"'Meine Mutter hatte die
Masern und ist auch nicht gestorben', hört man oft in Facebook-Gruppen. Das
Problem ist nur: Wenn die eigene Mutter als Kind an den Masern gestorben ist,
gibt es keine Nachkommen, die das dann auf Facebook posten können."
Christian Schiffer und Christian
Alt, "Angela Merkel ist Hitlers Tochter - im Land der
Verschwörungstheorien" (2018)
Wenn Denis Scheck in seiner Top Ten Bücher mit
Verve in die Tonne wirft, bekomme ich immer noch leichte Beklemmungen, weil ich
in einem Haushalt aufwuchs, in dem noch unter dem Schock der
Nazi-Bücherverbrennungen jedes Buch verehrt und pfleglich behandelt wurde. Bis heute
kann ich kein Buch wegwerfen.
Aber Scheck hat Recht, auch durch mein Lieblingsmedium „Buch“
wird unerträglicher Schund verbreitet, den man nur
in den Müll werfen kann. Was soll man sonst mit dem Unsinn
von Sarrazin, Hahne oder Käßmann tun?
Das Medium Buch mit schlechten Autoren gleichzusetzen ist
eine unzulässige Ebenen-Verquickung.
[….] Platz 4: Peter Hahne: "Schluss mit euren ewigen
Mogelpackungen!"
Dieses Buch ist ein Musterbeispiel für jenen vulgären Populismus, der
als Fluch die westlichen Demokratien zu Beginn des 21. Jahrhunderts heimsucht.
"Wir lassen uns nicht für dumm verkaufen", nennt der dumpfe
Stammtischmichel Peter Hahne sein Pamphlet, um seine Leser auf den folgenden
128 inkonsistenten, wirren und abstrusen Seiten – genau: für dumm zu verkaufen.
[….]
Ich bin alles andere als ein Soziale-Medien-Experte, verwende
einige davon aber sehr regelmäßig: Youtube und Facebook.
Natürlich ärgert man sich täglich über den Mist, der dort
verbreitet wird.
FB ist wie das Internet insgesamt, das schließlich auch ein
gewaltiger Mist-Multiplikator, eine Zeitklaumaschine, sowie ein
Verdummungsinstrument ist, welches man aber dennoch so vielfach nutzen kann.
Mit ein bißchen Grips und Mühe kann man sich Facebook so zu
Nutze machen, daß es eine Bereicherung ist, Informationen liefert und
tatsächlich Kontakte zu interessanten Menschen in aller Welt knüpft, die man
auf keinem anderen Wege kennenlernen kann.
Anders als Bücher haben die sozialen Medien eine System-immanente
Problematik, da sie ohne Lektoren und Verleger eigentümlich gefiltert (keine
weibliche Brust mit Nippel erscheint auf FB, ohne innerhalb von Sekunden
gelöscht zu werden, gruppenbezogener Hass wird nicht erkannt) und dafür umso schneller auch gefährlichste
Thesen verbreiten.
Es bleibt nicht bei Thesen, sondern führt zu außerordentlich
dramatischen Konsequenzen.
Trumps Twitterei und die über Facebook
verbreiteten Falschmeldungen machten den 8.000-fachen Lügner zum Präsidenten.
Ein derart rassistisch-verlogener Nepotist mit
Zimmer-Temperatur-IQ wie Trump hätte im Zeitalter von Zeitungsjournalismus
nicht Präsident werden können.
Twitter macht ihn möglich.
Die sozialen Medien tragen auch entscheidend dazu bei, daß sich
in den westlichen Ländern tödliche Infektionskrankheiten ausbreiten, weil Globuli-Wahn, Impfgegner-Schwachsinn und
Chemtrail-Theorien ebenso leicht auf den kalifornischen Algorithmen zu
Millionen Europäern surfen, wie seriöse WHO-Informationen. Gegenwärtig sterben
weltweit wieder jährlich 100.000 Menschen an Masern, obwohl es dagegen eine
Impfung gibt. Die wird aber von „Impfgegnern“ so verbissen bekämpft, daß sie
lieber sterben.
