Dienstag, 22. Mai 2018

Kinderperversion


Wenn man wie ich kinderlos ist, steht man immer wieder vor dem Problem, in der Öffentlichkeit auf Mütter oder Väter zu treffen, die ihre Kinder falsch behandeln.
Man kann aber nichts sagen, weil man erstens ja der Kinderlose ist, der nicht weiß wie das ist. Weil es generell sehr verpönt ist sich in die Erziehung anderer einzumischen und weil allgemeiner Konsens darüber herrscht, daß Eltern immer am besten für das Kind sind, ihnen auch nur das Beste wünschen.
Das gehört insbesondere zur konservativen DNA. Konservative lieben Homeschooling, sehen Kitas und Kindergärten skeptisch und drängen in Form der CSU darauf eine Herdprämie für die Mütter zu zahlen, die ihr Blag streng von allen staatlichen frühkindlichen Bildungsangeboten fernhalten.
Staatliche Eingriffe in die Kinderbetreuung sind so DDR.
Das mögen Seehofer und Söder gar nicht.

Offensichtlich habe ich es auch sehr verinnerlicht mich nicht in anderer Leute Kindererziehung einzumischen. Ich sehe täglich Mütter auf der Straße, die stundenlang intensiv auf ihrem Klugtelefon rumtippen, während sie ihr Gör in der Kinderkarre genau in Höhe der Auspuffgase am Straßenrand parken.
Berufsmütter, die morgens im Gänsemarsch auf den betreuten Kinderspielplatz gegenüber meiner Küche marschieren und dann grundsätzlich erst mal anfangen ihre Ableger so laut anzubrüllen, daß ich mehre geschlossene Türen und Fenster entfernt aus dem Bett falle.
Hoppla, jetzt komme ich-Elternteile, die akustisch desensibilisiert stoisch ausharren, während ihr Kind im Supermarkt sämtliche andere Kunden belästigt.
Oder die ihren adipösen Nachwuchs coram publico mit ungesündestem Junkfood füttern.
Es gibt auch das Gegenteil, Mütter, die so overprotective und hysterisch hygienisch sind, daß man sofort weiß welche unselbstständigen, hypersensiblen Stubenhocker da generiert werden. Helicoptereltern, die am liebsten noch ihre 20-Jährigen Kinder zur Uni fahren und wieder abholen. Die ihren armen Kleinen mit Desinfektionsspray und OP-Handschuhen folgen. Das sind eher die spätgebärenden Eltern, die schon vor der Geburt mehr als hundert Ratgeber gelesen haben und keinen Raum betreten, bevor sie nicht jeden Quadratzentimeter nach Gluten, Lactose und Erdnusskrümeln abgesucht haben – alles tödliche Gefahren für ihren Nachwuchs.

Und ich sage nie etwas.
Da muss es schon zu massiven Übergriffen kommen. Aber die kann ich an einer Hand abzählen. Einmal bat ich eine Mutter ihr Kleinkind zurückzurufen, nachdem dieses in der Gemüseabteilung gerade Dutzende Schalen mit frischen Himbeeren zerrockert hatte. Mama verbat sich natürlich die Eimischung.
Ein anderes mal ging ich, ebenfalls in einen Supermarkt, dazwischen, als eine sehr junge Mutter, ihr auf dem Boden liegendes, schreiendes Balg (das mich zugegebenermaßen auch schrecklich genervt hatte) grob verprügelte. Sie holte mit ausgestrecktem Arm aus und schlug dem circa Dreijährigen mehrfach mit voller Wucht ins Gesicht.
Auch sie war wütend über meine Einmischung, murmelte dann aber ob der erregten Aufmerksamkeit – es hatte sich schon ein Halbkreis aus tumb glotzenden anderen Kunden um uns gebildet – sie schlüge ihr Kind eigentlich auch gar nicht oft, aber manchmal wäre der so, da müsse das halt sein. „Sie wissen ja nicht wie das ist!“
Das ist jetzt 20 Jahre her. Ich glaube, wir hatten beide Recht. Vermutlich weiß ich nicht wie sehr einem ein renitentes Kind auf die Nerven gehen kann und wie dünn das Nervenkostüm werden kann.
Dafür weiß ich aber trotzdem, daß es erbärmlich ist, wenn ein Erwachsener auf ein Kleinkind eindrischt.

Ich hoffe immer, nicht in solche Situationen zu kommen, mache möglichst einen Bogen um Mütter mit Kindern, achte im Supermarkt immer streng darauf an der Kasse mit den ältesten Menschen in der Schlange anzustehen. Man bringe niemals seinen Einkaufswagen in die unmittelbare Nähe eines alles angrabbelnden Kindes. Solche Kinder sind üblicherweise auch Virenschleudern, husten und niesen, ohne sich die Hand vor den Mund zu halten, spucken vor sich hin.

