Fähig zu sein die eigenen Ansichten zu ändern, ist grundsätzlich ein gutes Zeichen. Es ist ein natürlicher Prozess der intellektuellen Erkenntnis, daß die eigene Faktenlage sich verbreitet, so daß andere Schlüsse gezogen werden.
Manche
Menschen werden auch im zunehmenden Alter kritischer und weniger leichtgläubig.
Man springt dann nicht mehr so leicht auf einen Zug auf, wenn man schon viele mit
Medienhype orchestrierte Züge entgleisen sehen hat.
Als
Jugendlicher besteht man felsenfest auf seiner Meinung und seinen Vorlieben.
Wehe wenn die Eltern an der bevorzugten Boyband oder der Frisur
herumkritisieren.
Erwachsene
haben ja keine Ahnung.
Wer nach
ein paar Dekaden auf seine eigene Jugend zurückblickt, erinnert sich aber immer
auch an die peinlichen Fehl-Fan-Fantasien und kann es a posteriori kaum noch
glauben, weswegen man einst eine TV-Serie oder eine Sängerin liebte.
Andere
werden erst mit dem Holzhammer zu einem Umdenken genötigt.
Ins
Gegenteil verkehrte Meinungen werden oft besonders hartnäckig vertreten.
Niemand
kämpft so stark für Rauchverbote wie Ex-Raucher.
Konvertiten
sind die überzeugtesten Religioten. Ehemalige begeisterte Fleischfresser
stechen normale Veganer an Fanatismus aus.
Sehr
beeindruckend ist das Engagement von Eltern homosexueller Kinder, die bis zum
Outing ihres eigenen Sohnes/ihrer eigenen Tochter selbst homophob dachten und
dann oft in längeren Prozessen komplett umdachten.
Natürlich
gibt es auch altersbedingte Denkverhärtungen.
Eltern
können ihre Teenagerkinder sehr hart und überzeugend betrafen, wenn sie diese
mit einem Joint erwischen. Wieviel sie selbst in ihrer Jugend kifften, ist dann
vergessen.
Ich
erinnere mich noch gut, daß ich ernsthaft ein bißchen entsetzt war, als mir
eine Schulfreundin einst erzählte, ihre 16-Jährige Tochter könne offenbar „schon
poppen wie eine Große“. Das höre sie schließlich immer lautstark aus ihrem
Zimmer, welches neben ihrem Schlafzimmer liege.
Meine
Spontanreaktion war tatsächlich ein „und das erlaubst Du?“.
Ich solle
mich mal nicht so aufregen und lieber daran denken was ich schon alles mit 15
getrieben hätte, wurde ich dann belehrt.
Um
womit? Mit Recht.
In den
sozialen Netzwerken beobachte ich, daß CDU-affine Geronten wie Baring, Broder oder Biermann als Prototypen der
unangenehmsten Rechten gebrandmarkt werden.
Um nicht
nur Männer mit „B“ zu nennen, erwähne ich noch den gruseligen Giordano, der
gemeinsame Sache mit der braunen Erika von den Vertriebenen machte. Oder den
Merkel-Fan und Arbeitgeberlobbyisten Klaus von Dohnanyi.
Den
jungen Leuten sage ich, ja, ihr ärgert euch zu Recht über diese Omen und Open.
Es ist
aber nicht richtig diese Personen deswegen in Bausch und Bogen zu verdammen.
Ich
hatte das Privileg mich als 15, 16-Jähriger Schüler mehrfach mit Wolf Biermann
unterhalten zu können. Er kam auf Einladung unserer Deutschlehrerin in unsere
Schule und diskutierte mit uns über Hölderlin.
Er nahm
uns ernst, ließ sich lange Zeit und kam mehrfach zu uns.
Damals
war Biermann eher als der Regimekritiker bekannt, weniger als Barde, Dichter
oder Liedermacher.
Als
Student, kurz nach dem Fall der Mauer erlebte ich Biermann dann neu als
SPIEGEL-Kolumnist. Diesmal als Essayist. Der Mann schrieb damals einige der
besten Prosatexte des Jahrzehnts. Es war eine Wonne diesen scharfsichtigen Mann
zu lesen.
