Das hat er nicht kommen sehen. Wer hätte auch ahnen können, daß Realpolitik und Regieren doch etwas anspruchsvoller sind, als aus der Opposition heraus zu pöbeln und anderen „Versagen“ vorzuwerfen? Wer hätte denn ahnen können, daß Putin, Netanjahu, oder Trump nicht brav die Ansagen eines Sauerländer Greenhorns aus dem fernen Berlin umsetzen?
Daß die Lage im Nahen Osten doch etwas komplizierter ist und sich nicht mit zackigen Solidaritätsbekundungen für Bibi beruhigen lässt?
Wie in fast allen Politikfeldern, mangelt es Merz aber an Intellekt, um sich ein vollständiges Bild zu machen und die Folgen seiner markigen Sprüche abzuschätzen. Nicht zu handeln kann für einen Bundeskanzler dabei genauso fatal, wie aktives Eingreifen sein. Der CDU-Chef lässt aber nicht nur den Genozid an den Palästinensern geschehen, guckt zu, wie Myriaden Kinder abgeschlachtet werden, sondern blockiert auch noch die EU.
[….] Die Katastrophe in Gaza nimmt ihren grausigen Lauf, aber die EU findet keine gemeinsame Antwort. Friedrich Merz müsste den Weg für Sanktionen gegen Israel frei machen.
Israel hat den Krieg gegen die Hamas als gerechten Krieg begonnen, aber dieser Krieg ist längst nicht mehr gerecht, sondern gefährdet langfristig Sicherheit und Identität des jüdischen Staates. Das ist der Kern eines Briefes, den mehr als 500 ehemalige israelische Spitzenleute von Geheimdienst und Militär an US-Präsident Donald Trump geschickt haben. Ihre Bitte: Er möge darauf hinwirken, dass die israelische Regierung ihren Gaza-Feldzug nicht noch ausweitet, sondern so schnell wie möglich beendet. Überflüssig ist die Frage, warum dieser Brief nicht nach Brüssel geschickt wurde.
Die Europäische Union ist zwar ein wichtiger Waffenlieferant und Wirtschaftspartner Israels, aber im Ringen um eine Lösung im Nahost-Konflikt ein Totalausfall. Sie hat sich gerade verhakt bei der absurd anmutenden Frage, ob es „angemessen und verhältnismäßig“ ist, Israel wegen des Todes von Zehntausenden Zivilisten und des Hungers in Gaza von einem europäischen Forschungsprogramm auszuschließen. Das Versagen hat rufschädigende Züge angenommen. [….] Ende Juni stellte die Kommission schon fest, Israel verletze im Gazastreifen die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht. Ende Juli schlug sie den Mitgliedsländern Sanktionen gegen israelische Firmen vor, doch eine schnelle Einigung scheiterte vor allem am Widerstand Deutschlands und Italiens. [….] Der französische Präsident Emmanuel Macron und der deutsche Kanzler Friedrich Merz taten zuletzt aber genau das Gegenteil. Macron kündigte mit großer Geste an, er werde einen Staat Palästina anerkennen. Merz erteilte der Idee mit ebenso großer Geste eine Absage und erfand für sich selbst eine Sonderrolle: als eine Art Vermittler zwischen Israel und der EU. Damit hat er sich erkennbar übernommen. [….]
(Josef Kelnberger, 05.08.2025)
Brüssel zu schwächen, ist das Dümmste, das Deutschland in dieser Zeit machen kann. Aber die EU lahm zu legen, erweist sich jetzt schon als Merzens Signature Move.
Viel zu spät erkannte Merz, wie unpopulär die deutsche Unterstützung für die Israelische Armee mittlerweile geworden ist, daß auch eine Mehrheit der Israelis, große Teile der Militärs selbst, die Politik ihres Premiers vehement ablehnen. Es gibt Massenproteste gegen Netanjahu in Israel. Rabbis in New York demonstrieren für ein Ende des Gaza-Krieges. Der Massenmord, das völkerrechtswidrige Agieren dient nur noch zwei Zwecken: die perversen Phantasien der Rechtsradikalen werden befriedigt und Bibi entgeht dem Knast, indem er sich an sein Amt klammert. Die bittere Erkenntnis für alle politischen Freunde Israels lautet: Netanjahu schadet seinem Land mittlerweile mehr als die Hamas. Nie war das internationale Ansehen Israels auf so einem Tiefpunkt. Das wäre für jeden Staat eine Katastrophe, trifft aber eine so kleine Nation, mit nur 10 Millionen Menschen, umgeben von feindlich gesinnten Ländern umso fataler.
Nun rudert Merz also hektisch zurück. Ein bißchen.
[….] Es ist passiert. Viel, viel zu spät. Weit über 60.000 getötete Menschen, 1,9 Millionen Binnenvertriebene, eine ganze Generation tief-traumatisierter Kinder zu spät. Aber es ist endlich passiert: Als Antwort auf Benjamin Netanjahus Gaza-Besetzungspläne schränkt die Bundesregierung die Rüstungsexporte nach Israel ein – und kommuniziert dies auch noch offen. Die CSU stellte sich bis zuletzt noch dagegen.