[….] Vermutlich
hat keine andere Erfindung der Geschichte mehr
Menschenleben gerettet als
Impfungen. Viele Jahrzehnte lang waren Impfungen eine der wenigen konsistenten
Erfolgsgeschichten. Das droht sich gerade zu ändern, dank
Verschwörungstheoretikern, aggressiven Impfgegnern - und nicht zuletzt aufgrund
versehentlicher Unterstützung durch Google, YouTube und Facebook. [….]
Die medizinische Fakultät der Brown University in Rhode Island betreibt
ein Kooperationsprojekt mit ukrainischen Wissenschaftlern. In dessen Rahmen
wurden 2015 Medizinstudentinnen und -studenten einer ukrainischen Universität
nach Einstellungen zum Thema Impfung befragt. 60 Prozent der Befragten hingen
dem zweifelsfrei widerlegten Irrglauben an, Impfungen verursachten Autismus.
Desinformation kann tödlich sein.
[….] All die "Impfkritiker", Verschwörungstheoretiker,
Besserwisser und Esoteriker, die ihre Kinder nicht impfen lassen, sind Teil
eines globalen Problems. [….] Die WHO
betrachtet Impfgegner mittlerweile als globale Bedrohung.
Insbesondere Google, Facebook und YouTube sind aufgrund ihrer Sortier-
und Selektionsmechanismen Nährboden und Verstärker für
Anti-Impf-Verschwörungstheorien. Weil Inhalte, die Angst und Wut auslösen, dort
besonders gut laufen. [….] Wenn man
im März 2019 mit einem anonymen Browser und ohne Google-Login "Impfen
ist" in ein Google-Suchfenster tippt, schlägt die Autocomplete-Funktion
der Suchmaschine als erstes die Vervollständigung "Impfen ist Gift" vor.
Folgt man dem Suchvorschlag, ist der erste Treffer eine Impfgegner-Seite voller
Desinformation. Der zweite auch. Und der vierte und der fünfte.
In der Leiste mit Video-Ergebnissen erscheinen ausschließlich Clips mit
extremen Anti-Impfungs-Verschwörungstheorien, gern religiös unterfüttert. In
einem davon wird vor einem Plan zur Ausrottung der gesamten Menschheit gewarnt,
von den angeblichen Tätern getarnt als Massenimpfung. [….]
Es ist tatsächlich so:
Menschen sind so unfassbar dumm, daß man sie technisch vor sich selbst schützen muss.
Menschen sind so unfassbar dumm, daß man sie technisch vor sich selbst schützen muss.
Sie ungefiltert alle Informationen konsumieren zu lassen,
überfordert sie nicht nur theoretisch und intellektuell, sondern ist
tatsächlich im wahrsten Sinne des Wortes tödlich.
Das Internet man Kluge klüger und Dumme dümmer.
Während also die Klugen nicht nur immun gegen Fakenews sind,
sondern auch noch vom ungehinderten Zugang zu Informationen profitieren, ist
die breite Masse ohne die Gatekeeping-Funktion klassischer Journalisten
verloren.
Auch aufgeklärte Nationen wie England oder die US verblöden
so rapide, daß sie Brexit und Trump herbeiführen.
Aber es geht noch schlimmer.
Beispiel Brasilien. Hier ist es vor Allem Whatsapp, das dazu
beitrug durch miese Manipulationen Abermillionen Christen für einen zutiefst
verlogenen Nazi-Rassisten zu begeistern.
[…..] Ihren Höhepunkt erlebte die Flut an Falschmeldungen während des
Präsidentschaftswahlkampfes im vergangenen Jahr. Sie spülte den rechtsextremen
Präsidenten Jair Bolsonaro in das höchste Amt des Staates. Er selbst hatte im
Wahlkampf immer wieder Falschmeldungen verbreitet.
So behauptete Bolsonaro etwa, sein Widersacher Fernando Haddad wolle
Kinder zur Homosexualität umerziehen. Diese absichtliche Lüge macht Fernando
Haddad noch heute wütend. Der Unterlegene der Präsidentschafts-Stichwahl weiß,
dass die millionenfach geklickten Fake News-Videos bei Facebook und WhatsApp
entscheidenden Anteil an seiner Niederlage hatten. Absurdeste Falschmeldung:
Haddad wolle Babyflaschen mit Penis-Nuckel einführen. [….]