Niemals
hätte ich damals geglaubt, daß der schärfste Kohl-Kritiker eines Tages für
Angela Merkel schwärmen könnte und in der Springerpresse verbreitet CDU zu
wählen.
Auch
Baring und Broder waren einmal links und ich stehe weiterhin dazu, daß Broder
einige bedeutende, intelligente Bücher geschrieben hat.
Giordano
erst Recht („Die zweite Schuld“, „Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte“).
Klaus von
Dohnanyi war als Hamburger SPD-Bürgermeister ein bedeutender Versöhner, dem es
gelang gegen die geifernde Presse den Hafenstraßenkonflikt zu befrieden, weil
er als erster Politiker überhaupt die Hausbesetzer akzeptierte und ihnen
vertraute.
Als es
noch die Mauer gab, erzählte mir einmal ein guter Grufti-Freund von seiner
besten Fahrt nach Hamburg.
Damals
gab es an der Westberliner Stadtgrenze nach der Autobahnzufahrt Reinickendorf
eine kleine Standspur, die immer von lauter zwielichtigen Tramper-Gestalten bevölkert
wurde. Ich habe keine Ahnung, wie erfolgreich Trampen heute im Zeitalter der Mitfahrzentralen
ist. Damals aber war die Transitstrecke durch die DDR ein kleines Abenteuer.
Ohne Auto kam man da nicht durch und so fühlte man durchaus Solidarität mit den
Trampern. Die mußten meistens nicht sehr lange warten.
Richard,
der Grufti mit cool geschminkten Augen, stand also auch dort, als wider
Erwarten eine große Limousine anhielt und ein distinguierter Herr auf dem
Fahrersitz sagte „stiegt mal alle ein.“
Der Mann
war Klaus von Dohnanyi, der seinen neuen leicht eingeschüchterten Grufti- und
Punkerfreunden bedeutete ihn duzen zu können und im Übrigen hätten sie nun drei
Stunden Zeit sich mal alles von der Seele zu reden, was sie bedrücke. Von
Dohnanyi war immerhin ein amtierender Ministerpräsident damals und war so
unprätentiös wie unvoreingenommen.
Kaum
vorstellbar, daß das derselbe Mann war, der heute weißhaarig bei Günter Jauch
sitzt und gegen Linke und Gewerkschafter agitiert.
Man kann
sich immer ändern und nur wer sich ändert, bleibt sich treu. (Biermann).
Helmut
Schmidt wird mit knapp 96 Jahren immer freigeistiger und verteidigt in einer großen Kirche seinen Atheismus.
Andere
werden im hohen Alter offenbar immer verbohrter.
Broder
und Biermann und natürlich insbesondere Baring haben dabei ein Niveau erreicht,
daß man ihnen wirklich nicht mehr zuhören sollte.
Bei
einigen kippt es irgendwann schlagartig, andere, wie Sarrazin werden ganz
kontinuierlich immer extremistischer.
Albern
wird es allerdings, wenn man als meinungsstarrer Geront behauptet man habe
schon immer diese Thesen verbreitet, wenn allzu offensichtlich ist, daß man
früher das Gegenteil gesagt hatte.
Wozu
diese Peinlichkeit? Mit einem lockeren Spruch – man wird im Alter eben klüger –
kommt man über Widersprüche hinweg.
Und sei
es auch Straußsche Selbstironie à la „was schert mich mein dummes Geschwätz von
gestern?“.
Hier
liegt auch der Kardinalfehler von Crazy Horst, der zu jedem Thema drei
Meinungen vertritt und dennoch behauptet verlässliche Politik zu machen.
Und dann
gibt es noch Päpste.
Die
haben als die einzigen Menschen des Planeten, die ex cathedra Unfehlbarkeit für
sich reklamieren natürlich ein Problem, wenn sie ihre Meinung diametral um 180°
ändern.
Da muß
man schon tiefer in die dialektische Trickkiste greifen, um das verständlich zu
machen.
Der senile
Ratzinger Sepp spart sich allerdings die Mühe.
Bei der
Publikation seines Gesamtwerkes läßt er Texte, die er in den 1970ern als
bedeutender Theologieprofessor verfasste so umschreiben, daß sie mit denselben
Argumenten heute zum gegenteiligen Schluß kommen.