Der Schritt ist zweifellos richtig. Viel zu lange – schon zu Ampelzeiten – hat die deutsche Bundesregierung Benjamin Netanyahu nur gebeten, gemahnt und gefordert, sich an das Völkerrecht zu halten. Er musste nur beteuern, keine Kriegsverbrechen mit deutschen Waffen zu begehen, und schon wurde weiter exportiert. Zu lange hielt Deutschland (vor allem aus Eigennutz) an der Illusion fest, man könne auf den israelischen Ministerpräsidenten einwirken, wenn man genug Nähe wahrt, nicht zu scharf verurteilt und diplomatische Unterstützung signalisiert.
Zu lange folgten keine Konsequenzen darauf, dass Israels ultrarechte Regierung ganz offensichtlich kein Interesse daran hatte, ihre genozidale Kriegsführung in Gaza zu ändern oder gar zu stoppen. Mit seinem Nichtstun machte sich Deutschland nicht nur lächerlich, sondern mitschuldig.
Die Einschränkung der Waffenlieferungen darf aber nur ein Anfang sein. Deutschland muss weitere Schritte gehen und alles in seiner Macht Stehende tun, um den Besetzungs- und Vertreibungsplänen der israelischen Regierung Einhalt zu gebieten. [….] Insbesondere Friedrich Merz wird nicht als derjenige in Erinnerung bleiben, der endlich gehandelt hat – sondern als Bundeskanzler, der bis zum letztmöglichen Zeitpunkt gezögert hat, etwas zu tun. Und als Oppositionsführer, der zu Ampelzeiten jeden kleinsten Kurswechsel-Versuch mit großem Nachdruck durch Frontalangriffe gegen Scholz und Baerbock zu verhindern versuchte. [….]
Weil Merz aber Merz ist, schafft er es nicht einmal, in die richtige Richtung zu gehen, ohne Chaos auszulösen. Der Mann ist einfach zu dumm, um zu antizipieren, was für Folgen sein Handeln hat.
Zunächst einmal schmäht sein Kumpel Bibi ihn nun als denjenigen, der „die Hamas belohne“, offenbar herrscht keinerlei Kommunikation und Vertrauen.
[….] Israels Premierminister Benjamin Netanjahu hat Deutschland vorgeworfen, mit dem Beschluss für einen teilweisen Waffenexportstopp die islamistische Hamas zu belohnen. Er habe seine Enttäuschung in einem Gespräch mit Bundeskanzler Friedrich Merz ausgedrückt, teilte sein Büro mit.
"Anstatt den gerechten Krieg Israels gegen die Hamas zu unterstützen, die den schrecklichsten Angriff auf das jüdische Volk seit dem Holocaust verübt hat, belohnt Deutschland den Terrorismus der Hamas durch ein Waffenembargo für Israel", hieß es in der Mitteilung. [….]
Wieder einmal konnte Merz sein Handeln nicht erklären, wieder einmal, wie bei seinem gemeinsamen Januar-Coup mit der AfD oder seinen unsäglichen Äußerungen zur „Judenfahne“, schlägt er jüdischen Menschen und Vereinen in Deutschland vor den Kopf.
[….] Der heutige Tag, der 8. August 2025, wird in die Geschichte dieses Landes als ein historisches Datum eingehen. Als ein Tag, an dem ausgerechnet Unionskanzler Friedrich Merz die Staatsräson – das Versprechen, dass Deutschland für Israels Sicherheit einstehen wird – beerdigt hat. Die beiden Motive, aus denen sich die Staatsräson bislang speiste – als Konsequenz aus dem Holocaust die immerwährende Verantwortung für das jüdische Volk und ihre Heimstatt Israel sowie die gemeinsame Wertebasis beider Länder –, existieren offenkundig nicht länger.
Man möchte dem Kanzler seine eigenen Worte vom Oktober 2024 zurufen, als der Oppositionsführer Merz die damalige Ampel-Koalition kritisierte: »Was sind Ihre Solidaritätsbekundungen für den Staat Israel eigentlich wert, wenn Sie dem Land zugleich wesentliche Teile der Hilfe in seiner so prekären Situation verweigern?« [….] Und noch im Januar dieses Jahres versprach Merz: »Was Israel zur Ausübung seines Selbstverteidigungsrechts benötigt, wird Israel auch bekommen. Der Begriff ›Staatsräson‹ wird sich wieder an Taten und nicht nur an Worten messen. Es muss wieder unmissverständlich klar werden: Deutschland steht nicht zwischen den Stühlen, sondern Deutschland steht fest an der Seite Israels. Daran wird es künftig keinerlei Zweifel mehr geben.«
Die bittere Pointe: Ausgerechnet Friedrich Merz und seine neue Bundesregierung setzen mit dem Waffenembargo nun fort, was Annalena Baerbock und Robert Habeck begonnen hatten und nur durch Ex-Kanzler Scholz (SPD) gestoppt wurde. Es ist ein Trauerspiel. Und es ist beschämend, mitansehen zu müssen, wie sich Kanzler Merz einmal mehr von der SPD und Umfrageergebnissen treiben lässt – erneut komplett gegen die DNA seiner Partei sowie entgegen den Überzeugungen in der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. [….] Man muss es so klar sagen: Der Bundeskanzler ist seiner Verantwortung nicht gerecht geworden. Merz handelt erratisch und lässt sich treiben. Er ist eingeknickt ob der massiv israelfeindlichen Stimmung im Land. Er irrlichtert durch nahöstliches Terrain, ohne das Thema wirklich zu durchdringen. [….] Sein Außenminister ist zusätzlicher Ballast. »Wir werden uns nicht unter Druck setzen und in eine Position bringen lassen, dass wir zu einer Zwangssolidarität gezwungen werden«, hatte Johann Wadephul (CDU) Ende Mai in Berlin betont. Waffenlieferungen an den jüdischen Staat könnten fortan durchaus wieder ausgesetzt werden.