Als ich vor zwei Dekaden hier einzog und fassungslos über den vormittäglichen Kinderlärmpegel in der Küche stand, habe ich erst mal abwechselnd meine Eltern eingeladen und sie peinlich genau befragt: „War ich in dem Alter eigentlich auch so?? Habe ich so rumgeschrien?“
Beide Eltern, aber auch andere Verwandte meiner Elterngeneration schworen zu meiner Beruhigung, ich hätte mich als Kind nie so renitent benommen.
Das hört man gerne.
Womöglich stimmt es sogar, weil ich tatsächlich eher kontemplativ und still veranlagt bin. In meinen Grundschulzeugnissen waren das Standardbewertungen: „ist leider noch zu still.“ – das schrieben in Abwandlungen alle Lehrer über mich.

Womöglich stimmt es auch, daß ich ruhiger als heutige Gören war, weil alle Kinder vor der Erfindung des Internets mehr Aufmerksamkeit ihrer Eltern bekamen.
Kinder wurden überhaupt weniger separiert und viel mehr in den Alltag der Erwachsenen integriert.

Der Spielplatz-Designer Günter Belzig hält Spielplätze eigentlich für pervers, weil sie Kinder vom Rest der Gesellschaft ausschlössen; schöner wäre es Kinder in der ungestalteten Wildnis spielen zu lassen, oder gar wie er selbst in der Nachkriegszeit in den Trümmern der Stadt zu toben.

In der heutigen Mopo spricht sich die Kulturwissenschaftlerin Darijana Hahn vom Deutschen Kinderhilfswerk dementsprechend auch gegen mehr Spielplätze aus.


Wir sollten uns vielleicht alle von der Vorstellung verabschieden, daß Mütter schon am besten wüsten was gut für Kind ist.
Warum sollten sie?
Es gibt keinerlei Qualifikationstest vor einer Schwangerschaft.
 Ich bin fast geneigt zu sagen, daß im Sinne des Antinatalismus‘ eher diejenigen, die keine Kinder bekommen, wissen was gut ist für die Welt.

[….] Es ist kühl draußen, frühlingskühl: frösteln im Schatten, leichte Wärme in der Sonne. Ich öffne die Tür zum Café und setze mich direkt ans Fenster ins Licht. [….] Die Chefin geht in die Küche und kommt mit der Quiche zurück. Sie fragt: Jehts jut?
Wat schreibense? Ein Buch? Na da fragense die Richtige. Mir stehts nämlich bis hier mit den Weibern hier im Prenzlauer Berg. Eins im Wagen, eins am Wagen, eins im Bauch, so schettern die hier die Straße runter. Schön is dit nich! Die Weiber hier denken doch, die sind was Besseres. Weil sie Kiiiiinder haben! Huch! Is ja ganz was Neues, dass man sich fortpflanzen kann. Gucken Se, da draußen, schon wieder zwei Rinder. Wie die aussehen! Man könnte würgen, wer geht denn über so wat noch drüber? Friseur? Braucht so eine nich. Mal wat anderet als ne Jack-Wolfskin-Jacke? Nee, is nich. Der Alte zahlt ja, den haben se sicher mit dem Blag.
Die kommen hier rein in mein Café, drei Kinderwagen auf dreißig Quadratmeter. Dann is hier dicht. Na, sag ich, einen könnse mit reinnehmen, aber die andern Wagen bitte draußen lassen. Was mir einfällt, macht mich die Olle an, das wäre ja Diskriminierung! Ja, sag ich, wenn Sie hier alle reinrollen, gibt's keinen Platz mehr für andere Gäste. Na hallo, sagt das Rind, das werd ich jetzt überall rumerzählen, dass man hier mit Kindern diskriminiert wird. Ja, sag ich, denn erzählnse dit mal weiter, dann bleiben solche wie Sie endlich weg.
Oder neulich, da kommt eine rein, Mittagszeit. Bei mir gibt's Salate, Bagels, Baguettes. Sagt se: Die Hackfleischsuppe hätt ich gern ohne Fleisch. Icke: Jeht nich, aber bestelln Se doch wat anderet. Sie: Entschuldigung, mein Baby ist hoch allergisch, können Sie verantworten, wenn das Kind einen Schock über die Muttermilch kriegt? Die hab ick rausgeschmissen, klar, is immer noch mein Café. Und dann wieder das Geseire: Ich zeig Sie an, ich wohne hier, und ich werde alle meine Freundinnen davor warnen, zu Ihnen zu kommen. Machense dit, machense, hab ick noch gesagt.
[….]  Du lieber Himmel, der Prenzlauer Berg war mal underground, schwul-lesbisch, alles, ich komm ja von hier. Jetzt setzen die sich hier im Pulk hin, holen ihre Euter raus und stillen die Kinder. Nicht dass die da mal 'ne Decke drüberlegen oder so - neeeein, das soll jetzt aber auch wirklich jeder mitkriegen, dass sie ihr Baby ernähren können, dass sie das hinkriegen mit vierzig oder wie alt die sind. Großes Getöse. Ick meine, das Wort "stillen" kommt ja wohl von STILLE. Aber dit raffen die einfach nicht, die Rinder. Ich hab schwule Stammgäste, die sehen das und sagen: Entschuldige, Tanja, mir wird schlecht, ich kann nicht mehr zu dir kommen, wenn die hier ihr ganzes Gehänge rausholen. Kann ick verstehen. Ick hab selber noch mal was Kleines bekommen, der ist jetzt fünf.    Sie glauben ja nicht, was bei den Elternversammlungen im Kindergarten abläuft. Da kommen die alle angelatscht, die Kinder natürlich dabei, und dann geht das los: Mein Sohn braucht Spanischunterricht, meine Tochter musste neulich alleine spielen, warum gibt's hier eigentlich kein Bioessen, die Erzieherin hat neulich so unfreundlich geguckt … Die Leiterin, die kenn ich noch von meiner großen Tochter, die ist heulend rausgerannt. Die drohen ja alle gleich mit dem Anwalt - mit dem sind sie ja praktischerweise auch verheiratet. [….]