Damit
übertrifft der Ex-Papst Broder, von Dohnanyi und Biermann um Längen.
Ohnehin
ist Ratzinger inzwischen als recht unseriöser Wissenschaftler enttarnt, aber
nun gibt er sich völlig der Lächerlichkeit preis.
Intensiv strickt der Pontifex auch an seinem Renommee als Spitzenwissenschaftler, der als hochseriöser Theologe auch ohne das geistliche Amt Weltgeltung errungen hätte.
Nun ja, auch wenn seine professionellen Claqueure von Focus und BILD, wenn seine persönlichen Liebesdiener Paul Badde, Alexander Kissler und Matthias Matussek diese Saga immer wieder drucken - stimmen muß das nicht.
Angeblich soll seine erheblich begabtere Kommilitonin Uta Ranke-Heinemann ihm während des Studiums mit Altgriechisch und Hebräisch geholfen haben, weil das in die zukünftige Papstbirne einfach nicht hineinging.
Der Papst-Biograph Alan Posener („Benedikts Kreuzzug. Der Angriff des Vatikans auf die moderne Gesellschaft“ Ullstein Verlag, Berlin 2009, ISBN 3550087934, Gebunden, 268 Seiten, 18,00 EUR) hält Benedikt für wissenschaftlich unseriös. Ratzinger ist alles anderes als wissenschaftlich korrekt, er fälscht Zitate und presst sich bei seinem großen Thema „Vernunft und Glaube“ Immanuel Kant auch mal so hin, wie es ihm gerade passt.
Offenbar kommt aber kaum einer der bei Papst-Vorträgen andächtig Lauschenden überhaupt auf die Idee mal Zitate nachzuschlagen und auf Korrektheit zu überprüfen.
Einen Haufen Lügen verbreitet der Papst auch zu den zahlreichen Missbrauchsgeschichten; so will er vom Fall Murphy nichts gewußt haben, obwohl er seit Jahrzehnten mit dem Fall beschäftigt ist und auch vor der Kamera von Journalisten darauf angesprochen wurde.
Ratzinger
ist ein Lügner und ein unseriöser Theologe.
Nun ist
er auch noch eine Witzfigur, der sein 1972er Plädoyer für die Kommunion von
Geschiedenen einfach nachträglich fälscht, statt zuzugeben, seine Meinung
geändert zu haben
Ja, die Ehe bleibe
grundsätzlich unauflöslich, schreibt der Theologe. Wenn aber "eine zweite
Ehe über eine längere Zeit hin" sich "als sittliche Größe
bewährt" habe und "im Geist des Glaubens gelebt" worden sei,
wenn es in der neuen Beziehung "moralische Verpflichtungen" gegenüber
Kindern und Ehefrau gebe, dann scheine "die Eröffnung der
Kommuniongemeinschaft nach einer Zeit der Bewährung nicht weniger als gerecht
und voll auf der Linie der kirchlichen Überlieferung zu sein". Ganz schön
mutig, dieser Joseph Ratzinger aus Regensburg. 1972 jedenfalls, als er diesen
Aufsatz schrieb.
Jetzt kann man den Beitrag
wieder lesen. Gerade ist Band vier der gesammelten Werke jenes Professors
erschienen, der Erzbischof, Präfekt der Glaubenskongregation und schließlich
Papst Benedikt XVI. wurde. Der Aufsatz beginnt auf Seite 600 - und ist völlig
anders als 1972. Der emeritierte Papst hat den Schluss überarbeitet, er hat ihn
ins Gegenteil verkehrt, obwohl die Argumente zuvor die gleichen geblieben sind.
Der Satz über den
Kommunionempfang von Geschiedenen, die wieder heiraten, fehlt. Stattdessen
empfiehlt Benedikt, dass die Kirche das Ehenichtigkeitsverfahren ausbaut - das
könnte feststellen, dass eine Ehe wegen psychischer Unreife von Anfang an
ungültig war, einer zweiten Heirat stünde dann nichts im Weg. Auch ohne dieses
Verfahren sollten Geschiedene in kirchlichen Gremien aktiv und Pate werden
können. [….]