Berlin im Würgegriff von Jerusalem also? Plötzlich klang der CDU-Politiker wie eine Mischung aus Björn Höcke (es müsse doch mal Schluss sein mit dem »Schuldkult«) und jenen linksradikalen Demonstranten, die vor dem Auswärtigen Amt seit Monaten »Free Palestine from German Guilt« skandieren. [….]
(Philipp Peyman Engel, 08.08.2025)
Man kann durchaus erklären, wieso die Unterstützung von Bibis Gaza-Feldzug eben nicht im Interesse Israels liegt. Die Mehrheit der Israelis sieht es auch so. Man kann das kommunizieren. Merz kann das nicht, weil er nun einmal zu doof ist.
Merz schafft es noch nicht einmal seinen eigene Laden zusammen zu halten.
Wie beim gescheiterten ersten Kanzlerwahlgang. Wie bei der gescheiterten Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf. Wie jetzt wieder. Große Teile der Union, insbesondere CSU und JU, schäumen vor Wut über Merz‘ Kurswechsel.
[….] Die Entscheidung von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), keine Rüstungsgüter mehr nach Israel zu liefern, die im Gazastreifen eingesetzt werden können, hat in seiner Partei heftigen Widerspruch ausgelöst. Auch aus der CSU kommt deutliche Kritik. Die beiden Unionsparteien galten bisher als vehemente Unterstützer von Waffenlieferungen an Israel.
Merz habe den CDU-Bundesvorstand nicht in den Kurswechsel einbezogen, er habe das Gremium noch nicht einmal vorab erläuternd informiert, sagte ein Vorstandsmitglied der SZ. Dabei hätten die Anhänger von Merz vor dessen Wahl an die CDU-Spitze immer versprochen, mit ihm als Vorsitzenden würde in der Partei endlich wieder diskutiert werden. Doch davon sei nichts zu spüren. Ausgerechnet Merz, der Angela Merkel Führungsschwäche und eine zu große Distanz zu ihrer Partei vorgeworfen habe, führe jetzt nicht richtig. Wenn der Kanzler so weiter mache, sei „die Regierung zu Weihnachten am Ende“. [….] Ein anderes CDU-Bundesvorstandsmitglied sagte, Merz könne froh sein, dass der Bundestag in der Sommerpause sei. Ansonsten hätte er sich jetzt auf eine heftige Sitzung der Unionsfraktion einstellen müssen. Es gebe unter den Abgeordneten auch die Befürchtung, dass Israel jetzt für Deutschland wichtige Lieferungen von Rüstungsgütern stoppen und die Geheimdienst-Zusammenarbeit einschränken könne.
Mehrere CDU-Bundestagsabgeordnete übten am Freitag sogar offen heftige Kritik an der Entscheidung des Kanzlers. Johannes Winkel, er ist auch Bundesvorsitzender der Jungen Union, schrieb sarkastisch auf der Plattform X: „Israel macht ab heute die Drecksarbeit für uns, nur ohne deutsche Waffen.“ Winkel bezog sich damit auf eine Äußerung von Merz, der Mitte Juni zu israelischen Angriffen auf Atomanlagen in Iran gesagt hatte: „Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht für uns alle.“
Der CDU-Abgeordnete Carsten Müller bezeichnete den Stopp von Waffenlieferungen an Israel als „erhebliche Fehlentscheidung“, die er „aufs Schärfste“ verurteile. Der Obmann der Unionsfraktion im Auswärtigen Ausschuss, Roderich Kiesewetter, äußerte sich ähnlich. „Die Aussetzung von Waffenlieferungen an Israel halte ich persönlich für einen schweren politischen und strategischen Fehler Deutschlands“, schrieb Kiesewetter. [….] Auch der parlamentarische Staatssekretär im Forschungsministerium, Matthias Hauer (CDU), kritisierte den Kurswechsel bei den Waffenlieferungen als „einen schweren Fehler und ein verheerendes Signal“. Die Hamas habe das schreckliche Leid in Gaza zu vertreten und müsse „nachhaltig vernichtet werden - sonst wird es dort nie Frieden geben“.
Aus der CSU kam ebenfalls heftiger Widerspruch zum Stopp von Waffenlieferungen. [….]
100 Tage Merz-Kleiko und die eigene Fraktion befindet sich in Auflösung.