Wie mich 1985 Stings Russians-Text ärgerte.

There is no monopoly on common sense
On either side of the political fence.
We share the same biology, regardless of ideology.
Believe me when I say to you,
I hope the Russians love their children too

Natürlich lieben Russen ihre Kinder.
Ich glaube, die ganz große Mehrheit der Eltern liebt ihre Kinder.
Dafür sorgt vermutlich auch die Hirnchemie, die hormonell entsprechend einstellt. Es wäre ja übel, wenn ein dummes oder häßliches Kind nicht von seinen Eltern geliebt würde.
Ein Kind großzuziehen und teuer und sehr aufwändig, man muss es also lieben.

Man sollte aber nicht denken, daß alle Kinder geliebt werden.

[…..] Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht von rund 18 Millionen Minderjährigen aus, die in Europa von sexueller Gewalt betroffen sind. Das sind auf Deutschland übertragen rund eine Million Mädchen und Jungen. Dies bedeutet, dass etwa 1 bis 2 Schülerinnen und Schüler in jeder Schulklasse von sexueller Gewalt durch Erwachsene betroffen sind. […..]

In Amerika gehören über 50% der obdachlosen Kinder zur LGBTI-Gemeinde.
Sie alle wurden von ihren Eltern auf die Straße geworfen, als sie sich outeten.
Auch da kann es mit der Liebe wohl nicht so weit her sein.

Zudem kann man ein Kind aus Unwissenheit sehr schlecht behandeln.
Die Bibel schreibt es sogar seit 2000 Jahren ausdrücklich vor Kinder zu misshandeln und grausam zu schlagen. In den Schlägen zeige sich die Liebe.
Der jetzt so allgemein adorierte Papst Franziskus spricht sich auch für das Schlagen von Kindern aus – wenn es denn in Würde geschehe.
1,4 Milliarden Menschen hält es offenbar nicht davon ab katholisch zu sein, daß ihr Papst von der Würde der Kindesmisshandlung faselt.

Millionen Kinder werden jedes Jahr an den Genitalien verstümmelt. Vermutlich nicht, weil die Eltern sie hassen, sondern weil die Eltern schwer fehlgeleitet sind.

Schon vor Jahrzehnten gruselte ich mich, als ich erstmals TV-Berichte über Pädophilenwettbewerbe sah, die offensichtlich in der gesamten USA verbreitet sind.
Eltern, die ihre Zwei-, Drei- oder Fünf-Jährigen Töchter schminken, als Edelprostituierte ausstaffieren und dann kreuz und quer durchs Land fahren, um die Little Miss Sunshines in Schönheitswettbewerben vorzuführen.
Und da wundert sich jemand, daß die USA das Land mit der höchsten Psychotherapeutendichte sind?

Vermutlich lieben auch NRA-Anhänger ihre Kinder.

[…..] In den USA sind in diesem Jahr mehr Schulkinder erschossen worden als Soldaten im Dienst. In einer Schule in Ohio dürfen deshalb Lehrer ihre Klassen mit Pistolen schützen. […..]

Ich habe keine Kinder, wie gesagt. Aber ich bin dennoch sicher es besser zu wissen. Das ist nicht gut für Kinder: