss auf den Staat, indem sie beispielsweise auf ein ausbeuterisches Arbeitsrecht beharren, so daß Millionen Angestellte in zu 100% staatlich finanzierten Schulen, Pflegeheimen, Kitas und Krankenhäusern keinem arbeitsrechtlichen Schutz unterliegen. Sie dürfen nicht streiken, werden untertariflich bezahlt, ausgegrenzt, wenn sie Juden oder Atheisten sind.

Kirchen und Käßmann trugen maßgeblich dazu bei, daß in Deutschland wider die UN-Kinderrechtskonvention männliche Säuglinge an ihren Genitalien verstümmelt werden dürfen.
Unverzeihlich.

Und zum guten Schluß begleiteten Tobias Haberl und Matthias Ziegler Margot Käßmann in ihrer Eigenschaft als Lutherbotschafterin.
Sie verlieren aber kein Wort zu dem Mann, für den Käßmann auf der ganzen Welt so intensiv wirbt.

Die Käßmanns dieser Welt sind außerdem immer noch stolz wie Bolle wegen Luthers Bibelübersetzung.
Zu UNRECHT. Denn schon 200 Jahre vor Luther wurde die Bibel in Deutsch übersetzt.

Was man hingegen über Luther weiß, läßt den eindeutigen Schluss zu ihn als Riesenarschloch zu bezeichnen.

Luther. Ein widerlicher Geselle, ein Verbrecher an der Menschheit. Den haben wir noch nicht richtig aufgearbeitet. Wir gehen mit Luther um, als sei er ein „Heiliger“ der evangelischen Kirche. Er war aber ein für die damalige Zeit untypisch aggressiver Antisemit, Frauen verachtend bis ins Mark und vom Denken her völlig mittelalterlich. Teufel war sein Lieblingswort. Die Gesellschaft war sehr viel weiter.

Und als wäre das alle noch nicht genug, war Luther auch noch ein von rasendem Antisemitismus zerfressender Hassfanatiker.
Luthers Pläne zur Vernichtung aller Juden waren noch 450 Jahre die große Inspiration für Adolf Hitler, der Luther dementsprechend verehrte.

Martin Luther verfasste schon im frühen 16. Jahrhundert detaillierte Pläne zur „Endlösung der Judenfrage“.

Vor ein paar Tagen stellte der fromme Kirchenjournalist Matthias Drobinski in der Süddeutschen Zeitung recht eigenartige Fragen.

Kann man in Deutschland einen Mann feiern, der den Juden wünschte, "dass man ihre Synagoga oder Schule mit Feuer anzünde"? Einen Mann, der Muslimen, Katholiken und aufständischen Bauern Pest, Tod und Teufel an den Hals wünschte? Darf man fröhlich eines Jahrhunderts gedenken, das darin endete, dass ein furchtbarer Krieg samt Seuchen und Hunger ein Drittel der Menschen in Mitteleuropa dahinraffte?

Nein!

Aber vermutlich sind das rhetorische Fragen, auf die keine Antwort erwartet wurde.

Ja, liebes SZ-Magazin, Käßmann nervt ein bißchen.
Aber der Grund liegt nicht in ihrer permanenten Plapperitis und ihrer intellektuellen Leichtgewichtigkeit.
Das erlebt man bei vielen.

Käßmann treibt einen auf die Palme, weil ihr Wirken konkret der Gesellschaft schadet und weil sie für einen antisemitischen Hassfanatiker Propaganda macht.